Man spricht über Politik, über »die Lage«, manchmal über Lektüre, meist über das Leben hier in Mitteldeutschland: über das Leben in dem Kaff fernab jener Boom-Regionen und Entwicklungsleuchttürme, an denen sich die Hoffnung und das Selbstwertgefühl des Ostens festmachen. Während wir erzählen und die Sache auf den Punkt zu bringen versuchen, pendelt die Waage hin und her. War es richtig? Aber wer ist schon objektiv, wenn er sich für dieses oder jenes Leben entschieden hat? Sind wenigstens die Zahlen objektiv?
Fünftausend Euro: Das ist der Preis für einen renovierungsbedürftigen, aber soliden Bauernhof, den sich ein Großgrundbesitzer unter den Nagel riß, um das teure Land zu bekommen. Die Gebäude samt Innenhof stößt er nun wieder ab: für fünftausend Euro, und man kann noch handeln. Wer solch einen Hof kauft, hat keine Schulden, aber eine Menge Arbeit und kaum Chancen, seinen Besitz irgendwann auf der Bank für einen Kredit einzusetzen. Nach »objektiven« Kriterien ist sein Eigentum wenig wert.
Ein Euro fünfzig: soviel kostet ein Bier in der Kneipe. Ein riesiger Teller Bratkartoffeln mit Spiegeleiern und Zwiebeln ist für vier Euro zu haben. In München oder Frankfurt – das Dreifache? Aber dort nimmt ein Klempner auch fünfzig Euro die Stunde, hier fünfundzwanzig, und geputzt wird im Krankenhaus für fünf Euro, während in Offenbach niemand für weniger als fünfzehn Euro einen Besen in die Hand nimmt. Der Maurer, der samt Frau und Kind vor Jahren nach Ulm zog, hat unterm Strich am Monatsende nicht mehr oder weniger übrig als zuvor, er hat es uns bestätigt: Aber er wird pünktlich bezahlt und lebt in dem befriedigenden Gefühl, Stunde um Stunde nicht zwölf, sondern zwanzig Euro wert zu sein.
Reichten diese acht Euro aus, um eine ganz und gar in der Region verwurzelte Familie in den Süden zu locken, und zwar nicht an ein Forschungszentrum in Konstanz, sondern zum Mauern, Verputzen und Trockenbauen? Nein, so kommen wir nicht weiter.
Der Vergleich der Sitten und Gewohnheiten im südlichsten Sachsen-Anhalt mit denen, die wir aus unseren Heimatregionen kennen, fällt nicht mehr so pauschal aus, wie uns das zunächst vorkam. Vieles, was wir als typisch für den Osten begreifen wollten (bis heute kaum hinnehmbar manche Derbheit, positiv manches volkstümliche Derivat), hat seine Ursache in einem anderen Gegensatz – meist dem zwischen Stadt und Land, dem zwischen Bürgerlichkeit und Proletarisierung und gelegentlich dem zwischen eher nord- und eher süddeutschem Wesen. Protestantisch nüchtern ist unsere mitteldeutsche Region aber nicht: Hier, im Kernland Luthers, zwischen Eisleben und Merseburg, Halle und Querfurt sind die Spuren protestantischer Arbeitsethik längst getilgt. Und »nüchtern« mag man die ernüchterte Stimmung nicht nennen wollen.
Die redselige Mitteilsamkeit, der joviale Ton, die Verbindlichkeit der Rede, auch die Großzügigkeit in vieler Hinsicht: Kubitschek ist mit solchen kommunikativen Gleitmitteln im Süden der Republik aufgewachsen. An Wohlstand und Sattheit seiner Heimat kann es nicht allein liegen. Schon im gleichfalls saturierten Rhein-Main-Gebiet – Kositzas Revier – gibt man sich wesentlich spröder. Oder nehmen wir umgekehrt Dresden, wo wir ein anderthalbjähriges Intermezzo einlegten: Die Bewohner der Elbmetropole glänzen – was Zugewandtheit betrifft – als »Südler«. Sowohl in Zufallsgesprächen auf der Straße als auch auf Ämtern und in öffentlichen Einrichtungen ist diese grundsätzliche sächsisch-höfische Geneigtheit meilenweit von dem Gesprächsmodus entfernt, den wir zwischen Halle/Saale, Nordhausen und Naumburg ausmachen können und müssen.
Anruf bei Behörde XY: »Kowalek!!!« – »Ah, guten Tag, bin ich wohl richtig bei Ihnen? Ich wollte nachfragen wegen Vorgang Z, dem Status meiner Anfrage vom Soundsovielten?« (Das Gespräch wird wortlos unterbrochen, eine Weiterleitungsmelodie ertönt.) »Schneider!?« – »Tag, ich rufe an wegen Vorgang Z und möchte mich erkundigen, ob er schon bearbeitet ist, ich habe die Papiere vor zwei Wochen zu Ihnen geschickt.« – »Weiß ich jetzt nicht!« – »Wen könnte ich denn dazu befragen?« – »(Tiefes Seufzen) Name?« – »Meinen Namen meinen Sie?« »Ja, wem seiner sonst? … Nee, das liegt noch im ersten Stock.« – »Ach so. Mir macht die Frist Sorge. Der Antrag muß ja bis Montag nächster Woche bearbeitet sein. Könnte ich Ihnen das vielleicht zufaxen, um den Vorgang zu beschleunigen?« – »Bringt nichts. Unser Fax steht im ersten Stock, wir kriegen die Sachen jeden Freitag auf den Tisch.« – »Hm. Was schlagen Sie vor? Oder könnten Sie vielleicht ausnahmsweise einmal in den ersten Stock …« – »Ist unüblich, aber bitte …« – »Das ist sehr nett von Ihnen. An wen darf ich das Fax richten? Reicht Frau Schneider? Soll ich Ihren Vornamen mit dazuschreiben?« – »(Schnaufen) Mein Vorname geht Sie gar nichts –« Klick.
Unser Bundesland schmückt sich mit dem fraglos hübschen Slogan »Wir stehen früher auf«. Gemessen am bundesweiten statistischen Durchschnitt, beginnt der Sachsen-Anhalter (der eben kein Sachsen-Anhaltiner ist, was oft mißachtet wird) seinen Tag mit neunminütigem Vorsprung. Gemäß PR-Philosophie macht das unsere Landsleute zu besonders »aufgeweckten Menschen« mit einer damit verbundenen »vorteilhaften Geisteshaltung.« Gefühlt handelt es sich im Alltag dabei nicht um Minuten, sondern um eine gute Stunde, und vollständig haben wir uns an diesen vorgezogenen Tagesablauf noch nicht gewöhnt. Handwerker rücken um halb sieben Uhr an, das Mittagessen (hier: »Mittachbrot«) im Kindergarten (an dem unsere Kinder trotz des verführerischen Kantinennamens »Volkssolidarität« nicht teilnehmen) findet Punkt »ölf« statt, Nachmittagsveranstaltungen beginnen, wenn wir mit dem Mittagessen fertig sind, und wer abends kurz nach acht (hier: Viertel neun) noch bei Nachbarn klingelt, dem wird manchmal im Schlafanzug geöffnet, wenn überhaupt noch.
Die erste Schulstunde der Grundschüler beginnt um 7 Uhr 20. Demographisch bedingt und aus einer kurzsichtigen Sparsamkeit heraus (die Landesherren investieren mit Vorliebe in sogenannte grüne Energien) werden seit der Wende mehr und mehr Schulen geschlossen, die Schüler haben immer weitere Anfahrtswege, ins Querfurter Gymnasium bis zu einer Stunde.
Gelegentlich unken wir über einen Zusammenhang von Frühaufsteherei und jener berühmten Vollbeschäftigung, mit der sich die DDR schmückte. Ältere Dorfbewohner kolportieren, daß je einem Bagger in der Braunkohlegrube sieben Arbeiter zugeteilt waren: Einer fuhr, einer löste ihn gelegentlich ab, einer koordinierte von außen, einer reichte Bemmen (ortsüblich für Schnitten, Brote) und Kaffee, einer überwachte das Ganze – und zwei weitere standen zur besonderen Verwendung bereit und steigerten die gute Laune.
Unsere Landeshauptstadt Magdeburg besticht durch Häßlichkeit. Was die alliierten Bomber nicht schafften, haben Nachkriegsarchitektur und Städteplanung der Nachwendezeit vollendet. Wir kennen ähnliche Szenerien aus Darmstadt, Pforzheim oder Würzburg. Mit dem Unterschied, daß diese Städte pulsieren, während Magdeburg in seiner fruchtbaren Börde liegt wie auf dem Sterbebett: Geblieben sind vor allem jene, die ihre Arbeitskraft weiter westlich nicht besser bezahlt bekommen.
Der Goldene Reiter, ein Wahrzeichen der Hauptstadt und als deutschlandweit erstes Reiterstandbild verlassen an ottonisches Erbe erinnernd, steht kläglich auf dem wochenends menschenleeren Rathausvorplatz, sekundiert von einer Rolandsfigur. Der alte Roland stammte aus dem 15. Jahrhundert, der neue wurde 2005 aufgestellt. Playmobil hat ihn nicht gesponsert, dennoch schaut er so aus. Keine Bank lädt zum Verweilen ein, nicht einmal Blumenkübel wahren die Form des Grußes vom Heute ins Gestern. In der Nachbarschaft: ein Sparkassenbau und ein Karstadt, beide in je institutionsüblicher Häßlichkeit.
Aber: Magdeburg verfügt über ein Genderkompetenzzentrum. Nicht alles war schlecht in der DDR, sagt man, und meint damit neben dem Grünen Pfeil und der Heizwärme auf Staatskosten die sogenannte Gleichberechtigung. Die »Krippenlandschaft« war nicht bunt, aber solide, das gilt wie die einhergehende hohe Frauenerwerbsquote bis heute. Die ostdeutsche Frau ist Avantgarde, das wird als mutmaßlicher Standortvorteil selten betont. Die Statusbezeichnung »Hausfrau«, genannt auf amtliches wie persönliches Befragen, wird mit jenem Interesse kommentiert, das im Zoo exotischen Tieren gilt: »Also arbeitssuchend, ja, oder wie meinen Sie das?« Nicht selten anzutreffen ist hier folgende Konstellation: Sie: Lehrerin, Beamtin in mittlerem bis gehobenem Rang, Kleinunternehmerin oder leitende Angestellte, er: arbeitslos, Melker, Handwerker, LKW-Fahrer, häufig aber Bauarbeiter auf Montage. Schwarzarbeit ist üblich. Mehr Väter als Mütter vor dem Kindergartentor. Wenn Ehrungen anstehen, bekommt er Blumen wie sie, und keiner grinst verlegen.
Der übliche rohe Ausdruck für den Nachwuchs lautet »Wänster« (Dickbauch). Unsere sieben sind im Dorf und den Nachbarorten in quantitativ reicher Gesellschaft, mehr als die Hälfte unserer Generationsgenossen hier hat drei oder mehr Kinder. Interessant die Namenswellen: Die Madlens, Nikolls, Devids und Sindys, die sich sprechen, wie sie geschrieben werden, besuchen bereits das Gymnasium, die derzeitigen Neuankömmlinge heißen Wilhelm oder Augustine wie im Prenzlauer Berg. Es ist nicht immer deutlich, warum manche Städte und Ortschaften demographisch strotzen, bauliche Substanz und Infrastruktur lebenswert erhalten haben wie Querfurt und Naumburg, während andere (wie die Novalis-Stadt Weißenfels oder die Lutherstadt Eisleben) kümmerlichen Reservaten gleichen.
Was für ein Landstrich aber! Eine Kornkammer, fruchtbarste Planquadrate, auf denen Getreide und Mais, Raps und Sonnenblumen, Zuckerrüben und Kartoffeln, Futtererbsen und Runkeln gedeihen; historischer Boden: das Herzland der Ottonen mit der Saalefestung Merseburg gegen Osten, dem Hausgut Memleben, den Pfalzen Allstedt und Tilleda, der Burg Querfurt, den Warten und Grenzsteinen; frühest besiedelt, das belegen die »Himmelsorte« Nebra (mit der »Sonnenscheibe«), Langeneichstädt (»Dolmengöttin«), Goseck (»Sonnenobservatorium«) und das Museum für Vor- und Frühgeschichte in Halle, dieser wuchtige, architektonisch konservativ-revolutionäre Bau, in dem gesammelt und ausgestellt wird, was sich fand in unserem Raum. Das Rasen-Labyrinth von Steigra, eines von zwei erhaltenen in Deutschland, hat es nicht bis in die Route der »Himmelsorte« geschafft, aber es ist Anlaß für eines der schönsten Frühlingsfeste, das wir kennen.
In der Unstrut kann man schwimmen, bei Burgscheidungen begrenzt sie den Hanggarten des Schlosses, das mit bizarren Gestalten und Kalksteinköpfen bestückt ist. Hier, unterhalb, in den nassen Wiesen, auf denen im Frühjahr das Wasser in Seen steht, unterlagen die Thüringer 531 den Franken und Sachsen in einem furchtbaren Gemetzel und büßten ihre Machtstellung unter den deutschen Stämmen ein. Und fast genau fünfhundert Jahre später verweigerte der Ottone Heinrich I. nach jahrelanger Vorbereitung den Ungarn den Tribut und vernichtete bei Kalbsrieth oder Großkayna – jedenfalls nicht weit von uns – das erneut plündernde Reiterheer aus dem Osten. Vor Roßbach bei Weißenfels ritt dann 1757 der junge Generalleutnant von Seydlitz mit sechstausend preußischen Kürassieren die Franzosen samt Reichsexekutionsarmee in Grund und Boden und verschaffte seinem König, Friedrich II., einen glänzenden Sieg.
Teuer und rar ist der Saale-Unstrut-Wein, aber es muß doch ab und zu eine Flasche aufgezogen werden: Hölder heißt die Rebe, die hier noch auf zwei Hektar wächst und den Namen eines schwäbischen Dichters trägt. In unserem Garten indes gedeiht an drei Stöcken die Hecker-Rebe – frosthart und benannt nach dem badischen Revolutionär.
Indes: Die Unstrut liegt zu weit weg, als daß man morgens oder wann immer zu Fuß oder mit dem Fahrrad ans Ufer gelangen und hineinspringen könnte, um ganz wach oder wieder kühlen Kopfes zu werden. Schnellroda: das ist die Querfurter Platte, leergerodet, weil jeder Quadratmeter Boden beste Ernte garantiert. Paradiesisch sind die staubigen Wirtschaftswege, gesäumt von Alleen, in denen niemand mehr die Kirschen, Äpfel und Birnen erntet. Es weht stetig: eine Windrädergegend, trockenes Land – nie haben wir windgebrochenes Korn verderben, nie frisches Heu verfaulen sehen.
Anfang 2002 hatten wir mit der Suche nach einem Haus begonnen. Bis zum Sommer wollten wir es gefunden haben. Erstens, weil die Einschulung der ältesten Tochter anstand, zweitens, weil die Dresdner Wohnung knapp wurde. Das vierte Kind hatte sich angekündigt, die Hebamme erklärte sich bereit, gerne auch auf einer Baustelle ihre Arbeit zu verrichten. Sie habe schon zwischen Kalksäcken und ohne fließend Warmwasser geholfen; kein Problem also. Daß wir als Freischaffende örtlich nicht gebunden waren, entgrenzte die Suche und stellte uns vor die Qual der Wahl. Nach sechs, sieben Dutzend mal detailliert, mal kursorisch begutachteten Dreiseithöfen, verfallenen Villen und stillgelegten Kinderheimen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen (zu einsam, zu bedrängt, neben einer Schweinemästerei, mit Aussicht auf einen Supermarkt, mit Arbeitsgeräuschen im Dachgebälk, mit vierundzwanzig leider neu eingebauten Plastikfenstern inklusive vorgesetztem Rolladenkasten) legten wir säuberlich eine Kriterienliste an, nach Prioritäten geordnet. Wünsche wie »Fluß/See in unmittelbarer Nähe«, »gefälliger Dialekt«, »Grundschule am Ort«, »Autobahnanschluß unter 20 km«, »Entfernung von Großeltern max. drei Stunden« standen weit oben.
Die Landkreise rund um Dresden standen hoch im Kurs, doch das galt leider auch für die Lage der ins Auge gefaßten Häuser auf dem Immobilienmarkt. Wir suchten per Makler, per regionaler Zwangsversteigerungsliste und in einschlägigen Internet-Foren; die schönsten Hausfunde bescherte uns stets der Quartalskatalog der Sächsischen Grundstücksauktion. Welche Leben in welchen Gemäuern, in welcher Umgebung haben wir uns schon herbeigeahnt! Das – oft heimliche – Begehen längst verlassener, teils ruinöser Lebensstätten ist uns bis heute eine Leidenschaft geblieben: über jahrhundertealte Mauern klettern, sich winden durch Garten- und Parkgestrüpp, ein Portal bestaunen, eine zerbrochene Fensterscheibe entdecken – und hinein in ein Leben, das war und das, modifiziert, wieder möglich wäre; hier steht noch die Badewanne mit Bollerofen, dort ein Schrank voller Geschirr, eine Mäusefamilie flüchtet aus den Kissen eines Sofas, da liegt Schriftkram, Schulzeugnisse von 1987 zwischen Aktendeckeln. Hier wurde gestorben, hier wurde geboren, hier wurden Leben gemeistert, tausend Gerüche hängen in den Wänden. Wir haben Villen inspiziert und Gutshäuser, die uns bis heute gute Freunde sind, sie stehen immer noch leer, sie stehen nahezu trocken, ihr Abriß wäre zu teuer.
Als Anfang Juni 2002 ein Rittergut in Schnellroda annonciert wurde, notierten wir: »evtl. kurz anschauen«, es lag mehr zufällig auf einer weiteren Besichtigungstour, und weil die Adresse auf »Hauptstraße« lautete, stand es nicht zur engeren Wahl. Kinder- und Straßenlärm zugleich, das wäre um einen Faktor zu laut. Sieben, acht Häuser standen an jenem Wochenende auf dem Plan. Dann das Ergebnis: »Alles halb gut, bis auf Schnellroda = fast perfekt.« Zwar ohne See/Fluß, ohne Grundschule (die befand sich noch nach der Wende im Rittergut), ohne gefälligen Dialekt, ohne Großeltern- und Autobahnnähe. Wir fuhren wieder hin, noch einmal. 21 Räume, teils durch Leichtbauwände abgeteilt, die Decken zwecks besserer Heizbarkeit abgehängt, umgeben von Mauern, die teils dem 13., teils dem 17. Jahrhundert entstammen. Wir hoben nicht den PVC-Belag und die Dachpappe zu unsern Füßen (darunter teils feinstes Parkett), wir zerschlugen nicht probeweise die Deckenabhängung (darunter eine Renaissancedecke), wir kauften Ende Juni die Katze im Sack. Gott sei Dank, wir haben es nie bereut.
Überhaupt: Was könnte es zu bereuen geben, wenn man jeden Tag alle Hände voll zu tun hat und gar nicht ins Grübeln kommen kann, ob dieser Ort nun der richtige sei? Entweder kennt man den Wunsch, irgendwann mit der Suche aufhören zu dürfen, eine Entscheidung treffen und anfangen zu können, oder man kennt diese grundlegende Lebenshaltung nicht und bleibt gewissermaßen vorläufig. Wer in einer Kirschallee von Baum zu Baum und immer weiter geht, weil er die ideale Frucht nicht finden kann, muß sich irgendwann eingestehen, daß ihm dieses Gehen am Herzen liegt, nicht das Ernten – nicht das Bleiben, sondern das Weiterziehen und das unbestimmte Hoffen darauf, daß irgendwo und irgendwann das ganz und gar Richtige sich einstellen werde.
Aber: Es stellt sich fast nie ein, dieses Richtige, es fällt einem nicht zu, es fällt nicht mit der Tür ins Haus. Es ist vielmehr, als könne man das, was sich ineinanderfügt, heranarbeiten, indem man Haus und Arbeit, Leben und Erschöpfung, Erfolg und Demut immer besser und irgendwann ganz selbstverständlich aufeinander abstimmt und zueinander in die Waage bringt. Man muß einfach irgendwo anfangen. Und dies begreift fast jeder Besucher, der aufs Rittergut kommt.