Aus allen Richtungen strömen junge Männer und Frauen zusammen, am Ende werden es knapp 200 sein. Sie sind der harte Kern von CasaPound in diesem Stadtbezirk, die sogenannten Militanti, die mit der Bewegung nicht nur sympathisieren, sondern sich zu ihrer aktiven Unterstützung verpflichtet haben.
Ihrem Erscheinungsbild ist auf den ersten Blick nicht anzusehen, daß es sich hier um Faschisten handelt, die diesen Begriff ohne Scheu auch selbst für sich in Anspruch nehmen. Man könnte sie vielmehr für ganz gewöhnliche Studenten halten, an irgendeiner Universität, kurz vor Vorlesungsbeginn. Ihre Kleidung ist sommerlich leger, bunt und individuell. Auch wenn CasaPound sich mehr als nur spielerisch in der Tradition der faschistischen Squadre sieht, sind schwarze Hemden ebenso wie historische Symbole und Parolen eher verpönt und daher auch an diesem Morgen nicht zu sehen. Auf der Haut von so manchem prangt statt dessen jenes Schildkrötenemblem, das die hoch oben auf dem Haus flatternde Fahne ziert. Sofern die T‑Shirts ein Bekenntnis zum Ausdruck bringen, zitieren sie zumeist Zetazeroalfa, jene Band, die die Inspiration für CasaPound gab und auch ihr organisatorischer Nukleus war.
Die jungen und gut gelaunten Leute vertreiben sich die Zeit des Wartens mit Gesprächen, manche trinken einen Espresso in einer von Chinesen betriebenen Bar in der unmittelbaren Nachbarschaft. Was sie an diesem Vormittag erwartet, wissen sie noch nicht. Sie sind bloß zusammengerufen worden und hatten diesem Appell Folge zu leisten. Es ist kurz nach zehn, als sich die Pforte des CasaPound öffnet und das Geheimnis gelüftet wird. Die Wartenden versammeln sich zwischen abgestellten Vespas in der Eingangshalle, an deren Wänden im Pop-Art-Stil die Namen mancher Leitfiguren der Bewegung aufgemalt sind. Einige waren zu vermuten, andere, wie etwa Jack Kerouac oder Ray Bradbury bis hin zu Comic-Helden, sind eher verblüffend.
Leicht erhöht auf einem Treppenabsatz gibt Simone, Vizepräsident von CasaPound und einer der politischen Köpfe der Bewegung, bekannt, was heute zu tun ist. Der Kohlebergbau auf Sardinien wird durch die asiatische Konkurrenz erdrückt, nun sollen die Subventionen, die sein Fortbestehen bislang ermöglichten, auslaufen. Arbeitsplätze sind bedroht, ein Kumpel hat sich soeben aus Protest vor laufenden Kameras den Arm aufgeschlitzt. Heute will die italienische Regierung mit der EU-Kommission an deren Vertretung in Rom über dieses Problem verhandeln. CasaPound wird sich dort mit einer unangemeldeten Blitzdemonstration zu Wort melden.
Zu Fuß machen sich die Aktivisten ins nahe gelegene Regierungsviertel auf. Der Weg führt an einer Station der Carabinieri vorbei, und man bleibt dort nicht unbemerkt. »Sie wissen nun, daß wir wieder unterwegs sind und können die Alarmierung auslösen«, bemerkt Sébastien, der für die wachsenden Auslandskontakte von CasaPound zuständig ist. »Aber sie kennen noch nicht unser Ziel.« Dieses ist bald erreicht. Als der Zug in die Via IV Novembre einbiegt, beschleunigen sich die Schritte. Die Tore der EU-Vertretung sind weit geöffnet, und die Demonstranten drängen, unbehelligt von den erstaunten Polizisten, hinein, um sich nach wenigen Minuten wieder draußen auf der Straße zu versammeln. Ein Transparent wird entrollt, auf dem die Solidarität mit den italienischen Bergarbeitern bekundet und die Forderung nach einer europäischen Autarkie erhoben wird.
Einige Aktivisten schütten die in Plastiksäcken mitgebrachte Kohle auf die Straße. Mannschaftswagen der Polizei fahren auf, und ein Hubschrauber kreist über dem Schauplatz, als Simone bereits durch ein Megaphon seine Ansprache hält und junge Frauen Flugblätter an die Passanten verteilen. Kurz darauf trifft ein Kamerateam ein, und der Vizepräsident der EU-Kommission, Antonio Tajani, fährt vor. Er ist jovial und läßt sich auf eine freundliche Diskussion mit den Demonstranten ein. Vielleicht erinnert er sich in diesem Moment daran, daß auch er einmal, lange bevor er auf dem Ticket von Berlusconis Forza Italia Karriere machte, selbst als rechter Militanter auf der Straße stand, als Mitglied einer monarchistischen Splitterpartei, die später mit dem neofaschistischen MSI zusammenging.
Kurz nachdem Tajani sich verabschiedet hat, ist die Aktion beendet. Das Transparent und die Fahnen werden eingerollt, das Gros der Teilnehmer zieht zurück zum CasaPound, um sich von dort aus zu zerstreuen. Die Organisatoren schneiden aus den Videoaufzeichnungen einen Clip, den sie ins Netz stellen und auf Facebook posten werden. Andere, unter ihnen Sébastien, verschnaufen in einem Straßencafé, das von Militanten betrieben wird. Er ist hochzufrieden mit der Aktion. Öffentlichkeit wurde hergestellt. Wenn am nächsten Tag die örtlichen Zeitungen über die Verhandlungen zwischen Italien und der EU berichten, werden sie mit der Protestaktion von CasaPound aufmachen. Vor allem aber ist es zu keiner Konfrontation mit der Polizei gekommen. Man geht zwar einer Auseinandersetzung nicht aus dem Weg, wenn sie erforderlich ist, um sich im öffentlichen Raum zu behaupten. Man sucht sie aber nicht um ihrer selbst willen. Dies gilt auch für den Umgang mit Antifaschisten, die längst nicht mehr die Rolle des Meinungsführers spielen, aber immer noch groß an Zahl sind. Die Terrains sind informell abgesteckt, aber der Friede ist stets gefährdet. Im Frühjahr marschierten Antifaschisten sogar in der Via Napoleone III. auf. Sie wurden in die Flucht geschlagen.
In manchen Stadtbezirken Roms dominiert heute CasaPound das Bild. In besonderem Maße gilt dies für jenen, in dem das seit neun Jahren besetzte Haus selbst liegt. Man betreibt dort unter anderem einen Modeladen, eine Buchhandlung, einen Tattooshop, will sich nicht von der Gesellschaft isolieren, sondern Zug um Zug in dieser um sich greifen. Nur wenige Aktivisten leben im CasaPound selbst, die meisten Bewohner sind ganz gewöhnliche Familien, die mit der Bewegung sympathisieren. Der Respekt vor der Privatsphäre, betont Sébastien, werde groß geschrieben. Der Mief sozialer Zentren der Linken, in denen alle ständig zusammenhocken und alles ausdiskutieren, widere an. Gleichwohl beschränkt sich CasaPound nicht auf politische Aktionen. Die Vielfalt von kulturellen Initiativen, sportlichen Neigungsgruppen, Bildungsangeboten und Sozialarbeit ist kaum zu überblicken.
»Am Anfang stand aber die Musik«, betont Domenico abends in der Osteria »Angelino«. In Gianluca, der das traditionsreiche Lokal mit klassischer römischer Küche heute betreibt, ist dies personifiziert. Der tätowierte Hüne ist nicht allein der Leadsänger von Zetazeroalfa, sondern zugleich Gründer, Präsident und Respektsperson von CasaPound. Wüßte man nicht um seine Bedeutung für die Bewegung, würde man diese aus seinem unprätentiösen Auftreten nicht erschließen können.
Auch Domenico hat einst in einer Band gespielt, »Rock ’n’ Roll« steht unverändert im Zentrum seines Lebensgefühls. Heute ist er der Strafverteidiger von CasaPound und nicht zuletzt Buchautor. Sein Szeneroman Nessun Dolore erschien in dem renommierten Verlag Rizzoli und machte Furore. Normalerweise ist das »Cutty Sark« der Anlaufpunkt für die Nachtschwärmer von CasaPound. Da der Pub, von dem es Ableger in Verona und Pescara gibt, derzeit renoviert wird, müssen sie ausweichen. Vielleicht ist deshalb auch Adriano heute im »Angelino« anzutreffen.
Er hat in einem Buch die Motive und Positionen von CasaPound festgehalten. Einfach war dies nicht, da die Bewegung es sich, dem historischen Faschismus nicht unähnlich, zum Prinzip gemacht hat, ständig im Fluß zu sein und vermeintliche Widersprüche in sich zu vereinen und aufzuheben. Der Titel von Adrianos Buch ist programmatisch: Riprendersi tutto – sich alles zurücknehmen. Wie weit CasaPound damit kommen wird, mag in den Sternen stehen. Der Versuch allein scheint aber bereits alle Beteiligten zu elektrisieren – und ihnen großes Vergnügen zu bereiten.