Italienischer Stil oder Ein Sommertag unter Faschisten

50pdf der Druckfassung aus Sezession 50 / Oktober 2012

von Hugo Hermans

Die Hitzewelle, die Rom über Wochen lähmte, soll zwar abgeebbt sein, doch die Temperaturen am Morgen des letzten Augusttages sind bereits drückend. Es ist neun Uhr, als sich der Bürgersteig vor dem CasaPound in der Via Napoleone III., fünf Fußminuten von der zentralen Bahnstation Termini entfernt, mehr und mehr zu füllen beginnt.

Aus allen Rich­tun­gen strö­men jun­ge Män­ner und Frau­en zusam­men, am Ende wer­den es knapp 200 sein. Sie sind der har­te Kern von Casa­Pound in die­sem Stadt­be­zirk, die soge­nann­ten Mili­tan­ti, die mit der Bewe­gung nicht nur sym­pa­thi­sie­ren, son­dern sich zu ihrer akti­ven Unter­stüt­zung ver­pflich­tet haben.

Ihrem Erschei­nungs­bild ist auf den ers­ten Blick nicht anzu­se­hen, daß es sich hier um Faschis­ten han­delt, die die­sen Begriff ohne Scheu auch selbst für sich in Anspruch neh­men. Man könn­te sie viel­mehr für ganz gewöhn­li­che Stu­den­ten hal­ten, an irgend­ei­ner Uni­ver­si­tät, kurz vor Vor­le­sungs­be­ginn. Ihre Klei­dung ist som­mer­lich leger, bunt und indi­vi­du­ell. Auch wenn Casa­Pound sich mehr als nur spie­le­risch in der Tra­di­ti­on der faschis­ti­schen Squad­re sieht, sind schwar­ze Hem­den eben­so wie his­to­ri­sche Sym­bo­le und Paro­len eher ver­pönt und daher auch an die­sem Mor­gen nicht zu sehen. Auf der Haut von so man­chem prangt statt des­sen jenes Schild­krö­ten­em­blem, das die hoch oben auf dem Haus flat­tern­de Fah­ne ziert. Sofern die T‑Shirts ein Bekennt­nis zum Aus­druck brin­gen, zitie­ren sie zumeist Zeta­ze­ro­al­fa, jene Band, die die Inspi­ra­ti­on für Casa­Pound gab und auch ihr orga­ni­sa­to­ri­scher Nukle­us war.

Die jun­gen und gut gelaun­ten Leu­te ver­trei­ben sich die Zeit des War­tens mit Gesprä­chen, man­che trin­ken einen Espres­so in einer von Chi­ne­sen betrie­be­nen Bar in der unmit­tel­ba­ren Nach­bar­schaft. Was sie an die­sem Vor­mit­tag erwar­tet, wis­sen sie noch nicht. Sie sind bloß zusam­men­ge­ru­fen wor­den und hat­ten die­sem Appell Fol­ge zu leis­ten. Es ist kurz nach zehn, als sich die Pfor­te des Casa­Pound öff­net und das Geheim­nis gelüf­tet wird. Die War­ten­den ver­sam­meln sich zwi­schen abge­stell­ten Ves­pas in der Ein­gangs­hal­le, an deren Wän­den im Pop-Art-Stil die Namen man­cher Leit­fi­gu­ren der Bewe­gung auf­ge­malt sind. Eini­ge waren zu ver­mu­ten, ande­re, wie etwa Jack Kerouac oder Ray Brad­bu­ry bis hin zu Comic-Hel­den, sind eher verblüffend.

Leicht erhöht auf einem Trep­pen­ab­satz gibt Simo­ne, Vize­prä­si­dent von Casa­Pound und einer der poli­ti­schen Köp­fe der Bewe­gung, bekannt, was heu­te zu tun ist. Der Koh­le­berg­bau auf Sar­di­ni­en wird durch die asia­ti­sche Kon­kur­renz erdrückt, nun sol­len die Sub­ven­tio­nen, die sein Fort­be­stehen bis­lang ermög­lich­ten, aus­lau­fen. Arbeits­plät­ze sind bedroht, ein Kum­pel hat sich soeben aus Pro­test vor lau­fen­den Kame­ras den Arm auf­ge­schlitzt. Heu­te will die ita­lie­ni­sche Regie­rung mit der EU-Kom­mis­si­on an deren Ver­tre­tung in Rom über die­ses Pro­blem ver­han­deln. Casa­Pound wird sich dort mit einer unan­ge­mel­de­ten Blitz­de­mons­tra­ti­on zu Wort melden.

Zu Fuß machen sich die Akti­vis­ten ins nahe gele­ge­ne Regie­rungs­vier­tel auf. Der Weg führt an einer Sta­ti­on der Cara­bi­nie­ri vor­bei, und man bleibt dort nicht unbe­merkt. »Sie wis­sen nun, daß wir wie­der unter­wegs sind und kön­nen die Alar­mie­rung aus­lö­sen«, bemerkt Sébas­tien, der für die wach­sen­den Aus­lands­kon­tak­te von Casa­Pound zustän­dig ist. »Aber sie ken­nen noch nicht unser Ziel.« Die­ses ist bald erreicht. Als der Zug in die Via IV Novembre ein­biegt, beschleu­ni­gen sich die Schrit­te. Die Tore der EU-Ver­tre­tung sind weit geöff­net, und die Demons­tran­ten drän­gen, unbe­hel­ligt von den erstaun­ten Poli­zis­ten, hin­ein, um sich nach weni­gen Minu­ten wie­der drau­ßen auf der Stra­ße zu ver­sam­meln. Ein Trans­pa­rent wird ent­rollt, auf dem die Soli­da­ri­tät mit den ita­lie­ni­schen Berg­ar­bei­tern bekun­det und die For­de­rung nach einer euro­päi­schen Aut­ar­kie erho­ben wird.

Eini­ge Akti­vis­ten schüt­ten die in Plas­tik­sä­cken mit­ge­brach­te Koh­le auf die Stra­ße. Mann­schafts­wa­gen der Poli­zei fah­ren auf, und ein Hub­schrau­ber kreist über dem Schau­platz, als Simo­ne bereits durch ein Mega­phon sei­ne Anspra­che hält und jun­ge Frau­en Flug­blät­ter an die Pas­san­ten ver­tei­len. Kurz dar­auf trifft ein Kame­ra­team ein, und der Vize­prä­si­dent der EU-Kom­mis­si­on, Anto­nio Taja­ni, fährt vor. Er ist jovi­al und läßt sich auf eine freund­li­che Dis­kus­si­on mit den Demons­tran­ten ein. Viel­leicht erin­nert er sich in die­sem Moment dar­an, daß auch er ein­mal, lan­ge bevor er auf dem Ticket von Ber­lus­co­nis For­za Ita­lia Kar­rie­re mach­te, selbst als rech­ter Mili­tan­ter auf der Stra­ße stand, als Mit­glied einer mon­ar­chis­ti­schen Split­ter­par­tei, die spä­ter mit dem neo­fa­schis­ti­schen MSI zusammenging.

Kurz nach­dem Taja­ni sich ver­ab­schie­det hat, ist die Akti­on been­det. Das Trans­pa­rent und die Fah­nen wer­den ein­ge­rollt, das Gros der Teil­neh­mer zieht zurück zum Casa­Pound, um sich von dort aus zu zer­streu­en. Die Orga­ni­sa­to­ren schnei­den aus den Video­auf­zeich­nun­gen einen Clip, den sie ins Netz stel­len und auf Face­book pos­ten wer­den. Ande­re, unter ihnen Sébas­tien, ver­schnau­fen in einem Stra­ßen­ca­fé, das von Mili­tan­ten betrie­ben wird. Er ist hoch­zu­frie­den mit der Akti­on. Öffent­lich­keit wur­de her­ge­stellt. Wenn am nächs­ten Tag die ört­li­chen Zei­tun­gen über die Ver­hand­lun­gen zwi­schen Ita­li­en und der EU berich­ten, wer­den sie mit der Pro­test­ak­ti­on von Casa­Pound auf­ma­chen. Vor allem aber ist es zu kei­ner Kon­fron­ta­ti­on mit der Poli­zei gekom­men. Man geht zwar einer Aus­ein­an­der­set­zung nicht aus dem Weg, wenn sie erfor­der­lich ist, um sich im öffent­li­chen Raum zu behaup­ten. Man sucht sie aber nicht um ihrer selbst wil­len. Dies gilt auch für den Umgang mit Anti­fa­schis­ten, die längst nicht mehr die Rol­le des Mei­nungs­füh­rers spie­len, aber immer noch groß an Zahl sind. Die Ter­rains sind infor­mell abge­steckt, aber der Frie­de ist stets gefähr­det. Im Früh­jahr mar­schier­ten Anti­fa­schis­ten sogar in der Via Napo­leo­ne III. auf. Sie wur­den in die Flucht geschlagen.

In man­chen Stadt­be­zir­ken Roms domi­niert heu­te Casa­Pound das Bild. In beson­de­rem Maße gilt dies für jenen, in dem das seit neun Jah­ren besetz­te Haus selbst liegt. Man betreibt dort unter ande­rem einen Mode­la­den, eine Buch­hand­lung, einen Tat­too­shop, will sich nicht von der Gesell­schaft iso­lie­ren, son­dern Zug um Zug in die­ser um sich grei­fen. Nur weni­ge Akti­vis­ten leben im Casa­Pound selbst, die meis­ten Bewoh­ner sind ganz gewöhn­li­che Fami­li­en, die mit der Bewe­gung sym­pa­thi­sie­ren. Der Respekt vor der Pri­vat­sphä­re, betont Sébas­tien, wer­de groß geschrie­ben. Der Mief sozia­ler Zen­tren der Lin­ken, in denen alle stän­dig zusam­men­ho­cken und alles aus­dis­ku­tie­ren, wide­re an. Gleich­wohl beschränkt sich Casa­Pound nicht auf poli­ti­sche Aktio­nen. Die Viel­falt von kul­tu­rel­len Initia­ti­ven, sport­li­chen Nei­gungs­grup­pen, Bil­dungs­an­ge­bo­ten und Sozi­al­ar­beit ist kaum zu überblicken.

»Am Anfang stand aber die Musik«, betont Dome­ni­co abends in der Oste­ria »Ange­li­no«. In Gian­lu­ca, der das tra­di­ti­ons­rei­che Lokal mit klas­si­scher römi­scher Küche heu­te betreibt, ist dies per­so­ni­fi­ziert. Der täto­wier­te Hüne ist nicht allein der Lead­sän­ger von Zeta­ze­ro­al­fa, son­dern zugleich Grün­der, Prä­si­dent und Respekts­per­son von Casa­Pound. Wüß­te man nicht um sei­ne Bedeu­tung für die Bewe­gung, wür­de man die­se aus sei­nem unprä­ten­tiö­sen Auf­tre­ten nicht erschlie­ßen können.

Auch Dome­ni­co hat einst in einer Band gespielt, »Rock ’n’ Roll« steht unver­än­dert im Zen­trum sei­nes Lebens­ge­fühls. Heu­te ist er der Straf­ver­tei­di­ger von Casa­Pound und nicht zuletzt Buch­au­tor. Sein Sze­ne­ro­man Nes­sun Dolo­re erschien in dem renom­mier­ten Ver­lag Riz­zo­li und mach­te Furo­re. Nor­ma­ler­wei­se ist das »Cut­ty Sark« der Anlauf­punkt für die Nacht­schwär­mer von Casa­Pound. Da der Pub, von dem es Able­ger in Vero­na und Pes­ca­ra gibt, der­zeit reno­viert wird, müs­sen sie aus­wei­chen. Viel­leicht ist des­halb auch Adria­no heu­te im »Ange­li­no« anzutreffen.

Er hat in einem Buch die Moti­ve und Posi­tio­nen von Casa­Pound fest­ge­hal­ten. Ein­fach war dies nicht, da die Bewe­gung es sich, dem his­to­ri­schen Faschis­mus nicht unähn­lich, zum Prin­zip gemacht hat, stän­dig im Fluß zu sein und ver­meint­li­che Wider­sprü­che in sich zu ver­ei­nen und auf­zu­he­ben. Der Titel von Adria­nos Buch ist pro­gram­ma­tisch: Ripren­der­si tut­to – sich alles zurück­neh­men. Wie weit Casa­Pound damit kom­men wird, mag in den Ster­nen ste­hen. Der Ver­such allein scheint aber bereits alle Betei­lig­ten zu elek­tri­sie­ren – und ihnen gro­ßes Ver­gnü­gen zu bereiten.

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