wenn wir all die uns verheißungsvoll erscheinenden Hoffnungszeichen beschwören, von denen wir was auch immer erwarten – meist zuviel jedenfalls –, dann fragen die mit uns Wartenden gern nach Konkretem, also nach Wegweisungen, Vorschlägen, Entschlüssen. – Das ist zum einen nachvollziehbar, zum anderen viel verlangt.
Wer denn wollte, den Arm erhoben wie ein Statuenheld, den Blick metaphysisch in eine ferne, aber mutmaßlich lichte Zukunft gerichtet und alle Desorientierung endend, rufen: Dort entlang, Kameraden! – Nein, wir sind keine Philosophenkönige, keine „großen Lehrer des Volkes“, keine Helden auf Sockeln, sondern wir ringen um Gedanken und Worte. Schon daß wir keine bloßen Verlautbarer sind und uns an deren Regeln nicht halten mögen, haben wir den anderen voraus.
Während die staatstragende Mitte in einer Krise, die zwar entzündlich schwärt, aber – Kennzeichen der gefährlichsten Krankheiten – tückischerweise kaum wahrnehmbar ist, Heils- und Trostbegriffe generiert und Nation und Welt mit Appellen zu retten meint, während man vorzugsweise Gesundheits‑, Ernährungs- und vor allem Verbraucherprobleme erörtert und allen kraft Antidiskriminierung, Inklusion und allerlei Anspruchsgarantien eine bessere Welt versprochen wird, bleibt hier ein Ort der großen Skepsis erhalten, an dem man sich – in der Sezession – kritisch und offen verständigen könnte. Wobei es ab und an angezeigt wäre, einen gewissen Defätismus zu überwinden und zu erkennen, daß die Zeiten wirklich schon schlimmer waren.
Wir sind geübt in der kritischen Revision der anderen Positionen, was zuweilen wohlfeil erscheint, weil wir weder etwas zu sagen noch zu regeln haben und uns als geschmähteste aller Opponenten zuweilen aufs Kritteln und Beckmessern verlegen können. Aber gerade in der Zeit der Verbannung täte auch eine Revision der eigenen Illusionen gut, das barrierefreie Nachdenken darüber, inwiefern alles, was von uns so in den Wind gesprochen ist, weil es bislang ohnehin keine Kraft umsetzt, tatsächlich einer kritischen Prüfung standhält. Wo an Kräften wenig, an Intellekt und Bildung aber eine Menge versammelt ist, sollte das eine freudvoll turbulente Diskussion versprechen. So wir uns trauen und uns, geht’s erst richtig los, nicht aus bewußtem Mißverständnis zerraufen.
Wo und wie wären jetzt Mut und Klugheit angezeigt, die unter Verzicht auf den Heroismus des Operettenhelden etwas bewirkten – in den eigenen Foren und so vielleicht darüber hinaus? Als Selbstvergewisserung ohne Selbstgefälligkeit. Es reicht nicht allein die Einstellung und daß man sich darüber vergleicht. Einstellung ist Selbstzuschreibung. Rechts zu sein etwa. Oder konservativ. (Und dabei meist wieder anonym oder in geschlossenen Räumen.) Was es ausmacht, beispielsweise konservativ zu sein, ist vielfach und klug beschrieben, zuletzt insbesondere von Karlheinz Weißmann. Und was das mit der Rechten verbindet oder von ihr unterscheidet, wäre eine eigene Erörterung wert.
Hielten wir überhaupt eine freimütige Diskussion aus – oder ginge es schließlich nur darum, wer warum für sich behaupten könnte dazuzugehören und wer doch besser nicht? Ich beispielsweise hielte manche linke, manche ökologische und manches aus der Vielfalt liberaler Positionen für beachtlich, gar tauglich und mitnichten für unzulänglich, ideologisch kontaminiert oder gar feindlich, was man oft reflexartig so einschätzt, weil man ja Rechter sein wollte und nie und nimmer Linker. So von der Einstellung her. Die noch nichts bewegt.
An dieser heiklen Stelle trostreich vorweg: Eine produktive Provokation ist – seltene Ironie der Geschichte! – offenbar tatsächlich nur noch von rechts möglich! So daß man sich wundert, weshalb es noch kein zugkräftiges rechtes Kabarett gibt. – Die Provokation geht schon deswegen glaubhaft von rechts aus, weil man vorzugsweise als Rechter – was immer das genauestens sei – politisch, ja selbst beruflich und existentiell, eine Menge zu verlieren hat, während die Linke in der Stagnation der Konsensgesellschaft scheinbar nur gewinnen kann. Stichwort: Golf gegen rechts! So als neue Volksfront. Nur: Von Europa bis Globalisierung, von Bildung bis Kultur, von Krise bis Krisenmanagement wird zu den drängenden Zeitfragen von links wenig beizutragen sein. So wie die Fragen, werden die Antworten andere – nach nunmehr bald einem halben Jahrhundert linker Dominanz.
Was tun? Ein Vorschlag: Themen und Gedanken präsentieren, die einer zwar kleinen, aber multiplikativen und modernen intellektuellen Elite, die mehr reißen könnte als die behäbige Masse, anregend fände. Abgesehen von ein paar hier und da bereits eingeschlagenen Pfosten: Wo ist denn – einer Forderung der „Blauen Narzisse“ gemäß – das Feuilleton erobert? Wo gibt es Diskussionen oder wenigstens verhandelte Themen und Probleme, die außerhalb der verschworenen, mitunter verklüngelten Zirkel und über das Ventilieren der vertrauten Themen hinaus aufregen und anregen?
Eine Illustration: Dürfte ich hier behaupten, daß dem m. E. kreuzgefährlichen und tendenziell totalitären Islamismus, dieser Jahrhundertgefahr, zuerst säkularistische und laizistische, mithin sich des Erbes der Aufklärung vergewissernde Positionen entgegengesetzt gehörten als die Hoffnung aufs wiederzubelebende Christentum, das politisch in der Schärfe der anstehenden Auseinandersetzung nicht nur nichts zu gewinnen hat, sondern sich in den theologischen Disput zwischen Hochwürden und Imam verstrickte, ohne daß damit etwas geklärt würde, weil sich beide mitnichten an den Richterspruch in Lessings Ringparabel halten würden, während Europa derzeit tatsächlich in Kairo verteidigt wird? Ertrüge ein Diskurs darüber jemanden, der Novalis’ „Die Christenheit oder Europa“ (1799) nicht für eine vordringliche Programmschrift hielte, auch wenn sie anhebt: „Es waren schöne glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Welttheil bewohnte …“
Mich würde interessieren, auf welche Weise die Rechte dem Einerlei der Vermeidungsstrategen avantgardistisch und offensiv Inhalte entgegensetzend auftreten könnte. Intellektuell, künstlerisch, politisch. Anders als so wird sie kaum Bindekräfte entfalten und statt dessen unter sich bleiben, so wie es andererseits ja am gemütlichsten wäre. (Prost! Auf Deutschland!) Wirtschaft und Geschichte – davon versteht sie genug. Immerhin sind das Hauptsachen der Haushaltung und der Positionsbestimmung. Aber beinahe alles andere machen ihr die anderen nicht nur streitig, sondern sie machen ihr darin allzu viel vor. Und die Rechte läßt sie machen. Dabei reichte es vermutlich schon, den Meinungsmachern die richtigen Fragen zu stellen. Auf die es keine nur rhetorische Antwort gibt.
Den sympathischen Lodenträgern, Pensionskonservativen und ihrer jungen Nachahmerschaft schneidiger Rhetoriker meinen ganzen Respekt, wenn sie freiheitlich genug sind, auch die bunteren Vögel und hemdsärmligeren Typen, die zuweilen von sonstwo und eben nicht nur aus “gutem Hause” kommen, mal vorwärtsdrängen zu lassen und das Neue wagen, wenn’s der Nation dient. – Debatte wäre mehr als das Herausstreichen der eigenen Position und die Würdigung des gewohnten Selbstverständnisses, sondern teilweise schmerzliche Bewegung leicht athritischer Glieder. Im erfrischenden Diskurs. Diskurs ist mehr als das, was Habermas so meinte… – Ich habe den unmaßgeblichen Eindruck, die Zeit wartet so wie seit Jahrzehnten nicht mehr auf Impulse. Welche Themen wären dran?
Erwalf
Die beiden letzten Artikel "...Alltag XVIII" und "...Sommerloch" passen sehr gut zusammen. Das Gefühl und die Einsichten von Götz Kubitschek kennen wohl viele hier. Der Anregung von Heino Bosselmann wollte vermutlich nicht jeder folgen. Alles oder nichts bzw. Sowohl als auch ist hier die Frage. Aber gibt es denn eine Wahl? Große im Gleichschritt marschierende Armeen sind nicht mehr vorhanden. Also bleibt nur die Vielfalt. Wer noch Gleichgesinnte um sich hat, kann oder sollte mit ihnen gemeinsam marschieren. Wer unter der Masse der Badenden einsam am See sitzt, kann vielleicht mit einem der Genießer des vielleicht letzten friedlichen Sommers ins Gespräch kommen und einige Fragen stellen. Dann sind nicht vermeintlich ewige Wahrheiten wie Steine an den Kopf zu schmeißen, sondern vorsichtig Fragen zu stellen, auf Schwachstellen hinzuweisen, Gemeinsamkeiten zu erkunden. Auch die im Artikel von Martin Lichtmesz aufgeworfene ethnische Frage kann und sollte nicht wie im vorigen Jahrhundert beantwortet werden. Deutscher, Europäer, Weißer ist heute der oder die, welche es sein wollen.