Er war z. B. Materialist und Atheist (Naturalist), schätzte aber die religiösen Traditionen des Katholizismus. Santayana kam während seines Studiums in Berlin in Berührung mit dem Werk Schopenhauers, über den er auch seine Dissertation schreiben wollte. Dies wurde ihm jedoch von seinem Doktorvater in den USA verwehrt. Die starken ästhetischen Interessen Santayanas wurden aber durch die Lektüre Schopenhauers gefördert – sein frühestes Werk, das sich auch gegen Kant richtete, unternahm bereits eine Verteidigung des Sinns für Schönheit (The Sense of Beauty, 1896).
Die akademische Karriere an der Harvard-Universität, wo u. a. T. S. Eliot und Robert Frost zu seinen Studenten gehörten, gab er 1912 auf und siedelte nach Europa über. Seit den zwanziger Jahren lebte er nur noch in Italien. Politisch hatte Santayana, weil er Ordnung über Chaos stellte, situationsbedingt durchaus eine generelle Sympathie für das innenpolitische Ordnungskonzept des frühen italienischen Faschismus (siehe dazu den wichtigen Brief vom 8. Dezember 1950 an Corliss Lamont). Er hielt aber Mussolini für einen schlechten Menschen und dessen kriegerische Außenpolitik für fatal. Santayana wandte sich grundsätzlich gegen die politischen Erscheinungsformen der modernen massenpolitischen Systeme, wozu seiner Meinung nach auch der Amerikanismus gehörte. Es erschien ihm dagegen wichtig, aristokratische Elemente in der Gesellschaft zu bewahren, die für ihn mit der Vernunft in der Gesellschaft unbedingt vereinbar waren, wie er in The Life of Reason (1905–06) erklärte.
Santayanas ambivalentes Verhältnis zur Religion läßt sich von seiner Ästhetik her aufschließen. Denn Santayana denkt zuerst über die Kunst nach, bevor er die Religion aus ihrer Nähe zur Kunst her genauer in den Blick nimmt. Dabei hat er zunächst ein starkes Gefühl für die Notwendigkeit einer »Apologie der Kunst«, die Santayana durch den Beweis liefern möchte, daß »die Kunst zum Leben der Vernunft gehört«. Diese Verteidigung der Kunst ist notwendig, weil die Kunst aufs engste mit etwas verbunden ist, das man Verzauberung nennen kann und eben deshalb auch gefährlich ist. Denn, so Santayana, »Berauschtheit ist eine traurige Angelegenheit, zumindest für einen Philosophen «. Es ist demnach für Santayana eine philosophische Notwendigkeit, sich mit der Kunst als einer potentiellen Rivalin der Philosophie auseinanderzusetzen. Santayanas ästhetische Präferenzen dienen ihm als Ausgangspunkt für eine Reflexion auf die »Ursachen und die Feinde des Schönen«, was wiederum zu der politischen Frage führt, im Schutze welcher Mächte das Schöne gedeihen kann und unter dem Einfluß welcher Kräfte esdahinwelkt. Positiv werden jene Einflüsse gewertet, die die Entfaltung von Möglichkeiten fördern, während die negativen Einflüsse feindselige Umstände hervorbringen.
Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Formen im politischen Leben erweist sich als die zentrale Aufgabe der politischen Philosophie im Sinne Santayanas, die vor allem in seinem Werk Dominations and Powers (1951) niedergelegt ist. Santayana steht insofern in der Nachfolge Spinozas, als er die Geschicke der Menschheit unter der Perspektive der Ewigkeit, sub specie aeternitatis, betrachtet. Er dachte dabei auch intensiv über den Wandel der politischen Ereignisgeschichte und der politischen Systeme nach, die er mit einer gewissen Distanz beobachtete, was ihn deutlich von den auf klare praktische Ziele ausgerichteten modernen Philosophen unterschied. Er lehnte deshalb auch entschieden die Projektemacherei von modernen Propheten à la Ezra Pound ab. Platonisch war Santayanas Einsicht, daß eine uneingeschränkte Ernsthaftigkeit in menschlichen Dingen immer unangebracht sei. Eine große literarische Darstellung seiner Weltanschauung jenseits von Tragödie und Komödie bietet Santayanas Bildungsroman The Last Puritan (Der letzte Puritaner, 1936).
Santayanas politische Philosophie gehört in die skeptisch-realistische Tradition von Aristoteles über Montaigne, Locke und Hume bis zu Oakeshott, die sich um ein Verständnis der Grundlagen einer freiheitlichen Politik bemühten. Auch wenn er Machiavellis Ansatz ablehnte, anerkannte er dessen genuine Einsichten in die Welt der Politik und lobte ihn dafür, daß er den Tatsachen ins Auge sah und sie freimütig zum Ausdruck brachte. Santayana teilte diese Sicht und sah selbst sehr scharfsichtig, welches Gefahrenpotential z. B. in jenen »sentimentalen Banditen « schlummert, die sich einem falsch verstandenen Humanitarismus verschreiben: »Er raubt und mordet nicht zu seinem eigenen Nutzen, sondern für die Größe seines Landes oder die Befreiung der Armen.«
Santayana stand dem Liberalismus sehr kritisch gegenüber, da dieser sich weigerte, alles das zur Kenntnis zu nehmen, was es über Politik und Kultur zur Kenntnis zu nehmen gebe. Die Liberalen erschienen nach Santayana auf der Bildfläche, wenn »eine Kultur ihre Kraft verausgabt hat und rasch absinkt«. Die Liberalen würden in ihrem Bestreben, die Kultur zu reformieren, unter einer spezifischen Blindheit leiden, da sie die (nichtliberalen) Grundbedingungen dessen, was sie wertschätzten, nämlich geistige und künstlerische Errungenschaften, nicht erfaßten.
Schriften: The Sense of Beauty, New York 1896; The Life of Reason, 2 Bde., London 1905-06; Scepticism and Animal Faith, New York 1923; Der letzte Puritaner, München 1936; Die Spanne meines Lebens, Hamburg 1950; Die Christus-Idee in den Evangelien, München 1951; The Letters of George Santayana, hrsg. v. Daniel Corey, New York 1955; Dominations and Powers. Reflections on Liberty, Society and Government, Clifton 1972; Interpretations of Poetry and Religion, Cambridge, Mass. 1989; The Essential Santayana. Selected Writings, hrsg. v. Martin A. Coleman, Bloomington 2009.
Literatur: Thomas L. Jeffers: Apprenticeships. The Bildungsroman from Goethe to Santayana, New York et al. 2005; Till Kinzel: The Tragedy and Comedy of Political Life in the Thought of George Santayana, in: Limbo 29 (2009); John McCormick: George Santayana. A Biography, New York 1987; Paul Arthur Schilpp (Hrsg.): The Philosophy of George Santayana, Evanston 1940; Irving Singer: George Santayana. Literary Philosopher, New Haven 2000.