Ich stelle unmaßgeblich fest, daß sich über Sozialprobleme innerhalb der Rechten immer schwieriger reden läßt. Denn wer wäre leistungsorientierter und eigenverantwortlicher als ein ®echter Rechter? Gerade zu Weihnachten diese Anmerkung: Mir begegnen tendenziell libertäre Auffassungen, die allein den Einzelnen innerhalb seiner Rechtssicherheit, alles werden zu können, in der Verantwortung sehen. Wohl wahr! Um mich freiberuflich zu melden, dazu bedurfte es nur des Personalausweises und ca. fünf Minuten im Gewerbeamt. Ich halte das für eine enorme Errungenschaft: Willst du etwas leisten und nimmst dafür ein existentielles Risiko auf dich, so darfst du das tun! Wie jeder andere ebenso: Gewerbefreiheit! Offenbar wünscht sich die Politik alle Arbeitnehmer in “outgesourcter” Selbständigkeit.
Aber ob Freiberufler, Angestellter oder Arbeitsloser: „Deutschland war noch nie so gespalten wie heute.“ So konstatiert es der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Ulrich Schneider mit Blick auf den gemeinsam mit der Nationalen Armutskonferenz vorgelegten Armutsbericht. Ins Auge fallen nicht nur die Zahlen, sondern eine starke regionale Zerrissenheit zwischen den Bundesländern und Regionen. Die alte Bundesregierung hatte in ihrem vor der Wahl vorgelegten 4. Armutsbericht behauptet, die Einkommensschere schließe sich. Sie öffnet sich indessen weiter, es droht, so der Präsident des Sozialverbandes Deutschland in der “Zeit”, ein Achsenbruch. – Der Ökonom Dierk Hirschel, promoviert über die Ursachen hoher Einkommen, meint mit Blick auf die öffentliche Armut – gerade der Kommunen – in der “SZ”: “Noch heute kostet Schröders und Merkels steuerpolitische Reichtumspflege die öffentlichen Haushalte jährlich 50 Milliarden Euro. (…) Die öffentliche Investitionsquote liegt bei mageren 1,5 Prozent. Unsere Nachbarn investieren doppelt soviel.(…) Eine große Koalition, die nicht mehr auf Verschleiß fahren will, muß die Steuern erhöhen.”
Als armutsgefährdet gilt hierzulande, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. 2012 waren das für einen Einzelhaushalt 869 Euro, für Familien mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren 1826 Euro. Das sind für mich selbst komfortable Beträge! Erlöse ich diese jäh und wieder, komme ich gut zurecht. Ich erziele sie freilich selten, und tatsächlich suche ich die Gründe bei mir. Dennoch stört mich das Hohnlachen der Solventen, wenn sie diese Zahlen hören, allerdings kaum je mit diesem Salär – und häufig viel, viel weniger – auskommen mußten. Ja, heißt es oft, als Student, da hatte ich nur … (Und selbst da waren die meisten der Erbengeneration eher von Papa alimentiert, als daß sie sich ihren Lebensunterhalt erringen mußten.)
Dort, wo ich lebe, im deutschen Nordosten, sind bei einem Bundesdurchschnitt von 15,2 Prozent (Baden Württemberg 11,1) derzeit 22,9 Prozent der Menschen arm oder von Armut bedroht. Es gilt hier als völlig normal, daß die gemeinnützigen „Tafeln“ preiswerte Lebensmittel verteilen; und seit Wochen läutet der NDR mit vorweihnachtlicher Übersüßung für seine Spendeninitiative „Hand in Hand für Norddeutschland“. Kleiderkammern und Suppenküchen sind in Mecklenburg-Vorpommern – je östlicher, je auffallender – eine gewohnte Alltäglichkeit, die kaum jemandem zu denken gibt. Im Gegenteil, davon wird sehr launig berichtet, als wäre das nicht nur ganz in Ordnung so, sondern ein nettes Event. – Die mecklenburgische Ministerin für Arbeit, Gleichstellung und Soziales, Manuela Schwesig – attraktiv, beredt und mit einem kühlen telegenen Lächeln gesegnet – wird übrigens gerade Bundesministerin.
Thematisiere ich die ins Auge springende Armut, begegnet mir selbst hier die kaltherzige Antwort: Selbst schuld! – Ich habe hier nichts zu beweisen und gehe freilich von meinen Eindrücken aus, wenn ich erlebe, zu welchen Bedingungen „gejobbt“ wird, durchaus von früh bis späte, aber daß es dennoch nicht reicht und „aufgestockt“ werden muß. Sicher, es gibt den gut unterhaltenen adipösen „Hartzer“, der nicht mehr will und deswegen nicht mehr kann, denn auf der Couch droht jedem die Entropie. Wer auf diese Weise gern nimmt, der ist kein Tragöde, der kommt klar. Mich dauern aber jene, die ihren Kindern einfache Weihnachtswünsche nicht erfüllen können. Schwimmhalle, Kino, selbst Weihnachtsmarkt – alles schon Luxus.
Das Wort Volksgemeinschaft gilt nicht nur als verpönt, es scheint überhaupt das mit diesem Begriff einst Verbundene irreversibel verloren. Die Spender, die Lebensmittelsammler und –verteiler in allen Ehren! Aber selbst sie scheinen sich in guten Werken zu üben, mit denen sich die Gesellschaft der Versorgten billig freikauft.
Das Foto oben nahm ich nur nebenher auf dem Wall um die Neubrandenburger Altstadt herum auf. Nach ein paar Metern erst stutzte ich: Es handelt sich um Kronenverschlüsse von Bierflaschen, mit denen der ganze Weg gepflastert ist – meist Oettinger und Sternburg, die preiswerte Dröhnung, ca. fünf Euro der Kasten. Schon klar: Armut und Sauferei stehen in keinem linearen Verhältnis. Nur zeugt diese Impression von einer problematischen „Soziokultur“ und innerer Verödung. Sterntaler aus Blech.
Luise Werner
Ein frohes und gesegnetes Fest wünsche ich Ihnen, verehrter Herr Bosselmann.
Und nun die Frage, ob Sie libertäre Auffassungen zum Kernbestand der Rechten zählen bzw. den Libertären unisono der Rechten zuordnen? Den Schluss könnte man ziehen, wenn man Ihren ersten Absatz liesst.
Ich halte es für den Krebsschaden in den Köpfen unserer Landsleute, dass sie den nackten und globalisierten Kapitalismus und alles was damit an Assoziationen zusammen hängt (Schlagworte: Bonzen, Großkopferte, Ausbeutung, Hungerlohn etc.) nach wie vor mehrheitlich mit Rechts verbinden; - und demzufolge die Gegenbewegung mit Links. Sollte dies auf dieser Seite noch genährt werden, dann würde mich das enttäuschen.