Die Spurbreite des schmalen Grates

pdf der Druckfassung aus Sezession 53 / April 2013

Als verantwortlicher Redakteur der Sezession gehöre ich zu den...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

inten­si­ven Lesern die­ser Zeit­schrift. Letzt­lich habe ich zu ver­ant­wor­ten, was in ihr ver­öf­fent­licht wird, und das mei­ne ich nicht im jus­ti­tia­blen Sinn: Ich bin ver­ant­wort­lich dafür, daß aus den Mög­lich­kei­ten einer der auf­la­gen­stärks­ten und kon­tu­ren­schärfs­ten intel­lek­tu­el­len Zeit­schrif­ten Deutsch­lands das Best­mög­li­che gemacht wird.

Dies gelingt, weil die Autoren- und The­men­mi­schung einen eben­so unver­wech­sel­ba­ren wie ver­lo­cken­den »Sezes­si­on-Sound« her­vor­bringt, und zwar ziem­lich zuver­läs­sig dann, wenn die pyro­tech­ni­sche Mischung der Hef­te stimmt.

Die Sezes­si­on ist moder­ne, publi­zis­ti­sche Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on. Ganz sicher gehö­re ich zu den­je­ni­gen, die aus den Gesprä­chen mit Karl­heinz Weiß­mann und vor allem aus sei­nem Bei­trag »Bibli­sche Lek­tio­nen« (Sezes­si­on 13, April 2006, S. 8–14) den Begriff der »Tra­di­ti­ons­kom­pa­nie« nicht nur als inter­es­san­te Voka­bel wahr­ge­nom­men, son­dern als Auf­ga­ben­stel­lung und Tätig­keits­be­schrei­bung umge­setzt haben: mein Ver­lag Antai­os, die Zeit­schrift Sezes­si­on, das 2008 an Erik Leh­nert über­ge­be­ne »Insti­tut für Staats­po­li­tik« oder jüngst die kon­ser­va­ti­ve Mes­se »zwi­schen­tag« – das alles ist eben­so selbst­ver­ständ­lich wie neu, kon­ser­va­tiv wie revo­lu­tio­när, akri­bisch umge­setzt wie gewagt, kühl durch­ge­plant wie irra­tio­nal her­bei­ge­träumt und kei­nes­falls – wie Leh­nert sug­ge­riert – die per­sön­li­che Sehn­sucht nach Irra­tio­na­li­tät und nach Erlö­sung aus dem Dilem­ma des Schei­terns. Es ist viel­mehr: tun, was man kann.

Der bri­ti­sche Autor Alex Kur­ta­gic hat in sei­nem auf den fol­gen­den Sei­ten gekürzt abge­druck­ten Bei­trag die »Träu­mer« als die wah­ren »Prag­ma­ti­ker« bezeich­net. Dies ist eine Deu­tung, die ich sofort unter­schrei­be und gegen jene mäßi­gen­de Ver­nunft ver­tei­di­ge, die Erik Leh­nert in sei­nem Bei­trag in Stel­lung bringt. Alles näm­lich zu sei­ner Zeit: zuerst der Traum, das gro­ße Bild, dann die Ver­nunft und die Umset­zung (mit allen Abstri­chen, die man hin­neh­men muß, und auch dar­in ist der letzt­lich irra­tio­nal agie­ren­de Stauf­fen­berg von 1944 ein gutes Bei­spiel). Denn wenn die Jas­pers­sche Ver­nunft zu früh sich der wider­stän­di­gen Köp­fe bemäch­tigt, ist sie die Ver­hin­de­rin gewag­ter, aber durch­aus mög­li­cher Würfe.

Es ist mein Bestre­ben, mit lan­gen Nadeln in das Fleisch des halb abge­stor­be­nen, halb ver­fet­te­ten Deutsch­lands zu ste­chen und zu sehen, wo noch ein Mus­kel zuckt: kein öko­no­mi­scher Mus­kel (über die­se Kraft müs­sen wir kein Wort ver­lie­ren), son­dern einer, der den kul­tu­rel­len, eth­ni­schen, see­li­schen Selbst­er­hal­tungs­trieb in Gang set­zen und uns vor jener »Aus­dün­nung« bewah­ren kann, deren Ziel Regie­rungs­po­li­tik seit Jahr­zehn­ten ist. Ich traue jenen, die uns lesen und die noch jung genug sind, eine prin­zi­pi­el­le Lebens­ent­schei­dung zu tref­fen, viel Mut, viel Kraft und Durch­set­zungs­ver­mö­gen, Wider­stands­fä­hig­keit und Zähig­keit zu, ich for­de­re sie dazu auf. Woher kommt der Man­gel an Ver­trau­en in die eige­ne Tat­kraft und in die Schön­heit des Lebens auch jen­seits der bür­ger­li­chen Kar­rie­re? Wie tief ist das Lei­den am Zustand unse­rer Nati­on und unse­res Vol­kes, wenn es nicht hin­reicht, aus dem eige­nen Ich ein Gegen­ge­wicht zu machen? Wozu berich­te­ten wir von der mobi­li­sie­ren­den, die Nati­on kon­sti­tu­ie­ren­den »Gro­ßen Erzäh­lung«, wenn wir ihre tem­pe­ra­tur­er­hö­hen­de Wir­kung gleich wie­der abmil­dern wollten?

Manch­mal berich­tet Karl­heinz Weiß­mann von sei­nem eben­so erfül­len­den wie wir­kungs­vol­len Leh­rer­da­sein, das auch dann nicht ende­te, als der schlech­te­re Teil der Schü­ler eine Anti­fa-Kam­pa­gne in Gang setz­te: Der bes­se­re Teil warf sich auf Weiß­manns Sei­te, seit Jah­ren ist Ruhe. Ist das nicht nach­ah­mens­wert, obwohl es eine Grat­wan­de­rung war? Weiß­mann könn­te auch bestä­ti­gen, daß es immer deut­lich mehr abra­ten­de als befeu­ern­de Stim­men gab – vor der Grün­dung des Ver­lags, vor der Grün­dung des Insti­tuts, vor der Grün­dung der Zeit­schrift. Was wären wir heu­te, hät­ten wir dem resi­gna­ti­ven, dem war­nen­den Ton Fol­ge geleis­tet? Und ist es nicht so, daß immer die­je­ni­gen mahn­ten, die ihren eige­nen Sprung ins weni­ger Anstren­gen­de, Nicht-Aus­ge­setz­te und ‑Aus­ge­grenz­te nicht wider­legt sehen woll­ten durch Pro­jek­te, die gelängen?

Indes: Selbst die­ser Schuh paßt nicht. Aus­ge­setzt, aus­ge­grenzt? Kei­nes­falls – nir­gends kann die Rück­bin­dung an Leser, an Unter­stüt­zer, Fra­ge­stel­ler, Schü­ler enger und exis­ten­ti­el­ler sein als dort, wo wir eine Lücke fül­len und eben­so zuver­läs­sig, form­schön und niveau­voll unse­re Arbeits­be­wei­se able­gen wie forsch und sti­chelnd von ande­ren die Infra­ge­stel­lung der Gemüt­lich­keit fordern.

Wir? Gut, ein Teil von uns. Die Spur­brei­te der Sezes­si­on reicht vom kon­ser­va­ti­ven auf der einen bis zum revo­lu­tio­nä­ren Ton auf der ande­ren Sei­te. Ein Kar­ren, zwei Spu­ren, zwei Men­ta­li­tä­ten, ein Sound.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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