Eroberungsvorteil Nazienkel: Per Leos “Flut und Boden”

Rezension aus Sezession 59 / April 2014

Per Leos literarisches Debüt stand auf der Auswahlliste für den Preis der Leipziger Buchmesse.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Das Buch mit dem kalau­ern­den Titel erfuhr freund­li­che, gar hym­ni­sche Bespre­chun­gen. Ins Port­fo­lio sei­nes Ver­lags paßt es her­vor­ra­gend: Klett-Cot­ta hat mit Sabi­ne Bodes Büchern über Kriegs­kin­der und ‑enkel (Sezes­si­on 31/2009) lang­le­bi­ge Ver­kaufs­schla­ger im Programm.

Leos Buch will man kaum Roman nen­nen, es ist ein (auto)biographischer Lang-Essay. Dem Autor, Jahr­gang 1972, wur­de von sei­nem Vater »ein Sta­pel alters­schwa­ches Durch­schlag­pa­pier« geschenkt. Es sind Noti­zen sei­nes Groß­on­kels Mar­tin. Der Vater ver­mu­te­te zu Recht, daß das Mate­ri­al den Sohn inter­es­sie­ren wür­de. Der ist His­to­ri­ker wie sein Urgroß­va­ter Hein­rich (sie­he S. 32 die­ser Sezes­si­on!), er hat sich mit einer Arbeit über »Welt­an­schau­ungs­kul­tur, cha­rak­te­ro­lo­gi­sches Den­ken und Juden­feind­schaft 1890–1940« pro­mo­viert. War­um die­ses Studium?

»Grund­la­gen­ver­tie­fung für Nazi­en­kel«, ana­ly­siert Leo sei­ne Moti­va­ti­on. Als Angel­fi­gur nennt er Pro­fes­sor Ulrich Her­bert. Der habe mit »männ­li­cher Stren­ge unser kir­chen­tags­mä­ßi­ges Bild vom Holo­caust, das eine Schlüs­sel­stel­lung in unse­rem Gefühls­le­ben ein­ge­nom­men hat­te«, refor­miert. Her­bert erschloß sei­nen Stu­den­ten die Lebens­welt der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on, den »Ethos des End­lich-machen-statt-Laberns«, der Bür­ger­söh­ne zu Nazis gemacht habe. »Wir woll­ten Her­bert gefal­len, so wie die jun­gen SS-Offi­zie­re Wer­ner Best und die jun­gen Bests Ernst Jün­ger gefal­len wollten.«

Mar­tin, den der Groß­nef­fe kaum kann­te, erweist sich als ein­zel­gän­ge­ri­scher Goe­thea­ner, anthro­po­so­phisch ange­haucht. Sein jün­ge­rer Bru­der Fried­rich, Pers Groß­va­ter, war Natio­nal­so­zia­list. Der Enkel ver­folgt die Spu­ren bei­der Män­ner. Wie wur­den sie zu dem, was sie waren? Fried­rich hat­te sei­nen Enkeln stets But­ter­ku­chen spen­diert, wenn sie die ein­sach­t­zig erreicht hat­ten. Leo erkennt ver­spä­tet den Grund: Fried­rich war amt­lich bestell­ter Ras­se­prü­fer gewe­sen. Per ist also ein wasch­ech­ter Nazi­en­kel. Was das bedeu­tet, wird ihm klar, als er wegen depres­si­ver Ver­stim­mun­gen einen psy­cho­lo­gi­schen Dienst auf­sucht. Die Psy­cho­da­me wischt sei­ne Beschwer­den bei­sei­te und bit­tet den Hil­fe­su­chen­den gelang­weilt, von sei­ner fami­liä­ren Situa­ti­on zu erzäh­len. Als er bei »Chef im Ras­se­amt« ankommt, läßt die See­len­pfle­ge­rin den Stift sin­ken. Sie lauscht beein­druckt, »dank­bar«.

Und Leo fühlt sich wie­der »par­ty-taug­lich«: »Nie­mand hät­te sich ange­zo­gen gefühlt, wenn ich als Erbe Men­ge­les daher­ge­kom­men wäre. Aber die wohl­ver­pack­te Mischung aus alter Fami­lie und blon­dem SS-Offi­zier schien ohne Umweg über die Hirn­rin­de eine kräf­ti­ge Leit­bahn des vege­ta­ti­ven Ner­ven­sys­tems zu elek­tri­sie­ren. Kate­go­rie ras­si­ger Gen­tle­man­ver­bre­cher oder so. … Gan­ze Bat­te­rien höhe­rer Töch­ter hät­te man mit die­ser Edel­na­zi­ma­sche ins Bett krie­gen kön­nen.« Ist das so?

Per Leo beschreibt die Wer­de­gän­ge von Mar­tin und Fried­rich nahe­zu minu­ti­ös, er brei­tet die ver­schach­tel­te Fami­li­en­ge­schich­te aus. Das ist mit­un­ter lang­wie­rig und sprach­lich nicht immer schön. Wer will von Schlä­gen »in die Fres­se«, von »Schnit­zel­für­zen« phi­lo­so­phie­ren hören? Als Zeit­ko­lo­rit hal­ten Sze­nen aus der Bun­des­li­ga her: ein belieb­ter, abge­schmack­ter Retro-Griff, der unwill­kür­lich auf die Bana­li­tät einer bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Nach­kriegs­exis­tenz ver­weist. Von Fried­rich ist eine »Bekennt­nis­schrift« über­lie­fert (»Lebe bewußt! Habe Mut zur Wahr­heit! Sei hilfs­be­reit und gerecht!«), die der Enkel als »hirn­ver­brann­ten« Sound brand­markt. Mar­tin war defi­ni­tiv der wei­se­re Bruder.

Schö­ne Sze­nen hält das Buch im hin­te­ren Drit­tel parat. Dort geht es ers­tens um eine Rei­se in die DDR (Mar­tin lebt dort) und um das Nicht­ge­nug­krie­gen des Autors »vom soge­nann­ten Grau«, das »in Wirk­lich­keit ein uner­meß­li­cher Reich­tum an unrei­nen Far­ben« war. Die sinn­li­che Qua­li­tät des Unrechts­staa­tes wird hier maß­geb­lich erfaßt. Zwei­tens nähert sich Leo hier auf zwar abweh­ren­de, doch ein­drucks­vol­le Wei­se sei­nem eins­ti­gen wis­sen­schaft­li­chen Sujet, der Gra­pho­lo­gie Lud­wig Kla­ges’. Wie geht es einem Jugend­li­chen, »der erle­ben muß, daß der Anblick einer blu­mi­gen Mäd­chen­schrift den Zau­ber eines zwei­sa­men Gesprächs für immer ver­trei­ben kann?« Per Leos skru­pu­lö­ser Fami­li­en­ro­man: teils-teils (Gott­fried Benn).

Per Leo: Flut und Boden. Roman einer Fami­lie, Stutt­gart: Klett-Cot­ta 2014. 348 S., 21.95 €

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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