Raoul Thalheim: Hirnhunde

Der Roman "Hirnhunde" des pseudonymen Autors Raoul Thalheim ist eine freudige Überraschung.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Laut Ver­lag erscheint er in zehn Tagen, ich durf­te schon mal die Fah­nen lesen. Und das mach­te, um es mal ganz salopp zu sagen, Rie­sen­spaß. Ich muß­te alle paar Sei­ten vor Begeis­te­rung Luft holen und an der Decke her­um­ren­nen wie eine Fliege.

Das Lese­ver­gnü­gen wird frei­lich am größ­ten sein, wenn man die in “Hirn­hun­de” beschrie­be­ne Sze­ne der kon­ser­va­ti­ven und “neu­rech­ten” Publi­zis­tik aus eige­ner Anschau­ung kennt. Thal­heim ist kein “Insi­der” – aber er muß sehr sorg­fäl­tig recher­chiert, die Ohren gespitzt und mit­ge­le­sen haben, auch zwi­schen den Zei­len. Sei­ne Detail­kennt­nis ist für einen Außen­ste­hen­den jeden­falls ver­blüf­fend. Ande­rer­seits kann wohl nur jemand “von außen” die nöti­ge Distanz besit­zen, um solch ein Buch zu schreiben.

Das Rate­spiel über die “Vor­bil­der” der Cha­rak­te­re ist gera­de für Ken­ner ein erheb­li­ches Bonus-Amü­se­ment. Das Spiel soll­te aber nicht zu weit getrie­ben und cum gra­no salis genom­men wer­den, denn “Hirn­hun­de” ist gewiß kein “Schlüs­sel­ro­man”. Die meis­ten Figu­ren sind phan­ta­sie­voll ange­rei­cher­te und durch­ein­an­der­ge­wür­fel­te Amal­ga­me von rea­len oder wenigs­tens real vor­stell­ba­ren Per­so­nen, dabei aber lebens­echt und wahr­heits­ge­treu erfunden.

Freun­de der Sezes­si­on wer­den sich beson­ders am Auf­tritt des Künst­ler­ehe­paars “Eugen und Nora” erfreu­en, das sich mit einer Schar blon­der Kin­der (alle­samt Mäd­chen) in der ver­fal­le­nen Vil­la eines Wag­ner-Nar­ren nie­der­ge­las­sen hat, um dort zwi­schen Gemü­se­gär­ten, Obst­bäu­men und Stall­ge­tier ihrer “Abkehr vom Main­stream” Gestalt zu geben. Die Unter­schie­de zu der Schnell­ro­daer Vari­an­te und ihrem Per­so­nal sind aller­dings min­des­tens so groß wie die Ähnlichkeiten.

Wie im “wirk­li­chen” Leben in Got­tes gro­ßem Zoo pas­sen vie­le von Thal­heim geschil­der­te Details nicht in die Kli­schees, die man sich land­läu­fig von den “Rech­ten” macht. Wer sich wun­dert, daß die “Rech­ten” in Thal­heims Roman exzen­tri­schen Hob­bies hul­di­gen, uner­war­te­te Stamm­bäu­me und Fami­li­en­kon­stel­la­tio­nen auf­wei­sen, sich als urba­ne Auf­reiß­künst­ler oder länd­li­che Selbst­ver­sor­ger betä­ti­gen, schwul sind oder ein­fach nur stink­nor­ma­le Men­schen, hat die Vor­stel­lun­gen der pro­fes­sio­nel­len Feind­bild­pro­du­zen­ten immer noch abgeschüttelt.

Die “Mimi­kry”, zu der die “poli­tisch Unkor­rek­ten” oft gezwun­gen wer­den, und die damit ver­bun­de­ne Hys­te­rie “gegen Rechts” ist gera­de­zu unver­meid­lich ein zen­tra­les The­ma von Thal­heims Roman. Sie ist zu unter­schei­den von der poli­ti­schen Waf­fe des “Mimi­kry-Vor­wurfs” (das eine bringt das ande­re gleich einer “self-ful­fil­ling pro­phe­cy” her­vor), den er mit eini­gen iro­ni­schen Wen­dun­gen des Plots ad absur­dum führt.

Iro­nisch ist in die­sem Zusam­men­hang auch der Umstand, daß hin­ter dem Autoren­pseud­onym ein pro­fi­lier­ter Autor ste­cken soll, der sich aber “pour rai­sons” nicht zu erken­nen geben will. Sie­he dazu auch den Ver­lags­text von Antaios:

Antai­os weiß mitt­ler­wei­le, wer Raoul Thal­heim wirk­lich ist, “Hirn­hun­de” hät­te sonst nicht gedruckt wer­den kön­nen. Die Ver­blüf­fung ist in der Tat groß, die­sen Schrift­stel­ler hät­te man hin­ter “Hirn­hun­de” nicht erwar­tet. Aber nun ist klar, war­um das nur unter “Thal­heim” geht. Und die­ser Umstand sagt ziem­lich viel über die Not­wen­dig­keit der Mei­nungs­äu­ße­rungs-Abwä­gung in Deutschland.

Die Bun­des­re­pu­blik der “Hirn­hun­de” ist nun eine Art Alter­na­tiv- oder Par­al­lel­welt, in der die Zei­tun­gen, Maga­zi­ne, Mei­nungs­ma­cher und Poli­ti­ker zwar ande­re Namen tra­gen, in der aber sonst alles wie gehabt ver­läuft. Im Zen­trum steht eine in Dres­den ange­sie­del­te Wochen­zei­tung namens Frei­geist, die gro­ße Ähn­lich­kei­ten mit einer Wochen­zei­tung aus Ber­lin hat, die über mehr als zwei Jahr­zehn­te hin­weg als das Flagg­schiff der kon­ser­va­ti­ven Publi­zis­tik in Deutsch­land galt.

Sie muß­te jedoch, wie man weiß, von Anbe­ginn an mit poli­tisch moti­vier­ten Anfein­dun­gen kämp­fen und ein Dasein abseits des gro­ßen Sand­kas­tens fris­ten. Den­noch hat sie sich dank der Hart­nä­ckig­keit ihrer Macher im Lau­fe der Zeit zu einer fes­ten Grö­ße in der Medi­en­land­schaft ent­wi­ckelt. Man kann Thal­heims Cha­rak­te­ri­sie­rung des Frei­geist durch­aus auch auf sie anwen­den. (Des­sen Chef­re­dak­teur sieht sich übri­gens auf­rich­tig als “klas­sisch kon­ser­va­tiv”, jeden­falls, solan­ge man “ein nur leicht anti­quier­tes Koor­di­na­ten­sys­tem als Maß­stab anleg­te, viel­leicht eines der acht­zi­ger Jahre.”)

Nicht, daß der Frei­geist nur von einem Nischen­pu­bli­kum wahr­ge­nom­men wur­de! Nein, er wur­de in Chef­re­dak­tio­nen gele­sen, eine stil­le Rezep­ti­on fand statt. Der Frei­geist arti­ku­lier­te sich jen­seits der poli­ti­schen Mit­te, und das Pro­blem war nicht sei­ne Ent­fer­nung zur Mit­te (die war deut­lich gerin­ger als die sei­ner Gegen­la­ger links), son­dern daß er dabei auf der fal­schen Sei­te stand.

Dies hat natür­lich für vie­le Mit­ar­bei­ter frus­trie­ren­de Kon­se­quen­zen: ihre Arbeit wird nicht des­we­gen ver­schwie­gen und miß­ach­tet, weil es ihr an Qua­li­tät man­gelt, son­dern weil ihre poli­ti­sche Aus­rich­tung inop­por­tun ist. So ergeht es auch dem “Hel­den” des Romans, dem schüch­ter­nen Repor­ter Mar­cel Mar­tin, der unter ande­rem bereits den Preis für den pres­ti­ge­träch­ti­gen “Trut­hA­ward” für eine Repor­ta­ge über Ruß­land­deut­sche in der Tasche hat­te, ehe der Jury gesteckt wur­de, was für ein böser und untrag­ba­rer Bube er sei.

Das ist umso absur­der, als Mar­cel kei­nes­wegs “lini­en­treu” oder “ideo­lo­gisch” sat­tel­fest oder auch nur beson­ders bele­sen ist. Ein “run­ning gag” des Buches ist, daß er Zita­te von Nietz­sche, Jün­ger und Dávila, die eigent­lich jeder “Neu­rech­te” aus dem eff­eff her­un­ter­be­ten kön­nen müß­te, gar nicht erkennt. Er ist eher ein vor­sich­ti­ger Skep­ti­ker, der weiß, daß “die Welt nicht aufgeht”:

Mar­cel hing kei­ner Ideo­lo­gie an. Er woll­te wahr schrei­ben und kein Was­ser auf die Müh­len von Leu­ten lei­ten, die bor­niert waren oder vol­ler Hass, vol­ler Res­sen­ti­ments. Sol­cher Applaus beschäm­te ihn. Das war der Grund­bauch­schmerz, der sei­ne Repor­ta­gen beglei­te­te. Das war ein Pro­blem, sein heim­li­ches Pro­blem. Daß er wuß­te, daß kei­ner sei­ner Berich­te in Wahr­heit geeig­net war, die gan­ze Wirk­lich­keit abzubilden.

Mar­cel, ein über­sen­si­bler, etwas toll­pat­schi­ger Mitt­drei­ßi­ger aus gut­bür­ger­li­chem Hau­se, ein in sei­ner Männ­lich­keit ver­un­si­cher­ter Jung­ge­sel­le, der immer noch im Schat­ten sei­ner domi­nan­ten Mut­ter steht,  ist ein “Hirn­hund”, der nicht auf­hö­ren kann, zu den­ken, zu zwei­feln und zu reflek­tie­ren. Die­se Skru­pu­lo­si­tät macht ihm zwar selbst das Leben schwer, wie einem, der stän­dig einen ein­ge­bil­de­ten Kie­sel­stein im Schuh trägt, immu­ni­siert ihn aber auch gegen Her­den­trieb und ist zugleich eine ent­schei­den­de Bedin­gung für die Güte sei­ner Arbeit. Sei­ne Sen­si­bi­li­tät läßt ihn in Rit­zen vor­drin­gen, die ande­re nicht wahr­neh­men. Er ist damit nicht unbe­dingt typisch für sein Lager, wie auch der Chef­re­dak­teur, lie­be­voll “El Jefe” genannt, feststellt.

Unse­ren Leu­ten, der gan­zen kon­ser­va­ti­ven Publi­zis­tik, fehlt halt eines ganz grund­sätz­lich: Empa­thie­fä­hig­keit. Die Fähig­keit, sich in Men­schen hin­ein­zu­ver­set­zen. Auch in Sach­la­gen, die nicht die urei­gens­ten Inter­es­sen berüh­ren. Manch­mal glaub ich, gera­de in sozia­len Din­gen ist der kon­ser­va­ti­ve Hori­zont doch eng. Das ist ein Rie­sen­pro­blem, eigent­lich ein Malheur.

Mit die­ser Ver­an­la­gung stellt sich Mar­cel selbst stän­dig ein Bein nach dem ande­ren, ins­be­son­de­re, wenn es um “Dates” mit Frau­en geht, die stets auf den neur­al­gi­schen Punkt zusteu­ern, an dem er sich poli­tisch “outen” muß. Beson­ders in die­sen Sze­nen beginnt Mar­cels Über­re­flek­tier­heit, dar­ge­stellt in kur­siv gedruck­ten Denk­ein­schü­ben, auch dem Leser selbst mit­un­ter gehö­rig auf die Ner­ven zu gehen, was vom Autor aller­dings durch­aus beab­sich­tigt ist.

“Hirn­hun­de” ist durch­weg als sub­ti­le Komö­die ange­legt, ange­rei­chert mit Sati­re, Iro­nie und einem Hauch Melan­cho­lie; auch dar­in unter­schei­det sich der Roman auf wohl­tu­en­de Wei­se von den eben­so bier­erns­ten wie dilet­tan­ti­schen Bekennt­nis­ro­ma­nen, die das rech­te Lager hin und wie­der her­vor­bringt. Dabei tau­chen auch unter den Kon­ser­va­ti­ven treff­si­cher beob­ach­te­te skur­ri­le bis ver­strahl­te Typen auf, die kei­nes­wegs ver­schont wer­den. Thal­heims Kari­ka­tu­ren sind aller­dings nie bös­ar­tig, sein Blick auf die Men­schen ist  ‑wie der Mar­cels – eher nach­sich­tig und abwartend.

Das wird beson­ders im zwei­ten Teil deut­lich, als mit dem lin­ken Hip­pie-Fräu­lein Agnes auch das ent­ge­gen­ge­setz­te poli­ti­sche Milieu sicht­bar wird und eine Büh­ne bekommt. Die geball­te Blöd­heit des Gut­men­schen­zir­kus stellt Thal­heim mit gelas­se­ner, belus­tig­ter Feder dar; und er schwelgt gera­de­zu in der unfrei­wil­li­gen Komik der “poli­tisch kor­rek­ten” Sprachor­tho­do­xie. Aber auch hier ist sein Spott ohne Häme und Res­sen­ti­ment – auch den Lin­ken bil­ligt er im Gro­ßen und Gan­zen zu, ihre Sache bona fide zu betreiben.

Zwi­schen Agnes und Mar­cel ent­spinnt sich eine Roman­ze, über deren Anlaß und Aus­gang ich hier nichts ver­ra­ten möch­te, wie es über­haupt Spiel­ver­der­be­rei wäre, all­zu­viel von der Hand­lung preis­zu­ge­ben. Was aber in die­ser zag­haf­ten Annä­he­rung zwi­schen Links und Rechts, bezeich­nen­der­wei­se über die Emo­tio­nen und nicht den Intel­lekt, ange­deu­tet wird, ist die Fra­ge, ob es nicht jen­seits der Begriffs­git­ter und poli­ti­schen Vor­stel­lun­gen soet­was wie eine See­len­ver­wandt­schaft der Oppo­si­ti­on und der Unru­he gibt.

Mehr sei erst­mal nicht über die “Hirn­hun­de” gesagt. Mei­ner beschei­de­nen Mei­nung nach hat der Roman das Zeug, inner­halb “unse­rer” Sze­ne zu einem Kult­buch zu wer­den. Es eig­net sich aller­dings auch her­vor­ra­gend als Geschenk an skep­ti­sche bis ver­un­si­cher­te Fami­li­en­mit­glie­der und Freun­de. Dar­über­hin­aus wäre dem Roman trotz aller wid­ri­gen Umstän­de eine brei­ter gefä­cher­te Rezep­ti­on jen­seits der übli­chen Ver­däch­ti­gen zu wün­schen; er ist so gut und amü­sant geschrie­ben, daß er sie mehr als ver­dient hätte.

Sub­skri­bie­ren kann man Hirn­hun­de noch bis zum 16. Mai für 19 €, und zwar hier. Danach kos­tet der Roman 22 €. Gelie­fert wird ab dem 20. Mai.
Das Titel­bild des Romans zeigt übri­gens ein Detail von Sal­va­dor Dalis Wag­ner-Brun­nen im Cas­tell Pubol.

 

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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