Laut Verlag erscheint er in zehn Tagen, ich durfte schon mal die Fahnen lesen. Und das machte, um es mal ganz salopp zu sagen, Riesenspaß. Ich mußte alle paar Seiten vor Begeisterung Luft holen und an der Decke herumrennen wie eine Fliege.
Das Lesevergnügen wird freilich am größten sein, wenn man die in “Hirnhunde” beschriebene Szene der konservativen und “neurechten” Publizistik aus eigener Anschauung kennt. Thalheim ist kein “Insider” – aber er muß sehr sorgfältig recherchiert, die Ohren gespitzt und mitgelesen haben, auch zwischen den Zeilen. Seine Detailkenntnis ist für einen Außenstehenden jedenfalls verblüffend. Andererseits kann wohl nur jemand “von außen” die nötige Distanz besitzen, um solch ein Buch zu schreiben.
Das Ratespiel über die “Vorbilder” der Charaktere ist gerade für Kenner ein erhebliches Bonus-Amüsement. Das Spiel sollte aber nicht zu weit getrieben und cum grano salis genommen werden, denn “Hirnhunde” ist gewiß kein “Schlüsselroman”. Die meisten Figuren sind phantasievoll angereicherte und durcheinandergewürfelte Amalgame von realen oder wenigstens real vorstellbaren Personen, dabei aber lebensecht und wahrheitsgetreu erfunden.
Freunde der Sezession werden sich besonders am Auftritt des Künstlerehepaars “Eugen und Nora” erfreuen, das sich mit einer Schar blonder Kinder (allesamt Mädchen) in der verfallenen Villa eines Wagner-Narren niedergelassen hat, um dort zwischen Gemüsegärten, Obstbäumen und Stallgetier ihrer “Abkehr vom Mainstream” Gestalt zu geben. Die Unterschiede zu der Schnellrodaer Variante und ihrem Personal sind allerdings mindestens so groß wie die Ähnlichkeiten.
Wie im “wirklichen” Leben in Gottes großem Zoo passen viele von Thalheim geschilderte Details nicht in die Klischees, die man sich landläufig von den “Rechten” macht. Wer sich wundert, daß die “Rechten” in Thalheims Roman exzentrischen Hobbies huldigen, unerwartete Stammbäume und Familienkonstellationen aufweisen, sich als urbane Aufreißkünstler oder ländliche Selbstversorger betätigen, schwul sind oder einfach nur stinknormale Menschen, hat die Vorstellungen der professionellen Feindbildproduzenten immer noch abgeschüttelt.
Die “Mimikry”, zu der die “politisch Unkorrekten” oft gezwungen werden, und die damit verbundene Hysterie “gegen Rechts” ist geradezu unvermeidlich ein zentrales Thema von Thalheims Roman. Sie ist zu unterscheiden von der politischen Waffe des “Mimikry-Vorwurfs” (das eine bringt das andere gleich einer “self-fulfilling prophecy” hervor), den er mit einigen ironischen Wendungen des Plots ad absurdum führt.
Ironisch ist in diesem Zusammenhang auch der Umstand, daß hinter dem Autorenpseudonym ein profilierter Autor stecken soll, der sich aber “pour raisons” nicht zu erkennen geben will. Siehe dazu auch den Verlagstext von Antaios:
Antaios weiß mittlerweile, wer Raoul Thalheim wirklich ist, “Hirnhunde” hätte sonst nicht gedruckt werden können. Die Verblüffung ist in der Tat groß, diesen Schriftsteller hätte man hinter “Hirnhunde” nicht erwartet. Aber nun ist klar, warum das nur unter “Thalheim” geht. Und dieser Umstand sagt ziemlich viel über die Notwendigkeit der Meinungsäußerungs-Abwägung in Deutschland.
Die Bundesrepublik der “Hirnhunde” ist nun eine Art Alternativ- oder Parallelwelt, in der die Zeitungen, Magazine, Meinungsmacher und Politiker zwar andere Namen tragen, in der aber sonst alles wie gehabt verläuft. Im Zentrum steht eine in Dresden angesiedelte Wochenzeitung namens Freigeist, die große Ähnlichkeiten mit einer Wochenzeitung aus Berlin hat, die über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg als das Flaggschiff der konservativen Publizistik in Deutschland galt.
Sie mußte jedoch, wie man weiß, von Anbeginn an mit politisch motivierten Anfeindungen kämpfen und ein Dasein abseits des großen Sandkastens fristen. Dennoch hat sie sich dank der Hartnäckigkeit ihrer Macher im Laufe der Zeit zu einer festen Größe in der Medienlandschaft entwickelt. Man kann Thalheims Charakterisierung des Freigeist durchaus auch auf sie anwenden. (Dessen Chefredakteur sieht sich übrigens aufrichtig als “klassisch konservativ”, jedenfalls, solange man “ein nur leicht antiquiertes Koordinatensystem als Maßstab anlegte, vielleicht eines der achtziger Jahre.”)
Nicht, daß der Freigeist nur von einem Nischenpublikum wahrgenommen wurde! Nein, er wurde in Chefredaktionen gelesen, eine stille Rezeption fand statt. Der Freigeist artikulierte sich jenseits der politischen Mitte, und das Problem war nicht seine Entfernung zur Mitte (die war deutlich geringer als die seiner Gegenlager links), sondern daß er dabei auf der falschen Seite stand.
Dies hat natürlich für viele Mitarbeiter frustrierende Konsequenzen: ihre Arbeit wird nicht deswegen verschwiegen und mißachtet, weil es ihr an Qualität mangelt, sondern weil ihre politische Ausrichtung inopportun ist. So ergeht es auch dem “Helden” des Romans, dem schüchternen Reporter Marcel Martin, der unter anderem bereits den Preis für den prestigeträchtigen “TruthAward” für eine Reportage über Rußlanddeutsche in der Tasche hatte, ehe der Jury gesteckt wurde, was für ein böser und untragbarer Bube er sei.
Das ist umso absurder, als Marcel keineswegs “linientreu” oder “ideologisch” sattelfest oder auch nur besonders belesen ist. Ein “running gag” des Buches ist, daß er Zitate von Nietzsche, Jünger und Dávila, die eigentlich jeder “Neurechte” aus dem effeff herunterbeten können müßte, gar nicht erkennt. Er ist eher ein vorsichtiger Skeptiker, der weiß, daß “die Welt nicht aufgeht”:
Marcel hing keiner Ideologie an. Er wollte wahr schreiben und kein Wasser auf die Mühlen von Leuten leiten, die borniert waren oder voller Hass, voller Ressentiments. Solcher Applaus beschämte ihn. Das war der Grundbauchschmerz, der seine Reportagen begleitete. Das war ein Problem, sein heimliches Problem. Daß er wußte, daß keiner seiner Berichte in Wahrheit geeignet war, die ganze Wirklichkeit abzubilden.
Marcel, ein übersensibler, etwas tollpatschiger Mittdreißiger aus gutbürgerlichem Hause, ein in seiner Männlichkeit verunsicherter Junggeselle, der immer noch im Schatten seiner dominanten Mutter steht, ist ein “Hirnhund”, der nicht aufhören kann, zu denken, zu zweifeln und zu reflektieren. Diese Skrupulosität macht ihm zwar selbst das Leben schwer, wie einem, der ständig einen eingebildeten Kieselstein im Schuh trägt, immunisiert ihn aber auch gegen Herdentrieb und ist zugleich eine entscheidende Bedingung für die Güte seiner Arbeit. Seine Sensibilität läßt ihn in Ritzen vordringen, die andere nicht wahrnehmen. Er ist damit nicht unbedingt typisch für sein Lager, wie auch der Chefredakteur, liebevoll “El Jefe” genannt, feststellt.
Unseren Leuten, der ganzen konservativen Publizistik, fehlt halt eines ganz grundsätzlich: Empathiefähigkeit. Die Fähigkeit, sich in Menschen hineinzuversetzen. Auch in Sachlagen, die nicht die ureigensten Interessen berühren. Manchmal glaub ich, gerade in sozialen Dingen ist der konservative Horizont doch eng. Das ist ein Riesenproblem, eigentlich ein Malheur.
Mit dieser Veranlagung stellt sich Marcel selbst ständig ein Bein nach dem anderen, insbesondere, wenn es um “Dates” mit Frauen geht, die stets auf den neuralgischen Punkt zusteuern, an dem er sich politisch “outen” muß. Besonders in diesen Szenen beginnt Marcels Überreflektierheit, dargestellt in kursiv gedruckten Denkeinschüben, auch dem Leser selbst mitunter gehörig auf die Nerven zu gehen, was vom Autor allerdings durchaus beabsichtigt ist.
“Hirnhunde” ist durchweg als subtile Komödie angelegt, angereichert mit Satire, Ironie und einem Hauch Melancholie; auch darin unterscheidet sich der Roman auf wohltuende Weise von den ebenso bierernsten wie dilettantischen Bekenntnisromanen, die das rechte Lager hin und wieder hervorbringt. Dabei tauchen auch unter den Konservativen treffsicher beobachtete skurrile bis verstrahlte Typen auf, die keineswegs verschont werden. Thalheims Karikaturen sind allerdings nie bösartig, sein Blick auf die Menschen ist ‑wie der Marcels – eher nachsichtig und abwartend.
Das wird besonders im zweiten Teil deutlich, als mit dem linken Hippie-Fräulein Agnes auch das entgegengesetzte politische Milieu sichtbar wird und eine Bühne bekommt. Die geballte Blödheit des Gutmenschenzirkus stellt Thalheim mit gelassener, belustigter Feder dar; und er schwelgt geradezu in der unfreiwilligen Komik der “politisch korrekten” Sprachorthodoxie. Aber auch hier ist sein Spott ohne Häme und Ressentiment – auch den Linken billigt er im Großen und Ganzen zu, ihre Sache bona fide zu betreiben.
Zwischen Agnes und Marcel entspinnt sich eine Romanze, über deren Anlaß und Ausgang ich hier nichts verraten möchte, wie es überhaupt Spielverderberei wäre, allzuviel von der Handlung preiszugeben. Was aber in dieser zaghaften Annäherung zwischen Links und Rechts, bezeichnenderweise über die Emotionen und nicht den Intellekt, angedeutet wird, ist die Frage, ob es nicht jenseits der Begriffsgitter und politischen Vorstellungen soetwas wie eine Seelenverwandtschaft der Opposition und der Unruhe gibt.
Mehr sei erstmal nicht über die “Hirnhunde” gesagt. Meiner bescheidenen Meinung nach hat der Roman das Zeug, innerhalb “unserer” Szene zu einem Kultbuch zu werden. Es eignet sich allerdings auch hervorragend als Geschenk an skeptische bis verunsicherte Familienmitglieder und Freunde. Darüberhinaus wäre dem Roman trotz aller widrigen Umstände eine breiter gefächerte Rezeption jenseits der üblichen Verdächtigen zu wünschen; er ist so gut und amüsant geschrieben, daß er sie mehr als verdient hätte.
Subskribieren kann man Hirnhunde noch bis zum 16. Mai für 19 €, und zwar hier. Danach kostet der Roman 22 €. Geliefert wird ab dem 20. Mai.
Das Titelbild des Romans zeigt übrigens ein Detail von Salvador Dalis Wagner-Brunnen im Castell Pubol.