Es gibt in Rom seit zehn Jahren nun ein Projekt, das von “Autonomen” einer ganz anderen Art getragen wird. Es sind diese Militanten des neofaschistischen Projekts CasaPound, über die der Rechtsanwalt Domenico Di Tullio vor vier Jahren einen semidokumentarischer Roman veröffentlichte. Er ist nun unter dem Titel Wer gegen uns? in der edition nordost des Verlags Antaios erschienen.
Der Roman setzt mit einer Rückblende auf den Anfang der 1990er Jahre ein, vermischt mit Erinnerungen an die noch weiter zurückliegenden anni di piombo, in denen sich Neofaschisten, Rote Brigaden und Carabinieri in den Straßen Italiens viele kleine Bürgerkriege lieferten. Heute aber, mit der seit über zehn Jahren bestehenden CasaPound in Rom und einem wahren Netz angeschlossener Zentren überall in Italien, stellt sich die Lage anders dar:
Natürlich gibt es noch immer Straßenschlachten, Schlägereien und vorwitziges Anbringen von Plakaten und Graffiti dort, wo die jeweils andere Feldpostnummer sich provoziert fühlen muß. Der wahre Kampf findet jedoch zunehmend in den Köpfen und um sie statt; es hat einige Plausibilität für sich, wenn im Verlauf des Romans geäußert wird, daß die Generation derjenigen, die außer Knüppel und Klinge keinerlei Formen der Auseinandersetzung beherrschen, längst zum Abtritt fällig sei.
Di Tullios Buch ist 2010 auf Italienisch erschienen; in den vier Jahren bis zu seiner deutschen Übersetzung ist besonders in der Schüler- und Studentenorganisation Blocco Studentesco eine neue Generation von Aktivisten ans Ruder gelangt. Und doch lesen sich die kundigen Beschreibungen des CasaPound-Rechtsanwalts brandaktuell, was verschiedene Gründe hat.
Am offensichtlichsten ist dabei natürlich der ganz eigene kulturelle Überbau, den sich die italienischen militanti gegeben haben. Die Ideologie des „Estremocentroalto“, die Philosophie des „Turbodinamismo“, das sind Hintergründe für das tatsächliche Leben, das sich in dem großen Haus in der Via Napoleone III, in den dazugehörigen Geschäften, Kneipen, Bistros, in der ganzen Ewigen Stadt abspielt. Was in deutschen Ohren wie das Exzerpt eines Freikorpsromans klingen mag, ist in Italien Realität:
Jenseits der sehr unterschiedlichen sozialen Hintergründe sind die, die die Schildkröte auf der Haut tragen, tatsächlich miteinander verbunden. Es gibt einen gemeinsamen Kodex, auf den sich die Aktivisten geeinigt haben; ebenso gibt es eine gemeinsame Geschichte, geradezu einen sinn- und identitätstiftenden Mythos, der das Selbstverständnis ausmacht. Und mit dem Selbstverständnis kommt auch eine Selbstverständlichkeit, die manche Stelle des Buchs surreal erscheinen läßt, wenn es darum geht, einer Gefahr nicht auszuweichen, sondern ihr lachend entgegenzustürzen.
Genau dieses allgegenwärtige Lachen ist aber eines der auffälligsten Merkmale, das ein Besucher bei den Leuten von CasaPound und Blocco Studentesco feststellen wird. Wer – gerade als Deutscher – von der immensen Offenheit und Herzlichkeit überrascht ist, mit der ihm nach einer kurzen Zeit des Beschnupperns begegnet wird, der dürfte erst recht vom Glauben abfallen, wenn junge Kerls von 17 oder 18 Jahren bei einem Bier im „Cutty Sark“ ganz ausgelassen von den Kämpfen der letzten Monate erzählen – ganz so, als seien die Scharmützel um Plätze, Häuser, Universitäten und Schulen ein Teil des revolutionären Stundenplans.
Meldungen über Bombenanschläge auf CasaPound-Einrichtungen im Hinterkopf, mag einem dabei durchaus mulmig werden. Die jungen Römer aber lachen tatsächlich; darüber, wie auch dabei, verbunden mit dem Paradigma, sich niemals für irgendetwas zu entschuldigen. Vor diesem Lachen zerbrechen all die schönen freudomarxistischen Theorien über die pathologische Humorlosigkeit des „autoritären Charakters“ in tausend Scherben. Und wo „Guerilla Diffusa“ die Zukunftslosigkeit als identitäres Element aufbauscht, finden sich hier Hoffnung und Zuversicht .
Der zweite, wohl noch gewichtigere Grund für die Zeitlosigkeit und gleichzeitige gute Lesbarkeit von „Wer gegen uns?“ ist aber der Fokus auf den spezifischen Stil der CasaPoundisten. Dabei stehen die ausführlichen Beschreibungen von Kleidungsstücken (ganz besonders in einer programmatischen Szene, in der einer der Protagonisten ein Bewerbungsgespräch um eine Arbeitsstelle abbricht, nachdem er den Chef in spe anhand seiner Schuhe als Heuchler entlarvt hat) natürlich nicht für sich allein, sondern sind pars pro toto des rasanten Lebens zwischen Kampfsport, Konzerten und Metapolitik.
Man könnte fast meinen, Armin Mohler habe etwas wie den Turbodynamismus vorhergesehen, als er Benn über den Futuristen Marinetti zitierte („Sie forderten die »Liebe zur Gefahr«, die »Gewöhnung an Energie und Verwegenheit«, »den Mut«, die »Unerschrockenheit«, »die Rebellion«, »den Angriffspunkt«, »den Laufschritt«, »den Todessprung«, und dies nannten Sie »die schönen Ideen, für die man stirbt«.“), um selbst die Worte zu finden: „kalter Stil, rapid, funkelnd, großartig“. Es ist Di Tullio zu danken, daß er sich für eine multiperspektivische Herangehensweise unter Zuhilfenahme mehrerer Hauptpersonen entschieden hat. So kommt sein Roman, der natürlich den Leser in die Welt der CasaPound ein- und entführen soll, nicht wie eine papierne Lehrstunde daher, sondern tatsächlich wie ein Ausriß aus einigen wenigen Tagen der beleuchteten Personen: der militanti mit ihren jeweils ganz eigenen Geschichten, dem Veteranen der „Bewegung“ aus früheren Tagen, des Rechtsanwalts – Di Tullios alter ego.
Sie alle sind auf ihre Weise Aktivisten, und die Frage nach der Bekleidung wird rein pragmatisch beantwortet. Darauf läßt sich vielleicht die Grundhaltung subsumieren: zu tun, was getan werden muß, und es freudig zu tun. Hemd, Krawatte und Jackett des Anwalts sind nichts weiter als seine Uniform für die Arbeit; nach Feierabend fliegen sie in eine Ecke, und für ein kleines Sparring oder ein paar Biere im Faschistenpub geziemen sich dann eben üblicherweise Turnschuhe, Camouflage-Kniehose und „Zetazeroalfa“-Shirt. Daß man sich bei CasaPound nicht in endlosen Stilfragen aufreibt, wird einer der gewichtigsten Gründe dafür sein, daß dort tatsächlich etwas vollbracht wird; ebenso wie es einer der Gründe ist, weswegen dieser ganz eigene Stil der Bewegung und des Daseins schlicht nicht auf Deutschland übertragbar ist.
Denn unterschiedliche Voraussetzungen schaffen unterschiedliche Phänomene (oder, hier, gar keine). Nicht zuletzt ist „Wer gegen uns?“ auch eine zwangsläufig präzise Vivisektion der Stadt Rom an sich und des Lebens in ihr, mit der desaströsen Sozialpolitik und erdrückenden finanziellen Not selbst der Familien aus der Mittelschicht, ohne die es keinen Anlaß gegeben hätte, jenes leerstehende Haus im Esquilin zu besetzen, zu dem seither andauernd kleine und größere Gruppen Neugieriger pilgern. Weitab von irgendeinem gestelzten, in Romanform verpackten Werbeprospekt, charakterisiert Di Tullio in seinem Buch auch Rom (und mithin ganz Italien) als eine Art „Fassadenstadt“, die überall abbröckelt und die häßliche Realität durchschimmern läßt – Zustände übrigens, die erst jüngst das deutsch-italienische Projekt „Klangstabil“ in ein musikalisches Gewand gehüllt hat.
Wer schon einmal Rom besucht hat und insbesondere rund um den Bahnhof Termini das Elend und die ghettohaften Einsprengsel zwischen antiken Ruinen und teuren Autos sah, der hat bereits einen Eindruck von dem Misthaufen, aus dem etwas wie CasaPound sprießen konnte. Ihm wird sich das Buch anders eröffnen als demjenigen, der sich bislang weder für Italien, noch für die dortige rechtsautonome Szene interessiert hat. Das macht aber nichts; Di Tullio beweist durchaus eine gewisse (um das Urteil einer Freundin über „Wer gegen uns?“ zu zitieren) „popliterarische Qualität“. Wer aber schon einmal das Vergnügen hatte, an der mamornen Fassade der CasaPound entlangzuspazieren oder gar dort Einlaß erhielt, dem wird der Roman stets eine schöne Erinnerung an diese für uns so exotische Enklave und das Gefühl, kurzzeitig auf einer Insel zu leben, sein.
(Domenico di Tullio: Wer gegen uns?, Roman, edition nordost 2014, hier einsehen und bestellen.)
Ein Fremder aus Elea
Wer schon einmal Rom besucht hat und insbesondere rund um den Bahnhof Termini das Elend und die ghettohaften Einsprengsel zwischen antiken Ruinen und teuren Autos sah, der hat bereits einen Eindruck von dem Misthaufen, aus dem etwas wie CasaPound sprießen konnte.
Na, ich war schonmal da. Mein Eindruck war insgesamt ein andrer.
Einen Rechtsanwalt, der sich hin und wieder auf der Straße rumtrieb, gab es in Deutschland ja auch bis vor fünf Jahren, als er an einem Schlaganfall verstarb.
Der Aspekt wenigstens scheint also nicht italienspezifisch zu sein.
Was ist der Unterschied? Daß die Unterschicht in Italien italienisch ist?
Ich kann's nicht beurteilen, aber danach liest sich der zitierte Abschnitt.