dürfen sich freuen – zur Zeit ist ein von Benedikt Kaiser und mir besorgter Kaplaken-Band mit Interviews und kleineren Aufsätzen in Vorbereitung, der amüsante und inspirierende Einblicke in die Werkstatt des französischen Schriftstellers gewährt.
Der 1925 geborene Autor von “Das Heerlager der Heiligen”, “Sire” und “Sieben Reiter verließen die Stadt”, der Anfang des Monats 89 Jahre alt wurde, ist eine schillernde Figur, “Romancier, Abenteurer, Katholik, Monarchist, Visionär – und vieles andere mehr”, wie Joachim Volkmann in einem Autorenportrait für die Sezession schrieb.
Obwohl Raspail Wert darauf legt, in erster Linie ein Erzähler zu sein, sind seine Romane deutlich von einer Haltung durchdrungen, die natürlich auch politische Konsequenzen und Affinitäten in sich birgt. Er versteht, es beißende Satiren mit romantischen Träumen zu verbinden, deren Vergeblichkeit in einer zerfallenden Welt allerdings stets eine gewichtige Rolle spielt. Mehr noch als andere Romanautoren, die ich kenne, verkörpert er geradezu prototypisch das Bild einer “idealen” und ideellen Rechten – so ist auch der “Royalismus” für ihn eher ein geistiges Prinzip als eine reale politische Option.
Wie die Leser dieses Blogs wissen, ist die Pflege der Belletristik ein wichtiges Anliegen der Sezession. Umso erfreulicher ist es, in dieser Hinsicht auch Jean Raspail auf unserer Seite zu wissen. In einem Interview sagte er:
Die französische Zivilisation muß durch die Literatur vermittelt werden. Die Massenmedien können das nicht leisten. Ich glaube in dieser Hinsicht an die Bedeutung des Romans. Abhandlungen zu allen möglichen Themen werden andauernd geschrieben. Kein Politiker, der nicht Tinte pinkelt. Die romanhafte Form aber ist eine Weise, die Dinge weniger didaktisch, dafür umso freier zur Sprache zu bringen. Die Gattung des Romans ist auch zum Zweck der Selbstbildung und der Unterhaltung geschaffen worden. Sie hilft einem auch, über die Dinge zu sprechen, wenn man entmutigt ist.
Die Kunst des Erzählers besteht darin, eine Stück Wirklichkeit und eine Haltung gegenüber dieser Wirklichkeit zum Ausdruck zu bringen, ohne “didaktisch” zu sein. Ob in der Literatur, im Film oder der Malerei: nichts verstimmt so sehr, als wenn die “Absichten” des Autors allzu deutlich sichtbar werden; nichts macht mehr Freude, als wenn er durch die Kraft seiner Darstellung zu überzeugen weiß, wenn er den Leser sehen oder auch fühlen läßt, was er sieht und fühlt, auf seine eigene und unverwechselbare Weise. Dabei zählt gewiß vor allem der “ästhetische Treffer”, wie Michael Klonovsky zu sagen pflegt, und nicht die “Gesinnung” des Autors, obwohl diese zweifellos immer eine gewisse Rolle bei der Entstehung wie der individuellen Rezeption eines Werkes spielt.
Entscheidend ist jedoch, daß der Künstler aus tieferen Quellen als seinen bewußten Überzeugungen, Gesinnungen, Absichten schöpft. In einem anderen Interview betonte Raspail, daß es nicht seine Art sei, über seine Kunst und seine Motive allzuviel nachzudenken:
Es ist sehr schwer für mich, diese Fragen zu beantworten, weil sie mich zwingen, etwas zu systematisieren, das dafür nicht geschaffen ist, weil es aus dem Bereich des Traumes und der inneren Eingebungen stammt, oder, um ein großes Wort zu heranzuziehen: aus dem Bereich der Seele. Ich bin überzeugt, daß man als menschliches Wesen durch seine Seele Anteil am Göttlichen hat. Meine Bücher drehen sich oft darum, aber wenn man mich darum bittet, dies näher zu erläutern, verschließe ich mich unbewußt, und ich verliere den Klarblick, beginne unscharf zu sehen.
Damit komme ich zum eigentlichen Thema dieses Blogeintrags. Die literarische Entdeckung dieses Jahres war für mich die im gleichen Jahr wie Jean Raspail geborene, aber früh verstorbene amerikanische Schriftstellerin Flannery O’Connor (1925–1964). Im “bible belt” des evangelikalen Südens der USA lebend, war sie als gläubige Katholikin ein Unikum, ein In- und Outsider zugleich. Wie sehr ihr Glaube ihre beiden Romane und etwa 30 Kurzgeschichten beeinflußte, zeigte sich der Öffentlichkeit erst mit der postumen Veröffentlichung ihrer Briefe unter dem Titel “The Habit of Being” (Die Gewohnheit des Daseins, 1979).
In ihnen begegnet man einer zähen, hand- und standfesten Persönlichkeit mit ausgeprägter Neigung zum schwarzen Humor, die eine schwere, väterlicherseits geerbte Krankheit heroisch ertrug, zeitlebens unverheiratet und kinderlos blieb und sich neben ihrer literarischen Arbeit der Pfauenzucht widmete.
Eine meiner Lieblingsanekdoten über sie handelt von einer Diskussion über die Bedeutung der Eucharistie während eines Abendessens in kleiner Runde. Als ihre eher säkular ausgerichteten Tischgenossen konzedierten, zumindest die Symbolik der Brot- und Weinwandlung zu respektieren, sagte O’Connor mit einer wegwischenden Geste:
If it’s a symbol, to Hell with it.
Wer nun in ihren Erzählungen nach Erbauung sucht, wird nicht nur enttäuscht, sondern womöglich gar abgestoßen werden, und eher das Gefühl haben, anstelle von Trost einen gewaltigen Knüppel auf den Kopf zu bekommen. Ihre short stories voller Gewalt und Grausamkeit sind zum Teil von einer schockierenden Härte, die einem Cormac McCarthy (auch er ein herausragender Vertreter des “Southern Gothic”-Subgenres) kaum nachsteht. Nach der Lektüre ihrer wohl berüchtigsten Geschichte “A Good Man Is Hard To Find” (dt. “Ein guter Mensch ist schwer zu finden”) saß ich nur mehr mit ungläubig herunterhängender Kinnlade da, halb aus meinen Stuhl gekippt.
Als O’Connor in den Fünfziger Jahren erfuhr, daß einige ihrer Geschichten nicht in eine deutsche Ausgabe aufgenommen wurden, aus Sorge, die hiesigen Sensibilitäten zu verletzen, schrieb sie amüsiert (natürlich mit dem eher negativen Deutschland-“Image” der USA im Hinterkopf):
I didn’t think I was that vicious.
O’Connors Panorama aus Wanderpredigern, Farmern, Landstreichern, Krüppeln, Tagelöhnern, Betrügern, Mördern, Huren, Schwarzen, deklassierten Weißen und anderem Südstaaten-Personal ist ungeheuer plastisch und lebensecht. Ihre Erzählungen sind dicht und konzentriert, ihr Blick auf die Menschen ist unerbittlich und scharf, ihr Humor beißend und mitunter ziemlich makaber. Sie ist empfindsam, aber nicht “empfindlich”, mitfühlend, aber nicht sentimental. Ihr entgeht keine Geste, kein Tonfall, kein Blick. Nach “idealen” Figuren wird man vergeblich suchen; allesamt entstammen sie einer Grauzone zwischen Gut und Böse, meistens aber mit einer Neigung zum Bösen.
Viele ihrer Geschichten steuern auf einen Moment zu, in dem die Figuren gewaltsam aus einer Illusion, Lebenslüge oder anderweitigen Verblendung gerissen werden, wo sie plötzlich Aug’ in Auge mit dem Wesentlichen ihres Daseins, in “Furcht und Zittern” vor Heil oder Unheil stehen. O’Connor beschrieb diese Momente als Einbruch der “Gnade”, die den Menschen aus der Bahn wirft wie den nach Damaskus reitenden Saulus vom Pferd. Ihre große Kunst besteht darin, daß sie es dem Leser überläßt, dieses Wirken der “Gnade” wahrzunehmen und zu begreifen; sie ist niemals didaktisch, moralisierend oder “predigend”.
Vor Jahren stolperte ich über eine Formulierung des anglikanischen Konvertiten T. S. Eliot (auch er ein Südstaatler), der den Katholizismus eine “Philosophie der Desillusionierung” nannte. Ich weiß, daß ich mich hier womöglich allzuweit in den Bereich des Ungefähren begebe, aber diese spezifische Art der Sensibiliät glaube ich bei gewissen katholischen oder katholisch geprägten Künstlern wiederzufinden, so sehr sich auch von einander unterscheiden mögen: bei Georges Bernanos und Robert Bresson, bei Luis Buñuel und Ulrich Seidl.
Es handelt sich vereinfacht gesagt um die Einsicht in die Unvollkommenheit, Tragik, Gebrochenheit, Verwirrung und Blindheit der menschlichen Existenz, religiös gesprochen um ihr Leiden unter der “Erbsünde”, wenn man so will, um ein “pessimistisches”, mindestens skeptisches Menschen- und Weltbild, das dem Inkommensurablen, Unerklärlichen und Unerkennbaren weiten Raum läßt, und das, wenn es ins rechte Lot gebracht wird, die Grundlage für ein reifes, abgeklärtes Christentum bilden kann, wie es einem auch im Werk von Nicolás Gómez Dávila exemplarisch begegnet.
Ein Christentum, das unsentimental und rauh, ja auf den ersten Blick zynisch wirken kann, dessen inhärente Güte aber auf den zweiten Blick umso inniger erstrahlt. Obwohl das Urteil über die Welt und die Menschen streng und unbestechlich bleibt, zeichnet diese Art von Christen eine gewisse Gelassenheit und Ausdauer aus, ja ein Amüsement über eine Welt, die als vergänglich und sub specie aeternitatis nebensächlich erkannt wird. Ich sehe hierin eine ganz grundsätzliche “konservative” Haltung, die es dem Menschen erlaubt, die Wirklichkeit zu sehen, wie sie ist, ohne zu verzweifeln. Sie macht auch immun gegenüber Utopien aller Art.
Auch Flannery O’Connor gehörte zu dieser Sorte von “desillusionierten” Katholiken. Im folgenden also einige – wie ich meine: faszinierende – Betrachtungen O’Connors über Glauben und Kunst und das Schicksal, ein unzeitgemäßer Beobachter einer Welt zu sein, die im Sumpf ihrer eigenen Verdorbenheit zugrundegeht, ohne es bemerken.
Flannery O’Connor: Über Glaube, Gnade und Literatur
Der christliche Glaube schärft das Auge für das Groteske, das Perverse, das Unakzeptable
In den größten Werken der Literatur verbindet sich das moralische Empfinden des Autors mit seinem Sinn für das Dramatische. Das kann nur gelingen, wenn sein moralisches Urteil zum entscheidenden Bestandteil seiner Wahrnehmung wird, und er sich seiner frei bedienen kann. Manche behaupten, daß der Glaube an das christliche Dogma ein Hindernis für den Schriftsteller sei, aber soweit es mich betrifft, könnte nichts weniger wahr sein. In Wirklichkeit erlaubt der Glaube dem Geschichtenerzähler, genau hinzusehen. Er ist kein Regelwerk, das ihm vorschreibt, was er in der Welt sehen soll. Wenn er sein Werk beeinflußt, dann vor allem insofern, als er stets seinen Respekt vor dem Geheimnis bewahrt…
Mein Eindruck ist, daß Schriftsteller, die die Dinge im Lichte des christlichen Glaubens sehen, heutzutage das schärfste Auge für das Groteske, das Perverse und das Unakzeptable haben. Zuweilen mögen diese Autoren von einem unbewußten Manichäismus infiziert sein und unter der vieldiskuierten Unterscheidung zwischen Vernunft und Glauben leiden, aber ich denke, daß der Hauptgrund ihrer erhöhten Aufmerksamkeit für das Perverse eher die Diskrepanz zwischen ihrem Glauben und dem Glauben ihres Publikums ist. Die Frage nach dem Seelenheil ist irrelevant, wenn es für das Leben, das wir führen, keinen Grund gibt – und in den letzten Jahrhunderten war der säkulare Glaube vorherrschend, daß einen solchen Grund nicht gibt.
Der Romancier mit christlichem Hintergrund wird im modernen Leben viele Dinge finden, die ihn abstoßen, und sein Problem besteht darin, das Abstoßende einem Publikum zu vermitteln, das diese Dinge für natürlich und normal hält. Dabei muß er mitunter zu äußerst drastischen Mitteln greifen, um seine Sicht gegen allen Widerstand durchzusetzen.
Wenn man davon ausgehen kann, daß das Publikum die gleichen Ansichten hat wie man selbst, dann kann man sich ein wenig entspannen und in einem konventionelleren Tonfall sprechen. Wenn das aber nicht so ist, dann muß man seine Sicht der Dinge mithilfe eines Schocks verdeutlichen – man muß schreien für die Schwerhörigen und große und aufrüttelnde Bilder für die beinah Blinden zeichnen.
Der Hl. Kyrill vom Jerusalem schrieb: “Der Drache sitzt am Straßenrand und beobachtet die Vorübergehenden. Paßt auf, daß er euch nicht verschlingt. Wir sind unterwegs zum Vater der Seelen, aber wir müssen an dem Drachen vorbeigehen”. Egal,welche Form dieser Drache annimmt: jede Geschichte, die in die Tiefe geht, wird von diesem geheimnisvollen Weg an ihm vorbei oder in seinen Rachen erzählen. Daher erfordert es erheblichen Mut, in jedem Land und zu jeder Zeit, die Ohren nicht vor dem Geschichtenerzähler zu verschließen.
Zwei Teufel
Es gibt einen Unterschied zwischen unseren beiden Teufeln. Mein Teufel hat einen Namen, eine Geschichte und einen genauen Plan. Sein Name ist Luzifer, und sein Ziel ist die Zerstörung des göttlichen Planes. Mir scheint, daß Ihr Teufel Gott ebenbürtig und nicht sein Geschöpf ist, daß der Stolz ihm Tugend und nicht Sünde bedeutet; und daß sein Ziel nicht die Zerstörung des göttlichen Planes ist, weil es diesen seiner Meinung nach gar nicht gibt. Mein Teufel ist objektiv, Ihrer ist subjektiv. Sie behaupten, daß man “böse” genannt wird, wenn man die Herde verläßt. Ich sage, daß das ganz und gar davon abhängt, was die Herde tut.
Wenn die Herde im Recht ist, tut derjenige, der sie verläßt, Böses. Wenn die Herde im Unrecht ist, dann tut derjenige, der sie verläßt, das Richtige. Wenn ich recht verstehe, dann haben Sie das Wort “böse” in Anführungsstriche gesetzt, weil sie glauben, daß es ein relativer Begriff ist. Das bedeutet aber, daß Sie mit den Augen der Herde urteilen.
Der Süden gegen den Liberalismus
Die Vorstellung, man könne den Menschen vervollkommnen, geht auf die Aufklärung des 18. Jahrhunderts zurück. Genau diesem Gedanken hat sich der Süden (der USA) immer entgegengestellt. “Wie tief wir gefallen sind” meint den Fall Adams, den Verlust der Unschuld, der heiligenden Gnade. Im Süden glaubt man immer noch, daß der Mensch ein gefallenes Geschöpf ist und nur Gottes Gnade ihn vervollkommnen kann, nicht aber seine eigene, alleinige Anstrengung. Der Liberale glaubt, daß der Mensch niemals gefallen, niemals schuldig geworden ist, und daß er sich selbst aus eigener Kraft vervollkommnen kann. Darum ist das Böse nur eine Frage eines besseren Wohnungs- und Gesundheitswesens, der Hygiene usw. Es gibt keine Geheimnisse mehr. Der Mensch kann nicht verurteilt werden, weil er ja keine Verantwortung trägt. Natürlich gibt es hier verschiedene Grade, mit denen diese Auffassung vertreten wird, aber im Kern ist das die Marschrichtung der Modernen…
Die Erfassung der Wirklichkeit
Der Hl. Augustinus schrieb, daß Gott die Dinge auf zweifache Weise in die Welt gelangen läßt: geistig in das Bewußtsein der Engel und physisch in die materielle Welt. Wer daran glaubt – wie es in der westlichen Welt noch vor ein paar Jahrhunderten üblich war -, glaubt auch, daß die physische, sinnliche Welt gut ist, weil sie aus einer göttlichen Quelle stammt. Der Künstler weiß das instinktiv; seine Sinne, die auf das Konkrete gerichtet sind, sagen es ihm. Wenn Joseph Conrad sagt, daß es sein Ziel als Künstler sei, dem sichtbaren Universum die größtmögliche Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, dann spricht er mit dem tiefsten Instinkt des Romanschriftstellers. Der Künstler durchdringt die konkrete Welt, um in ihrer Tiefe das Bild ihrer Quelle zu finden, das Bild der ultimativen Wirklichkeit. Das vernebelt keineswegs seinen Blick für das Böse, sondern schärft ihn vielmehr, denn nur dann, wenn man die natürliche Welt als gut erkennt, wird das Böse als zerstörerische Macht und als notwendige Folge unserer Freiheit erkennbar.
In den letzten Jahrhunderten haben wir in einer Welt gelebt, die zunehmend davon überzeugt war, daß die Erfassung der Wirklichkeit nahe an ihrer Oberfläche ihr Ende findet, daß es keine letztgültige göttliche Quelle gibt, daß die Dinge der Welt nicht in zwiefacher Weise von Gott oder sonstwoher stammen. Seit etwa zwei Jahrhunderten hat sich jede Generation mehr und mehr der Ansicht genähert, daß die menschliche Vernunft die Geheimnisse des Lebens erklären kann. Viele moderne Schriftsteller haben sich eher für subjektive Bewußtseinsprozesse als für die objektive Welt außerhalb ihres Geistes interessiert. In der Belletristik des 20. Jahrhunderts kollidiert zunehmends eine sinnlose, absurde Welt mit dem geheiligten Bewußtsein eines Autors oder einer seiner Figuren; die Autoren oder ihre Figuren sind selten daran interessiert, eine Welt zu ergründen, in der sich das Heilige spiegelt.
Die maximale Ernsthaftigkeit ist die Bedingung für die maximale Komik
Jedes Drama basiert auf der Erbsünde, egal ob der Autor in theologischen Begriffen denkt oder nicht. Jede Figur in einem ernstzunehmenden Roman hat eine Bedeutung, die über sie hinausweist. Der Romanschriftsteller schreibt nicht über Menschen in einem Vakuum; er schreibt über Menschen, die in einer Welt leben, in der offensichtlich etwas fehlt, die uns das allgemeine Geheimnis der Unvollkommenheit wie auch die besondere Tragödie unserer Zeit aufzeigt. Der Romanschriftsteller versucht, uns in Form eines Buches eine totale Erfahrung der menschlichen Natur zu vermitteln, wie sie zu allen Zeiten gültig ist.
Aus diesem Grund drehen sich die größten Dramen natürlicherweise um das Heil oder um den Verlust der Seele. Wo es keinen Glauben an die Seele gibt, dort gibt es auch nur wenig Drama. Der christliche Romancier unterscheidet sich von seinen heidnischen Kollegen dadurch, daß er an die Wirklichkeit der Sünde glaubt. Gemäß der Überlieferung, der er anhängt, hält er sie nicht für eine Krankheit oder ein Zufallsprodukt der Umstände, sondern für eine bewußte Entscheidung gegen Gott, die seine Zukunft in der Ewigkeit beeinflußt. Man nimmt das Heil der Seele entweder ernst oder nicht.
Man sollte auch begreifen, wie sehr die maximale Ernsthaftigkeit Bedingung für die maximale Komik ist. Nur dann, wenn wir fest in unseren Überzeugungen verwurzelt sind, können wir auch die komische Seite des Universums sehen. Ein Grund für die Humorlosigkeit unserer zeitgenössischen Belletristik liegt darin, daß ihre Autoren Relativisten sind, und daher ständig die Taten ihrer Figuren entlang einer ständig wechselnden Werteskala rechtfertigen müssen.
Große religiöse Belletristik
Ich glaube nicht, daß es große religiöse Belletristik geben kann, ehe wir nicht wieder zu der glücklichen Symbiose eines gläubigen Künstlers mit einer gläubigen Gesellschaft zurückfinden. Bis dahin bleibt dem Romanschriftsteller nichts anderes übrig, als mit der Welt zu ringen, so gut er kann. Am Ende wird er zwar nicht das Bild im Herzen der Dinge dargestellt haben, aber unseren gebrochenen Zustand, und dadurch das Gesicht des Teufels, der von uns Besitz ergriffen hat. Das ist zwar eine vergleichsweise bescheidene Leistung, aber vielleicht eine notwendige.
Wäre ich nicht Katholikin
Wäre ich nicht Katholikin, ich hätte keinen Grund zu schreiben, keinen Grund, zu sehen, keinen Grund, entsetzt zu sein, ja nicht einmal, mich an etwas zu erfreuen.
Gnade
Aus katholischer Sicht kann sich die Gnade des Unvollkommenen, rein Menschlichen und sogar Heuchlerischen bedienen, um zu wirken. Sich von der Gnade abzuschneiden, setzt eine entschiedene Wahl voraus, einen Akt des Willens, der die Seele in ihrem tiefsten Grund berührt… Die Gleichsetzung der Gnade mit Heilung unterschlägt die Tatsache, daß sie verwundet, bevor sie heilt, mit jenem Schwert, das Christus zu bringen ankündigte.
Warum ich soviel Gewalt verwende
Unser Zeitalter hat ein schwaches Auge für die feinen, kaum wahrnehmbaren Wirkungen der Gnade, es hat keinen Sinn mehr für die Natur der Gewaltsamkeiten, die ihnen vorausgehen und ihnen folgen. Baudelaire sagte, daß der größte Trick des Teufels darin besteht, uns glauben zu machen, daß es ihn nicht gibt.
Es gibt je nach Autor gewiß unterschiedliche Gründe für das Ausmaß der Darstellung von Gewalt in der modernen Belletristik, aber soweit es meine eigenen Erzählungen betrifft, so schien mir die Gewalt immer als ein Mittel, das auf eigentümliche Weise imstande ist, meine Charaktere in die Wirklichkeit zurückzuholen und sie für die Gnade empfänglich zu machen. Ihre Köpfe sind derart verhärtet, daß nichts anderes mehr fruchtet. Die Vorstellung, daß unsere Rückkehr in die Wirklichkeit einen hohen Preis erfordert, wird von dem gewöhnlichen Leser kaum begriffen, aber sie gründet in der christlichen Sicht auf die Welt.
Die Welt der modernen Belletristik
Kennzeichnend für die Welt, die in der modernen Belletristik dargestellt wird, ist die fast völlige Verneinung der Realität eines Glaubens an Christus… Die schöne Literatur mag implizit den Glauben behandeln, aber explizit handelt sie nur vom Glauben einer oder mehrerer Personen. Was eindeutig zum Ausdruck kommen muß, ist die implizite Haltung des Autors, und daher ist es die Aufgabe des (christlichen) Schriftstellers, die Göttlichkeit Christi mit der Struktur der Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Das muß implizit spürbar sein, trotz einer Welt, die das nicht fühlt, trotz der Charaktere, die dies nicht erkennen können.
Martin
Wenn man sich die Preise für die wenigen deutschen Ausgaben der Autorin anschaut, die es auch nur noch antiquarisch zu geben scheint, dann sieht man schnell, dass sie wohl nach wie vor gefragt ist, denn die Preise sind hoch ...
Trost für alle, die des Englischen mächtig genug sind, auch einmal einen englischsprachigen Roman lesen zu können ist, dass die englischen Ausgaben leichter und preiswerter erhältlich sind (OMG - Amazon!). Ich werde die Autorin auf meine Lektüreliste setzen und bedanke mich sehr für die Vorstellung dieser Autorin hier, die mir bislang unbekannt war. Mein Interesse ist geweckt und ich werde mir einen Band mit Erzählungen organisieren.