zum Münchener Oktoberfestattentat von 1980. Ulrich Chaussy, seinerzeit Journalist des Bayrischen Rundfunks, schrieb am Drehbuch mit und ist gleichzeitig die Hauptfigur des Films, darin gespielt von Benno Fürmann. Eine Wiederholung soll es am 23. Oktober zur Mittagszeit geben – ein Einblick lohnt sich in jedem Fall, allerdings nur mit entsprechendem Hintergrundwissen.
Ansonsten kommt der Film, rein dramaturgisch-sachlich betrachtet, an seiner brisanten Materie gemessen erstaunlich bieder daher. Das mag seinen Grund in der Persönlichkeit des realen Chaussy haben: Wohl nicht von ungefähr wird das Ganze eingeleitet durch die brachial inszenierte Stürmung von dessen ursprünglicher WG durch ein polizeiliches Sondereinsatzkommando, da angesichts der zeitgenössischen Bedrohung durch die RAF im Wohnkomplex gehorteter Sprengstoff vermutet wird. Ein zynisches Wesen vorausgesetzt, könnte man meinen, der sich an diesen Vorspann anschließende eigentliche Film sei eine sehr verspätete Form des Nachtarockens gegen die Sicherheitsorgane des Freistaats Bayern, die den sakrosankten Journalisten Chaussy vor langer Zeit mal etwas zu hart anfaßten – ein jeder mag sich seinen Teil dazu denken.
Fürmann-Chaussy jedenfalls fühlt sich durch den Zugriff bemüßigt, nun endlich mit seiner Freundin zusammenzuziehen. Ihr neues Domizil liegt unweit der Münchener Theresienwiese, und eines lauen Abends anno 1980, das alljährliche Oktoberfest ist in vollem Gange, vernimmt man dort unverhofft einen lauten Knall. Die Bombe ist detoniert, 13 Menschen sind tot, Chaussy nimmt erste Fährten jenseits der offiziösen Darstellung der Tat eines sozialethisch devianten Einzelgängers auf, die ihn in direkte Konfrontation mit den Behörden vom bayerischen Verfassungsschutz bis hin zur Generalbundesanwaltschaft führen.
Beim VS seinerseits hat derweil der durch eine kurze Exposition eingeführte Dr. Hans Langemann, ein Fachmann für politische Attentate, das Ruder übernommen; an ihm wird es sein, stets begleitet von seinem schattenhaften Nebenmann (den August Zirner übrigens beeindruckend sphingisch zu spielen vermag), die Medien zugunsten einer Schadensverhütung zur Unterfütterung der Einzeltäterthese zu instrumentalisieren. Und wie bereitwillig insbesondere die Boulevardpresse mit allem und jedem ins Bett steigt, um der Konkurrenz gegenüber einen scoop herausschlagen zu können, wird vielleicht unabsichtlich offen herausgestellt.
Letzten Endes jedoch, schauspielerische Leistungen einmal beiseitegelassen, stellt „Der blinde Fleck“ eine ziemlich platte (Selbst)Glorifizierung des ewig unverstandenen Ulrich Chaussy dar. Es spricht schon Bände, daß von allen mir vorliegenden Besprechungen des Films als scheinbar einziges Medium ausgerechnet die finanzielle wie geistige Krüppelgazette Frankfurter Rundschau diesen Umstand thematisiert hat; allerdings nur in einem kleinen Teil ihres ansonsten absolut vorhersehbaren, linksridikülen (mit Dank an Thomas Paulwitz für die Erinnerung an diesen schönen Neologismus) „Überall Nazis!“-Artikels.
Chaussy ist Journalist, wenngleich beim Staatsfunk, demgemäß allein der Wahrheit verpflichtet und der einsame Ritter auf weißem Roß gegen den übermächtigen Staatsapparat, der das traurig-trübe Stimmvieh über die tatsächlichen Umstände des Bombenanschlags im Dunkeln läßt und gar Spuren verwischt, die eine engere Anbindung des präsentierten Einzeltäters Gundolf Köhler zu rechtsextremen Kreisen – konkret: der Wehrsportgruppe (WSG) Hoffmann – zu belegen vermocht hätten. Und, man hätte es eigentlich(!) kaum anders erwartet: Natürlich wird am Schluß eine direkte Analogie zum mutmaßlichen „Nationalsozialistischen Untergrund“ gezogen, um dem beeindruckten Zuschauer noch einmal mit dem Hammer einzugeben, daß der Schoß noch fruchtbar ist und bla, bla, bla.
Wenn man nun aber die Perspektive des FR-Lohnschreiberlings aufzugeben in der Lage ist, stellt sich die Gesamtlage doch ein wenig anders dar. Zwar läßt „Der blinde Fleck“ einen dann erst recht staunend zurück, doch aus völlig anderen Gründen, die weder der echte Chaussy, noch Regisseur Daniel Harrich so intendiert haben dürften. Regelmäßigen Lesern der Sezession im Netz dürfte schon klar sein, worum es geht; immerhin haben sich unter dem Eindruck der… nennen wir es mal „Entdeckung“… des NSU in den vergangenen Jahren bereits Karlheinz Weißmann, Götz Kubitschek und Martin Lichtmesz (gleich zweimal) zumindest ansatzweise mit der grundlegenden Problemstellung beschäftigt.
Springen wir kurz zurück ins Jahr 1990. Damals wandte sich Italiens Ministerpräsident Andreotti unter erheblichem innenpolitischen Druck unverhofft vom Prinzip der Verschwiegenheit ab und enthüllte die Existenz der europaweiten Stay-behind-Netzwerke der NATO, die als potentielle Partisanenkräfte für die Zeit nach einem sowjetischen Überfall geplant, aber letztlich in ein Instrument des Staatsterrorismus umorganisiert worden waren.
Diese Offenheit sorgte für nicht unerhebliche politische Unruhe, und allerspätestens mit der sehr sehenswerten BBC-Dokumentation zu diesem Thema von 1992 wurde der Blickwinkel von Italien – besonders hinsichtlich des entsetzlichen Sprengstoffanschlags auf den Bahnhof von Bologna, ebenfalls 1980 (Nachtigall, ick…) – auch auf Belgien und die dort wohl im Zuge der „Strategie der Spannung“ wütende „Killerbande von Brabant“ ausgeweitet.
Während die italienischen Anschläge unter Instrumentalisierung bestehender rechtsextremistischer bzw. neofaschistischer Gruppen (wie die BBC-Doku hinsichtlich Aldo Moro insinuiert, auch unter falscher Flagge) erfolgten, ging es in Belgien vorrangig darum, möglichst sinnlos zu töten und so ein Maximum an Horror zu verbreiten. In welches dieser Raster würde nun das Oktoberfestattentat passen, dem ja unterschiedslos Menschen zum Opfer fielen, die sprichwörtlich „zur falschen Zeit am falschen Ort“ waren?
Von Gundolf Köhler ist bekannt, daß er zeitweise Teilnehmer an Veranstaltungen der WSG Hoffmann wie auch des „Hochschulrings Tübinger Studenten“ (eine Art akademischer Arm der Wehrsportgruppe) war. Nun war Hoffmanns paramilitärische Gruppe mitnichten eine deutsche Version des Ordine Nuovo und durchaus kein ideales Vehikel für die lichtscheuen Geheimdienstverantwortlichen; bereits in den Jahrzehnten vor dem Oktoberfestattentat war etlichen mutmaßlichen Stay-behind-Tarnorganisationen aufgrund ihrer zu hohen Öffentlichkeitspräsenz die finanzielle und materielle Unterstützung durch das zuständige NATO-Parallelnetzwerk wieder entzogen worden (prominentestes Beispiel dürfte der Fall des schon Anfang der 1950er Jahre verbotenen „Bundes Deutscher Jugend“ (BDJ) gewesen sein, der sogar mit leichter Artillerie ausgerüstet worden war). Ebenso ist Karl-Heinz Hoffmann kein Vincenzo Vinciguerra und hat eine Verwicklung der zum Zeitpunkt des Attentats bereits verbotenen WSG in Köhlers Aktivitäten stets verneint.
Nichtsdestoweniger ist hinsichtlich des arte-Films, der wohlgemerkt laut der Deutschen Film- und Medienbewertung „besonders wertvoll“ sein soll, gerade das ohrenbetäubend laute Schweigen über all diese, teilweise seit fast einem Vierteljahrhundert offenliegenden Fakten bemerkenswert. Gerade bei Details wie der dankenswerten Thematisierung der Person Heinz Lembkes – die dann für albernes Runengeraune und Rassengerassel à la “Es ist WOLFSZEIT!” wieder fallengelassen wird.
Der lebende Ulrich Chaussy ist klarer Verfechter seiner persönlichen Linie, die auch den Film absolut bestimmt: Der Verfassungsschutz (daß im Film ständig Verfassungs- und Staatsschutz durcheinandergeworfen werden, lernt man auszublenden) hat sich mit Naziterroristen eingelassen und versucht bei Eskalation, sich aus der Affäre zu ziehen; dies durchaus auch durch das Verstummenlassen von aussagewilligen Zeugen, wenn nötig. Der Film zeigt bzw. sagt solcherlei mit faszinierender Offenheit, wiewohl es nie zuendegedacht wird. Ich kann wirklich nur empfehlen, entsprechende Lektüren und vor allem den BBC-Bericht mit den O‑Tönen Vinciguerras auf sich wirken zu lassen – man wird Chaussys Selbstapotheose mit anderen Augen sehen. Insbesondere unter Berücksichtigung der Aussagen des Sohnes des mutmaßlichen Stay-behind-BND-Führungsoffiziers in der BRD, die im letzten Jahr getätigt wurden, in der Bundesrepublik bezeichnenderweise lediglich dem Neuen Deutschland und der taz Berichterstattung wert waren und dem Nachgeborenen quasi postwendend das Etikett „psychisch krank“ eintrugen; derlei dürfte einigen noch aus der DDR bekannt sein.
So wundert es denn auch wenig, daß gerade Jürgen Elsässer (dessen Compact gleich als erstes Sonderheft einen Brückenschlag von geheimdienstlichen False-flag-Operationen nach dem o.g. Muster hin zum NSU vollzog) die Gelegenheit dieses Films nutzte, um seinerseits die Darstellungen des Films mit tatsächlichen Zeitzeugen abzugleichen. Derlei wird man trotz aller Bedeutung gegenüber sonstigem in aller Breite erörterten Schwachsinn in öffentlich-rechtlichen Medien ganz sicher nicht zu sehen bekommen, oder könnte sich irgendjemand Karl-Heinz Hoffmann bei Maybrit Illner vorstellen?
In den üblichen, öffentlich-rechtlichen Konserven-“Dokumentationen” wird bis heute beispielhaft auf die italienischen anni di piombo wie auch auf den “Vlaamse Militanten Orde” abgehoben, ohne die in diesen Fällen belegten Stay-behind-Verstrickungen mit einem einzigen Wort einzugehen. Verschwörungstheorien hin, Paranoia her: Daß in der politischen Sphäre gerade Europas nichts ist, wie es scheint, dürfte ein zumindest unbewußt allfälliges Gefühl sein. Und hinsichtlich des schier endlosen NSU-Prozesses erscheint doch deutlich interessanter, was alles nicht zur Sprache kommt. Susan Sontag hat angesichts der propagandistischen Praxis der USA hinsichtlich des zweiten Golfkriegs einmal von der „routinemäßigen Emotionalisierung“ durch die Medien gesprochen; „Der blinde Fleck“ stellt durch seine eigene Verknüpfung von Oktoberfestattentat und NSU unabsichtlich die Frage danach, wie es mit diesen abgezirkelten und zentral gesteuerten Mechanismen hierzulande aussehen mag.
Noch einmal also vermutlich Sontag (soweit mir bekannt; leider habe ich dieses übersetzte Zitat aus einem Interview, mir bekannt durch ein Lied von “Unternehmen Dreizack”, nirgends belegt gefunden): „Wenn die Regierung tatsächlich gelogen hat – wen würde dies überraschen?“
t.gygax
Der Hochschulring Tübinger Studenten (HTS ) als "akademischer Arm " der Wehrsportgruppe Hofmann? Na, das ist eine sehr eigenwillige Interpretation...ich habe in der Tübinger Mensa Mitte der 70er Jahre immer wieder die Flugblätter des HTS bekommen, der zeitweise im Studentenparlament recht gut vertreten war, und damals als "rechts stehende konservative "Kraft ziemlich etabliert war.