Montagsspaziergang durch Dresden gemacht – ich denke, daß es rund 4000 Teilnehmer waren, die sich diesem Bummel anschlossen. Ich bin hingefahren, um mir die PEGIDA als ein Beispiel für die aus dem Nichts entstehenden Protestbewegungen und Bürgerinitiativen anzusehen – der eigene Eindruck ist wichtiger als das Auswiegen von Presseberichten auf der einen und Verlautbarungen der Veranstalter auf der anderen Seite. Was also war los, gestern, in Dresden?
Man sammelte sich – mobilisiert über facebook und mittlerweile sicherlich auch über Mund-zu-Mund-Propaganda – am Rande des Alten Marktes im Zentrum Dresdens. Die Polizei hatte eine Gegendemonstration abgedrängt. Weder die Auftaktkundgebung der PEGIDA, noch der Gang und der Abschluß wurden gestört.
Die Atmosphäre war friedlich, unaufgeregt und gemütlich, ein paar Deutschlandfahnen waren dabei, ein paar Transparente, auf denen der Radikalismus und Fanatismus jeder Coleur abgelehnt wurde. Es gab keine Trillerpfeifen, keine Sprechchöre, keine Anspannung, keine Wagenburgmentalität aufgrund einer Bedrohungslage, und wegen dieser geradezu ausdifferenzierten Harmlosigkeit verwundert es doch, daß der Protestzug zur guten Hälfte aus Männern unter 40 bestand.
Der Redner Renè Jahn, ein schlanker, großer Herr mit einem protestantischen Gesicht, verkörperte den Geist und die Haltung des Abends: Im unnachahmlichen Dresdener Sächsisch berichtete er davon, daß er das Vertrauen in die Polizei behalten, jenes in die Politik und die Medien indes verloren habe, denen er Verleumdungs- und Kriminalisierungsversuche vorwarf. Wer die PEGIDA mit Nazis vergleiche, habe keine Augen im Kopf und könne anscheinend weder lesen noch nachfragen. Man bitte daher die Teilnehmer des fünften Spaziergangs erneut darum, sich nicht provozieren zu lassen, gewaltfrei zu bummeln, keine unerwünschten Transparente und Fahnen zu zeigen, keine Pressefragen zu beantworten und – vor allem – auf Provokateure in den eigenen Reihen zu achten: “Jeder von uns ist heute ein Ordner, jeder muß seine Nachbarn im Blick behalten.”
Das klappte ganz und gar, und die Punkte, die der Redner zum Auftakt noch verlas, wirkten in jeder Hinsicht dämpfend: Man forderte Einwanderungsbestimmung nach dem Vorbild Kanadas, Australiens, der Schweiz und Südafrikas; man forderte stärkere Grenzkontrollen, härtere Maßnahmen gegen straffällige Zuwanderer, die Abschiebung religiös radikalisierter Moslems und eine Besinnung auf das jüdisch-christliche Erbe des Abendlandes. Man wolle das eigene Land wieder lieben.
Die Reaktion auf dem Platz varriierte je nach Aussage zwischen anständigem Klatschen und kräftigerem Applaus, letzterer brandete auf, wenn ein paar härtere Worte fielen und eine Forderung auf den Punkt gebracht wurde. Das Bemühen der Veranstalter, die Friedlichkeit, Dialogbereitschaft, Normalität, Bürgerlichkeit und Offenheit des Protests herauszustreichen, war jedoch stets offensichtlich – und ist wohl die richtige Strategie.
Ich bin mir sicher, daß am kommenden Montag mindestens 5000 Leute mitgehen werden, und bei allem Verständnis für die Positionierung der PEGIDA: Der Ton darf ruhig einen Zacken schärfer werden, das geht auch unter Bürgern. Gehen die Leute im Ernst auf die Sraße, um gegen Salafisten oder ein syrisch-irakisches Kalifat zu demonstrieren? Trifft es zu, daß 4000 Leute die Toleranz verteidigen und zu diesem Zweck dem Land den intoleranten Radikalismus abfeilen wollen?
Einer trug ein selbstgemaltes, kleines Schild, auf dem stand: “Die Toleranz ist die letzte Tugend einer sterbenden Gesellschaft.” Ich habe den Träger dieser These später nicht mehr gefunden, schade, er war interessant und wenigstens ein bißchen schonungslos.
Und so paßt auch das Abschlußbild auf dem Postplatz zum gesamten Auftritt des Bündnisses: Auf Wunsch des Redners schalteten die Teilnehmer ihre Handy-Lichter an und reckten sie über ihre Köpfe: Flämmchen der Hoffnung auf Wahrnehmung eines sanften Drucks, des Drucks der Toleranz gegen die Intoleranz. Es brandete dabei der Ruf “Wir sind das Volk” in einer Welle über den Platz, aber eben nur in einer Welle. Ich wiederhole mich, wenn ich notiere, daß dies (auf parteipolitischem Feld vergleichbar mit der AfD) vielleicht das derzeit einzig machbare in unserem Land ist. Und natürlich gibt es eines: die Macht der großen Zahl, wenn da demnächst 20 000 Leute mitspazieren.
Apropos AfD: Hier noch die Dresdener Resolution des “breiten Bündnisses” gegen die PEGIDA. Man beachte die Unterzeichner, vor allem den allerletzten. Wenns also nicht einmal dazu reicht, verhaltene Bürger aus dem eigenen Vorfeld gegen “breite Bündnisse” zu unterstützen, wozu solls dann noch gut sein, daß man im Parlament sitzt?
„Die Frage, wie wir mit Menschen in Not umgehen, ist die Nagelprobe für uns alle“
(Erklärung von Fraktionsvorsitzenden des Dresdner Stadtrates und der Oberbürgermeisterin)
Im Herbst 1989 gingen tausende von Dresdnerinnen und Dresdnern auf die Straße und riefen: “Wir sind das Volk!”. Dieser Ruf steht seit her als Symbol für Demokratie. Demokratie bedeutet für uns mehr als Volksherrschaft. Demokratie beruht auf der universellen
Anerkennung der Menschwürde als Grundlage allen staatlichen Handelns.
25 Jahre nach den Ereignissen im Herbst ́89 wird von einigen versucht, den Ruf “Wir sind das Volk!” auf unseren Straßen umzudeuten. Dresden ist eine weltoffene Stadt. Dresden ist eine weltweit anerkannte Kulturmetropole. Dass das so ist, haben wir denjenigen zu verdanken, die uns 1989 einen Neuanfang und die heutige Lebensqualität erst ermöglicht haben. Dieser Neuanfang hat aber auch sehr viel damit zu tun, dass Menschen aus allen Himmelsrichtungen in unsere Stadt gekommen sind und Deutschland und die Welt uns unterstützten.Wer das nicht glaubt, sollte sich zwei Fragen stellen: Wo ständen wir heute in Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft? Was wäre aus der Frauenkirche geworden? Der Ruf „Wir sind das Volk!“ steht für Freiheit, Demokratie und Menschenwürde. Es ist deshalb selbstverständlich, dass wir vor dem Hintergrund dieses Vermächtnisses solidarisch sind.
Solidarisch mit denen, deren Leben in ihrer Heimat gefährdet ist.
Solidarisch mit denen, die bei uns Schutz suchen. Solidarisch mit denen, die keinen anderen Weg mehr sehen, als ihre Heimat zu verlassen. Die Frage, wie wir mit Menschen in Not umgehen, ist die Nagelprobe für uns alle. Wir wissen, dass das keine einfache Frage ist. Wir nehmen die Sorgen und Anregungen der Dresdnerinnen und Dresdner sehr ernst und kümmern uns darum. Keine Antwort ist: Menschen zu bedrohen, die hier Schutz suchen. Keine Antwort ist: Menschen zu beschimpfen, die sich um Hilfesuchende kümmern.
Unsere Antwort ist: Wir stellen uns gemeinsam diesen Aufgaben, helfen Sie uns hierbei. Heißen Sie Menschen in Not willkommen.Erstunterzeichner:
Helma Orosz, Oberbürgermeisterin
Jan Donhauser, Fraktionsvorsitzender, CDU-Fraktion
André Schollbach, Fraktionsvorsitzender, Fraktion Die Linke
Christiane Filius-Jehne, Fraktionsvorsitzende, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Thomas Löser, Fraktionsvositzender, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Dr. Peter Lames, Fraktionsvorsitzender, SPD-Fraktion
Bernd Lommel, Fraktionsvorsitzender, AfD-Fraktion
Arkanthus
Jetzt laßt doch erstmal den Nährboden für Künftiges entstehen. Für eine Revolution á la ´89 geht es uns immer noch zu gut. Ein Initialereignis wie Terror, ein besonders perfider Mord aus dem Asyl-Milieu o.ä. hat noch nicht stattgefunden. Diese Pegida- und Hogesa-Leute drücken sich eben erstmal in der Sprache des Zeitgeists aus. Dass sie schon in der Ruhe vor dem Sturm zumindest rausgehen, ist für sich schon beachtlich. Damit wird Mut geschaffen.