die Wogen zu glätten, die Wehls Attacke gegen den Freibund aufgeworfen hatte: Stein stellte den kritischen Leserbriefen eine halbe Forumsseite der Jungen Freiheit (48/14) zur Verfügung und griff darüber hinaus selbst zur Feder. Wir müssen seinen vermittelnden Beitrag leider einer genauen Prüfung unterziehen:
Er beginnt mit der überraschenden Eröffnung, daß es sich bei dem Beitrag von Wehl um eine Provokation gehandelt habe, und bekanntlich seien Provokationen für den Erkenntnisfortschritt ungemein wichtig. Das mag sein, aber: Was hat das mit Wehls Beitrag zu tun? Von Erkenntnisfortschritt kann keine Rede sein, und Stein kommt auch an keiner Stelle auf die Erkenntnis zurück, zu der wir angeblich durch Wehls Beitrag fortgeschritten sind. Meinung und Erkenntnis ist nicht dasselbe (und nicht einmal das gleiche), und jemanden an den Pranger zu stellen, der gar nicht zurückschlagen kann, ist keine Provokation, sondern die Statuierung eines Exempels.
Nein, Steins Eröffnung hat einen anderen Sinn: Er will uns zu verstehen geben, daß alle, die sich kritisch über Wehls Beitrag geäußert haben, Menschen sind, die als getroffene Hunde bellen. Noch einmal: Ist es eine Provokation, wenn man den schwächsten Teil der Gemeinschaft (von Stein jetzt als „von sympathischen jungen Menschen getragener“ „kleiner Jugendbund“ umschmeichelt) öffentlich an den Pranger stellt und die Antifa zur Hilfe ruft? Früher nannte man das „Niedertracht“, nicht Provokation.
Und die Niedertracht wird zur Kapitulation wenn Stein schreibt:
Man kann diese, teilweise von einschlägigen linksradikalen Antifa-Autoren vorgetragenen Kritik nun als reine Verleumdung abtun.
Und es dann nicht tut, sondern eben dieser Kritik auf den Leim geht. Wer sinkt so tief, daß er die durchsichtige Kampagne des Gegners als Aufforderung zur Selbstkritik versteht? Stein sieht zwar das Problem, wenn er fragt:
Will ich mir ausgerechnet von sogenannten „Antifaschisten“ etwas sagen lassen, die oft mit ihrer kommunistischen, totalitären Ideologie nicht gebrochen haben, der Abermillionen Menschen zum Opfer fielen?
Aber er läßt sich von diesen Leuten ganz offenbar etwas sagen, wenn er im Folgenden die Sichtweise Wehls verallgemeinert und damit für die Junge Freiheit zementiert. Stein kommt er auf das Lied zu sprechen, das Wehl solche Sorgen bereitet: Hans Baumanns „Nur der Freiheit gehört unser Leben“. Stein zeigt sich generös:
Übrigens darf man die Kritik an diesem Lied nicht so verstehen, daß über Hans Baumann und seinen anderen Lieder („Und die Morgenfrühe, das ist unsere Zeit“, „Gute Nacht Kameraden“) der Stab gebrochen werden soll. Auch die SPD singt noch heute das 1914 von Hermann Claudius verfaßte „Wann wir schreiten Seit‘ an Seit“, auch wenn dieser nach 1933 zu einem glühenden NS-Dichter mutiert. Die Lebensläufe sind kompliziert und Lieder müssen aus ihrem Kontext verstanden werden.
Stein möchte zeigen, daß man ja durchaus in der Lage sei, zu differenzieren. Die Frage ist, wer hier differenzieren kann. Die SPD, die das Lied angeblich noch immer singt, kann das offenbar. Nur Wehl und Stein nicht. (Abgesehen davon: Daß „Nur der Freiheit gehört unser Leben“ als „Identifikationssymbol für zahlreiche rechtsextreme Organisationen der Nachkriegszeit gewählt“ worden war, ist auch noch unbewiesen. Wird aber munter weiterbehauptet. Vielleicht gilt das ja für die Jungen Nationaldemokraten, der Jugendorganisation der NPD, der Wehl früher wohl angehört hat, wie uns einer seiner Weggefährten mitteilte.)
Da Stein erkannt hat, daß der Freibund als Opfer doch etwas danebengegriffen war, ist jetzt das Umfeld schuld, „das die Problematik an diesem Lied nicht erkennen will“. Jedoch: Weder verrät er uns, wer das Umfeld ist, noch was die Problematik an diesem Lied ist. Das Entstehungsjahr und die Gesinnung des 21jährigen Autors dürften doch nicht alles sein, oder doch? Aber darum geht’s Stein gar nicht. Wie alle, die sich auf ihre Meinungsstärke etwas zugute halten, weicht er ins Allgemeine aus. Der konkrete Fall könnte doch zu verzwickt sein, um da zu einer Gut-Böse-Entscheidung zu gelangen. Also muß die Auschwitzkeule her:
Die Frage der geschichtspolitischen Verortung ist die Voraussetzung für jeden konservativen, rechten Ansatz. Und hier ist der Dreh- und Angelpunkt die Haltung zum Dritten Reich und seinem verbrecherischen Charakter.
Die einzigen, die diesen Satz sofort unterschreiben würden, sind Leute wie Joschka Fischer auf der einen und die NS-Nostalgiker auf der anderen Seite. Und mit denen will Stein sich gemein machen? Ja, und er will noch mehr. Er möchte sich ihnen anverwandeln und gibt sich ehrlich zerknirscht:
Ich habe den Eindruck, es fehlt uns oft die eigene Sprache für die geschichtliche Dimension dieser Verbrechen.
Auch mit dieser atemberaubenden Einsicht ist es nicht weit her: Die Beiträge von Hinz, Scheil oder Weißmann in der Jungen Freiheit, die sich mit diesem „Dreh- und Angelpunkt“ befaßt haben, haben eine eigene Sprache. Leider nennt Stein auch hier keine Namen. Es wäre schon interessant zu wissen, wen er meint, wenn er schreibt:
Die Hypermoral der vorherrschenden Vergangenheitsbewältigung wird doch häufig von rechts mit Zynismus und Sprachlosigkeit erwidert.
Dann folgt die Belehrung:
Gerede wer wie wir die Nation bewahren will, muß notwendigerweise eine hohe Sensibilität gegenüber ihre Geschichte haben: weil gerade, wenn nicht überhaupt nur derjenige, der einen wenigstens rudimentären Begriff von der Nation, ja, von „nationaler Ehre“ hat, Scham als Deutscher empfinden kann, wenn diese durch Mordtaten wie im Dritten Reich besudelt worden ist. Wenn also Konservative oder „Rechte“ die Nation im Munde führen, sie reklamieren und sich um ihren Bestand sorgen, müssen sie auch unweigerlich die Verantwortung für den Umgang mit ihrer Vergangenheit übernehmen.
Das ist eine banale Forderung, aber deshalb nicht falsch. Was heißt das? Stein meint, es müsse zwischen neurotischem Selbsthaß und Nazi-Geschichtsverleugnung („wie sie rechts gelegentlich tonangebend ist“) einen Dritten Weg geben.
Ganz abgesehen davon, daß diese Alternative Unsinn ist, weil das Spektrum möglicher Haltungen deutlich größer ist, meint Stein doch offenbar folgendes: Wir sollen, wenn wir die „Nation im Munde“ führen, es schuldbewußt tun. Mit anderen Worten: Stein folgt dem geschichtspolitischen Konsens in diesem Land und wir sollen es auch tun. Er kommt damit dem Mißbrauch, den seine beiden Alternativen betreiben, bedenklich nahe. Stein mißbraucht die deutsche Geschichte, um seine imaginären rechten Gegner zu stigmatisieren. Er betrachtet Geschichte moralisch und hält alle, die das nicht tun, für unmoralisch.
Letztendlich ist das Schuldstolz in Reinkultur: „Als innerer Nachvollzug äußerer Schuldzuweisungen führt es [das Schuldgefühl] einerseits zu Unterwerfung und Selbstpreisgabe, ermöglicht aber andererseits durch die Identifikation mit den Normen der Schuldzuweisung eine Wiederaufrichtung des Selbst und womöglich eine neue Überlegenheit.“ (Peter Furth)
franz spitzauer
Die Unsitte, den Eigenen/dem Eigenen in übler Partisanenmanier in den Rücken zu fallen, häuft sich offenbar im rechtsdemokratischen Spektrum. Ein AfD-Politiker, der in Dresden die Antifa-Resolution gegen die Pegida-Demos unterschreibt. Und ein JF-Chefredakteur, der in seiner Zeitung einen heimattreuen bündischen Jugendverband beschimpfen lässt. Ist es Gemeinheit? Ist es Dummheit? Ist es freiwillige Unterwerfung unter die antifaschistische Zivilreligion? In beiden Fällen ist es unverständlich und eine Fehlleistung sondergleichen. Anstatt den Eigenen/dem Eigenen den Rücken zu stärken und freizuhalten, fallen sie ihnen/ihm in den Rücken. Es ist infam!
Gruß aus Österreich