für Reemtsma (Ernte 23), Siemens und die Deutsche Grammophon tätig. Domizlaff war sich der Bedeutung des konsequent gedachten Markengedankens auch für politische Bewegungen früh bewußt. Immerhin bekannte Goebbels, er kenne Die Propagandamittel der Staatsidee von Domizlaff auswendig – was diesem vor allem in der Nachkriegszeit nicht unbedingt Sympathien einbrachte.
Domizlaff wurde aber nicht nur von der Politik vereinnahmt, er war selbst immer auch ein politischer Kopf und machte sich in den 1950er Jahren (Es geht um Deutschland oder auch Die Seele des Staates) recht eigenwillige Gedanken.
Das von ihm gegründete Hamburger Institut für Markentechnik bestand bis zu seinem Tode 1971, doch schon in den Jahren davor wirkte Domizlaff wie ein Fossil in der Welt der modernen Werbung. Wozu an ihn erinnern? Ist er als Person auch weitgehend vergessen, wirken die grundlegenden Gedanken der Markentechnik bis in die Gegenwart nach, wenngleich man heute lieber von „Brand Planning“ spricht und längst nicht mehr nur über Plakat‑, Fernseh‑, Kino- und Rundfunkwerbung nachdenkt, sondern über Web 2.0 und Web 3.0 spricht, also vor allem über Social Media und automatisch generiertes Datensammeln. Der Kerngedanke der Markentechnik – die entscheidende Bedeutung der Gewinnung des öffentlichen Vertrauens für den Erfolg einer Marke – hat an Aktualität nichts eingebüßt. Er gilt nach wie vor für Konsumentenmarken wie für politische Marken, politische Ideen.
Über Ideen sagte Domizlaff einmal, deren Herrschaft und Raubtierartigkeit seien unbestritten. Mit einer gewissen Raubtierartigkeit reagieren auch politische Ideen und Marken, wenn ihnen eine andere Idee den Herrschaftsanspruch streitig machen will. Betrachten wir den Bereich der politischen Ideen durch die Brille des Markentechnikers: Wir sehen keinerlei Idealismus, keinerlei politische Romantik, keine hehren Werte mehr, sondern nüchtern kalkulierte Markenideen, die um Marktanteile, um Akzeptanz kämpfen. Die Marken definieren ihren Markenkern, besetzen die damit verbundene Begrifflichkeit und senden ihre Kernbotschaften. Wie der Konsument eine Kaufentscheidung trifft, so trifft der Wähler seine Wahlentscheidung. Der Markt wird hier wie dort stets mit großer Wachsamkeit und einer gewissen Nervosität beobachtet. Erscheint der Marktanteil oder gar der Markenkern durch Wettbewerber bedroht (insbesondere Newcomer werden mit Argwohn betrachtet), wird man mit Mitteln der Markentechnik gegenzusteuern versuchen. Da der Newcomer meist nicht über die Finanzkraft verfügt, hier mitzuhalten, muß er zu anderen Methoden greifen: Virales Marketing, Guerillamarketing und Protest bieten sich an.
Schaut man sich politische Protestbewegungen an, die den Marktgiganten Marktanteile wegnehmen wollen, stellt sich die Frage nach ihren Erfolgsaussichten. Es sind vor allem zwei Aspekte zu betrachten: Wie steht es erstens um ihr Potential zur Gewinnung des öffentlichen Vertrauens und wie zweitens um ihre Raubtierartigkeit? Ein Schoßhündchen wird es schwer haben, sich unter Wölfen zu behaupten. Und woher soll das Vertrauen der Öffentlichkeit kommen? Natürlich kommt es auch auf den jeweiligen Markt und seinen Bedingungen an. Während in Ländern wie Weißrußland oder der Ukraine spontane oder gesteuerte Protestbewegungen starke Reaktionen des Staates hervorriefen und in Hongkong derzeit die Regenschirm-Revolution die Staatsmacht herausfordert, reagieren in den westlichen Demokratien die den Markt bestimmenden Marken zwar leicht gereizt, aber insgesamt noch zurückhaltend auf Unmutsregungen. In Deutschland stoßen etablierte linke Protestbewegungen auf Duldung oder gar Wohlwollen des Staates – markentechnisch betrachtet könnte man vermuten, daß die marktbestimmende Staatsmarke sich im Zuge einer Art Diversifikationsstrategie ein paar neue Produkte zugelegt hat (also eher „Protest“ in Anführungszeichen als echter Protest), um den Wettbewerb scheinbar spannender zu gestalten, während faktisch der Wettbewerb nur stärker gehegt wird und echte Wettbewerber vom Markt ferngehalten werden.
Wie steht es dagegen markentechnisch um die ersten Ansätze einer eher bürgerlichen, rechten Protestbewegung, die von der AfD (mehr Partei als Bewegung) über die „Dresdener Patrioten Europas gegen die Islamisierung des Abendlands“ (PEGIDA) bis hinein in die Szene der „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) reicht? Was sieht der Markentechniker, wenn er kühlen Blicks die beiden Zentralaspekte Raubtierartigkeit und Gewinnung des öffentlichen Vertrauens in Anschlag bringt? Gibt es Anzeichen einer Markenbildung? Wenn ja – sind diese Anzeichen wirklich massenkompatibel?
Im politischen Bereich gilt: ohne Masse keine Marke. Die Masse, so Domizlaff, habe ein gutes Gespür für die Geschlossenheit, für die Kompositionsharmonie einer Marke – fehlt es hieran, fehlt es an allem, die Masse wird eine als unharmonisch, als unstimmig empfundene Marke niemals zu ihrer Marke machen. Wie also sieht es aus mit den Slogans, den Symbolen, dem Gesamteindruck? Die identitäre Bewegung etwa mit dem gelben Lambda blieb als politische Marke bisher erfolglos, weil das gelieferte Material offenbar nicht zur Verführung taugte und kein Vertrauen gewann. Es ist unrund, unharmonisch, wobei außer Frage steht, daß man es dieser Marke aufgrund ihrer politisch rechten Verortung extrem schwer macht.
Macht PEGIDA es besser? Noch sind die Konturen unklar, die Wortbildmarke wirkt komplex, überladen und sperrig. Ist es Zeit, etwas am Auftritt zu ändern? Es steht einiges auf dem Spiel – springt der Funke nicht über, wäre wieder eine Chance vertan. Was würde der Markentechniker raten?
Die Konturen einer politischen Marke PEGIDA sind derzeit stark durch die Mentalität der Dresdener Bürger bestimmt: Man demonstriert eigentlich gar nicht, man unternimmt Abendspaziergänge – unaufgeregt, im Wesenskern gemütlich, aber dennoch mit starker Präsenz. Das Handyleuchten unterstreicht die Normalität. Es ist nicht so romantisch wie die Kerzenlichterkette, nicht so martialisch wie der Fackelzug. Zu sehen sind ganz normale Menschen, die gerade von der Arbeit kommen und mal eben gutgelaunt spazieren gehen. Das schafft Vertrauen. Doch ist das Auftreten auffällig genug, die Botschaft stark genug? Nun ist gerade diese Harmlosigkeit, diese betonte Unauffälligkeit paradoxerweise das auffälligste Merkmal – und das, obwohl das Ideenpotenzial für die dominante Staatsmarke alles andere als harmlos ist. Paradox – aber genau hier liegt die Stärke!
So betrachtet paßt sogar die selbstgebastelte Wortbildmarke. Es ist authentisch. Würde man eine Agentur beauftragen, einen Namen zu finden, ein Logo zu entwerfen, eine Medienstrategie auszuarbeiten und einen Slogan zu entwickeln, entstünde mit Sicherheit etwas Gefälligeres, Moderneres, Professionelleres, Schickeres – und zugleich sehr Austauschbares. Vergleicht man die Wortbildmarke PEGIDA mit dem Logo der AfD, bekommt man eine Ahnung davon, was Design anrichten kann. Wo die Wortbildmarke PEGIDA sperrig aber echt wirkt, riecht das AfD-Logo nach Kalkül. Der Rat des Markentechnikers fällt daher, ganz im Sinne der Marke PEGIDA, bewußt harmlos aus: Weitermachen, wachsen – aber im Markenkern genau das bleiben, was man ist – normal, unaufgeregt, selbstbestimmt und mit klaren Zielen. Die gelebte Harmlosigkeit des Auftretens (nicht der Ideen) schafft Vertrauen, dient der Festigung der Marke und bietet zugleich einen gewissen Schutz. Und wie sagte doch Domizlaff? Richtig: „Die schönste Reklame ist immer noch diejenige, die man sich ersparen kann.“
siehe auch www.hans-domizlaff-archiv.de
Disobbedisco
Das mag für die BRD (noch) gelten, trifft aber nicht auf die Bewegung in Österreich (insb. Wien) und Frankreich zu.