Keine Wahlen – Avantgarde! Im Gespräch mit Gabriele Adinolfi

55pdf der Druckfassung aus Sezession 55 / August 2013

Sezession: Anders als Deutschland pflegt Italien, auch das literarisch-kulturelle, mitunter einen unverkrampften Umgang mit der eigenen Geschichte. Zuletzt wurde dies für den deutschsprachigen Raum auch anhand der Übersetzung des Romans Canale Mussolini von Antonio Pennacchi greifbar …

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Adi­nol­fi: Mus­so­li­ni war zwei­und­zwan­zig Jah­re lang an der Regie­rung in Ita­li­en. Wäh­rend die­ser Zeit hat er die Nati­on moder­ni­siert, die Arbeits­zeit regle­men­tiert, die Pflicht zur Sozi­al­ver­si­che­rung ein­ge­rich­tet, das Gesund­heits­we­sen refor­miert, den Sozi­al­staat und die all­ge­mei­ne Schul­pflicht ein­ge­führt, bedeu­ten­de öffent­li­che Wer­ke rea­li­siert und die Eman­zi­pa­ti­on der Frau­en vor­an­ge­trie­ben. Er hat damit eine prä­gen­de Erin­ne­rung hin­ter­las­sen, die von den meis­ten Ita­lie­nern posi­tiv bewer­tet wird – nicht nur bei den Faschis­ten oder Neo­fa­schis­ten, son­dern häu­fig auch bei Ita­lie­nern ande­rer poli­ti­scher Gesin­nung, die Lin­ke ein­ge­schlos­sen. Der Mus­so­li­ni-Kalen­der ist jedes Jahr ein Ren­ner, im Jah­re 2000 war er der meist­ver­kauf­te über­haupt, mit über einer Mil­li­on Exem­pla­ren. In Ita­li­en gab es nie einen wirk­lich kla­ren Bruch mit der Ver­gan­gen­heit – nur eini­ge ideo­lo­gi­sier­te Min­der­hei­ten haben ihn vollzogen. 

Sezes­si­on: Resul­tie­ren dar­aus ande­re Mög­lich­kei­ten für die ita­lie­ni­sche Rechte?

Adi­nol­fi: Viel­leicht. Sicher ist in jedem Fall, daß es mehr Ansatz­punk­te und damit mehr Mög­lich­kei­ten gibt. Vor allem aber bie­tet die Situa­ti­on Raum für eine natio­na­le Ein­heit ohne dam­na­tio memo­riae. Man darf dabei nicht ver­ges­sen, daß in den letz­ten zwan­zig Jah­ren immer wie­der die Par­tei Alle­an­za Nazio­na­le an der Regie­rung betei­ligt war, eine Par­tei, die ursprüng­lich von faschis­ti­schen Kriegs­ve­te­ra­nen gegrün­det wur­de. Die Par­tei Lega Nord hat häu­fig die im Bür­ger­krieg gefal­le­nen Faschis­ten geehrt, Ber­lus­co­ni oft posi­tiv über Mus­so­li­ni gespro­chen. Aber auch ande­re Poli­ti­ker, aus dem poli­ti­schen Zen­trum, und sogar aus dem lin­ken Spek­trum haben sich posi­tiv über Mus­so­li­ni geäu­ßert. Auch in der Bewe­gung Beppo Gril­los mischen sich anti­fa­schis­ti­sche Bekun­dun­gen mit Lob­re­den auf den Faschismus. 

Sezes­si­on: Wird es nicht um so schwe­rer, dezi­diert rech­te Posi­tio­nen zu ver­tre­ten, wenn selbst wei­te Tei­le der eta­blier­ten Poli­tik die­se posi­ti­ven Bezug­nah­men auf­grei­fen, oder wür­den Sie die Lage – in der Rela­ti­on – als güns­tig beschreiben?

Adi­nol­fi: Die Situa­ti­on war eher güns­tig, zumin­dest bis zum Prä­si­den­ten-Putsch Ende des Jah­res 2011, der die anti­fa­schis­ti­schen Min­der­hei­ten wie­der an die Regie­rung gebracht hat. Die Bewun­de­rer Mus­so­li­nis aus ande­ren poli­ti­schen Krei­sen lau­fen kein Risi­ko, Ver­wir­rung zu erzeu­gen. Das Pro­blem besteht nur für die faschis­tisch ori­en­tier­ten Min­der­hei­ten, deren Hand­lungs­mög­lich­kei­ten sich häu­fig als sehr beschränkt erweisen. 

Sezes­si­on: Mit ihrem »Cen­tro Stu­di Pola­ris« möch­ten Sie den beschränk­ten Raum erwei­tern. Wie darf man sich Ihre Ein­rich­tung und die dazu­ge­hö­ri­ge Zeit­schrift vor­stel­len? Ist hier nach­hal­ti­ge Bil­dungs- und Auf­klä­rungs­ar­beit auch über Ihr Milieu hin­aus möglich?

Adi­nol­fi: Das ist ganz ein­fach. Wir haben etwa hun­dert Pro­fes­so­ren, For­scher, Öko­no­men und Wis­sen­schaft­ler ver­eint, die kon­kre­te Ant­wor­ten bie­ten auf aktu­el­le Fra­gen zur Poli­tik, zur Wirt­schaft sowie der ita­lie­ni­schen Gesell­schaft, um ein Euro­pa zu kon­stru­ie­ren, ohne die Sou­ve­rä­ni­tät und den Sozi­al­staat einzubüßen. 

Es han­delt sich dabei um Lösungs­vor­schlä­ge, die sich nicht nur an Poli­ti­ker und Intel­lek­tu­el­le rich­ten, son­dern auch an die Gewerk­schaf­ten und ande­re Unter­neh­mer­ver­bän­de. Wie kann man unbe­scha­det aus die­ser Glo­ba­li­sie­rungs­kri­se her­aus­kom­men? Eine ernst­haf­te Aus- und Wei­ter­bil­dung der Poli­tik ist mög­lich: es bleibt abzu­war­ten, inwie­weit die Poli­ti­ker sich bewußt wer­den, daß sie unver­zicht­bar ist. 

Sezes­si­on: Man könn­te mei­nen, daß die­ser think tank als genu­in ita­lie­ni­sche Bera­tungs­stel­le für Poli­ti­ker und Wirt­schafts­ver­ant­wort­li­che bereits einen Schritt wei­ter ist als rein meta­po­li­tisch aus­ge­rich­te­te Ein­rich­tun­gen in ande­ren euro­päi­schen Län­dern. Zie­hen Sie für Ihre kon­kre­te real­po­li­ti­sche Arbeit noch Nut­zen aus theo­re­ti­schen Abhand­lun­gen? Da Sie auch meh­re­re Jah­re in Frank­reich leb­ten: Rezi­pier­ten oder rezi­pie­ren Sie für Ihre Bil­dungs­ar­beit Den­ker von dort?

Adi­nol­fi: Es liegt mir fern, mich mei­ner erreich­ten Ergeb­nis­se zu rüh­men oder ihre Reich­wei­te über­zu­be­wer­ten. Ein think tank will etwas ande­res sein als ein ein­fa­cher Ort der Refle­xi­on und der Ana­ly­se. Wir ver­su­chen, kon­kre­te Vor­schlä­ge zu machen. Ziel ist es, zu einer Wen­de in Ita­li­en bei­zu­tra­gen, einer Wen­de, die poli­ti­sche und par­tei­li­che Kate­go­rien über­win­den soll. Es geht dar­um, ein Gefühl der Ein­heit des Vol­kes und der Nati­on wie­der­her­zu­stel­len, den Enthu­si­as­mus wie­der­zu­fin­den und auf inno­va­ti­ve Art in Euro­pa anzu­kom­men. Man kann sagen, daß wir uns bereits mit eini­gen Ergeb­nis­sen in die­se Rich­tung bewe­gen, aber es gibt wirk­lich noch viel zu tun. Theo­re­ti­sche Abhand­lun­gen waren nicht hilf­reich für solch ein kon­kre­tes Pro­jekt, im Gegen­satz zu genau­en Vor­schlä­gen, Ergeb­nis­sen von Ana­ly­sen, Kom­pe­ten­zen, Erfah­run­gen – ansons­ten wür­de man sich dar­auf beschrän­ken, Slo­gans vor­zu­brin­gen, die zwar rich­ti­ge, aber rea­li­täts­fer­ne Ideen zum Aus­druck brin­gen. In Frank­reich, wenn wir von den moder­nen Intel­lek­tu­el­len spre­chen, schät­ze ich Alain de Benoist sehr. 

Sezes­si­on: Trotz Ihrer Ein­rich­tung wer­den Sie außer­halb Ita­li­ens vor allem als ein der Bewe­gung Casa­Pound Ita­lia (CPI) nahe­ste­hen­der Vor­den­ker wahr­ge­nom­men. Dabei tren­nen Sie Ihre Arbeit strikt vom CPI-Umfeld. Gab es einen Bruch oder arbei­ten Sie und Casa­Pound ein­fach am sel­ben Ziel auf ande­ren Wegen? Wie sehen Sie als wohl­wol­len­der Außen­ste­hen­der die Zukunft Casa­Pounds: als Wahl­for­ma­ti­on oder als außer­par­la­men­ta­ri­sche Jugend­be­we­gung – oder gelingt der Spagat?

Adi­nol­fi: Zunächst: Ich glau­be nicht, daß es ange­mes­sen ist für Casa­Pound, es für mein Geschöpf zu hal­ten. Der Alters­un­ter­schied zwi­schen mir und den Prot­ago­nis­ten, mein Lebens­lauf und unse­re Nähe haben über­all die­se ein­fa­che Glei­chung ent­ste­hen las­sen, die jedoch Gian­lu­ca Ian­no­ne, Grün­der und Chef von Casa­Pound, unrecht tut: Er braucht kei­nen Tutor. Ich unter­schei­de mei­ne Akti­vi­tät von der von Casa­Pound, es han­delt sich dabei um unter­schied­li­che Pro­jek­te. Einer der Haupt­feh­ler jeder »Sub­kul­tur« ist der, auf­grund einer ver­schlos­se­nen Men­ta­li­tät zu ver­su­chen, alles in men­ta­ler Faul­heit auf schlich­te Fra­gen und Ant­wor­ten zu redu­zie­ren. Jedoch: Die Wirk­lich­keit ist in Bewe­gung, sie ist kom­plex. Den­noch ist Ein­heit (also: Iden­ti­tät) mög­lich, und zwar durch ein gemein­sa­mes Füh­len, eine gemein­sa­me anthro­po­lo­gi­sche Gerich­tet­heit zur Welt. 

Aus die­ser Gemein­sam­keit her­aus wird der Feind wahr­ge­nom­men und iden­ti­fi­ziert, bes­ser: jenes, das gegen die eige­ne Nati­on, gegen das eige­ne Volk gerich­tet ist. Von hier aus kann es zu einem gemein­sa­men Pro­jekt kom­men, einer Stra­te­gie, einem Ziel. Casa­Pound ist solch ein Pro­jekt, aber es gibt noch kei­ne Stra­te­gie. Bis jetzt haben sie vie­le ande­re Din­ge gemacht, eini­ge davon sind vor­bild­lich. Vor allem haben sie Raum erobert und sich in den Medi­en behaup­tet. Dabei haben sie es geschafft, nicht ohne Schwie­rig­kei­ten und nicht ohne eini­ge Wider­sprüch­lich­kei­ten, eine kul­tu­rel­le Revo­lu­ti­on in Gang zu set­zen, wel­che den Ursprung (oder auch die Ein­for­de­rung der Ursprün­ge) mit dem Ori­gi­nal ver­eint hat. Sie haben vor allem direk­te Aktio­nen durch­ge­führt, haben Armen gehol­fen, Wai­sen, Erd­be­ben­op­fern, Obdach­lo­sen und ledi­gen Müt­tern. Casa­Pound ist vor allem lan­ge Zeit ein Zen­trum für kul­tu­rel­le Akti­vi­tä­ten gewesen. 

Sezes­si­on: Und nun der Wahl­an­tritt als nächs­ter Schritt?

Adi­nol­fi: Hier bin ich per­sön­lich kri­tisch, da ich mei­ne, daß die zah­len­mä­ßi­ge Ver­grö­ße­rung zu häu­fig zu Las­ten der Qua­li­tät geht und daß die Ener­gie, wel­che benö­tigt wird, um die Maschi­ne­rie am Lau­fen zu hal­ten, dann dort ent­zo­gen wird, wo sie es der römi­schen Avant­gar­de zuvor mög­lich mach­te, Avant­gar­de für alle zu sein, nicht nur für die­je­ni­gen mit Mit­glieds­kar­te. Und ich glau­be noch etwas ande­res. Die Ver­än­de­rung der Gesell­schaft und der Macht for­dert auto­no­me Orga­ni­sa­tio­nen, trans­ver­sal und kor­po­ra­tiv, in denen Bewe­gun­gen wie Casa­Pound mit allen andern zusam­men Platz fin­den kön­nen, wo aber ihre Avant­gar­de zur wah­ren Avant­gar­de neu­er popu­lä­rer Phä­no­me­ne wer­den kann, was ich ein wenig im Sin­ne des Modells des argen­ti­ni­schen Pero­nis­mus sehe. 

Tat­säch­lich glau­be ich nicht, daß man auf die Rea­li­tät ein­wir­ken kann, wenn man sich wie sie so prä­sen­tiert, als ob man die Pro­ble­me lösen kön­ne und daß sich hin­ter ihren Fah­nen Ant­wor­ten fin­den wür­den. Ich fürch­te, daß man da ins Lee­re läuft. Wahr­schein­lich ist das wirk­lich der Punkt, an dem mei­ne Über­le­gun­gen sich von denen von Casa­Pound unterscheiden.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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