Die Langemarck-Halle

pdf der Druckfassung aus Sezession 15/Oktober 2006

sez_nr_1510von Karlheinz Weißmann

„Langemarck" ist ein Symbol. Daß es sich zuerst um den Namen eines kleinen flämischen Ortes handelte, trat schon während des Ersten Weltkriegs in den Hintergrund. Das ist ein Schicksal, das Langemarck - eigentlich „Langemark" - mit vielen Orten teilt, an denen große Schlachten geschlagen wurden. Aber von einer großen Schlacht kann in diesem Fall gar keine Rede sein. Langemarck gewann seine Bedeutung durch einen einzigen, militärisch letztlich bedeutungslosen, Sturmangriff am 10. November 1914, der den Anlaß gab, für jene berühmt gewordenen Sätze aus dem Heeresbericht: „Westlich Langemarck brachen junge Regimenter unter dem Gesang ,Deutschland, Deutschland über alles‘ gegen die erste Linie der feindlichen Stellung vor und nahmen sie."


Es sind früh Zwei­fel an der sach­li­chen Rich­tig­keit die­ser Dar­stel­lung geäu­ßert wor­den – fast alles spricht dafür, daß die Sol­da­ten san­gen, um nicht in eige­nes Feu­er zu gera­ten -, aber die Wir­kung des Sym­bols Lan­ge­marck hat das nicht beein­träch­tigt. Die hel­den­haft stür­men­den Kriegs­frei­wil­li­gen, die mit dem Deutsch­land­lied auf den Lip­pen sieg­ten oder den Tod fan­den, erschie­nen wie ein gro­ßes mythi­sches Bild, das den „Ideen von 1914” Bestä­ti­gung gab. Die­se Wir­kung hat sich nach dem Ende des Ers­ten Welt­kriegs kei­nes­wegs ver­lo­ren, zumal es wegen der Nie­der­la­ge kei­ne ande­re Mög­lich­keit gab, der Toten zu geden­ken, als im Sinn des „Opfers”. Wäh­rend die eine Sei­te die­ses Opfer als „sinn­los” ansah, betrach­te­te es die ande­re als „ver sacrum”, als Hin­ga­be der Jugend für den Fort­be­stand der Gemeinschaft.
Ent­spre­chen­de Ideen waren durch­aus über den Bereich der natio­na­len und natio­na­lis­ti­schen Ver­bän­de hin­aus ver­brei­tet. Der Lan­ge­marck-Kult wur­de in den zwan­zi­ger Jah­ren aber vor allem von Vete­ra­nen, außer­dem Sport­or­ga­ni­sa­tio­nen, Jugend­be­we­gung und Stu­den­ten­schaft getra­gen. Das hing vor allem mit der Vor­stel­lung zusam­men, die „jun­gen Regi­men­ter” hät­ten in ers­ter Linie aus kriegs­frei­wil­li­gen Schü­lern und Hoch­schü­lern bestan­den; seit 1928 waren Lan­ge­marck-Fei­ern an den Uni­ver­si­tä­ten zur fes­ten Ein­rich­tung gewor­den, gleich­zei­tig kam es zur Ein­füh­rung der „Lan­ge­marck-Spen­de”, die dazu dien­te, eine wür­di­ge Gedenk­stät­te für die Gefal­le­nen zu errichten.
Daß die Erin­ne­rung an Lan­ge­marck eine star­ke Klam­mer bil­de­te, war auch am Lan­ge­marck-Buch der Deut­schen Stu­den­ten­schaft zu erken­nen, das 1933 schon mit einem Vor­wort des neu­en Reichs­kanz­lers Adolf Hit­ler, aber auch mit einem Bei­trag des „kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­tio­närs” Edgar Jung erschien, der im fol­gen­den Jahr von der SS getö­tet wer­den soll­te. Die Natio­nal­so­zia­lis­ten konn­ten sich in bezug auf Lan­ge­marck der Tra­di­tio­nen bedie­nen, die sie vor­fan­den. Eine Kor­rek­tur fand nur inso­fern statt, als man beton­te, daß es sich bei den Sol­da­ten kei­nes­wegs nur um Stu­den­ten gehan­delt habe, son­dern auch um Hand­wer­ker und Arbei­ter, so daß weni­ger an einen eli­tä­ren Zuschnitt, eher an eine Reprä­sen­ta­ti­on der „Volks­ge­mein­schaft” zu den­ken war. Vor allem aber hat das Regime – hier wie in ande­ren Fäl­len – über­nom­men, ver­ein­sei­tigt und instru­men­ta­li­siert. In den Zusam­men­hang gehör­te die Inten­si­vie­rung des Lan­ge­marck-Kults durch Hit­ler-Jugend und Reichs­stu­den­ten­füh­rung, die Ein­füh­rung von „Lan­ge­marck-Stu­di­um” (für begab­te Hoch­schü­ler aus armen Fami­li­en) und „Lan­ge­marck-Wett­kämp­fen” unter Ein­schluß von Dis­zi­pli­nen mili­tä­ri­schen Charakters.

Ihren stärks­ten Aus­druck fand die­se Art sym­bo­li­scher Poli­tik 1936 in der Errich­tung der „Lan­ge­marck-Hal­le” unter­halb des Glo­cken­turms auf dem Ber­li­ner Olym­pia-Gelän­de. Es han­delt sich um einen Raum, der nach dem Vor­bild eines anti­ken Tem­pels errich­tet wur­de – sogar das Decken­ge­bälk hat­te man in Beton imi­tiert – und mit sei­nem „Erd­schrein”, der Erde des Schlacht­felds ent­hielt, zu einem zen­tra­len Ort des Gefal­le­nen-Kults gemacht wer­den soll­te, der für die poli­ti­sche Theo­lo­gie des Sys­tems eine ent­schei­den­de Rol­le spiel­te. Sinn­fäl­lig wur­de das an den Sät­zen, die man an den bei­den Sei­ten­wän­den anbrach­te: Höl­der­lins „ … Lebe dro­ben, o Vater­land, / Und zäh­le nicht die Tod­ten! Dir ist, / Lie­bes! Nicht Einer zu viel gefal­len” an der einen, an der ande­ren das Flex-Zitat „Ihr hei­li­gen grau­en Rei­hen / geht unter Wol­ken des Ruhms / und tragt die blu­ti­gen Wei­hen / des heim­li­chen Königtums!”
Die Lan­ge­marck-Hal­le war nicht nur ein Ort des Geden­kens, son­dern mehr noch ein stän­di­ger Appell an die „Opfer­be­reit­schaft” der Jun­gen. Wel­che Kon­se­quenz das hat­te, ließ sich nach dem Beginn des Zwei­ten Welt­kriegs ermes­sen, als die Lan­ge­marck-Hal­le auch dem Geden­ken an die Gefal­le­nen des neu­en Kamp­fes dien­te. Zu die­sem Zeit­punkt begann das Sym­bol Lan­ge­marck aber schon an Kraft zu ver­lie­ren; als selt­sa­mer Fehl­griff erschien die Ent­schei­dung, eine Ein­heit der flä­mi­schen Waf­fen-SS mit dem „Ehren­na­men” zu ver­se­hen, ohne Belang; blieb noch die Ent­schei­dung, im April 1945 ein „Hit­ler-Jugend Batail­lon Lan­ge­marck” aus jun­gen Deut­schen und Fla­men aufzustellen.
Nach dem Ende des Zwei­ten Welt­kriegs und der anschlie­ßen­den Zer­stö­rung von Tei­len des Olym­pia­ge­län­des ver­fiel die Lan­ge­marck-Hal­le, wur­de dann pro­vi­so­risch wie­der­her­ge­stellt und aus bau­li­chen Grün­den erneut geschlos­sen; seit dem Som­mer die­ses Jah­res ist sie in restau­rier­tem Zustand wie­der zugäng­lich. Begrü­ßens­wert ist die Behut­sam­keit der Wie­der­her­stel­lung, die – abge­se­hen von den Fens­tern zwi­schen den Säu­len, deren Anbrin­gung Hit­ler aus­drück­lich ver­bo­ten hat­te – den Ori­gi­nal­zu­stand weit­ge­hend bewahrt. Auf eine volks­päd­ago­gisch moti­vier­te Dekon­struk­ti­on wur­de jeden­falls ver­zich­tet. Jedem steht es frei, die in einem Neben­raum unter­ge­brach­te Aus­stel­lung zur Schlacht und zum Lan­ge­marck-Mythos anzu­se­hen, die ihrer­seits sach­lich gehal­ten ist und deren Mate­ri­al in einem emp­feh­lens­wer­ten Kata­log­bänd­chen zusam­men­ge­faßt wur­de (Rai­ner Rother: Geschichts­ort Olym­pia­ge­län­de, Ber­lin: Jovis 2006. 160 S., kt, zahl­rei­che Abbil­dun­gen, 19.80 €).
Es gibt seit eini­ger Zeit ein wach­sen­des Inter­es­se an „Erin­ne­rungs­or­ten”. Soweit die­ses Inter­es­se nicht nur anti­qua­ri­scher Natur ist, kann es dem Zweck die­nen, nicht nur die Gedan­ken, son­dern auch die Gefüh­le der Ver­gan­gen­heit bes­ser zu ver­ste­hen. Eini­ge die­ser Gefüh­le haben gro­ße Macht aus­ge­übt, und dazu gehö­ren ohne Zwei­fel die Emp­fin­dun­gen, die an Lan­ge­marck geknüpft waren. Allein ihre Inten­si­tät soll­te zur Vor­sicht mah­nen, wenn über deren Recht oder Unrecht geur­teilt wird; ange­mes­se­ner ist die sorg­fäl­ti­ge Unter­schei­dung zwi­schen Brauch und Mißbrauch.

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