Vielleicht ist der Vergleich nicht ganz passend, aber tatsächlich hatte ich bei der Lektüre von Martin Lichtmesz‘ großartigem Buch „Kann nur ein Gott uns retten?“ einen ähnlichen Lesegenuß und –gewinn wie vor Jahrzehnten bei dem Buch „Existiert Gott?“ von Hans Küng, an das ich mich beim Lesen des neuen Buches erinnerte. Damals verschaffte mir Küng einen ersten Überblick über die Teile der Philosophie, die mich seit dieser Zeit bis heute interessieren.
Die Gottesfrage wird auch in Lichtmesz‘ umfangreichem Werk durch die zitierten oder exzerpierten Ideen verschiedenster Denker und Dichter umkreist, allerdings nicht hinsichtlich der Klärung, ob die Annahme der Existenz Gottes oder der Glaube daran rational zu vertreten ist, sondern wie Hilfreich eine solche Annahme, ein solcher Glaube in der heutigen Krise sein kann, in der das, was immer galt, durch die Moderne und ihrer neuen Weltordnung abgelöst und zerstört zu werden droht.
Im X. Kapitel kanzelt Lichtmesz das Weltethosprojekt Küngs allerdings en passant ab. Lichtmesz‘ Frage, ob nur ein Gott uns noch retten könne, bezieht sich in erster Linie auf den christlichen Gott, vor allem auf den, der von der katholischen Kirche vertreten wird. Diese auf dem Boden Roms gründende Kirche wird auch als der Fels vor Augen geführt, auf dem die Kultur des Abendlandes erblühte und die der diabolischen Auflösung aller Dinge letzten Widerstand entgegensetzen könnte und sollte. Aber auch dieser Fels ist ins Wanken geraten, wie Carl Schmitt nach dem 2. Vatikanischen Konzil feststellte, was in dem Buch angeführt wird.
So wird der Leser bei der Lektüre von einer ihn hochtragenden Welle immer wieder in den nächsten Abgrund geschwemmt. Die positiven, starken, hilfreichen Seiten des Christentums werden herausgestellt, doch dann wird stets gezeigt, wie der Glaube, der erst in Europa zur vollen Entfaltung und Macht kam, mittlerweile zu schwach, zu gespalten, zu feige, angepaßt, unterwandert und wehrlos geworden ist, um noch lange den Untergang aufhalten zu können, den der Christ allerdings als Endziel der weltlichen Entwicklung von Anfang an vor Augen hat oder haben sollte.
Die anderen Möglichkeiten der religiösen Rückbesinnung zur Stärkung der Widerstandskraft werden allerdings nicht außer acht gelassen: die paganen ursprünglichen Religionen Europas und der integrale Traditionalismus wie auch die Mystik, sei sie nun gottbezogen oder bloß politisch verstandene Mythenbildung zur Fundierung des Abendlandes. Diese verschiedenen Richtungen der Rückbindung, der religio, sollten nach Lichtmesz‘ Auffassung nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Dies entspricht auch meiner Meinung. Vor wenigen Jahren habe ich mich nach einigen Reisen nach Rom als geborener und getaufter Protestant der römischen Kirche gedanklich, emotional und im Hinblick auf die praktische Politikfähigkeit angenähert bei grundsätzlicher Überzeugung, daß die religiösen Wahrheiten in ursprünglichen, übergreifenden religiösen Ideen der Menschheit oder wenigstens der indogermanischen Kultur zu finden sind oder auch in der Mystik, die zu einem eigenen religiösen Wissen führt, das nur in der Sprache der verschiedenen Religionen dieser Welt ausgedrückt wird, aber letztlich immer dasselbe meint. Damit setzte ich mich dann in eigenen literarischen Arbeiten auseinander, zwar in ganz anderer Form als Lichtmesz, doch war die Freude dennoch groß, gedankliche Anknüpfungspunkte und weiterführende Informationen und Überlegungen in dem Werk von Martin Lichtmesz zu finden.
Bei seinen Schlußbetrachtungen waren meine Gefühle beim Lesen jedoch nicht ganz eindeutig. Die zitierte längere Stelle aus Jüngers „Der Waldgang“ hatte ich bereits früher wenigstens zweimal gelesen, doch ihre tiefe Bedeutung für mich offenbar wieder vergessen. Ihr konnte ich voll zustimmen, und sie gab mir Kraft. Die folgende Meditation von Charles Péguy erschien mir dann als Glorifizierung des verlorenen Postens und spendete mir wenig Trost, was vielleicht daran liegt, daß ich Péguy bisher nicht kannte und nicht richtig einordnen kann.
Richtig ist jedenfalls, daß die Kreuzzüge heute vor der Haustür stattfinden, wobei es nicht gut aussieht, die Mauern des Eigenen halten zu können, doch ohne Gottvertrauen wird es unmöglich sein, denn die Stärke des Islams, der auch positive Seiten hat im Gegensatz zu den Auflösungsideologien des Westens, liegt ebenfalls in dessen Gottvertrauen.
Kaliyuga
Vielen Dank, Herr Städter, für Ihre erhellend persönliche und eingängige Rezension.
Wer es hören will: Wien hat, selbst in diesen Zeiten, nennenswerte und im Danken denkende Männer des Glaubens hervorgebracht:
Gerd-Klaus Kaltenbrunner, mit mystischem Tiefgang, „Johannes ist sein Name“.
Don Floriano Abrahamowicz, aufrecht, standhaft, unbeirrt, der Tradition hörend, in Venetien:
https://www.youtube.com/watch?v=PkjR05H9aiI
Prof. P. Dr. Bernhard Vosicky OCist, passend, mit reiner und froher Stimme, just zu „Endzeit und Apokalypse“:
https://www.youtube.com/watch?v=O6_Zz-moKog
Und nun Herr Martin Lichtmesz, dem ich recht herzlich einen guten Weg wünsche.