Die Frage nach einem rettenden Gott stellt sich früher oder später jedem, der auf der Suche nach einem höheren Prinzip ist, das die Diktatur des Materialismus und die allgegenwärtige Dekadenz zu überwinden sucht. Scheinbar richtet sich die Frage nach dem Sinn des Daseins dringlicher an uns als in den vorausgehenden Epochen, denn die Art und Weise, wie diese Frage in der Moderne beantwortet wird, kann wenn nur unzureichend befriedigen. Gerade in Anbetracht der eigenen (politischen) Ohnmacht und der scheinbar ausweglos gewordenen Kulturkritik, ist die Suche nach einem Kontinuum, das das Dasein umwebt und als sinnstiftender Moment fungiert, dringend notwendig. Dabei genügt das Stehen in einer kulturellen Linie alleine auf Dauer nicht aus, um diese Suche erfolgreich abzuschließen – sie muss an den metaphysischen Kern der europäischen Zivilisation heranführen. Diesen versucht Martin Lichtmesz in seinem ersten großangelegten Essay über rund 400 Seiten ausfindig zu machen, wobei seine Betrachtungen weit über klassisch linke und rechte Positionen hinausgehen.
Aufgrund der Größe der Frage ist auch der Themenbereich des Buches besonders breit angelegt. Lichtmesz fragt dabei, ausgehend von der Urverfassung des Menschen, nach der Notwendigkeit von Religion, die den Menschen in eine Lage versetze, die es ermögliche die Endlichkeit des menschlichen Lebens zu ertragen und kulturstiftend zu kanalisieren. Der Impuls des Religiösen, die Hoffnung auf Ewigkeit und das Heil der Seele, münde in eine „Sehnsucht nach dem Ursprung“ (Eliade), die den Menschen immer wieder motiviere, auf die Suche zu gehen. Diese Suche beschreitet Lichtmesz anhand europäischer Dichter und Denker, die helfen, die verschiedenen Positionen zur Religiosität Europas zu verdeutlichen und zugleich in die europäische Seele einführen. Dabei werden in dem vorliegenden Essay verschiedene Aspekte zusammengeführt, die jeden identitär und konservativ denkenden Menschen beschäftigen. Lichtmesz ist in der Lage, die grundlegenden Fragen zu einem großen Bild zu verknüpfen, um somit das Zentrum, das unsere Zukunft bestimmt, ausfindig zu machen.
Religions- und Gottesbegriff
Daß eine spirituelle Reform Europas, zum Erhalt von Kultur und Tradition, heute notwendiger ist als jemals zuvor, liegt auf der Hand. Das Chaos und Nihilismus des modernen Europas hingegen kein neues Zeugungselement des Religiösen (S. 26) hervorrufen, verwundert, da die Moderne nicht in der Lage ist, den religiösen Urimpuls des Menschen dauerhaft zu befriedigen. So ist es doch gerade die Religion, die uns befähigt, dem Verlust einen höheren Resonanzraum zu geben und in einer scheinbar ausweglosen Situation überdauern zu können, wie in den ersten Kapiteln aufgezeigt wird. In Anbetracht der religiösen Krise in der Moderne rückt der Glaube als inneres Prinzip des Standhaltens, das die schönen Dinge der Welt wahrnehmen lässt, in den Vordergrund. Aus rechter Sicht ist es vergeblich, den Ursprung dieses grundsätzlichen religiösen und kulturellen Verlustes ausfindig machen zu wollen, denn diese Frage muss zugleich die eigene Tradition in Frage stellen. Ist es ein historisches Ereignis, das zur Verantwortung gezogen werden kann? Ist es das Eintreten in die Geschichte überhaupt? Ist es das Eingreifen in das Rad der Geschichte, das die sinnstiftenden Mythen vollends zerstört?
Fakt ist, dass die Naturwissenschaft mit der modernen Technik an Gottes Stelle getreten ist. Der moderne Mensch, so Lichtmesz, habe Gott getötet und die damit einhergehende Entzauberung der Welt hat eine Entleerung der Seele zur Folge, die den europäischen Menschen in eine tiefe Krise führt (S. 98). Lichtmesz schließt bei dieser Ursachenforschung an Heidegger an und stellt fest: „Der Mensch, der sich vom Sein losgekettet hat, um sich die Welt mittels der Technik und der Organisation zu unterwerfen (…) findet sich in einer schier ausweglosen Lage wieder“ (S. 108). Das Einzige, was uns aus dem Nihilismus bzw. über die Linie führen kann, ist folglich Gott bzw. eine göttliche Offenbarung. Was man in diesem Kontext genau unter Gott verstehen kann, ist nicht leicht zu definieren. Hilfreich ist es die Definition Gottes in der Frage umzukehren, also was er nicht ist bzw. was er nach Lichtmesz verhindert, nämlich die vollständige Entzauberung der Welt und die Entbindung von Mensch und Natur: Gott als das Höchste bedingt hohes. Dabei zeigt ein Glaube an Gott, dass alles Weltliche nicht perfekt sein kann und hält somit den Menschen vor Überhöhung zurück. Lichtmesz verwendet einen funktionalistischen und einen substanzialistischen Gottesbegriff. Ersten indem er die kultur- und identitätsstiftende Funktion Gottes betont, zweiten indem er feststellt, dass Gott sich den Menschen offenbaren muss, man kann ihn nicht erfinden.
Katholizismus und Zeitgeist
Die Geschichte des Abendlandes ist eine Geschichte des Aufschubs der christlichen Heilserwartung und zugleich die Erwartung des nahen Untergangs (S. 125). Um zu beantworten, inwieweit ein Zusammenhang zwischen der Krise der Moderne und dem Christentum besteht, werden verschiedene Positionen zum Christentum, insbesondere rechter Denker, gegenübergestellt. Lichtmesz, so scheint es, hält mit Fayes Archeofuturismus jedoch eine Katastrophe ebenfalls für notwendig, um die innere Fäulnis zu überwinden und aus der Fortschrittslehre bzw. der Geschichte überhaupt heraustreten zu können (S. 144). Zugleich hebt er in katholischer Manier die Schwächen des Menschen hervor, der folglich einer göttlichen Ordnung bedarf. Das christliche Dogma der Nächstenliebe, das in der Moderne im egalitaristischen Stil auf die gesamte Menschheit ausgedehnt wird, scheint vollkommen nutzlos geworden zu sein, wenn man die Bedrohung der Bevölkerungsexplosion in Afrika heranzieht.
Lichtmesz sieht im Katholizismus die Problematik der Selbstabschaffung mitbegründet, stellt ihn jedoch nicht vollends in Frage, sondern betont dessen Bedeutung für die Traditionen Europas. Die katholische Kirche habe sich des eigenen Gottes als Grundlage der Verteidigung entledigt, denn sie missachte seit dem zweiten Vatikanischen Konzil die grundsätzliche Bedingtheit des menschlichen Seins und die notwendige Rangfolge der Nächstenliebe (S. 204). Es wird also deutlich, dass es möglich ist, den Katholizismus und speziell das Christentum unterschiedlich zu lesen. Die nachkonzilianische Lesart des Christentums liefert allerdings einen erheblichen Beitrag zum Untergang Europas. Zugegebenermaßen schafft es Lichtmesz nicht, zu überzeugen, dass diese Lesart aus christlicher Perspektive nicht ebenso legitim sei. Wie Lichtmesz selbst feststellt, lässt sich nur zu leicht der Liberalismus und Sozialismus als weltliche Form des Christentums verstehen (S. 197f.) So erscheint es mir als Paradoxon, dasjenige verteidigen zu wollen, das die metaphysischen Grundlagen für die innere Auflösung Europas gelegt hat. Dass es dennoch nicht möglich ist, das Christentum für Europa vollständig zu verwerfen, zeigt Lichtmesz im weiteren Verlauf seines Buches.
Zukunft Europas
Bei der Wiederentdeckung des Religiösen in Europa, wird das Denken als Kategorie des nicht Nützlichen in den Mittelpunkt gestellt, das dem modernen, rechnenden Denken gegenüber steht (S. 297). Jene Kategorie eröffnet durch die Unterordnung unter eine höhere Macht die Möglichkeit zur rück-Besinnung. Nach Dominique Venner liegt der Wert des Katholizismus darin, dass er zu den Quellen Europas zurückführen kann, die verinnerlicht und in unterschiedlichen ästhetischen Formen tradiert wurden. Ausschließlich als weltliche Ordnungsmacht kann die Kirche hingegen nicht bestehen und Hohes begründen, denn die Wurzel der katholischen Größe liegt im Spirituellen und Geistlichen, die aufgrund der modernen Parametern eklatant an Bedeutung verloren hat. Unter diesen Voraussetzungen, kann der Katholizismus ausschließlich konservierend wirken und keine neuen kulturellen Impulse anspornen. Auch wenn das Europäische im Katholizismus fortlebt, ist die Schaffung eines neuen Gründungsmythos unabdingbar, da theoretische Konstrukte allein uns nicht zum Ursprung zurückfinden lassen. Denn, und hier liegt das Hauptproblem, die Strahlkraft eines Mythos wirkt nur, wenn er nicht als solcher erkannt und theoretisch seziert wird. Dieser Zeitpunkt ist spätestens seit der französischen Revolution im christlichen Europa allerdings längst überschritten.
Wenn Lichtmesz im letzten Teil seines Buches bekräftigt, als Konservativer könne man nicht einfach die Religion seiner Vorfahren „besserwisserisch überwinden“, da der Katholizismus als letzte Institution einen Bogen zu unseren lebendigen Traditionen schlägt, kann diese Argumentation jedoch auch umgedreht werden (S. 252/352). So ist doch die innere Leere der Moderne gerade ein Ergebnis des Entzauberns, Entdeckens und Reformierens, das im Kern der christlichen Theologie angelegt ist und ohne den auch der Katholizismus nicht denkbar wäre. Ein neuer Anstoß, der die vom Katholizismus überlieferte europäische Tradition neu belebt, ist existenziell, wenn wir den Erhalt unserer Völker und Traditionen sicherstellen wollen. Ein solcher neuer Impuls, der den Katholizismus überwindet, heißt eben nicht, seine Vorfahren in Frage zu stellen, sondern aus dem Respekt gegenüber ihnen und ihren Überlieferungen, nach neuen stimulierenden Quellen zu suchen. Der Katholizismus ist zweifelslos an sein Ende gekommen, wenn er nicht mehr in der Lage ist, das Althergebrachte zu schützen.
Lichtmesz liefert mit seinem Essay einen sehr wichtigen Beitrag zur Diskussion über die Religion Europas, der seinen besonderen Wert darin findet, dass er neue Gedanken und Überlegungen provoziert. Ein grundlegendes Problem kann jedoch auch Lichtmesz nicht lösen, nämlich, dass man das Göttliche nicht erfinden kann und dessen Bedeutung über eine rein sozial-funktionalistische hinausgehen muss. Nur indem die Offenbarung einen bestimmten religiösen Impuls im Menschen anspricht, kann es Höhe und Dauerhaftigkeit hervorrufen. Es nutzen also alle theoretischen Diskussionen nichts, wenn sich das Heilige sich uns nicht in einer eigentümlichen Weise zeigt. Weiterhin erwähnenswert ist sicherlich Lichtmesz’ Sprache, die durch Klarheit und Stil überzeugt.
Bulko
Mir hat diese Rezession Mut gemacht,mich weiter-und gründlicher-mit dem Buch zu beschäftigen.Über das zweite Kapitel war ich nicht hinaus gekommen,das liest sich nicht zwischen Tür und Angel,nach der Zusammenfassung fange ich erst an zu verstehen
Vielen Dank dafür !