Das Alter ego der Romanautorin. Sibylle Berg, Jahrgang 1962, gebürtige Weimarerin, Wahlschweizerin, veröffentlicht seit 1997 Romane von mittlerer bis hervorragender Qualität. Die andere Sibylle Berg publiziert Woche für Woche in ihrer Spiegel-online-Kolumne unter der Überschrift „Fragen Sie Frau Sibylle“ Ergüsse, die fast durchgängig haßzerfressenes, linkes Gezeter sind.
Unsere zeitgenössische Sibylle ähnelt insofern ihrer mythologischen Schwester: Es gibt ihrer viele. Die „Ur-Sibylle“ ist unbekannt, sie spricht als Orakel doppeldeutig und in Rätseln.
Zweiter Grund gegen die Lektüre: kennst du einen (Berg-Roman), kennst du alle. Der Mensch ist bei Berg eine lächerliche, nichtswürdige Kreatur, aus der unablässig etwas rinnt, Tränen, Schweiß, Sperma. Er hechelt nach Liebe, durchaus in echter Sehnsucht, er verfehlt sie zuverlässig. Aus allen Bergwerken spricht eine schier unerschütterliche Menschenfeindschaft, oder freundlich gesagt, eine spröde Melancholie, die nach einem Hoffnungsflämmchen schielt, das vielleicht noch glüht, aber meist nur eine matte Illusion ist.
Man liest diese Bücher nicht zur Erbauung. Man tut es mit einem bösen Vergnügen, ja, mit einer gewissen Genugtuung. In Bergs Romanen leidet genau jener Menschenschlag, als dessen Personifizierung man sich beispielsweise die linke spon-Kolumnistin Sibylle Berg vorstellen mag. Kinderlose, bittere Halbalte, deren verknöchertes, mediokres Dasein ein Warten auf den Tod ist. Das ist paradox, es ist fast schizophren.
Ich stelle es mir gern so vor – man hat zur Frau Berg gesagt:
„Dir muß schon klar sein, das ist einfach zuviel geballter Kulturpessimismus, zuviel Dekadenzaufspießerei, zuviel Menschenhaß, zuviel Haß auf das linksliberale Publikum in deinen Büchern. So was geht nicht gut. Nicht Buch für Buch. Du kommst damit in eine rechtfertigungsbedürfte Position.“
Berg: „Hm. Ich kann halt nur böse. Die Menschen sind so dumm.“
„Okay. Dann brauchen wir einen Ausgleich. Mach doch so eine wöchentliche Kolumne, wo du gehässig über all das schreibst, was genau die Leute hassen, die du in deinen Büchern bluten läßt. Schreib gegen die Kirche, gegen Rechte, gegen Homophobe, gegen Gluckenmütter, so was. Kannst du das?“
„Ich kann gegen alles.“
Irgendwie so muß es laufen! Lichtmesz und ich haben schon anderer Stelle versucht zu erklären, warum die Berg trotz ihrer bösartigen und billigen Ausfälle so viele Leser in unserem Milieu hat.
In Bergs neuem Roman geht es um Chloe und Rasmus, Mittvierziger beide, seit zwei Jahrzehnten ein Paar. Er ist ein einst hoffnungsvoller, nun abgehalfterer Theaterregisseur, sie macht was mit Büchern.
Mag man den Berg-Sound, so empfindet man bereits an der Namenswahl diebische Freude. Es sind leicht überkandidelte upperclass-Namen, die man mit dem Hinzufügen oder Weglassen ganz weniger Buchstaben zu häßlichen Spottbezeichnungen fingieren kann. Unsere Chloe jedenfalls ist, das eheliche Geschlechtsleben betreffend, steril wie die Wirkung von Chlor. Daneben aber hat sie eine andere, schmutzige Seite – ohne e.
Bei ihrem Mann, dem dünnbeinigen, leicht spitzbäuchigen, unter Haarverlust leidenden Rasmus, könnte man in zwei Varianten dem Namen zwei, drei Buchstaben einfügen, und man hätte eine vitale und eine düstere Seite aufgedeckt, die in dieser armseligen und höchst gewöhnlichen Kreatur schlummern.
Gewöhnlich heißt ordinär, hiermit wär man beim Bergschen Code. Natürlich gibt es wieder eine Menge Porno auch in diesem Buch. Zur diesbezüglichen Qualität kann ich wenig sagen, meine katholischen Reflexe sitzen hier zuverlässig. Ich habe diesen inneren Piepton, der mich solche Passagen flink überblättern läßt.
Chloe und Rasmus leben in gewöhnlicher Symbiose. Sie lieben sich, seelisch, aber da funkelt nichts. Es gibt auch geistigen Austausch: die üblichen Stimuli linker Intellektueller. Bei Wagner „diesem verdammten judenhassenden Olm“ kriegt der sonst zornlose Rasmus „Schaum vorm Maul“. Er hört gezielt Wagner, um seine Theaterstücke zu konzipieren, ein Holocauststück mit Puppen, etwas mit Nackten und Schäferhunden, es geht um deutsche Küche, Asylanten, Neonazis, stets Stücke, die unserer Gesellschaft den Spiegel“ vorhalten.
Doch die deutsche Theaterszene mit ihren nackt seilhüpfenden alten Frauen und den schweren Körpern, die sich über den Boden wälzen, schätzt Rasmus zu wenig, obwohl er das Hüpfen und Wälzen brav mitmacht. Ein Tropf! Rasmus wäre gern „Jude oder schwul“, leider ist er nur Finne, und auch das redet er sich eher ein.
Er sucht nun Heil in der Dritten Welt, „politisch korrekt“ in einem der „Länder mit suboptimaler Einkommensstruktur“, wie die Berg ätzt.
Dort will er – Chloe begleitet ihn – ein großes Kulturprojekt entzünden: deutsche Gedichte mit exotisch-einheimischen Rhythmen verknüpfen. Er hat edle, vitale Wilde, begierig nach Kunst, gesucht, „lachende, strahlende junge Menschen, die jubelnd europäische Kulturgüter feiern.“ Er will sie für das ganz großen Globaltheater begeistern. Er findet vor: „Idioten“, „Hohlköpfe“, die nichts wissen wollen von „Europa im Winter, von Depression, von ADHS“, die nur (ohne jeden Enthusiasmus) mitmachen, weil es nach der Probe Bier gibt. Rasmus bemüht sich, ihnen klarzumachen, „daß wir im Kern alle gleich sind und ähnlich am Leben leiden.“ Aber: „Alles, was sie von uns wollen, sind iPods.“
Rasmus verzweifelt. Chloe verzweifelt an der Verzweiflung ihres Mannes. Auf dem Tiefpunkt des gemeinsamen Elends läßt sich sich, opiumberauscht, flachlegen. Von Benny, einem Touristinnenficker. Auf ihn setzt Chloe nun all ihre traurigen Hoffnungen, auch als das unglückliche deutsche Paar (nach 142 Seiten) abgereist ist, wieder in ihrer kinderlosen „architektonisch interessanten“ Wohnung weilt und „gemeinsam mit den Endgeräten“ im Bett frühstückt.
Und Benny kommt tatsächlich in dieses erbärmliche Deutschland, und wie! Aufgrund meiner Ekel- und Anstandsbarriere habe ich zahlreiche Seiten überblättert, in denen es heiß hergegangen sein muß, überall in der Wohnung. Rasmus lauscht seiner Frau und ihrem Liebhaber. Er versucht, frauenfeindliche Phantasien zu entwickeln, aber es gelingt ihm nicht. Er imaginiert, wie er Benny aus der Wohnung zerrt, ihn in den Hintern tritt,
„er fällt die Treppe runter, die Nachbarn, gute Linke, halbjunge Menschen, öffnen die Wohnungstüren und schauen erstaunt, so viel Lebendigkeit haben sie seit Jahren nicht mehr erfahren.“
Doch das bleibt Phantasie. Stattdessen schlägt Rasmus sich den Hinterkopf an der Wand blutig und probt ein Stück mit „einer jungen Frau mit Migrationshintergrund, in dem Hitler vorkommt und eine Reise von Asylanten in die Uckermark.“
Rasmus hofft, Benny möge vorübergehen wie eine Erkältung. Tut er nicht, stattdessen bringt er neue, ausländisch sprechende Freunde, vielleicht Roma wie Benny selbst, mit in die Bude. Die saufen und kiffen und bringen dem teuren Teppich unschöne Brandlöcher bei. Rasmus schließt Frieden mit dem Liebhaber seiner Frau.
„Er erscheint mir plötzlich wie das reine Leben, der Raum wird heller und wärmer durch ihn. (…) Ich lebe Offenheit. Ich bin der Migrationsbeauftragte in meinem Mittelklasselebensentwurf. Ich bin beschwingt von meiner eigenen Toleranz, und dafür kann ich Benny nicht ausreichend danken.“
Auch Rasmus´ urfeministische Mutter fährt auf Benny ab. Rasmus beschließt, die neue Multikultur in seinem Wohnzimmer herrlich zu finden.
„Ich werde mal etwas kochen, ich vermute, ein Gericht mit Fleischknochen käme sehr gut an, aber wir sind die Vegetarier, natürlich.“
Der Roman endet blutig und friedlich zugleich – eine besondere Pointe, über die zu grübeln wäre. Interessant, daß das linke Feuilleton diesen erschütternden Roman (Berg selbst: wie „Houellebecq mit besseren Sexszenen“) von Welt bis taz ähnlich gelungen findet wie unsereins.
Danke, Sibylle Berg.
Innerer Exilant
Hm, das erinnert mich irgendwie wieder daran, warum ich selten Bücher lese, die nach den 50ern geschrieben wurden.