Schroeder stellt darin das in den letzten Jahren insbesondere von der Friedrich-Ebert-Stiftung verbreitete Bild vom angeblich rechtsdrehenden “Extremismus der Mitte” mehr oder weniger auf den Kopf – und damit die Wirklichkeit auf die Füße.
Die Junge Freiheit berichtete:
Die deutsche Gesellschaft hat sich nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Klaus Schroeder nach links verschoben. „Generell ist die Gesellschaft nach links gerückt und die Parteien auch“, sagte Schroeder im Interview mit Zeit Online. Allerdings nicht so weit, daß man von „linksradikal oder linksextrem“ sprechen könne.
Es gebe einen gewissen Zeitgeist, der mit Willy Brandt schon einmal nach links gerückt sei und mit Helmut Kohl dann eher nach rechts. „Und jetzt mit Merkel eben deutlich nach links. Die Leute denken dann zwar links, wählen aber trotzdem Merkel“, erläuterte der Politikwissenschaftler.
Zu dem Ergebnis kommt Schroeder aufgrund der Ergebnisse seiner jüngsten Untersuchung „Gegen Staat und Kapital – für die Revolution“. Demnach sind linksextreme Ansichten in der Gesellschaft weiter verbreitet, als bislang angenommen. So teile etwa jeder sechste Deutsche linksradikale oder linksextreme Positionen, jeder fünfte plädiere sogar für eine Revolution.
Das „linksextremistische Personenpotential“ in der Bevölkerung liegt laut der Studie bei 17 Prozent und ist in Mittedeutschland mit 28 Prozent wesentlich stärker verbreitet als im Westen (14 Prozent). Ein geschlossenes linksextremes Welt- und Gesellschaftsbild wiesen deutschlandweit etwa vier Prozent der für die Untersuchung Befragten auf.
Die Ergebnisse der Studie selbst sind für kritische Beobachter der buntesdeutschen Republik freilich alles andere als überraschend. Frank Böckelmann brachte die Lage in seinem Buch “Jargon der Weltoffenheit” mit aphoristischer Verknappung auf den Punkt:
Wer sich als “links” tauft, kündigt an, noch hartnäckiger fordern zu wollen, was alle anderen ebenfalls fordern.
Rufen wir uns den Hintergrund des Schlagwortes vom “Extremismus der Mitte” noch einmal ins Gedächtnis. Manfred Kleine-Hartlage definiert ihn in seinem grandiosen neuen Buch “Die Sprache der BRD” folgendermaßen:
Die Phrase vom »Extremismus der Mitte« bzw. vom Rechtsextremismus, der »in der Mitte der Gesellschaft« angekommen sei, spiegelt, wenn auch in demagogischer Verzerrung, den objektiven Sachverhalt wieder, daß die gesellschaftlichen Machteliten und die ihnen zuarbeitenden linken Ideologen die Mehrheit des Volkes gegen sich haben. Dies nicht etwa deshalb, weil dieses Volk nach rechts gewandert wäre (wie sie glauben machen möchten), sondern weil sie selbst immer weiter nach links gerückt sind, Ideologien vertreten, die noch vor dreißig Jahren als linksradikale Spinnerei galten, jede Bindung ans Volk verloren haben und immer offener eine von utopistischen Wahnideen befeuerte Destruktionspolitik betreiben, die darauf abzielt, nicht weniger den Nationalstaat, die Völker, die Familie und die Religion aus der Welt zu schaffen, und da eine solche Politik mit verfassungskonformen Mitteln nicht durchsetzbar und mit einer demokratischen Verfassung nicht vereinbar ist, müssen am Ende auch die Meinungsfreiheit, die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie dran glauben.
Wir haben es mit der Herrschaft von Menschen zu tun, die das Ziel der vollständigen Umwertung aller Werte und der Umwälzung der Grundlagen von Staat und Gesellschaft verfolgen. Da viele dieser Leute für sich in Anspruch nehmen, die politische Mitte zu verkörpern, gewinnt das Schlagwort vom »Extremismus der Mitte« einen von seinen Erfindern durchaus nicht intendierten ironischen Doppelsinn.
Perspektivisch gesehen sind die diametralen Bewertungen der “Mitte” durch die Friedrich-Ebert-Stiftung und Klaus Schroeders also durchaus kongruent. Weitgehend handelt es sich hier um Definitionsfragen. Daß die Linke in hohem Maße die “kulturelle Hegemonie” innehat, zeigt sich schon allein daran, daß der Begriff “links” für die Mehrheit der Gesellschaft per se positiv, der Begriff “rechts” per se negativ besetzt ist.
Diese Vorstellung hat sich inzwischen subkutan derart flächendeckend durchgesetzt, daß sie kaum mehr als ein Konstrukt mit bestimmten Prämissen wahrgenommen wird. Ein Beispiel wäre etwa die Titelseite des aktuellen Profils (9/2015), auf der zu lesen ist:
Tsipras, Iglesias, Faymann: Ehrlich links oder verlogen populistisch?
Dies impliziert wie selbstverständlich einen Gegensatz zwischen “ehrlich links” einerseits und “verlogen”, “populistisch” oder “verlogen populistisch” andererseits. Umgekehrt würde keine Zeitung schreiben: “Farage, Gauland, Le Pen, Strache: Ehrlich rechts oder verlogen populistisch?”, weil ja “rechts” zumeist ohnehin mit “verlogen”, “populistisch” und Schlimmerem gleichgesetzt wird.
Begriffe, die auf der Linken gemünzt und geprägt worden sind, bestimmen heute die politischen Diskurse, derart, daß selbst Widerspruch gegen linke Politik kaum außerhalb des gesetzten Begriffrahmens formuliert werden kann. Also gibt es auch hier einen klaren Feldvorteil der Linken.
Vermutlich wäre es ein leichtes, bei vielen Befragten, deren Antworten andernorts als Beispiele für eine Rechtsverschiebung der Mitte gewertet werden, ebensoviele, wenn nicht mehr, linke Vorstellungen und Überzeugungen vorzufinden. Ich würde sogar soweit gehen zu sagen, daß alle Welt heute mehr oder weniger zu einem gewissen Grade “links” ist, sogar diejenigen, die sich für “rechts” oder “konservativ” halten.
Die Effektivität der einschlägigen Schlagworte, selbst der dümmsten und hohlsten, verblüfft mich immer wieder. Sie funktionieren inzwischen wie Knöpfe auf einem Automaten, ohne Verzögerung, Reflektion, unter Ausschluß jeglicher Rationalität. Wann auch immer jemand, sei es auch nur andeutungsweise oder moderat-relativierend, sei es polemisch oder argumentativ gut begründet, es wagt, seine Stimme gegen den einschläfernden Sound des gängigen Jargons zu erheben, kann er mit mathematischer Zuverlässigkeit mit Horden von Widerspruchsrobotern rechnen, die sich ihm mit dem Slogan “XY ist bunt! Wir leben Vielfalt!“ entgegenstellen.
Auch an dieser Stelle kann ich es mir nicht verbeißen, Kleine-Hartlage ausgiebig zu zitieren:
Kaum jemand hätte sich wohl vor zwanzig Jahren vorstellen können, welche Karriere einmal das Wort »bunt« machen würde: Wer in der meistbenutzte Suchmaschine nach »bunt« sucht, stößt nicht etwa auf die Beschreibung von Kindergeburtstagsfeiern, sondern überwiegend auf Webseiten, die einen politischen Anspruch erheben, dabei aber reichlich stereotyp (in jedem Fall aber alles andere als bunt) daherkommen: unter anderem »München ist bunt«, »Weiden ist bunt«, »Bad Nenndorf ist bunt«, »Gräfenberg ist bunt«, »Vorpommern ist bunt« – und damit sich auch ja niemand falsche Vorstellungen macht, was unter der erwünschten »Buntheit« zu verstehen ist, folgen Vokabeln, von denen viele in diesem Wörterbuch vertreten sind: »Weltoffen, demokratisch, bunt«, »Gesicht zeigen«, »Bündnis gegen Rechtsextremismus«, »Gräfenberger Menschenrechts- und Demokratieerklärung« (ein bißchen Größenwahn darf auch dabei sein). Den Initiatoren scheint nicht aufzufallen oder es scheint sie nicht zu interessieren, daß ein Land, in dem der Wille zur »Buntheit« den zum Überleben verdrängt,
nicht überleben wird… (…)
Das Schlagwort ist wohl auch deshalb so wirkmächtig, weil es auf rationaler Ebene kaum satisfaktionsfähig ist. Mit Gehirnen, die von infantilen Affekten betäubt sind, läßt sich nicht ernsthaft debattieren. Daher ist Kleine-Hartlages Schlußfolgerung hart, aber ohne Zweifel zutreffend:
Ein Staat, in dem bis hin zum Bundespräsidenten alle vermeintlich seriösen Meinungsmultiplikatoren in stereotyper Weise eine solch kindische Kitschsprache sprechen, ist zum Tode verurteilt.
Es gibt eine Vielzahl von Begriffen linker Provenienz, natürlich auch anspruchsvollere, die ähnlich wirken, und die ebensowenig hinterfragt werden. Böckelmann nennt unter anderem: “Weltoffenheit”, “Emanzipation”, “Selbstbestimmung”, “Gleichstellung”, “Toleranz” und “Vielfalt”.
Andere Schlagworte werden mit bestimmten Deutungen oder Wertungen belegt, die keineswegs selbstverständlich sind. “Iuvenal”, einer der Stammautoren von pi-news, versuchte unlängst, Begriffe wie“Sozialstaat”, “Europäische Einheit” oder “Flüchtlinge” kritisch abzuklopfen.
Auch die deutsche Ausgabe der Huffington Post – ein inzwischen internationalisiertes Flaggschiff der US-amerikanischen Linksliberalen – hat Schroeders Studie emphatisch aufgegriffen und nennt “fünf Gründe”, warum “die Gefahr von links genauso groß ist wie die von rechts” und man daher über die extreme Linke nicht schweigen dürfe:
1. Die Zahl linksmotivierter Straf- und Gewalttaten steigt
Die Zahl linksextremistischer Straftaten ist laut der FU-Studie allein zwischen 2012 und 2013 um 2500 auf insgesamt 8.637 gestiegen. Damit nahm auch die Zahl der linksextremistisch motivierten Gewalttaten zu – und zwar um 26,7 Prozent.
In der öffentlichen Wahrnehmung würden diese Gewalttaten quantitativ unterschätzt, da der Verfassungsschutz zwischen links und linksextrem motivierten Straf- und Gewalttaten unterscheide und links-motivierte Taten in der Statistik außen vor ließe, heißt es in der Berliner Studie.
2. Es gibt mehr linksextreme als rechtsextremistische Anhänger
Der Verfassungsschutz stuft der Studie zufolge 27.700 Menschen in Deutschland als potentiell linksextrem ein. Diese Zahl liegt weit über der Zahl der offiziell ermittelten Anhänger rechtsextremistischer Gruppierungen – denen stehen 21.700 nahe. Bei einem Drittel der als linksextrem eingestuften Personen sehen die Verfassungsschützer Gewaltbereitschaft.
3. Linksextremisten stehen unter dem Schutz des gesamten linken Milieus
Die mediale Aufmerksamkeit richtet sich eher auf den rechten und islamistischen Extremismus. Linksextreme Aktivitäten rücken eher in den Hintergrund. Darüber hinaus verschwimmen die Grenzen “zwischen extremen, aber demokratischen Linken, so dass alle Linksextremisten unter dem Schutz des gesamten linken Milieus stehen”, schreiben die FU-Forscher.
4. Viele Inhalte linksextremen Denkens sind in der Mehrheitsbevölkerung angekommen
Linksextreme Einstellungen beschränken sich nicht auf die linke Szene, sondern haben zum Teil längst Eingang in die “Mehrheitsgesellschaft” gefunden, warnen die Forscher weiter. Viele Versatzstücke linksextremen Denkens finden sich im politischen Mainstream, ohne dass diese gleich als linksextrem assoziiert werden, erklärt der Mitautor der Studie, Klaus Schröder, in einem Interview mit der “Zeit”.
(…)
5. Linksextremismus birgt demokratiegefährdendes PotenzialLinksextreme Gruppen und Personen propagieren offen ihr Ziel, die bürgerliche Gesellschaft und den bürgerlichen Staat zu zerschlagen und an seine Stelle eine “neue, anarchistische oder kommunistische Gesellschaftsordnung” errichten zu wollen. Sie sind also nicht nur “antikapitalistisch, sondern auch demokratiefeindlich eingestellt”, heißt es in der FU-Studie.
Das bestätigt und wiederholt eine Kritik, die von konservativer Seite, etwa in der Jungen Freiheit, seit Jahren geäußert wird. Die Schlußfolgerung der Autorin verwischt die Spuren allerdings wieder ein wenig:
In keinem Fall ist der Rechtsextremismus zu verharmlosen, aber ebenso wenig darf hier mit zweierlei Maß gemessen werden. Linksextremismus ist genauso gefährlich wie Rechtsextremismus. Es bringt nichts, wenn man sich auf dem linken Auge blind stellt, Gewalt ist Gewalt.
Die aufgelisteten “fünf Punkte” zeigen doch eher, daß von einer “genauso großen” Gefahr keine Rede sein kann. Linksextreme Gruppen sind den rechtsextremen Pendants nicht nur zahlenmäßig weit überlegen – die letzteren genießen keinerlei Unterstützung durch den politisch-medialen Mainstream, der sie vielmehr als das “absolut Andere”, “Böse” und zu Bekämpfende behandelt, während die Linksextremen allenfalls als schlimme Kinder der eigentlich “guten Sache” gelten. “Links” und “rechts” werden mit krass divergierenden Maßstäben gemessen.
Wie gesagt, bin ich überrascht, derlei in der Zeit und der Huffington Post zu lesen – derart, daß ich mich unablässig frage, wo nun der Haken an der Sache ist. Bislang konnte ich ihn nicht finden.
Karolus Franzus
https://www.museumoncommunism.org/
https://www.youtube.com/watch?v=XPrmZAP81sY#t=880
Gegenaufklärung tut not.