alleinige Vorsitzende der Alternative für Deutschland, ist solch ein Mensch. Lucke beurteilt die Lage Europas, die Lage Deutschlands, die Lage seiner Partei, seine eigene Lage, die des Finanzsystems, des Welthandels und des Asylantenansturms nach funktionalen Gesichtspunkten:
Gut ist, was funktioniert, gelungen sind Maßnahmen, die zu Verbesserungen der Abläufe führen, ärgerlich sind Reibungsverluste, unerträglich Launen, Stimmungen, Irrationalität und ein Beharren auf Größen, die außerhalb der Ratio und der vernünftigen Geordnetheit der Dinge liegen.
Die Anpassung der Regelwerke an die Flußrichtung der Gesellschaft, die Planbarkeit des Bedarfs für die nächsten Monate und Jahre, die Kontrolle der nächsten Tendenz, der nächsten atmosphärischen Verschiebung, der nächsten Stimmungsschwankung der Verbraucher, der Masse, der Unselbständigen – das regt die kühle, calvinistische Leidenschaft an, diese an Abläufen und Humanmechanik interessierte Intelligenz.
Auf politischem Feld spielen Technokraten wie Lucke eine bedeutende Rolle, und zwar in jeder Partei, in jedem Lobbyverband und in jedem Staatsorgan:
Ihr Feld ist die politische Arithmetik, das Personaltableau, die Gewichtsverschiebung. Sie vertrauen den Zahlen, den Statistiken, den Umfragewerten, kurz: jedem Ausdrucksformat, das ein gewogenes Mittel zum Maßstab erklärt und auf Repräsentativität das größte Augenmerk legt. Sie fühlen sich vom (Partei-)Apparat nicht belästigt, sondern verschwinden sozusagen mit dem Ölkännchen im Innern des Getriebes, um nachzuschmieren – und dabei jene Spur zu hinterlassen, entlang der am Ende der Königsweg zu Mehrheiten, stabilen Seilschaften und Schalthebeln verläuft.
Über dem Betrachten dieser bisweilen elegant den Schraubenschlüssel führenden Humanmechaniker kann nun leicht der Blick für eine fundamentale Lücke verloren gehen, der Blick für eine Fehlstelle, für ein fehlendes Organ, eine fehlende Dimension: der Blick dafür, daß Verwalter ihre Arbeit im Dienste der Reibungslosigkeit nicht mehr für einen Dienst an einem höheren Zweck halten, sondern für den politischen Zweck an sich.
Technokraten schmieren und verwalten das, was sie vorfinden. Sie sind zu einer politischen Vision nicht in der Lage, sie halten die Umstände für gegeben und verstehen ihr Tun, ihre realpolitische Flexibilität als Ausdruck einer tiefen Einsicht in das Wirkungsgefüge des Systems. Sie nehmen die große Gesellschaftsmaschinerie nicht nur hin, sondern sind gern ein wesentlicher, ein stabilisierender Teil in ihr, und das nicht ohne Ehrgeiz:
Denn sie funktionieren viel besser als der Durchschnitt und reagieren mit Unmut, wenn jemand die auf Leidenschaftslosigkeit heruntergekühlte Form der politischen Meinungsorganisation und ‑optimierung eben gerade nicht für das Wesen und die eigentliche Aufgabe eines Politikers hält.
Technokraten kennen den Argwohn gegen das gepolsterte Joch unserer Zeit nicht. Wer wie Bernd Lucke jahrzehntelang in der CDU aktiv war, wird nicht plötzlich grundsätzlich und alternativ: Wer aus dem Establishment stammt, geht nicht freiwillig vor die Tür. Jede Eruption, jede fundamentale Erschütterung, jeder Aufstand gegen den Apparat, den »unsichtbaren Gegner« (Martin Lichtmesz), die »sekundäre Welt« (Botho Strauß) ist ihm völlig fremd.
Der Typ Lucke ist der Typ der Zukunft. Er optimiert sich selbst und sein Umfeld permanent und ist zur selben Rücksichtslosigkeit fähig, mit der ein Bauamtsleiter eine Allee fällen läßt, um eine Straße zu verbreitern. Leute aber, die etwas verteidigen, das er nicht begreift, sind ihm ein Rätsel.
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Am 14. März hat der Landesvorsitzende der AfD in Thüringen, Björn Höcke, die Erfurter Resolution vorgestellt – flankiert von rund zwanzig prominenten Erstunterzeichnern. Der Tenor seiner Resolution ist die Rückbesinnung der AfD auf die ureigene Aufgabe einer neuen Partei: die Ausweitung des Denk- und Äußerungsraumes auf der politischen Bühne. Er wird dabei nicht müde zu betonen, daß der Flügel, den er repräsentiert, nicht der einzige, sondern einer von mindestens zwei starken Flügeln in der AfD sein muß.
Bis heute haben – so die Initiatoren – bereits 1500 Mitglieder diese Resolution gezeichnet, ein Ende der Technokratisierung ihrer Partei, den Mut zu einer fundamentalen Auseinandersetzung mit dem Establishment und eine Besinnung auf den Gründungsgeist der Partei gefordert und damit vor allem eines begriffen: “Die Alternative wird kaum als Alternative funktionieren, wenn ihre Spitze sich den Snobismus der Altparteien gönnt, das heißt immer ein gutes Stück weiter links als die Basis steht.” (Karlheinz Weißmann, JF vom 13. März)
Es gibt keine Alternative im Etablierten, sagen die Unterzeichner. Bernd Lucke steht fassungslos vor so viel sinnloser Leidenschaft.
SFH
Politische Esoterik vs. politische Exoterik
Mit einem postkonservativen Waldläufertum, mit dem Wispern und Raunen von einem metapolitischen Unter- oder Überbau, mit der ideologischen Überhöhung parteipolitischer Meinungsverschiedenheiten, mit einer selbstreferentiellen politischen Esoterik fände die AfD zielsicher die Lichtung der Zwei-Prozent-Partei. Nur politische Exoterik garantiert langfristigen Erfolg, klare Ansagen für die Wähler statt intellektueller Grabenkämpfe um die Semantik historisch verbrauchter Begriffe, mit denen sowieso nur eine absolute Minderheit der Wähler etwas anfangen kann.