Die Schnellrodaer Gestalt – zur 15. Winterakademie des Instituts für Staatspolitik

Der Kommentator unseres Netz-Tagebuchs mit dem Pseudonym "ein gebürtiger Hesse" hat am vergangenen Wochenende die Winterakademie zum Thema "Geschichtspolitik" besucht und einen Bericht darüber eingereicht. Wir bringen ihn unten und weisen bei dieser Gelegenheit nochmals auf den Spendenaufruf für die komenden Akademien und den Film über diese einmaligen Treffen auf. Lesen Sie hier. Und nun zum Tagungsbericht:

Nichts ergreift eine Grup­pe von Zuhö­rern mehr als ein authen­ti­sches und hef­ti­ges Bild, das der Red­ner vor ihnen ent­wirft. Was Götz Kubit­schek, der am ers­ten Abend des gemein­sa­men Wochen­en­des vor die 90 Teil­neh­mer trat, zu sagen hat­te, war sor­gen­schwer und dunkel.

Er sprach von einem moder­nen Typus Mensch, der „wie aus Sei­fe” sei – stän­dig ent­schlüp­fe er sei­nem Gegen­über, las­se sich von kei­nem Argu­ment aus der Reser­ve locken. Zwar begeg­ne er dem Gegen­über freund­lich, mit höf­li­chem Ver­ständ­nis für des­sen – wenn auch oppo­si­tä­re – Stand­punk­te, doch mache er sich nie erreich­bar. Selbst die Empa­thie, die er auf­brin­ge, habe kei­ner­lei Rück­bin­dung an eige­nes Gefühl. Was immer er auch vor­fin­de, so auch die frem­den Stand­punk­te, pas­se er in ein funk­tio­na­les Sys­tem­ge­fü­ge ein, wor­in es auf sei­ne Ver­wert­bar­keit abge­klopft wer­de. Da er kei­ne Lei­den­schaf­ten und Bin­dun­gen – Beschwer­nis­se einer alten Welt – mehr ken­ne, sei er umso fle­xi­bler, anpas­sungs­fä­hi­ger, daher im Vorteil.

Mit der ver­hee­ren­den Aus­sicht, daß die­sem Typus mög­li­cher­wei­se die Zukunft gehö­re, ein Gott zu unse­rer Ret­tung nicht kom­men möge, ent­ließ Kubit­schek sei­ne Zuhö­rer in den „frei­en Abend“.

Frei­lich, ein sol­ches Schau­er­bild, alle­mal eine sol­che Schluß­no­te (an Leif Randts neu­em Roman Pla­net Magnon ent­lang­kom­po­niert) soll­te eigent­lich dazu ange­tan sein, die Zuhö­rer in dump­fe Resi­gna­ti­on zu stür­zen. Doch geschah das genaue Gegen­teil. Ohne daß man hät­te sagen kön­nen, wor­an es lag – an einer Gunst der Stun­de, einer unter­schwel­li­gen Mobi­li­sie­rungs­kraft der Rede –, wirk­te die­ses Bild zwar über das gan­ze Wochen­en­de wei­ter (immer wie­der kam man im Gespräch dar­auf), doch hat­te es eine rund­her­um erbau­li­che, vita­li­sie­ren­de Wir­kung. Man darf sogar sagen, daß es die Teil­neh­mer gera­de­zu ver­schwor, aus der Grup­pe eine Gemein­schaft machte.

Zu sol­chen para­do­xen Reak­tio­nen kommt es mit­un­ter in der Kunst, wenn man etwa beim Betrach­ten einer Kriegs­ma­le­rei von Goya über die fins­te­ren Moti­ve hin­aus – aber auch durch sie hin­durch – ästhe­tisch berührt, erfüllt und beseelt wird. Doch kommt es dazu nur auf höchs­tem Niveau, wenn näm­lich der unbe­ding­te Ein­satz des Künst­lers sei­ner Dar­stel­lung eine Inten­si­tät ver­leiht, die wie­der­um den Betrach­ter durch­dringt und sein Auge erst „son­nen­haft“ wer­den läßt.

Einen ähn­li­chen Vor­gang gab es bei Kubit­scheks Rede und, wie bei einem Lauf­feu­er, das alles Umlie­gen­de erfaßt, imma­nent auch bei allen ande­ren Vor­trä­gen zum The­ma „Geschichts­po­li­tik“, die den 90 Teil­neh­mern zu Ohren gebracht wur­den. Ob Erik Leh­nert über den Schuld­stolz, Fried­rich Pohl­mann über den His­to­ri­ker­streit, Micha­el Rie­ger über die geschichts­po­li­ti­sche Posi­tio­nie­rung der Lite­ra­tur oder Klaus Ham­mel über die nach­ge­reich­te Moral beim Blick auf die Wehr­macht refe­rier­te – immer griff meh­re­res ineinander:

Hin­ga­be an den Gegen­stand, Eifer und Ernst­haf­tig­keit auf Sei­ten der her­vor­ra­gen­den Red­ner, geball­te Kon­zen­tra­ti­on, Streb­sam­keit und Auf­nah­me­hun­ger auf Sei­ten der Zuhö­rer. Der Höhe­punkt des Wochen­en­des: ein gran­di­os dich­tes Gespräch über Mar­tin Heid­eg­ger bei Ker­zen­licht, das auf nicht mehr als zehn Teil­neh­mer beschränkt war, nähr­te sich ganz ent­schie­den von die­ser Dyna­mik und wäre ohne sie nicht halb so inten­siv gewesen.

Es ist die­ses Inein­an­der, die­ses gegen­sei­ti­ge Beflü­geln ALLER Betei­lig­ter, das so etwas Schwer­wie­gen­des dar­stellt: näm­lich die Ber­gung und Frei­le­gung einer Gestalt, die letzt­lich jenem Schre­ckens­bild des ent­le­ben­dig­ten, tech­no­kra­ti­schen Sei­fen­men­schen genau ent­ge­gen­steht. Sie birgt all das, was die­sem ent­zo­gen ist: inne­re Ent­flamm­bar­keit, Vehe­menz, Unver­lo­gen­heit, Demut.

Viel­leicht darf man sie, und sei es bloß der Grif­fig­keit hal­ber, die „Schnell­ro­daer Gestalt“ nen­nen. Denn allein dort, in der Abge­schie­den­heit der Sach­sen-Anhal­ti­schen Pro­vinz, flan­kiert von den Denk­fa­bri­ken IfS – Antai­os – Sezes­si­on wird an ihr und ihrer Zukunft gear­bei­tet, wer­den ihre Anla­gen gestärkt und ver­fei­nert. Man kann – und jeder der 90 Teil­neh­mer wird es bestä­ti­gen – allen wei­te­ren Inter­es­sier­ten nur zura­ten, an dem Pro­zeß teil­zu­neh­men. Er ist ein­ma­lig und gravierend.

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