mit dem Titel „Die Quadratur des Kreises“. Darin erläuterte er, warum es unter den Rahmenbedingungen der Globalisierung unmöglich sei, gemeinsam wirtschaftlichen Wohlstand, sozialen Zusammenhalt und politische Freiheit zu realisieren.
Dahrendorf beschlich das Gefühl, daß die „große Zeit der liberalen Ordnung“ vorbei sein könnte. Obwohl er es nicht so bezeichnete, wußte er doch ganz genau, was sich damals ankündigte: Die durch halbwegs gut funktionierende Nationalstaaten zusammengehaltene „liberale Ordnung“ wurde durch eine globalistisch-neoliberale Unordnung ersetzt.
Auf die einfachste Formel gebracht, haben die Länder der OECD-Welt einen Punkt erreicht, an dem die wirtschaftlichen Chancen ihrer Bürger sie vor perverse Entscheidungen stellen. Um auf wachsenden Weltmärkten konkurrenzfähig zu bleiben, müssen sie Maßnahmen ergreifen, die den Zusammenhalt ihrer Bürgergesellschaften möglicherweise unwiderruflich zerstören.
Alle Volkswirtschaften seien inzwischen miteinander verknüpft und stünden auf einem Marktplatz in gegenseitigem Wettbewerb. Staaten könnten dem nicht entkommen, wenn sie für weiteres Wirtschaftswachstum sorgen wollen. Wahrscheinlich sei es daher, mutmaßte Dahrendorf, daß sie den Druck der Wirtschaft an die „einfachen Leute“ weitergeben. Das Ergebnis: „Die Entwurzelung von Menschen wird zur Bedingung der Effizienz und Konkurrenzfähigkeit.“
Verschleiert werde dies mit Hilfe des neuen Zauberwortes „Flexibilität“. Darunter versteht Dahrendorf „die Bereitschaft aller, technologische Veränderungen zu akzeptieren und rasch auf sie zu reagieren“. Jeder müsse in der heutigen Welt Chancen nutzen, wann immer sie sich eröffnen. „Magneten der Zuwanderung“ seien deshalb „nicht der schlechteste Index für soziales Wohlbefinden“.
Als Reaktion auf diese für Dahrendorf unausweichlichen Entwicklungen rechnete er mit starken Gegenkräften. Er fürchtete neue Kollektivismen und sah „Elemente des Verlangens nach einem Regime, das weniger tolerant ist“. Auf der einen Seite bildeten sich gerade Herrschaftsmodelle heraus, die auf „Wirtschaftswachstum und politische Freiheit ohne sozialen Zusammenhalt“ setzten. Das ist bis heute der Weg des Westens. Auf der anderen Seite entstünden Staaten, die „Wirtschaftswachstum und sozialen Zusammenhalt ohne politische Freiheit“ realisierten. Dahrendorf spielte damit auf den asiatischen Weg an – also das, was Peter Kuntze „Chinas konservative Revolution“ nennt.
Es fehlt bei diesem Gedankengang das Modell „Politische Freiheit und sozialer Zusammenhalt ohne Wachstumszwang“. Dahrendorf wagte es nicht, an der Grundannahme zu rütteln, die besagt, daß alle Volkswirtschaften immer weiter wachsen müssen, auch wenn sie bereits sehr hoch entwickelt sind. Aus diesem Grund zog er seltsame Schlußfolgerungen aus seiner weitestgehend richtigen Gesellschaftsanalyse: Die „Quadratur des Kreises“ sei zwar nicht möglich, müsse aber ständig angestrebt werden.
Es geht um Wohlstand im Wortsinn für alle, um die Bürgergesellschaft überall, um politische Freiheit, wo immer Menschen leben. Das bedeutet, daß es am Ende nicht um privilegierte Regionen geht, sondern um die eine Welt und die ihr angemessenen Institutionen.
Der in diesen Zeilen deutlich werdende Utopismus ist das Kernproblem liberalen Denkens: Wohlwissend, daß dies die Existenz der eigenen Gemeinschaft gefährden könnte, streben Liberale eine vage Utopie an, weil sie sich davon einen Gewinn in der Zukunft erwarten.
Ein Großteil der politischen und ökonomischen Elite denkt heute so und ist deshalb felsenfest davon überzeugt, daß einzig Masseneinwanderung langfristiges Wirtschaftswachstum für die personell schrumpfende Wohlstandszone garantieren kann. Auch von den bisherigen Kosten der Einwanderung lassen sich die Liberalen deshalb nicht beeindrucken. Sie spekulieren auf einen Gewinn in der Zukunft, weil sie wissen, daß Wachstum nur mit immer neuem und möglichst billigem „Humankapital“ sowie Konsumenten, bei denen sich immer neue Bedürfnisse hervorrufen lassen, möglich ist.
Geht man davon aus, daß dieses Gesellschaftsexperiment ohne kulturelle Komplikationen über die Bühne geht, stehen am Ende die Unternehmen als große Gewinner da. Die „einfachen Leute“ in Europa hingegen werden definitiv zu den Verlierern zählen. Von dem Wirtschaftswachstum kommt nämlich nichts bei ihnen an. Was sie zu spüren bekommen werden, ist ein knallharter Konkurrenzkampf um schlecht bezahlte Arbeitsstellen.
Kommt es jedoch zu kulturellen Komplikationen, dann wird die Globalisierung etwas anders ablaufen, als sich das die Liberalen vorgestellt haben. Dann paßt sich der Norden an den Süden an.
Jacobi
Werter Herr Menzel,
toll, daß Sie als einer der wenigen unserer Zunft (zumindest nehme ich es so wahr) den wichtigten Aspekt des Wirtschaftswachstums thematisieren.
Wirtschaftswachstum in der jetzigen Form braucht es nicht. Darauf verweisen sogar einige etablierte Wissenschaftler, von denen Meinhard Miegel mit seinen Einschätzungen den unseren wohl am gerechtesten ist. Hier verweise ich ausnahmsweise auf eine Publikation bei der BPB
Lektüre empfohlen.
Warum auch strategisch wichtig?
1. Weil es ganz wesentlich um die grundlegenden Bedingungen unserer Existenz geht,
2. weil wir nur so die Abhängigkeit des Finanzkapitals einigermaßen auflösen könnten,
3. weil es ein (Meta-)politikbereich ist, der viele Menschen bewegt, bisher scheinbar vermehrt auf der linken Seite und sich dadurch
4. Schnittmengen bilden - zwischen "links" und "rechts".
Was daraus gemacht wird, ist natürlich ein anderer Schuh, stelle es aber mal zur Diskussion.