Mit diesen Sätzen begann Mircea Eliade seine Würdigung Werner Müllers zu dessen 75. Geburtstag. Die Kernaussage hat bis heute nichts von ihrer Richtigkeit verloren. Mehr noch, die Aufmerksamkeit, die Müller zu Beginn der achtziger Jahre in gewissen Kreisen genoß, hat sich längst wieder verloren. Von seinem Tod am 8. März 1990 wurde in der Öffentlichkeit kaum Notiz genommen, seine Bücher finden sich nur noch in Antiquariaten.
Eliades Text erschien 1981 in der „Zeitschrift für Kraut und Rüben”: Unter dem Pflaster liegt der Strand. Der Titel war selbstverständlich ein deutlicher, überdeutlicher Bezug auf die Achtundsechziger, zu deren Slogans auch dieser gehört hatte. Aber während Daniel Cohn-Bendits Pflasterstrand zu den Organen des linken mainstreams zählte, war Unter dem Pflaster liegt der Strand eher ein Jahrbuch, dem niemals der Sprung in die breitere Öffentlichkeit gelang, ein Sprachrohr derer, die die Jugendrevolte vor allem als Suche nach Authentizität verstanden hatten, für die Anarchismus und Drogenexperimente, befreite Sexualität und Hippiekommune, ökologischer Landbau und fernöstliche Spiritualität weniger mit Politik und nichts mit einer „zweiten Aufklärung” zu tun hatten, mehr mit einem neuen, Lebenskonzept: selbstbestimmt, ganzheitlich, unvernünftig, natürlich. Paul Feyerabend gehörte deshalb zu den Hausheiligen ebenso wie Hans Peter Duerr, und in einem gewissen Sinn auch Eliade und Werner Müller.
Was sie alle verband, war die Wahrnehmung der Vernunft als „entfremdende” (Michael Landmann), die prinzipielle Stellung gegen die Machbarkeitsillusionen der Nachkriegszeit, den technokratischen Geist, der alle Lager einte, und die Zukunftsfixierung des Denkens. Ansonsten wiesen die Interessenschwerpunkte, die weltanschaulichen Orientierungen und die Biographien denkbar große Unterschiede auf. Das galt selbstverständlich vor allem für die Älteren. Müller war am 22. Mai 1907 zur Welt gekommen, mit lebendigen Erinnerungen an die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, und in den großen Krisen der zwanziger, dreißiger und vierziger Jahre erwachsen geworden.
Daß er bei den Jungen Gehör fand, manche ihn sogar als „Kultfigur” der alternativen Szene bezeichneten, hing weniger mit seinen theoretischen Schriften, eher mit dem Zentrum seiner wissenschaftlichen Arbeiten – den Religionen der nordamerikanischen Indianer – zusammen. Seitdem er 1930 bei dem Bonner Theologen Carl Clemen mit einer Arbeit über Die ältesten amerikanischen Sintfluterzählungen promoviert worden war, hatte ihn dieses Thema nicht mehr losgelassen. Nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlichte er ein halbes Dutzend großer Monographien über verschiedene Aspekte indianischer Religion. Von ihm stammten auch die entsprechenden Abschnitte in dem Amerika-Band der bis heute unübertroffenen Reihe Religionen der Menschheit des Kohlhammer-Verlages, und in seinem letzten Buch Amerika – die neue oder die alte Welt? legte er eine Art Synthese seiner Forschungen vor.
Damit bezog er noch einmal eine dezidierte Außenseiterposition, weil er den direkten Zusammenhang der altamerikanischen und der eurasischen Zivilisationen in der Frühzeit des Menschen behauptete; eine Auffassung, die von der zünftigen Wissenschaft immer zurückgewiesen wurde, die aber neuerdings verstärkt Anerkennung findet, auf Grund genetischer Untersuchungen ebenso wie auf Grund archäologischer Funde, die eine bis in fernste Vergangenheit zurückreichende und langdauernde Beziehung der Kontinente über den Atlantik hinweg wahrscheinlicher werden lassen. Das besondere an der Argumentation Müllers war allerdings, daß er an das Vorhandensein einer „altarktischen” Zivilisation glaubte, die durch nachdrängende Eskimos gezwungen wurde, nach Süden auszuweichen und sich dabei in zwei Flügel teilte: der eine bildete in der Folge die nordamerikanischen Indianerstämme, der andere die westeurasische Bevölkerung. Zwischen beiden gebe es über das Mesolithikum hinausreichende kulturelle und religiöse Gemeinsamkeiten, die so auffällig seien und sich so deutlich von den Merkmalen der osteurasischen Zivilisationen unterschieden, daß eine entsprechende Deutung naheliege.
Wie für Eliade das kosmische Christentum der rumänischen Bauern war für Müller die Religiosität der Indianer der Ausgangspunkt und Maßstab seiner Überlegungen. In seinem Essay Indianische Welterfahrung hat er diese Fixierung unter Hinweis auf eine Äußerung Stefan Georges erklärt: „Nietzsche kannte die Philosophen, ich kenne die Indianer”; das war natürlich nicht als Bekenntnis zu Karl May oder Wildwest-Romanen zu verstehen, sondern als Ausdruck dafür, daß der Dichter nach jenem „Urstoff” des Denkens suchte, von dem die „Wilden” noch wußten. Müllers Vorstellung war, daß dieser Urstoff vor allem in einer besonderen Fähigkeit gelegen habe, das kosmische Ganze zu erfassen, ein Verständnis vom notwendigen Gleichgewicht zwischen menschlichem Eingreifen und natürlichen Kräften zu entwickeln und das Göttliche in allen seinen Manifestationen zu begreifen. Das Archaische der indianischen Sprachen habe ihre „Sinnlichkeit und Wirklichkeitsfreude” erhalten, die Möglichkeit, die „Unermeßlichkeit der Phänomene” und den „unendlichen Wechsel der Situationen” zu verstehen.
Das erkläre auch, warum sie zur Abstraktion und Schematisierung kaum fähig seien, ein Manko, das Müller allerdings für einen Vorzug hielt. Denn seiner Auffassung nach waren die beiden Mauer und Gitter des „europäischen Denkgefängnisses”, aus dem es kein Entkommen mehr gebe, sondern nur elende Haft im Beschränkten und Allgemeinen: „Die wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Zielvorstellungen verknüpfen sich zwanghaft mit einer emotionalen Verarmung ohnegleichen. … Der posthistorische Mensch bestimmt die Szene. Zwang und Nötigung stecken in seinem Wirken, und auch die Wissenschaft ist notwendig ein Kind seiner Rationalität. Die Abstreifung des Adjektivischen, der Rückzug auf die Begrifflichkeit gehört zu ihrem Wesen.”
Müller glaubte nicht an die Möglichkeit einer Massenflucht aus diesem Kerker. Der Europäer hatte sich schon zu lange – im Grunde seit dem Sieg von Sokrates und Platon über die ionische Naturphilosophie – an Reduktionen gewöhnt. Das war eine pessimistische Botschaft, die seine Anhänger sicher nicht hören wollten. Was sie interessierte, waren die Aussagen Müllers über die „Naturfrömmigkeit” der Indianer, willkommen als Beitrag zu einem Weltbild, in dem die Vorstellung eine wichtige Rolle spielte, daß die traditionellen Gesellschaften, die Stämme und Clans, eine alte Weisheit bewahrten, an die man nicht nur denkend, sondern auch in der Lebenspraxis anknüpfen könne. Von der – fingierten – Rede des Häuptlings Seattle über die Hopi-Weisheiten auf Greenpeace-Propaganda, von den „Einweihungen” Castanedas bis zum Bausatz für das „Medizinrad”, vom Spezialversand für alles, was mit Indianern zu tun hatte, bis zur Solidarität mit Red Power gab es in den siebziger und achtziger Jahren zahllose Elemente, die zu diesem Weltbild gehörten, das den roten Mann als totalen Gegenentwurf des weißen erscheinen ließ.
Müller hat dieses Bemühen um praktische Anwendung seiner Erkenntnisse mit einer gewissen Skepsis beobachtet. Im westlichen Kulturkreis sah er überhaupt nur noch ein „archaisches Volk” von Bedeutung: das jüdische. Entgegen einer weitverbreiteten Annahme glaubte Müller an die Unverfälschtheit der alttestamentlichen und nachbiblischen Tradition und daran, daß Israels Erwähltheitsanspruch nicht als radikaler Partikularismus zu werten sei, sondern als „Übernahme einer universalen Verantwortung”. Daß man ihm dafür keinen Dank gewußt habe, erschien Müller als deutliche Parallele zum Schicksal der indianischen Völker, deren Kultur und Religion von den weißen Eroberern so vollständig ausgelöscht wurde, daß kein noch so wohlwollender Versuch sie wiederzubeleben vermochte.
In dem Text Indianische Welterfahrung erwähnt Müller auch Ernst Jünger, der auf andere Weise versuchte, den Anfang der Sprache zurückzugewinnen, und mit dem er die Hochschätzung der Vision teilte, verstanden als Möglichkeit, in die „Hinterwelt” vorzudringen. Ähnlich, aber doch mit einem anderen Akzent, erklärt sich auch Müllers Sympathie für Eliade. In einer Gegengabe zu dem eingangs zitierten Aufsatz von Eliade über Müller hat der letztgenannte über den erstgenannten zu dessen 75. Geburtstag geschrieben: „Eliade verkörpert inmitten der Verdunstung der konkreten Erscheinungen eine Umkehr, einen Wandel, einen Aufhalter. Er weiß um die Kluft zwischen Urphänomenen und Ursachen. Bilder sind es, die er in jeder Arbeit aufleuchten läßt, Epiphanien, Wirklichkeiten, sinnliche Tatsachen. Diese Tendenz verbindet ihn aufs engste mit der archaischen Menschheit, hier hat er gelernt.”
Das Verhältnis Müllers zu Jünger wie zu Eliade war vor allem durch seine Beiträge für die von beiden herausgegebene Zeitschrift Antaios intensiviert worden. Die Aufsätze, die Müller hier veröffentlichte, befaßten sich allerdings nicht nur mit Themen, die man der „Amerikanistik” zuordnen müßte, sondern auch mit zwei anderen Aspekten, die für seine Arbeit immer eine wichtige Rolle spielten: Symbolik und Heiligkeit des Raumes. Wie Eliade führte er das Symbol auf seine ursprüngliche Bedeutung zurück, als ein Etwas, das von dem, was es vertrat, nicht vollständig verschieden war, sondern das Anteil an ihm hatte. Die wechselseitige Durchdringung von Symbol und Symbolisiertem hatte ihn immer besonders fasziniert, und diese Sichtweise bestimmte auch seine Auffassung des heiligen Raumes – im Haus, dem heiligen Ort, dem Tempel -, dessen Festlegung der Mensch ursprünglich symbolisch verstand, so daß die Beziehungen zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos sinnbildlich wurden und die mythische Weltauffassung es erlaubte, nicht nur eine unendliche Menge von Beziehungen zwischen dem Großen und dem Kleinen zu erfassen, sondern auch durch Zugriff auf das Kleine das Große zu beeinflussen.
In der 1961 veröffentlichten Monographie Die heilige Stadt hat Müller diese Vorstellung systematisch entfaltet. Dabei wies er auf alte Überlieferungen hin, in denen die Abgrenzung von Sakralem und Profanem einem göttlichen Schöpfungsakt entsprach – etwa bei der Furche, die Romulus mit dem Pflug zog, die Remus nicht ernst nahm, woraufhin er für seinen Frevel getötet wurde -, behandelte die Bauweise von Hütten oder Siedlungen indianischer oder afrikanischer Völker, in deren Anlage sich das Ganze der göttlichen Ordnung spiegelte oder die Grundrisse indischer beziehungsweise chinesischer Städte, die der „Quadratur” der Welt-Viertel entsprachen. Die heilige Stadt ist auch die einzige Arbeit Müllers mit einer umfassenderen theoretischen Begründung. Ansonsten fehlen solche Erwägungen weitgehend. Ein Grund dafür war Müllers Aversion gegen jede abgezogene Begrifflichkeit, oder das, was seine Gegner als „Irrationalismus” bezeichneten.
Müller hat diesen Vorwurf immer mit Genugtuung aufgenommen. Der zitierte Aufsatz für Eliade trug den bezeichnenden Titel „Die Wahrheit der fünf Sinne oder Weshalb wir Kants Grab entbehren können”. Hier, wie auch sonst kritisierte er, daß der abendländische Rationalismus zwar die Weltbemächtigung in einer Weise gefördert habe, die lange unvorstellbar war, aber gleichzeitig zu einer „gedanklichen Verdampfung führte”: „die laute, bunte, warme Welt zerfließt ins Nichts”. Müller war ein bekennender Gegen-Aufklärer, ein Romantiker, der die Wahrheit des Gefühls verteidigte, der davon ausging, daß kein „Fortschritt” von der archaischen zur modernen Geistigkeit führe und daß der Mythos wahrer sei als das, was die Auswertung von Quellen und Überresten ergebe. Sein Pessimismus war radikaler als der Eliades, und vieles in seiner Argumentation erinnert an die Klassiker dieser Denktradition in Deutschland – von Hamann über Bachofen bis zu Klages – aber die Menge der Verweise blieb doch gering.
Das hängt auch damit zusammen, daß Müller wie Eliade einen Teil seiner Biographie verschleiert hat. Er verwies zwar auf die Herkunft aus einem Pfarrhaus in der rheinischen Diaspora, auf das Studium der Evangelischen Religionslehre, Geschichte, Geographie und Religionswissenschaft, auch auf die wachsende Aversion gegen „protestantische Geisteskahlheit”, die Staatsexamen und Übertritt in den Bibliotheksdienst als „unbeachtete Ecke”, aber dann fehlte jedes Stichwort zu seinem Lebensweg zwischen 1933 und 1954. Das Hauptmotiv dafür war, daß Müller durch seine Mitgliedschaft in der SS und deren Wissenschaftsorganisation „Ahnenerbe” nach dem Ende des Krieges daran gehindert wurde, eine akademische Laufbahn fortzusetzen, und später versuchte, diesen Teil seines Lebenslaufs zu verschweigen oder ganz in den Hintergrund treten zu lassen. Verständlich erscheint das insofern, als er kaum Aussicht darauf gehabt hätte, Gehör für seine Motive zu finden.
Müller war wie viele andere und eher aus Opportunitätserwägungen im Frühjahr 1933 in die NSDAP eingetreten und hatte bald darauf begonnen, für das „Ahnenerbe” Gelegenheitsarbeiten anzufertigen, die sich mit bestimmten Aspekten der germanischen Religionsgeschichte beschäftigten. 1938 erschien in dessen Schriftenreihe die Monographie Kreis und Kreuz. Untersuchungen zur sakralen Siedlung bei Italikern und Germanen, in der schon einiges von dem vorweggenommen war, was später in Die heilige Stadt weiter ausgeführt werden sollte. Die von ihm angestrebte Festanstellung erhielt Müller aber nicht, nur pro forma übergab man ihm die Leitung der „Lehr- und Forschungsstätte für Ortung und Landschaftssinnbilder”. Immerhin durfte er auf die Unterstützung des Ahnenerbes rechnen, als es ihm gelang, 1942 an der Universität Straßburg seine Habilitation – wieder zur indianischen Religionsgeschichte – abzuschließen und 1944 die Ernennung zum Dozenten zu erreichen. Praktische Folgen hatte das aber nicht mehr, da die Hochschule wegen der anrückenden alliierten Truppen den Lehrbetrieb einstellen mußte.
Nach kurzem Militärdienst und amerikanischer Kriegsgefangenschaft ließ sich Müller in Tübingen nieder und trat dort später wieder in den Bibliotheksdienst ein. Sein Schicksal glich in vielem dem anderer junger Dozenten der „Reichsuniversität” Straßburg, die ihre Karriere in der Kriegszeit der Annahme besonderer ideologischer Zuverlässigkeit verdankten und die dafür nach 1945 mit dem Ausschluß von jeder akademischen Laufbahn bezahlten. Zu dieser Gruppe darf man neben dem Historiker Ernst Anrich auch den Religionswissenschaftler Otto Huth rechnen, einen engen Freund Müllers. Beide waren in ihrer Vorstellungsweise von Ludwig Klages beeinflußt, auch wenn es unter dem NS-Regime nicht geraten schien, das hervorzuheben, und folgten ähnlichen geistigen Interessen. Huth hatte sich dem Ahnenerbe noch stärker verbunden, hatte sich politisch eindeutiger festgelegt und war Müller in bezug auf die Karriere deutlich voraus. Das alles ist für unseren Zusammenhang nicht so wichtig wie die gemeinsame Weltanschauung, eine Archaiophilie, für die sie im Ahnenerbe Unterstützung erhofften, obwohl sie im Kern unpolitisch war.
Man könnte mit Eliade von „Sehnsucht nach dem Ursprung” sprechen, und Müller hat seinerseits immer die Übereinstimmung mit Eliades antihistorischer, zyklischer Auffassung aus einer gemeinsamen geistigen Orientierung betont. Man kann aber noch einen Schritt weiter gehen und auf die intellektuelle Konstellation hinweisen, in der sich Eliade und Müller als Männer des gleichen Geburtsjahrgangs befanden, trotz der Verschiedenheit des nationalen und kulturellen Hintergrunds, der Biographie im engeren Sinn und der geistigen Entwicklung, der sie folgten. Diese intellektuelle Konstellation war bestimmt von den großen Erschütterungen eines Weltbildes, das von der Aufklärung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts fast unbestritten gegolten hatte: eurozentrisch, positivistisch, optimistisch. Dessen Infragestellung durch die Entdeckung der außereuropäischen Welt, die Philosophie Nietzsches und die Wirkungen des Ersten Weltkriegs führte bei den meisten ihrer Zeitgenossen zur Flucht in politische Ideologien, die den Ausweg nach vorn suchten, während Eliade und Müller den Ausweg zurück suchten. Eindrucksvoll hat Müller beschrieben, wie während seiner Studienjahre allmählich das Bewußtsein wuchs, daß es nicht nur jenseits des Abendlands Kultur und Religion gegeben habe, sondern auch, daß – gegen allen Entwicklungsglauben – an den Anfängen, im „Primitiven”, eine Spiritualität aufgewiesen werden konnte, die man dort niemals vermutet hatte.
Die Faszination durch die – wirkliche oder vermeintliche – Reinheit des Anfangs führte dazu, daß diese Männer es viel ernster meinten, als alle Erfinder und Nutzer von Abstammungsmythen. Das minderte ihre Brauchbarkeit für den Weltbürgerkrieg entscheidend, wenngleich sie zeitweise glauben konnten, daß sie ihre Vorstellungen mit politischer Hilfe der Verwirklichung näher bringen würden. Diese besondere Art des Irrtums war verbreiteter, als man annehmen möchte. Neben Müller, Huth und Eliade könnte man in der Religionswissenschaft und den benachbarten Disziplinen noch andere Beispiele nennen, die Deutschen Franz Altheim und Otto Höfler ebenso wie den Franzosen Georges Dumézil oder den Amerikaner Joseph Campbell; C. G. Jung ist der Versuchung vielleicht nur wegen seiner schweizerischen Herkunft leichter entgangen, Jakob Wilhelm Hauer ihr wegen der deutschen vollständiger erlegen.
Wenn es möglich wäre, die Biographien der genannten vergleichend zu untersuchen, ohne sie zu skandalisieren, käme man wahrscheinlich zu dem Ergebnis, daß sie alle in einer gewissen – ihnen besonders naheliegenden – Naivität glaubten, die reaktionären, faschistischen, nationalsozialistischen Bewegungen umleiten zu können, sie Kraft ihrer Kenntnis von der Macht des Ursprungs dazu zu zwingen, mythische Bilder nicht unter dem Aspekt der Mobilisierungskraft zu betrachten, sondern als absolute Bezugspunkte. Ihren Irrtum haben sie alle eingesehen, wenn auch auf verschiedene Weisen verarbeitet. Die Grundüberzeugung ist dabei nicht verlorengegangen. Die Sympathie, die Müller ebenso wie Eliade in ihren späteren Lebensphasen für politisch ganz anders orientierte Strömungen entdeckten, war auch keine Anbiederung – Eliade verblieb unter den Schirmherrn der „neurechten” Nouvelle Ecole, Müller veröffentlichte weiter in konservativen Zeitschriften wie Scheidewege oder der Herderbücherei Initiative -, eher Hoffnung wider alle Hoffnung, daß es möglich sei, doch eine Grundlage für das zu schaffen, was Eliade den „neuen Humanismus” genannt hat.