erfährt in der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins seine Bestätigung: Strauß greift wieder einmal zur Feder und spekuliert auf einen „Skandal“. In der Vorbemerkung zu seinem Text „Der letzte Deutsche“ (im aktuellen Heft) wird ausdrücklich auf den „Anschwellenden Bocksgesang“ hingewiesen, jenen Essay also, der „in der Publizistik des wiedervereinigten Deutschland“ wie kein zweiter für „Empörung und Diskussionen“ gesorgt habe.
Dabei fällt unter den Tisch, daß der Spiegel damals selbst (und nicht irgendwelche ominösen „Gegner“) den Autor zum „Vordenker eines neuen rechten Deutschlands“ erklärte und daß es immer wieder Essays von Strauß im Spiegel zu lesen gab (etwa zum 11.9.2001 oder zum Islam als „Vorbereitungsgesellschaft“), bei denen der Empörungsmechanismus nur nicht mehr ganz so gut funktionierte wie beim „Anschwellenden Bocksgesang“.
In dem Verhältnis zwischen Spiegel und Botho Strauß herrscht etwas, was der Dichter für den Tiefpunkt jeder Beziehung halten muß: Routine. Der Spiegel veröffentlicht Strauß‘ Text und gibt ihm damit die größtmögliche Plattform. Man spekuliert dabei auf den Skandal, der die Langeweile vertreibt und der darin liegt, daß ein so eindeutig als linksliberal zu qualifizierendes Journal wie der Spiegel einen „Rechten“ wie Strauß zu Wort kommen läßt. Die Hamburger geben sich weltoffen und haben für lange Zeit wieder so etwas wie ein Feigenblatt für ihre tätige Mithilfe am Untergang Deutschlands.
Mit den Einleitungsworten versucht man (wie immer) den Skandal herbeizuschreiben (die ersten haben schon verstanden: „Strauß zündelt wieder“) und natürlich ist, so die Ankündigung, ein Gegenartikel fest eingeplant. Der Preis, den Strauß für diese Aufmerksamkeit zahlen muß, ist nicht nur das vorprogrammierte Mißverständnis, sondern der Hohn der Journalistenclique. Wobei, so darf vermutet werden, der Spiegel in vorderster Reihe stehen wird.
Wer den als „Glosse“ bezeichneten Beitrag von Strauß unter diesen Voraussetzungen liest, wird sich fragen, warum Strauß seine Perlen so freizügig unter die Säue wirft. Was hat so ein Text, der sich mit jeder Zeile die Neugierigen und Effekthascher vom Leib halten will, im Spiegel zu suchen? Darauf gibt Strauß keine Antwort, es sei denn, man sieht in dem Vorgehen so etwas wie eine List, die den eigenen Feind in die Rolle des Verkünders der Wahrheit zwingt. Strauß könnte sich dann einen seiner Hausheiligen, Martin Heidegger, zum Vorbild genommen haben, der sein Spiegel-Gespräch ja ähnlich genutzt hat.
Im Grunde könnte man jedem Spiegel-Text von Strauß ähnliche Fragen stellen, weil diese Diskrepanz immer vorhanden war. Andererseits stellt der vorliegende Text eine neue Stufe der Gegenwartsablehnung dar, die dann irgendwann auch einmal Konsequenzen haben müßte.
Strauß zieht in dem Text Bilanz, wenn er schreibt, daß er sich nicht nur als „letzter Deutscher“ sieht, sondern auch den unbesetzten Posten des „Fortsetzers von Empfindungs- und Sinnierweisen, die seit der Romantik eine spezifisch deutsche Literatur hervorbrachten“ besetzen zu wollen: „Etwas davon wieder aufleben zu lassen war mein Leben.“ Er stellt sein Werk damit in eine große Tradition, die mit ihm ihr Ende finde.
Dabei erneuert er einen Gedanken, mit dem sich große Geister oft über ihre dürftige Zeit hinweggetröstet haben: daß ihre eigentliche Gegenwart all die Geistesverwandten der vergangenen Jahrhunderte seien, mit denen man so etwas wie einen überzeitlichen Geheimbund geschlossen hat. Nicht umsonst spricht Strauß von der „Konspiration“ und dem „Geheimen Deutschland“ und verwendet damit Signalwörter, die für all die bestimmt sind, die darauf gewartet haben.
Vielleicht ist Strauß‘ Text also als ein vorläufiger Gruß an die Wenigen zu verstehen, die da draußen unerkannt leben und schreiben (und die man eben auf diese Art zu erreichen hofft) und die sich in die innere Emigration zurückgezogen haben. Da auch der Name von Ernst Jünger fällt, ist es nicht schwer, eine Beziehung zu Jüngers Schrift Auf den Marmorklippen herzustellen, die ebenfalls als ein Gruß an die Brüder im Geiste gedacht und mit dem Hinweis verbunden war, daß es gilt, all das zu überstehen, um später evtl. wieder etwas neues aufbauen zu können.
„Ich bin ein Subjekt der Überlieferung, und außerhalb ihrer kann ich nicht existieren.“, schreibt Strauß. Wenn man die Namen anschaut, an denen Strauß die Überlieferung festmacht, dann decken sich seine Vorlieben ziemlich genau mit denen von Carl Schmitt, Ernst Jünger und Martin Heidegger. (Insbesondere Namen wie Franz Blei, Hugo Ball und Konrad Weiss findet man als Hausheilige wohl nur bei Carl Schmitt in dieser Vollzähligkeit versammelt.)
Aus der Hochschätzung dieser Tradition ergibt sich zwangsläufig eine Ablehnung der Gegenwart: „Ich möchte lieber in einem aussterbenden Volk leben als in einem, das aus vorwiegend ökonomisch-demografischen Spekulationen mit fremden Völkern aufgemischt, verjüngt wird, einem vitalen.“ So nahe die Zustimmung hier liegt, so wenig hat diese Alternative etwas mit der Wirklichkeit zu tun. Denn niemand wird uns in Ruhe sterben lassen, weil es alle darauf anlegen, genau das zu verhindern.
Deshalb richtet sich Strauß‘ Ablehnung auch gegen all jene Deutschen, die „Sozial-Deutschen“, die eben mit dieser Tradition gar nichts mehr anfangen können. (Der Irrtum der Rechten sei, es gäbe noch „Deutsche und Deutsches außerhalb der oberflächlichsten sozialen Bestimmungen“.) Sie wissen nicht, was „kultureller Schmerz“ ist. Mit Jüngers Worten: „Nenne mir Dein Verhältnis zum Schmerz, und ich will Dir sagen, wer Du bist!“
Über die Gültigkeit dieser Aussage kann es bei Strauß keinen Zweifel geben. Er schreibt an gegen Entwurzelung, gegen Ökonomisierung, gegen mediale Abstumpfung und schließlich gegen diejenigen, die Deutschlands Untergang freudig herbeisehnen: „Deutschland wird jeden Tag weniger. Das finde ich großartig.“
Strauß‘ Kommentar: „Das Niedrigste an diesem Schurken-Wort ist die politisierte Schmerzlosigkeit, mit der man die Selbstaufgabe befürwortet, zum Programm erhebt.“ Die Haltung von Strauß hat die unangenehme Konsequenz, im Islam so etwas wie einen Lehrmeister zu erblicken, der uns wieder beibringen wird, was Überlieferung bedeutet: „Nun, was kann den Deutschen Besseres passieren, als in ihrem Land eine kräftige Minderheit zu werden? Oft bringt erst eine intolerante Fremdherrschaft ein Volk zur Selbstbesinnung. Dann erst wird Identität wirklich gebraucht.“
Das ist einerseits eine Erinnerung an das Konzept der Traditionskompanie, die die Überlieferung durch die harten Zeiten trägt. Andererseits steht diese Hoffnung in einem kaum aufzulösenden Gegensatz zu der Ablehnung, mit der Strauß alle „traditionslosen“ Deutschen bedenkt. Die Sitten und Gebräuche werden in der Regel nicht von Dichtern tradiert und sie sind für die Selbstvergewisserung eines Volkes nicht weniger wichtig. Wenn diese Ebene nicht mehr existiert, und das tut sie kaum noch, wird keine kräftige Minderheit überleben, sondern das passieren, was Houellebecq in seinem Roman Unterwerfung beschrieben hat.
Aus dieser distanzierten Haltung seinem Volk gegenüber resultiert eine unentschiedene Haltung zu den gegenwärtigen Ereignissen. Einerseits spricht Strauß von „Flutung des Landes mit Fremden“, markiert das aber als lediglich eine Position, der er problemlos und pauschal den angeblichen Bildungswillen der einwandernden Syrer entgegenstellt: „Eher wird ein Syrer sich im Deutschen so gut bilden, um eines Tages Achim von Arnims ‚Die Kronenwächter‘ für sich zu entdecken, als dass ein gebildeter Deutscher noch wüßte, wer Ephraim der Syrer war.“ Das streift den Bildungsdünkel und erinnert fatal an Habermas‘ Gelehrtenrepublik.
Ist Strauß‘ der Meinung, daß es die dummen Deutschen nicht anders verdient haben, als durch Einwanderer an den Rand des Ruins geführt zu werden?
Offenbar geraten Strauß die Kategorien durcheinander, wenn er sich von seinem eigenen Volk distanziert, weil es der Ökonomisierung und Säkularisierung nichts entgegenzusetzen hat und den Islam mit dem wohlwollenden Auge betrachtet, weil dieser noch in einer gewissen Ursprünglichkeit lebt. Dabei weiß es Strauß besser, wenn er schreibt: „Uns wird geraubt die Souveränität, dagegen zu sein.“ – einfach, weil wir mangels Wissen nicht mehr dagegen sein können!
In diesem Zusammenhang riskiert Strauß auch mal einen fürsorglichen Blick auf sein Volk, das eben der „politische-moralischen Konformität“ durch Massen und Medien ausgesetzt ist und deren Herrschaftswillen kaum noch etwas entgegenzusetzen hat. Deshalb richte sich der „Hass Radikaler“ nur „vordergründig gegen die Flüchtlinge“, sondern sei „vor allem eine unkontrollierte Reaktion auf das Vakuumempfinden, das ‚die Politik‘, wie man heute sagt, der Bevölkerung zumutet. Verantwortliche, die das Ende nicht absehen. Die in täuschende Beschwichtigungen ausweichen. Die Schwäche zeigen.“
So richtig diese Beobachtung ist, so sehr ist Strauß den Medien auf den Leim gegangen, wenn er in diesem Zusammenhang von dem „Hass Radikaler“ spricht. Es ist unklar, was er damit meint, da es diesen Hass (von kriminellen Einzelfällen abgesehen) nur in den Medien gibt, die ihn zur Disziplinierung des Volkes herbeischreiben müssen (und daher beispielsweise Pegida Hass unterstellen).
Letztendlich kann sich also auch ein unabhängiger Geist wie Strauß den Gesetzen der Medien nicht entziehen, wenn er sie zu benutzen meint. Seinen Obolus an die herrschende Konformität muß er entrichten, wie jeder andere auch. Die Position des „letzten Deutschen“ wird dadurch fragwürdig.
Belsøe
Es stellt sich die Frage, ob es diese seine bevorzugte Zeitgenossenschaft überhaupt so konkret gegeben hat, oder ob sie erst in der Rückschau wunschgemäß als etwas geschlossen erfahrbares imaginiert werden kann. Die Gefahr solcher Imagination liegt darin, dass mittels ihrer womöglich die Lebenswirklichkeit der angeblich ersehnten, besseren Zeit, könnte er in ihr leben, ganz genau so auf Distanz gehalten würde, nun eben durch eine noch weiter zurückliegende, noch bessere.
Kluge, kontemplative und empfindsame Menschen waren zu jeder Zeit eher einsam, langsam, werden zu jeder Zeit beiseite gefegt und haben zu jeder Zeit den Rückzug suchen müssen, so wie Strauß das heute (immerhin sehr gut versorgt) tut - und wohl zu jeder Zeit getan hätte. Bei aller Richtigkeit seiner Beobachtungen der Hölle, die die anderen sind und aller Wichtigkeit, sie auszusprechen - es fehlt der schonungslose Blick auf eben diese eigene Einsamkeit und Handlungsschwäche. Um dieses, sein vielleicht eigentliches, Thema drückt er sich. Ohne es bleibt das Bild von den mangelhaften Verhältnissen aber - unvollständig.