Was machbar ist – die neue Sezession 68

Seit rund zehn Tagen ist die 68. Sezession lieferbar. Die Oktoberausgabe des Jahres versammelt...

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

Bei­trä­ge rund um den wei­ten Ober­be­griff »Mach­bar­keit«, unter wel­chem The­ma auch die 16. Som­mer­aka­de­mie des Insti­tuts für Staats­po­li­tik im August stand. Ein­lei­tend fin­det sich ein aus­führ­li­cher Bericht von die­ser Groß­ver­an­stal­tung mit 110 jun­gen Teilnehmern.

+ Kubit­scheks Edi­to­ri­al steht ganz unter dem Ein­druck des kurz vor Druck­le­gung erschie­ne­nen, bemüht skan­da­li­sier­ten Spie­gel-Essays »Der letz­te Deut­sche« von Botho Strauß. Ist es red­lich, sich vom Häß­li­chen im Eige­nen abzuwenden?

+ Dr. Erik Leh­nert lie­fert ein Autoren­por­trät zum Phi­lo­so­phen Karl Jas­pers – immer­hin der Dok­tor­va­ter Armin Moh­lers und The­ma von Leh­nerts eige­ner Dis­ser­ta­ti­on. Ins­be­son­de­re Jas­pers’ spä­te »poli­ti­sche Schrift­stel­le­rei« wird einer gehar­nisch­ten Kri­tik unter­zo­gen: »Sein Schei­tern war wesent­lich, da er das mensch­lich Wah­re, aber fak­tisch Unmög­li­che wollte.«

+ Im fol­gen­den sind die Vor­trä­ge des Bil­dungs­wo­chen­en­des doku­men­tiert: Mar­tin Sell­ner wid­met sich Heid­eg­gers Tech­nik­kri­tik und der Fra­ge nach der All­macht des Men­schen über die erleb­ba­re Welt; ein sehr tran­szen­den­ta­ler Mar­tin Licht­mesz geht auf die poten­ti­el­le Mach­bar­keit von Reli­gio­nen ein. Der Islam­kri­ti­ker Micha­el Ley erör­tert Mög­lich­kei­ten, einem radi­ka­li­sier­ten Islam mit libe­ra­len Mit­teln die Zäh­ne zu zie­hen, wäh­rend PR-Fach­mann Lutz Mey­er sei­ne Leser in die Grund­la­gen der Wer­bung (lies: Pro­pa­gan­da) ein­führt. Gera­de letz­te­rer Text lohnt sich vor allem für Anhän­ger der gegen­wär­ti­gen Pro­test­be­we­gun­gen in der Bundesrepublik.

+ Dr. Jan Mol­den­hau­er von der Oil Deple­ti­on Impact Group befaßt sich ein­ge­hend mit der Pro­ble­ma­tik einer abseh­ba­ren Erschöp­fung der welt­wei­ten Reser­ven an fos­si­len Brennstoffen.

+ Neben dem bereits hier vor­ge­stell­ten Gespräch mit Prof. Karl Albrecht Schacht­schnei­der hat Ellen Kositza einen aus­führ­li­chen Dia­log mit André Licht­schlag von eigen­tüm­lich frei geführt. Vor dem Hin­ter­grund des Ansturms auf Euro­pa geht es um Posi­ti­ons­be­stim­mun­gen vom Volks­be­griff über den Libe­ra­lis­mus bis hin zu staat­li­cher Mei­nungs­be­glü­ckung – ein nach­denk­li­ches Abklop­fen des eige­nen und ande­ren Standpunkts.

+ Einen wei­te­ren, mit­tel­ba­ren Dia­log füh­ren auch Frank Lis­son und Götz Kubit­schek: Wäh­rend der Kul­tur­phi­lo­soph Lis­son einen geschicht­lich-psy­cho­lo­gi­schen Zugriff auf den Wider­stand gegen die Zeit­läuf­te vor­nimmt und die man­geln­den Flucht­mög­lich­kei­ten aus einer glo­ba­len (mie­sen) Seins­wirk­lich­keit zu beden­ken gibt, tritt Kubit­schek für die »Rück­ge­bun­de­ne Mobil­ma­chung« ein. Weil Bewe­gung aus Hal­tung ent­steht und ein Stand­punkt der Ein­wur­ze­lung in Über­kom­me­nes bedarf, sei die Selbst­ver­ge­wis­se­rung über Grund und Zie­le des Wider­stands unum­gäng­lich – und durch­aus ein bis­wei­len schmerz­haf­ter Pro­zeß. Nie­mand aber kön­ne sich dem ent­zie­hen, auch nicht durch eine schein­ba­re rei­ne Selbst­be­zo­gen­heit, die Lis­sons Betrach­tung durchwebt.

+ Neben einer Fort­set­zung der Rei­he »Vor dem Bücher­schrank« durch Dr. Micha­el Rie­ger, dies­mal über den »schil­lern­den Geist der Uto­pie«, beginnt Lud­wig Paul nun die Fol­ge »In der Video­thek«: Zu den bereits in Tris­tesse Droi­te durch­ge­spro­che­nen, inspi­rie­rend-instruk­ti­ven Fil­men tritt “Die Brü­cke am Kwai” als eine Medi­ta­ti­on über das Standhalten.

+ Die Aus­ga­be wird abge­run­det vom übli­chen Rezen­si­ons­teil, dies­mal unter ande­rem zu Neu­erschei­nun­gen der Häu­ser Ares, Lai­ka und Matthes & Seitz Ber­lin sowie zur Herbst­num­mer von Tumult. Vier­tel­jah­res­schrift für Kon­sens­stö­rung.

Abon­nen­ten soll­ten das Heft bereits erhal­ten haben; Ein­zel­be­stel­lun­gen und die Ein­sicht in das Inhalts­ver­zeich­nis sind hier mög­lich. Ein Jah­res­abon­ne­ment inner­halb Deutsch­lands und Öster­reichs kos­tet 50 Euro, ermä­ßigt für Nicht­ver­die­ner 35 Euro (jeweils inkl. Por­to), drei älte­re Hef­te gibt es zudem als Prämie.

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

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Kommentare (15)

Rosenkranz

26. Oktober 2015 14:22

Danke, daß in der aktuellen Sezession auch ein Beitrag von Dr. Moldenhauer über die Peak-Oil-Theorie zu finden ist. Es wäre schön, wenn er diesem Thema weitere Aufsätze folgen lassen könnte. Dieses Thema beschäftigt mich schon seit etwa 10 Jahren und ich halte es für essentiell.

Von großem Übel empfinde ich aber die Energieabhängigkeit vom Ausland mit einer Nettoeinfuhr von rund 9.234 PJ (Jahr 2014). Auch ist die immer komplexere Vernetzung und Steuerung der Stromnetze, Kraftwerke und Großanlagen besorgniserregend. Wenn in diesem Land für nur 1 Woche mal komplett die Spannung im Stromnetz ausfällt, dann gute Nacht.

Auch haben wir oft eine falsche Vorstellung von den Energiepreisen. Energie ist zur Zeit immer noch extrem billig, wenn wir einen Vergleich zur Arbeitskraft eines Menschen ziehen. Es gibt Menschen die bezahlen ca. 4,98€ für den Liter "preiswerten" Filterkaffee bei einer amerikanischen Kette, während man bei den Benzinpreisen von über 1,5€/L anfängt zu meckern. Dieser Liter Benzin hat einen Brennwert von 9kwh. Würde man nun die 9kwh mit dem eigenen Körper (Dauerleistung Mensch ca. 0,08kw/h) erarbeiten müssen, würde dieses ca. 112,5h dauern, und das nur mal 8,50€/h Mindestlohn gerechnet, liegen wir schnell bei 956,25€.

Dieses Zeitalter des extrem hohen fossilen Energieverbrauchs, wird nur ein sehr kurzes sein. Wir sind auf einen extrem hohen Energieberg hinaufgeklettert. Der Abstieg dürfte ein sehr schwieriger werden. Und ich wage zu bezweifeln, ob uns neue Technologien retten werden. Lisson geht von einer immer weiter durchtechnisierten Zukunft aus. Ich gehe da nicht mit, weil wir nicht in der Lage sind, unseren Energie- und Materialhunger zu bändigen.

Diesbezüglich werden auch die Erneuerbaren Energien vom Potenzial her, völlig überschätzt. Diese haben einen Anteil von 11,1% (Jahr 2014) am Primärenergieverbrauch in der BRD und geraten an Grenzen (Flächen für WKA und Biomasse, Wirkungsgradverschlechterung PV- Anlagen über die Zeit, Verfügbarkeit von Materialien wie Seltenen Erden, sowie Speicher- und Netzprobleme).

Wir hatten die Chance gehabt, mit einer kleiner werdenden Bevölkerung unseren Energieverbrauch weiter deutlich zu senken und das Energieproblem damit kleiner werden zu lassen. Durch die ständige Neuansiedlung von Ausländern haben wir nun auch diese Chance vertan.

Gardeleutnant

26. Oktober 2015 18:19

Ein zentrales, wenn nicht das zentrale Problem der Zukunft, das Rosenkranz da anspricht. Derzeit lese ich Bücher von R. Heinberg zum Thema parallel zu fortschrittsoptimistischen Werken über die Zukunft der digitalen Technik. Wenn man die beiden Zukunftsbilder, besser: eine hoffende Erwartung und eine bangende Fast-Gewißheit, miteinander kollidieren läßt, entsteht ein Szenario gigantischer Erwartungsenttäuschung, kollektiver Frustration und ausbrechender Verteilungskämpfe ungekannten (!) Ausmaßes. Dem Thema sollte bei Sezession auch weiterhin Raum gegeben werden.

Meier Pirmin

26. Oktober 2015 20:58

Gut, dass sich die Sezession neuestens auch mit Carl Jaspers beschäftigt hat. Für mich war er für die frühe Auseinandersetzung mit der konservativen Revolution noch wichtig, etwa mit seinem frühen "philosophischen" Bestseller mit dem genial-einfachen Titel "Zur geistigen Situation der Zeit", das war der Band 1000 einer berühmten Reihe, ich glaube der Sammlung Göschen. Dort raunte er vom "Schicksal", welches sich vileicht "durch den Ruin den Weg bahnt zu einem neuen Menschen", wie ich es nunmehr nach 43 Jahren ohne Gewähr auswendig zitiere. Das unvordenkliche "Denken" der Atombombe machte Jaspers, wie Günter Anders und Reinhold Schneider zum eschatologischen Humanisten. Diese Rolle spielte er noch bis zu seinem Tod. Den eschatologischen Humanismus hat die deutsche Rechte, so weit sie zum Humanismus tendiert, heute noch nicht abgelegt. Jaspers wollte zu allen Phasen seines Schaffens ein Humanist sein.

KJ

26. Oktober 2015 21:08

Zum Thema "Was machbar ist?" passt der Artikel von Alan Posener, der PEGIDA auf seine verschlüsselte Weise hochschreibt, diese "miesepetrigen Defaitisten", diese!

https://www.welt.de/debatte/kommentare/article148058069/Diese-miesepetrigen-Defaetisten-sind-falsche-Patrioten.html

Gleichwohl eine interessante Debatte um Patriotismus anschiebend: Ist es patriotisch sein Kreuz auf sich zu nehmen statt zu opponieren?

Sehr gut, mit "Peak Oil" auch mal ein allgemeines Thema anzusprechen. Welche Chancen ergeben sich aus der Erschöpfung?

Monika

27. Oktober 2015 09:35

Was ist machbar ?

Dem letzten Absatz finde ich herausragend treffend.
Statt für ein Verbot zu plädieren, Verfassungsschützer zu engagieren oder mit dem gleichen Popularismus entgegenzuhetzen, sollte man langfristiger denken und sich der Bewegung mit starken Gegenprotesten und Kreativität stellen

Leserbrief in der taz
zum Thema, ob der Verfasssungsschutz Afd und Pegida observieren soll:

https://www.taz.de/Kommentar-AfD-und-Verfassungsschutz/!5241919/
Ich weiß zwar nicht, ob der Taz-Leser mit Kreativität auch das Abfackeln von Autos in Dresden meint, aber grundsätzlich ist Kreativität mal gut.

Was also ist machbar in einer Zeit, wo sich "Flüchtlinge deutlicher schneller bewegen als Politiker"( Handelsblatt)
und auch schneller als rechte und linke Intellektuelle, wäre zu ergänzen.

Auch hier ist vieles zu entdröseln.

"Wie rechts darf man sein? Soll der VS die AfD observieren" ?( Handelsblatt)

"Wieso zur Lösung des Problems ausgerechnet auf den Verfassungsschutz setzen ?" ( taz)

"Die Behörde, die hinter den NSU-Morden jahrelang keine Neonazis erkannte ?" ( taz)

Vielleicht waren da ja keine, oder weniger oder ganz andere ? Könnte man entgegnen.

"Seit gemeldet wurde, dass der Attentäter von Köln womöglich ein V-Mann des Verfassungsschutzes war, ist es merkwürdig still um den Messerstecher geworden..." ( Klonovsky 24.10., acta)

Was ist machbar ?

"Soll die Hetze enden, hilft nur ein offensives Verteidigen demokratischer Werte und des Pluralismus, ein stetiger Gegenprotest auf den Straßen."

schreibt die taz in o.g. Artikel.
Aber das tun Pegida und AfD doch seit Wochen...und fackeln keine Autos ab und schlagen keine Demoteilnehmer krankenhausreif.
Zu fragen ist auch, was denn letztlich enden soll ?

Meier Pirmin

27. Oktober 2015 10:39

PS. Die Rechte tendiert, spätestens seit Carl Schmitt, bekanntlich nicht vorbehaltlos zum Humanismus, im Gegenteil.

Der Satz, wer Menschheit sage, wolle betrügen, ist leider trotzdem nicht ganz falsch. In der rechten Schweizer Zweiwochenschrift "Schweizerzeit" schrieb der SVP-Kulturpolitiker Dr. Daniel Regli (Zürich) einen leider sehr schlecht beratenen sektiererischen Leitartikel quasi gegen den Humanismus, dem er einseitig alles linke Gedankengut in die Schuhe schiebt bis hin natürlich zur Genderpropaganda usw. Solche Leute haben nie Erasmus von Rotterdam und Paracelsus gelesen, zu schweigen von Jacob Burckhardt und Gerd-Klaus Kaltenbrunner. Erasmus hat zum Beispiel sehr klug unterschieden zwischen dem radikal abgelehnten Krieg unter Christen und der Verteidigung der Zivilisation, die er im Falle einer Isalmisierung Europas mit Recht bedroht sah. Er war noch dazu der bessere Stilist als Paulus, in dessen Zusammenhang er monierte, der Heilige Geist habe im Neuen Testament ein schlechtes Griechisch geschrieben. Damit war im Prinzip die Grundlage zu einer nicht zu unterschätzenden humanistischen Bibelkritik und Fundamentalismuskritik gelegt. Erasmus schrieb sich auch in eine ganz andere Liga empor als etwa Karl Marx, bei dem der Vorwurf "Journalistendeutsch" (Egon Friedell und andere) nicht mal zutrifft, weil er, vom Kommunistischen Manifest (mit Friedrich Engels) abgesehen, eher schlechter schreibt. Ob Marx ein Humanist gewesen sei oder nicht, entscheidet die Frage nach der Notwendigkeit des Humanismus als unentbehrliches Bildungselement in keiner Weise. Dasselbe gilt für Nietzsche und Sartre. Möglicherweise wollte aber der junge Ernst Jünger in seiner extremistischen Phase tatsächlich kein Humanist sein.

Sascha

27. Oktober 2015 18:00

Die Verwendung der Nazikeule kann manchmal auch lustig sein: Wenn sich Anti-Zionisten mit Anti-Deutschen darüber streiten, wer von ihnen nun der Nazi ist.

https://nocheinparteibuch.wordpress.com/2015/10/27/freiheit-fuer-palaestina/

Gardeleutnant

27. Oktober 2015 18:52

Herr P. Meier,

warum schreiben Sie nicht mal einen Text mit Hand und Fuß für die Sezession statt Ihre Energie in versteckten SiN-Kommentaren zu verbrauchen und dadurch zu verstecken? Eine knappe, mehr hinweisende als tief analysierende oder unbedingt Neuheiten liefern wollende Darstellung einer geistigen Strömung, die man als "rechten Humanismus" bezeichnen kann - das wäre doch etwas! Das läse ich sehr gerne und wäre damit sicherlich nicht der einzige. Sie besitzen ja offenbar das geistige Rüstzeug für diese Aufgabe. Aber hier die Kommentarstränge mit weit vom Thema wegführenden, ausschweifenden Gedanken vollschreiben... warum Sie das immer wieder tun, ist mir schleierhaft. Nichts für ungut!

Kaliyuga

27. Oktober 2015 21:08

Danke, Herr Wegner, das Programm spricht an. Durchschimmernd und doch ungebrochen: Licht der Freude am Denken, die sich bewahrt hat.

Werter Rosenkranz,

das heutige Denken Vieler zirkuliert um „Energie“ und benennt sogar Epochen danach (vormals „Atomzeitalter“, nun, nur vermeintlich „sanfter“, das „Solarzeitalter“). Und solange sich das Denken aus diesem Kreis nicht herausdreht, wird jeder promovierte Physiko-Chemiker und Ingenieur wie selbstverständlich und, plebejisch und mittelmäßig begabt wie er oft sein mag, tatsächlich erfolgreich nach immer besseren und „effizienteren“ Wegen sinnen, Energie zu wandeln.

Der scharf denkende Oswald Spengler hatte das 1931, nachdem sein früheres „Untergang des Abendlands“ gerade auch von berufsmäßigen „Kathederakademikern“ nicht verstanden wurde (er selbst wurde zwar als Lehrer ausgebildet, war aber nie dazu berufen), in „Der Mensch und die Technik“ lapidar festgehalten. Solange epochenspezifische Kraft nicht erschöpft ist, wird in der Gesamtheit betrachtet keine Erschöpfung auftreten. Wer solches postuliert, unterschätzt den Geist. Nur ein einziges Beispiel, aus dem sich freilich induktiv eine ganze, fest bewährte „faustische“ Welt zeichnen läßt:

Längst wird avancierte Technik entwickelt und ist schon im Einsatz, will heißen, wird vertrieben und verkauft, die Erkenntnisse aus Festkörperphysik, Optik und einfacher Elektromechanik zusammenführt, in einem System bündelt und solchermaßen potenziert Licht mit hohem Wirkungsgrad in elektrischen Strom wandelt. Man füge III-V-Verbindungshalbleiter verschiedener Bandlücken austariert, in lediglich drei Schichten (mehr sind gut möglich) aufeinander und bestrahle sie zweiachsig auf das Angström genau und astronomisch nachgeführt mit mehreren hundert aufkonzentrierten "Sonnen". Für den Physiker ist das Beobachten solcher Phänomene ungemein faszinierend, im Übergang zur Praxis, dort, wo sich Naturwissenschaft endgültig mit Technik vermählt, bietet sich tatsächlich ganz erhebliches Potenzial für das Erschließen von Strömungen.

Für den Menschen freilich ist das am Ende un-heim-lich, weil zu in sich steigernder „Seinsvergessenheit“ führend. Man vergleiche den Energieumsatz eines einfachen, noch wie natürlich konservativen, einfachen Bauers der Dreißiger bis Siebziger Jahre, der mit seinem Weib mehr als eine halbe Fußballmannschaft gezeugt, seine Wiesen oft noch mit Sense bewirtschaftet und seine Kühe mit Hand gemolken hat, mit demjenigen seiner Urenkelin, die gymnasial „antirassistisch“ und „ideologieökologisch“ erzogen, diplomiert nun wie selbstverständlich um die Welt tingelt, und sei es nur, um von London nach New York auf ein Wochenende mit Party zu fliegen.

Naturwissenschaft und Technik schreiten voran, der Mensch geht nieder.

Kaliyuga

27. Oktober 2015 21:51

Werter Pirmin Meier,

„durch den Ruin zum neuen Menschen“: Jaspers, dessen Vornamen Sie mit „C“ und dessen Arbeit Sie „philosophisch“-überraschend in Anführungsstriche setzen, hatte großartig-griffige Sätze. Bei Prüfungen frage ich mitunter nach der möglichen Bedeutung seines verfänglichen „Wissenschaften leisten auch heute Außerordentliches“, Quelle, das von Ihnen angeführte Buch.

Techniker und Naturwissenschaftler durchdringen ihn, geschweige denn „seinen“ tiefer blickenden und die Technik wirkmächtiger bedenkenden Heidegger (man vergleiche etwa Jaspers Äußerungen in seinem Nachkriegswerk „Vom Ursprung und Ziel der Geschichte“ mit Heideggers „Kehre“) eher nur schwer, sie tendieren zum sezierend-analytischen, d.h. nach George auch auflösenden Denken.

Da Sie übrigens attraverso Jaspers auf das „Schicksal“ abheben: Der nach Goethe dämoniebegabte Napoleon hatte in einem bekannten Erfurter Gespräch anno 1808 mit Ersterem doch rüde festgehalten: „Die Politik ist das Schicksal“. Auf dem äußeren Plan, den es ja nach irdenem Maß immer braucht: ein Werkzeug allzumal.

Kaliyuga

27. Oktober 2015 22:49

Es ist peinlich, heut‘ nun zum dritten Mal zu schreiben, doch für einen, der seit wohl seit gut zwei Dutzend Monden hier unregelmäßig-regelmäßig liest, drängt sich’s zur Frage, und es ist wohl erlaubt zum allgemeineren Thema:

Wo ist Raskolnikov?

Guai a coloro, die ihn, den ganz besonderen Kopf, abgeschreckt hätten; doch war er doch im Kern stets auch Kaltduscher, bewährt und bewehrt, in gesunder Weise „Welt“ uneingedenk. Mein wichtigster Lehrer in der Unterprima hat mir bei meinem Naturell beschwichtigend einst vom Lesen des Dostojewski abgeraten. Das ist vorbei.

Meier Pirmin

28. Oktober 2015 07:06

@Kaliyuga. Freudscher Verschreiber. Carl Schmitt schreibt sich mit C, Karl Jaspers, dessen Schrift von 1930 ich schon vor 40 Jahren zitierte, tatsächlich mit K., aber ich lese meine eigenen Publikationen kaum mehr, finde sie bis auf etwa zwei oder drei grosse Biographien wenig relevant. Im Netz finden Sie jedoch noch einen brauchbaren Aufsatz von mir über Leopold Ziegler und Reinhold Schneider, nämlich im Reinhold Schneider-Literaturforum. Zwei versprengte der einstigen konservativen Revolution, von meinem nun mal nicht überragenden Landsmann Armin Mohler kaum oder gar nicht beachtet.

"Jaspers" war aber deswegen wohl kaum eine Abschweifung, weil das neueste Heft von Sezession tatsächlich einen kritischen Aufsatz über denselben enthält, sich von dessen Spätphase distanziert. Dabei sind bei Jaspers zuletzt mindestens die Titel gut, im Spätwerk am besten "Wohin treibt die Bundesrepublik?", dieser Titel würde heute treffender denn je zu einem Buch eines grossen Philosophen passen, der jedoch nicht vorhanden ist. Ob Jaspers ein solcher war? Sehe in ihm einen grossen Essayisten. Dass er sagte, dass Kinder und Geisteskranke philosophieren, hätte auch Novalis raunen können. Aristoteles, Avicenna, Cusanus, Descartes, Kant, Schopenhauer, Comte, Carnap, Bolzano, Wittgenstein, Russell, Popper, Quine, Lübbe eher nicht, wohl auch nicht Heidegger. Darum ist Jaspers' Philosophiebegriff eher ein analoger als ein wissenschaftlicher.

Wenn Echo auf das neueste Sezessionsheft an dieser Stelle verfehlt wäre, würde ich mich dafür entschuldigen.

Der Satz, "Die Politik sei das Schicksal" wird nicht wahrer dadurch, dass Bonaparte ihn zu Goethe geäussert hat. Adam Smith hat schon vorher gesehen, dass die Wirtschaft das Schicksal ist, Ernst Jünger und Günter Anders, die ich gern zitiere, ersteren in kritischer Rezeption der deutschen Rechten, haben mit weit mehr Berechtigung gesehen, dass die Technik zum Schicksal geworden ist.

Grossartig griffige Sätze bei Jaspers würde ich nicht leugnen, wiewohl mir im Moment gleich keiner auswendig einfällt Ich fand solche, fast nachhaltiger, etwa bei Ernst Bloch, in seiner Tübinger Einleitung in die Philosophie, so "Jedes Bin ist innen", könnte auch Novalis gesagt haben. Dafür eher nicht "Ubi Stalin - ibi Jerusalem". Verirrungen letzterer Art bleiben uns bei Jaspers erspart, wenn ich mich nicht irre. Siehe noch den meistzitierten Satz von Carl Schmitt, den ich hier nicht extra wiederhole, die These als Phrase soll den Rest seines Denkens diskreditieren. Ein Beispiel für rechten Humanismus gab er damit nicht. Einen solchen würde ich jedoch auch heute nicht als Luxus empfinden.

Meier Pirmin

1. November 2015 03:51

@Kallyuga. SiN-Kommentare heissen nun also "Selbständig im Netz", wusste ich so gar nicht. Die Abkürzung gefällt mir.

Ich bitte aber, diese und andere Kommentare bei "Sezession" nicht mit einem Unterseeboot zu verwechseln. Ich habe lebenslang Erfahrungen gemacht mit den Grenzen der Meinungsfreiheit als Publizist und bin in diesem Sinn mit "Sezession" solidarisch, als ohne Publikationen dieser Art das Gesamtspektrum der Meinungsfreiheit im deutschen Sprachraum enger wäre. Mut ist dann noch mehr Mut, wenn gut geschrieben und argumentiert wird und nicht einfach Dampf abgelassen, wie es oft zum Beispiel im Kommentar-Forum-Teil der Jungen Freiheit zu lesen steht, dessen Funktion sich aber aus der Unterdrückung derselben Wortmeldungen bei der FaZ, der Springerpresse und dem SPIEGEL ergibt. Als ein noch vergleichsweise tolerantes Medium schätze ich "Focus" ein. Was man hier aber im Anschluss an das abermals lesenswerte Heft zum Beispiel über Karl Jaspers hinzufügen kann, ist nun mal in diesem Blog mutmasslich sinnvoll. Dass noch dazu Carl Schmitt und Ernst Jünger in kritischer Rezeption zitiert werden, auch Armin Mohler, scheint mir zu "Sezession" besser zu passen als zur FaZ.

Heiko Sprang

1. November 2015 20:44

Ich habe gerade Martin Sellners Beitrag gelesen und muß sagen, bin immer mehr begeistert wie der junge Mann auch so schwierige Dinge wie Heideggers Kritik der Neuzeit bis in ihre Tiefenschichten pointiert, klar und flüssig darstellt. Es ist eine Lust zu lesen.
Nun bleibt man allerdings etwas ratlos mit der deprimierenden Zustandsbeschreibung zurück und fragt sich, wo kanns denn hin gehen. Dazu fiel mir spontan Dolores LaChapelle ein, "Weisheit der Erde", die amerikanische "deep ecology". Heideggers Denken fließt dort ebenso ein wie Zen Buddhismus, das "Geistige" der Berge, unmittelbare Verbindung mit der Natur, Rituale, Spiritualität usw.
Vielleicht muß man dem "Gestell" wirklich sagen: So, machs gut, wir gehen jetzt (und leben das ganz einfache Leben in der Abgeschiedenheit).
Unsere auf die Tagespolitik bezogene Formel "Es gibt keine Lösung im Etablierten" muß eigentlich viel umfassender gemeint und verstanden sein.

Kaliyuga

5. November 2015 23:27

Werter Herr Meier Pirmin,

danke für Ihre Antworten.

Eben habe ich bemerkt, daß Herr Wegner die Diskussion noch nicht geschlossen hat. Die Brücke schlagend zwischen Ihrem Schreiben hier am 2. Nov. 2015, 21 Uhr 43 an die Monika (speziell Ihrem Fernsehgespräch auf SF Kultur) und künftigen Druckausgaben der Sezession: Warum nicht dort einen Beitrag liefern zum späten Denken des Gerd-Klaus Kaltenbrunner, einer Besprechung des Tobias‘ der Apokryphen (speziell Kap. 5,5 bis 8,16), einer kritischen Würdigung des Freiburgers Hans Bender, wenn es denn das Sezessions-Programm hergibt?

Kaliyuga

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