Metapolitische Unterweisung – Armin Mohler an Ernst Jünger

PDF der Druckfassung aus Sezession 56 / Oktober 2013

Bourg-la-Reine, 28.11.54

Lieber Chef,

Es geht um Ihre Anmerkungen zur Politik in Ihren letzten Briefen. Erst wußte ich nicht recht, ob ich nochmals darauf eingehen soll. Schließlich ist es nicht mehr meine Aufgabe, Ihnen zu widersprechen. Aber es handelt sich um ein Verhalten, das ich oft an Ihnen beobachtet habe und das ich doch umschreiben möchte.

Daß Sie sich nicht um den täg­li­chen poli­ti­schen Klein­kram zu beküm­mern haben, ist selbst­ver­ständ­lich. Was Sie ande­rer­seits über die Gestalt des Arbei­ters sag­ten (im Brief vom 8.11.) leuch­tet mir eben­falls ein.

Das über den Arbei­ter Gesag­te ist jedoch im abso­lu­ten Raum gespro­chen. Mir scheint, daß – bei Ihren poli­ti­schen Äuße­run­gen allein – die dazwi­schen lie­gen­de Schicht meist aus­ge­spart bleibt, in der Sie mit Herz, Mund, Magen und Geschlecht drin sind.

Sie sagen ja: »Poli­tisch kann man heu­te mit glei­chem Recht ent­ge­gen­ge­setz­te Aktio­nen befür­wor­ten.« Das ist von der meta­po­li­ti­schen Sphä­re aus gese­hen rich­tig. Aber Sie leben in der Zeit, das Schick­sal hat sie in einen poli­ti­schen Raum gestellt.

Mir scheint manch­mal, daß Sie es sich – aber nur in poli­ti­cis! – in die­sem Bereich etwas zu leicht machen, indem Sie zu früh den meta­phy­si­schen oder meta­po­li­ti­schen Schluß zie­hen. Sie argu­men­tie­ren dann im poli­ti­schen Bereich mit meta­po­li­ti­schen Schlüssen.

Bevor ich zu Bei­spie­len über­ge­he, möch­te ich sagen, daß ich zu Ihren poli­ti­schen Aus­sa­gen nach dem Zwei­ten Welt­krieg wohl Über die Linie / Der Wald­gang / Der gor­di­sche Kno­ten rech­ne, kei­nes­wegs aber die Frie­dens­schrift und die Strah­lun­gen.

In der Frie­dens­schrift ist zuviel Wol­len, in den Strah­lun­gen schei­nen mir die poli­ti­schen Äuße­run­gen doch zu akzi­den­ti­ell zu sein. In den ers­ten drei Schrif­ten aber, ins­be­son­de­re der Linie und dem Wald­gang, steht Poli­ti­sches, und gera­de mit die­sen poli­ti­schen Stel­len haben Sie auf die jetzt in die Poli­tik ein­tre­ten­de Gene­ra­ti­on in Deutsch­land sehr stark gewirkt.

Sie trei­ben kei­nes­wegs bloß Meta­phy­sik, son­dern Sie haben in jener mitt­le­ren kon­kre­ten poli­ti­schen Zone unmit­tel­ba­re Wir­kun­gen – ob Ihnen das nun lieb ist oder nicht.

Und zwei­tens möch­te ich Ihnen sagen, daß man­ches, was Sie als »Pri­va­ter« (soweit Ihnen eine »pri­va­te« Exis­tenz über­haupt noch mög­lich ist – der Spiel­raum ist sehr klein) tun oder sagen, dem in Ihren Schrif­ten poli­tisch For­mu­lier­ten widerspricht.

Und ich mei­ne, daß Sie es sich nicht zu leicht machen dür­fen, indem Sie dar­auf ver­wei­sen, daß in jener obe­ren, meta­po­li­ti­schen Sphä­re die Gegen­sät­ze ohne­hin zusammenfallen.

Aber nun ist es Zeit, daß ich end­lich zu prak­ti­schen Bei­spie­len über­ge­he. Es ist ein Poli­ti­kum, zu wem Sie – außer­halb Ihrer Bücher – »ja« sagen. Wie es auch ein Poli­ti­kum ist, gegen wen Sie sich entscheiden.

Es ist ja kei­nes­wegs so, daß Sie in Ihrem »pri­va­ten« Leben kei­ne poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen fäl­len. Bei­spiels­wei­se haben Sie beim Natio­nal­so­zia­lis­mus nicht mitgemacht.

Wenn es Ihnen damals wirk­lich nur auf das Meta­po­li­ti­sche ange­kom­men wäre, so hät­ten Sie ja – um der Ver­wirk­li­chung der Gestalt des »Arbei­ters« wil­len – gera­de an die­sem Natio­nal­so­zia­lis­mus teil­neh­men müs­sen, so sehr Sie ihn im poli­ti­schen Raum, also unter­halb der Meta­po­li­tik, abge­lehnt haben.

Sie haben sich also prak­tisch kei­nes­wegs an das gehal­ten, was ich die »abso­lu­te Argu­men­ta­ti­on« nen­nen möch­te und was Sie mir in Ihrem Brief vom 8.11. ent­ge­gen­ge­stellt haben.

Sie müs­sen es also über sich erge­hen las­sen, daß Ihr stör­ri­scher Ex-Secre­ta­ri­us Sie gera­de auf die­ser poli­ti­schen Ebe­ne zu stel­len sucht, auf der Sie nicht ange­trof­fen wer­den möchten.

Ich wäh­le zwei Bei­spie­le, die eng zusam­men­hän­gen: Sie haben die His­toire de la Révo­lu­ti­on Euro­pé­en­ne von Fab­re-Luce für die deut­sche Über­set­zung emp­foh­len [Alfred Fab­re-Luce, 1899–1983, frz. Schrift­stel­ler; eine deut­sche Über­set­zung des Buches von 1954 erschien nicht], und Sie haben sich über den Saar-Arti­kel in der Welt­wo­che [von Karl von Schu­ma­cher, 1894–1957, Grün­der und Her­aus­ge­ber von Die Welt­wo­che] geär­gert.

Sie haben also Fab­re-Luce in sei­nem poli­ti­schen Wol­len als Ihnen ver­wandt emp­fun­den und Sie haben offen­sicht­lich von der Welt­wo­che etwas ande­res erwartet.

Sie wei­sen bei Fab­re-Luce auf die Stel­len über Poin­ca­ré [Ray­mond Poin­ca­ré, 1860–1934, 1913–1920 frz. Staats­prä­si­dent, ver­si­cher­te Ruß­land 1914 in der Julikri­se der Unter­stüt­zung Frank­reichs]. Nun sind die­se Stel­len aller­dings mutig, wenn sich auch mehr und mehr His­to­ri­ker zu der Auf­fas­sung bekeh­ren, daß man es sich bis­her mit der deut­schen Kriegs­schuld anno 1914 etwas zu leicht gemacht hat.

Aber die­se Pas­sa­gen sind für mich der Speck, mit dem man die Mäu­se fängt. Man muß sich fra­gen, war­um ein Fab­re-Luce und war­um K. v. S. »deutsch­freund­lich« sind.

Bei­de, Fab­re-Luce und K. v. S., gehö­ren der glei­chen Schicht an. Ich möch­te sie die ers­te unech­te Eli­te Euro­pas nennen.

Alle bis­he­ri­gen Eli­ten haben ihre Legi­ti­ma­ti­on aus einem Ethos oder einem Auf­trag her­ge­lei­tet. Die­se Schicht aber ist die Groß­bour­geoi­sie der Grün­der­jah­re, wel­che als ein­zi­ge Legi­ti­ma­ti­on ihren Geld­sack vor­zu­wei­sen hat, ins­be­son­de­re wenn es sich um die zwei­te oder drit­te Gene­ra­ti­on handelt.

Fab­re-Luce läßt ja an einer Stel­le die Kat­ze aus dem Sack: wo er zu einer »Inter­na­tio­na­le der Bour­geoi­sie« auf­ruft. Und auch K. v. S. hat damals in erfreu­li­cher Wei­se die Kat­ze aus dem Sack gelas­sen, als er aus­rief, daß »die Deut­schen sich nicht drü­cken dürften«.

Man braucht deut­sche Infan­te­rie, wenn es um die hei­ligs­ten Güter des Vater­lan­des, die schwei­ze­ri­schen Geld­schrän­ke, geht. Sie sind von dem Augen­blick an in der Welt­woche gehät­schelt wor­den, wo die­se Schicht zur Über­zeu­gung kam, daß bloß noch der deut­sche Land­ser sie ret­ten könne.

Sie wer­den sagen, daß das mar­xis­tisch argu­men­tiert sei. Aber ich möch­te eben, daß wir über die Pha­se raus­kom­men, wo der Mar­xis­mus recht hat.

Die soge­nann­te »rote Gefahr« besteht genau­so lan­ge, als es die K. v. S. und Fab­re-Luce gibt. Das heu­ti­ge West­deutsch­land, die­ses unsau­be­re Gemisch von »frei­er Markt­wirt­schaft«, Kau­gum­mi und Pfaf­fen­herr­schaft, ist genau das, was die »Roten« als ihre Exis­tenz­vor­aus­set­zung brauchen.

Dafür aber, für die­ses Abend­land, wird nie­mand so zu ster­ben wis­sen in Deutsch­land, wie man immer­hin noch unter Hit­ler gestor­ben ist. Die­ser hat immer­hin, wenn auch zuge­ge­be­ner­ma­ßen in per­ver­tier­ter Form, ein Ziel auf­zu­rich­ten gewußt, das jen­seits der Wurst lag.

Sie schreiben:»Etwas ande­res ist, ob man sich im Not­fall schla­gen will oder nicht.« Die­ser »Not­fall« ist mir zu unbe­stimmt. Was man aber in letz­ter Zeit aus Deutsch­land hört, läßt zu mei­ner Freu­de hof­fen, daß die Jahr­gän­ge der künf­ti­gen Armee kei­nes­wegs um jeden Preis sich schla­gen werden.

Es hängt also auch von Ihrer Hal­tung ab, ob die jun­gen Deut­schen glau­ben, für die Inter­es­sen der Her­ren Fab­re-Luce und K. v. S. ein­ge­setzt zu wer­den oder für etwas, was den Ein­satz wirk­lich lohnt.

Fab­re-Luce sieht in Deutsch­land immer noch das wil­hel­mi­ni­sche Deutsch­land von einst, wie es übri­gens auch der Eng­län­der Gren­fell tut, des­sen Buch [Rus­sell Gren­fell: Bedin­gungs­lo­ser Haß? Die deut­sche Kriegs­schuld und Euro­pas Zukunft, Tübin­gen 1954] kürz­lich in Tübin­gen raus­ge­kom­men ist:

auch er möch­te deut­sche Infan­te­rie für den Schutz sei­ner Welt und auch er sucht zu die­sem Zwe­cke die anti­mi­li­ta­ris­ti­sche Kur der »Ree­du­ca­ti­on« dadurch rück­gän­gig zu machen, daß er den Deut­schen sagt, sie hät­ten 1914 gar nicht angefangen.

Er ist sogar noch radi­ka­ler als Fab­re-Luce: nach ihm haben sogar 1939 die Alli­ier­ten angefangen.

Was ich mit dem allem sagen möch­te: Am stärks­ten sind Sie immer noch, wenn Sie Ein­zel­gän­ger blei­ben. Mit jedem Schritt in der Öffent­lich­keit enga­gie­ren Sie sich aber politisch.

Dage­gen hilft Ihnen nicht, wenn Sie sich auf die meta­po­li­ti­sche Ebe­ne bezie­hen, auf wel­cher die Gegen­sät­ze ja ohne­hin zusam­men­fal­len wür­den. Gewiß tun sie das – aber die Syn­the­se dort oben besorgt ein ande­rer, außer­halb der Zeit. Aber Sie leben nun ein­mal inner­halb der Zeit.

Weil Sie gar kein »Pri­vat­mann« mehr sein kön­nen, kön­nen Sie es sich dar­um auch gar nicht mehr leis­ten, »pri­vat« Vor­stel­lun­gen anzu­hän­gen, wel­che der Welt zuge­hö­ren, der Sie noch ent­stam­men. Und das ist nun ein­mal die wil­hel­mi­ni­sche Welt.

Das kön­nen Sie schon des­halb nicht, weil Sie in Ihren Büchern wie kaum ein ande­rer gezeigt haben, in wel­cher Welt wir heu­te leben.

Neh­men Sie mir nicht übel, daß ich wie­der ein­mal gegen den Sta­chel gelöckt habe. Sie wer­den erken­nen, daß es in allen poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen, die ich so oft mit Ihnen hat­te, immer um den­sel­ben einen Punkt ging.

Herz­lich grüßt Sie Ihr alter Rouspetteur
Arminius

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