Nach sechs Jahren der editorischen Arbeit hat Institutsleiter Dr. Erik Lehnert damit einen lange überfälligen Beitrag zur Geistesgeschichte geliefert, der den privaten Austausch des Jahrhundertschriftstellers und des großen Denkers der deutschen Nachkriegsrechten dokumentiert – mit einer kleinen Besonderheit:
Denn wie bereits vorab angemerkt, hatte sich der Verlag Klett-Cotta letztlich gegen einen originalgetreuen Abdruck der umfangreichen Briefe und Postkarten Ernst Jüngers gesperrt, obgleich es eine Art mündlicher Absprache hierüber zwischen Mohlers Witwe Edith und Jüngers Witwe Liselotte gegeben hatte und der Verleger Götz Kubitschek während mehrerer Besuche bei Liselotte Jünger zu einer grundsätzlichen Übereinkunft gelangt war, das zeigen die Briefe aus Schnellroda und Überlingen. Der Vertrag konnte letztlich aufgrund der schweren Erkrankung Frau Jüngers nicht mehr aufgesetzt werden.
Auf den ersten Blick mag dies verwundern, hätte doch der komplette Briefwechsel andernfalls auch bei Klett-Cotta selbst erscheinen können, wenn es nur am Publikationsort Antaios gelegen hätte.
In Wirklichkeit lag der Unwille des Stuttgarter Verlags, wie Lehnert anhand beispielhafter Auszüge aus der Korrespondenz erläuterte, an dem dort mühevoll kultivierten Bild zumindest des Jüngers nach ’45 als ausschließlich ästhetisch interessiertem Beobachter der Zeitläufte. Dieser Eindruck wäre durch einige Stellungnahmen des Alten von Wilflingen erheblich ins Wanken geraten – eine Unruhe, der Klett-Cotta sich und den Absatz an Jünger-Neuauflagen offenbar nicht aussetzen wollte.
Hauptsache aber ist, daß die Briefe Mohlers nun endlich erschienen sind, nachdem erste Planungen zur Veröffentlichung noch zu dessen Lebzeiten entstanden. Die Anteile Jüngers am Briefwechsel wurden regestenhaft beigegeben und erlauben so auch ohne direkte Wiederhabe, die Argumentationsverläufe nachzuvollziehen, wozu auch der umfangreiche Anmerkungsapparat beiträgt.
Verklammert wird der Austausch vom Jüngerschen Arbeiter, der einerseits den jugendlichen Mohler für sein Leben prägte und andererseits beispielhaft für die Zwischenkriegsschriften steht, deren Glättung und Sortierung für die Gesamtausgabe zum vorläufigen Zerwürfnis der beiden Männer führte, mit dem der Band endet.
Die vorliegenden Briefe verschaffen dem Leser insbesondere eine Innenansicht des Betriebsablaufs beim Schriftsteller Jünger – weitaus intensiver, als es der nur versuchsweise Chronist Mohler mit seinem eigenen Ravensburger Tagebuch vermochte. Jünger, der Mohler als seine Interessenvertretung in der Schweiz und Frankreich nutzte, spann den »Secretarius« rasch in sein weites Netz aus Schriftsteller- und Verlegerkontakten ein. Auch in dieser Hinsicht finden sich im Briefwechsel zahllose private Einblicke, etwa in den Besuch Mohlers bei Louis-Ferdinand Céline.
Die Briefe, aus denen Lehnert zahlreiche launige Stellen vortrug, zeichnen sich allein schon durch die Person Mohlers, seine Persönlichkeit, Sachkenntnis und den Mut zum Widerspruch aus. Der vorliegende Band stellt damit eine willkommene Abwechslung zur Vielzahl eher schwacher Briefwechsel Ernst Jüngers, etwa mit Margret Boveri oder Stefan Andres, dar – gerade bei letzterem stelle sich laut Erik Lehnert die Frage, weshalb er überhaupt publiziert werden mußte.
Lehnert und der Verlag Antaios haben mit der Erschließung der Briefe an Ernst Jünger 1947–1961 einen wertvollen wissenschaftlichen Beitrag erbracht; auch für den weiteren Verlauf der 2016er Reihe der Staatspolitischen Salons ist somit noch viel Gutes zu erwarten.
+ Armin Mohler: Lieber Chef… Briefe an Ernst Jünger 1947–1961, hrsg. v. Erik Lehnert, Schnellroda 2015. 556 S., 44 € – hier bestellen!
Sabine
Mit Jüngers Briefen scheint dem Publikum ja eine Crux eigener Art aufgebürdet zu sein. Viele seiner Briefe aus der Zeit vor 1933 bzw. 1945 hat er selbst umgeschrieben. Da weiß man also nicht, warum er dies tat. Man muß hier wohl von einer Art Selbstfälschung sprechen - tut mir leid dies sagen zu müssen. Aber: er hatte wohl recht, denn er wußte genau, was nach 1945 auf die Deutschen zukommen sollte - da war Vorsicht wirklich die Mutter der Porzellankiste.
Ein erinnerungswürdiger Kurzbriefwechsel Jünger, der recht gut kommentiert wurde, ist dieser hier:
https://www.buch24.de/shopdirekt.cgi?id=3145196&p=3&sid=&static=0&nav=
Es kommt wohl darauf an, was die Nachgeborenen aus den Dingen machen: bloße antiquarische Adoration (T. Wimbauer) oder eigenständige Weitergestaltung (A. Mohler)!?