diffamieren und das Banale bevorzugen, greift immer etwas zu kurz, weil wir es ja sind, die ihnen immer noch Aufmerksamkeit schenken, obwohl wir sie auch einfach konsequent ignorieren könnten, wenn wir unser angestrebtes Weltwissen ausschließlich über alternative Kanäle und in der Bibliothek zusammensuchen würden.
Warum wir dazu so wenig in der Lage sind, kann nur begreifen, wer die große Paradoxie des mentalen Kapitalismus erkennt. Der Wachstumszwang der Gegenwart besteht gerade nicht darin, zu einer ständigen eigenen Fortentwicklung aus der Tradition heraus angehalten zu sein, um die Permanenz der Gesellschaft sicherzustellen. Vielmehr handelt es sich um einen „Fortschritt“, der in jeder Sekunde fordert, daß wir daran partizipieren, mehr zu verwirklichen und das Höhere, Weitere und Bessere anzustreben. Das wiederum befördert die Obsession, ständig über die Medien an das Weltgeschehen konnektiert sein zu wollen, um keine Neuigkeit zu verpassen.
Seltsamerweise verhalten wir uns dabei äußerst unökonomisch. Wir investieren ständig Aufmerksamkeit und Zeit für unnütze und belanglose Dinge, erhalten aber im Gegenzug viel weniger Anteilnahme, Zuwendung, Interesse und Neugierde für das, was wir selbst produzieren und was uns wirklich bewegt. Dies ist auf den ersten Blick umso verwunderlicher, da „nicht der sorglose Genuß, nein, die Sorge, daß die andern auch schauen, (…) zum tragenden Lebensgefühl in der Wohlstandsgesellschaft“ geworden ist, wie es Georg Franck in seiner Ökonomie der Aufmerksamkeit (1998) schön beschrieben hat.
Doch sie schauen nicht. Sie schauen nur, wenn man sich in besonders provokanter, alberner oder exzentrischer Weise präsentiert, wobei dann der eigentliche Inhalt und die eigene Persönlichkeit in den Hintergrund zu rücken drohen.
Politisch ist dies von Bedeutung, weil an die Stelle des Glaubens an den Parlamentarismus, der durch kontroverse Debatten „die wahre und richtige Gesetzgebung“ (Carl Schmitt) finden sollte, eine Skandalokratie getreten ist, die beim Agenda Setting ausschließlich von den tagesaktuellen Effekten lebt. Herausgebildet hat sich deshalb eine Provokationsästhetik, deren Gesetzmäßigkeiten beherrschen muß, wer öffentlich wahrnehmbar werden will, und darauf hofft, diese Wahrnehmbarkeit in echten Einfluß umwandeln zu können.
Funktionieren kann die Skandalokratie jedoch nur, solange die unpolitischen Bürger gleichgültig bleiben und die politisch Interessierten die Austauschbarkeit der emotionalisierten Informationshäppchen akzeptieren und eine weitestgehende Wahllosigkeit ihres Verlangens nach Sensationen und Empörungsgründen an den Tag legen.
Während nun Georg Franck die nervöse Grundstimmung in der Aufmerksamkeitsökonomie aufgrund ihres Mangels an langfristigem Denken ganz nach dem Motto „Tue Gutes und rede darüber“ in Richtung eines Zuwachses an „moralischer Eleganz“ verändern will und damit in die Falle der Hypermoral tappt, lohnt es sich, ein wenig länger über die Unsichtbarkeitsspirale nachzudenken, die sozusagen das notwendige und zwangsläufige Gegenstück zur Skandalokratie ist.
Erfassen lassen sich mit diesem Begriff die mediale Verdrängung des Normalen und des (aus Sicht des Medienprofis langweiligen) Weltwissens, das nur zu erlangen ist, wenn neben der Verinnerlichung von historischen Informationen die Sinnfragen „Wer sind wir?“, „Woher kommen wir?“ und „Was wollen wir?“ beantwortet werden.
In diese Unsichtbarkeitsspirale begeben sich die Bürger nicht freiwillig hinein. Im Gegenteil: Zum einen werden sie gebeten, am „Fortschritt“ zu partizipieren und dies dem Nachbarn auch zu zeigen. Zum anderen haben sie das menschlich-allzumenschliche Bedürfnis nach 15 Minuten Ruhm – und zwar nicht mehr auf dem Dorffest, sondern am besten im Fernsehen.
Gänzlich unerwünscht ist dagegen, daß sich die Bürger vor ihren 15 Minuten Ruhm zunächst einmal Gedanken darüber machen, was sie wirklich mitzuteilen haben. Dies müßte im Idealfall das Ergebnis einer sehr gründlichen Überlegung darüber sein, wie man selbst leben möchte und welche Dinge den eigenen Lebensplan und den der eigenen Gemeinschaft gefährden.
Nötig wäre dazu vor allem Selbstaufmerksamkeit. Dieses Hineinhören in sich selbst anstelle des medialen Erlebens dürfte auch die Voraussetzung für die Ausbildung einer echten Persönlichkeit sein, der es einfacher gelingen dürfte, Zeit und Aufmerksamkeit für die richtigen Dinge zu investieren und souverän mit der erhaltenen sowie nicht-erhaltenen Aufmerksamkeit umzugehen.
Daß die Bürger von sich aus beginnen, nach Selbsterkenntnis und Tiefenwahrnehmung zu suchen, ist aber natürlich genauso eine Illusion wie die Hoffnung auf moralische Eleganz. Vielleicht öffnet sich jedoch eine Hintertür, die eine Überwindung der Lethargie ermöglicht, die zugleich permanente Nervosität ist: Die Provokationsästhetik dürfte immer häufiger ihre eigentlich beabsichtigte Wirkung verfehlen und könnte durch fehlgeleitete Überspitzung Widerstand auslösen.
Zwei Beispiele dazu: Das Cover der Frankfurter Allgemeinen Woche vom 29. April 2016 sollte das angeblich rückwärtsgewandte Familienbild der AfD bloßstellen. Abgebildet ist eine glücklich aussehende Familie mit drei Kindern und Hund. Die Mehrheit, die sich dieses Bild angesehen hat, dürfte sich zumindest insgeheim gesagt haben: „Ja, genau so möchte ich leben.“ Was soll man denn auch an einer solchen Familie anstößig finden?
Etwas länger zurück liegt ein Wahlplakat der Grünen. 2009 warben sie für das, was jetzt Finanzminister Wolfgang Schäuble mit seiner „Inzucht“-Äußerung offen aussprach. Das Plakat kann nur dahingehend interpretiert werden, daß sich jeder Einheimische gefälligst einen schwarzen Sexualpartner zur rassischen Durchmischung der Völker suchen sollte.
Genau das geht dem unsichtbaren Volk definitiv zu weit, weil mit dieser Bildaussage jeder Betrachter in seiner bürgerlichen Normalität, seiner Intimsphäre und privaten Freiheit verletzt wird. Wenn sich nun jeweils ein paar Deutsche bei jeder Aktion dieser Art die Frage nach ihrer Herkunft und Zukunft stellen, ist dies der notwendige erste Schritt hin zu einem Bewußtseinswandel.
Viel schwieriger wird es danach allerdings noch, das unsichtbare, normale Volk dazu zu bringen, sich das unsichtbar gemachte Weltwissen anzueignen, was nötig ist, um sich aus der Tradition heraus fortentwickeln zu können. Das gilt insbesondere für Zeiten wie die Gegenwart, wo all diejenigen, die über dieses Weltwissen noch verfügen, ihre Kraft darauf konzentrieren, einen ebenso wichtigen politischen Kampf zu führen.
Emblem
Die besten Gegenmittel gegen die anti-weisse Dauerpropaganda sind Humor, Satire und Ironie, an besten mit starken Bezügen zur Populärkultur. Im Zuge der Trump-Bewegung, aber auch schon vorher, hat sich in den USA ein medialer Untergrund herausgebildet, der das vorexerziert. Man kann auf YouTube nach "You Can't Stump The Trump! Mix! OUT OUT OUT!" suchen oder nach "300: Making America Great Again [Donald Trump Parody]", um das zu sehen. Diese Propaganda unterläuft nicht nur das politisch-korrekte Narrativ, sie ist auch noch sehr unterhaltsam und erreicht damit Kreise, denen nicht-linke Botschaften bisher zu dröge und ernst daherkamen.