Dialoge mit H.: Trump, Realität und die “göttliche Linke”

von Caroline Sommerfeld

Denn Trump, das weiß man ja, verbreitet Lügen, die sich anfühlen wie Wahrheit. Für ihn sind Fakten wie alte Möbel: wenn sie im Weg stehen, kommen sie in die Rumpelkammer. Fakten machen schlechte Laune. Fakten sind unpatriotisch.
(Thomas Assheuer, ZEIT 41, 29.9.2016)

Erst kürz­lich beklag­te ich in einem Gespräch mit H, daß ich noto­risch unfä­hig wäre, mir Fak­ten, Sta­tis­ti­ken, Stu­di­en und Zah­len zu mer­ken. H warf mir ahis­to­ri­sches Den­ken vor, das dazu füh­re, daß ich Theo­rien aus ihrem his­to­ri­schen Kon­text her­aus­ris­se und für mei­ne Zwe­cke her­näh­me. Und natür­lich brach­te er den Klas­si­ker unter den Vor­wür­fen gegen rechts: Irra­tio­na­lis­mus, also eine Bedro­hung zu sehen, wo doch kei­ne da wäre, und den “Gro­ßen Aus­tausch” bloß “gefühlt” als Dys­to­pie zu ent­wer­fen, wo dem doch kei­ne Fak­ten ent­sprä­chen. Wahr­schein­lich ist der Grund, daß Fak­ten mir ein­fach zu unpa­trio­tisch sind.

In der ZEIT über­legt Tho­mas Ass­heu­er, ob die Rech­te sich nun auf die­se Wei­se mani­pu­la­tiv durch­set­ze: nicht mehr Fak­ten zäh­len, son­dern nur noch gro­ße Gefühle.

Wenn dann alle glau­ben, es gebe kei­ne Rea­li­tät mehr, nur noch eine gefühl­te Wirk­lich­keit, dann hat die Rech­te frei­es Feld, und das Spiel läuft nach ihren Regeln

Davon daß „alle“ glau­ben, es gäbe kei­ne Rea­li­tät mehr, sind wir gott­lob weit ent­fernt. Ass­heu­ers Angt vor Rea­li­täts­ver­lust soll­te man nicht für Rea­li­tät, son­dern für ein unauf­ge­ar­bei­te­tes Post­mo­dern­e­pro­blem der Lin­ken hal­ten. Die Idee der “Post­mo­der­ne” war in den 80er und 90er Jah­ren sehr ver­füh­re­risch, denn sie ließ die 68er-Gene­ra­ti­on getrost wei­ter Kri­tik an der Moder­ne üben, dia­gnos­ti­zier­te “das Ende der gro­ßen Erzäh­lun­gen” (vom auto­no­men Sub­jekt, Frei­heit, Gott, Fort­schritt), bespie­gel­te sich hei­ter in “Kul­tur­trüm­mern” und ließ vor allem eines zu: sich völ­lig weg­zu­be­we­gen von der Wirk­lich­keit, die man zuse­hends für “das freie Spiel der Signi­fi­kan­ten­ket­ten” und “end­lo­se Prä­zes­si­on der Simu­la­kra” zu hal­ten begann. Den Ästhe­ten (Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­lern, Phi­lo­so­phen, Archi­tek­ten, Künst­lern) war die Welt zur Kunst gewor­den, eigent­lich etwas, das sie nie gewollt hat­ten, damals, als alte Materialisten.

Die meis­ten intel­lek­tu­el­len Lin­ken ste­hen heu­te noch genau da, wo sie die Geschich­te in den 80er Jah­ren, spä­tes­tens frü­hen 90er Jah­ren, abge­setzt hat (und die Jün­ge­ren wer­den von den Älte­ren ent­spre­chend sozia­li­siert). Lin­kes Den­ken spannt sich auf zwi­schen Sozi­al­kri­tik (gegen “Aus­gren­zung”), Hyper­mo­ra­lis­mus (für das “Mensch­li­che”), Kon­struk­ti­vis­mus (“Dekon­struk­ti­on sozia­ler Kon­struk­tio­nen”) und Uto­pis­mus (“Traum vom fried­li­chen Zusam­men­le­ben”). Die­ses weit­ge­spann­te geis­tig-mora­li­sche Tätig­keits­feld ist aller­dings in sich ganz furcht­bar wider­sprüch­lich. Lin­ke Intel­lek­tu­el­le set­zen die Nicht-mehr-Exis­tenz der Rea­li­tät (“alt­eu­ro­päi­sches Den­ken”, Ver­dikt gegen “moder­nes Sub­stanz­den­ken”, “Simu­la­ti­on der Simu­la­ti­on”) voraus.

Sie brau­chen Rea­li­tät aller­dings ganz drin­gend, um mora­li­sche Kla­gen anstim­men zu können:“gegen rech­te Lügen” und die beschwo­re­ne “gefähr­li­che Fil­ter­bla­se” der Popu­lis­ten muß man eine Wirk­lich­keit auf­bie­ten, mit der ver­gli­chen die ande­ren lügen und mani­pu­lie­ren und ver­füh­ren. Hät­te man die nicht, wäre eh alles egal, ein post­mo­der­nes Any­thing goes der Rea­li­täts­kon­struk­tio­nen von Links und Rechts – das kön­nen die Lin­ken nicht zulassen!

1986 erschien im Ver­lag Matthes & Seitz ein Büch­lein, das erst­mal defi­ni­tiv rei­ner Zeit­ko­lo­rit ist: In Essays der Jah­re 1977–1984 plagt sich der Autor, Jean Bau­dril­lard, ob nun die kom­mu­nis­ti­schen und sozia­lis­ti­schen Per­tei­en Frank­reichs die Wah­len gewin­nen und wenn nicht, wor­an das liegt. Irgend­wann hat’s ihm wohl gereicht, dies alles eso­te­risch mit Lenin, Lacan, Alt­hus­ser und Marx über die Rol­le der Par­tei zu erklären.

Die Lin­ke sel­ber hat ein Pro­blem, stellt er fest, und zwar ein poli­ti­sches Problem!

Sie glau­ben an die ‘Rea­li­tät’ des Sozia­len, der Kämp­fe, der Klas­sen, und von wer weiß, was sonst noch. Sie glau­ben an alles, sie wol­len an alles glau­ben, das macht ihre tie­fe Mora­li­tät aus – und das nimmt ihnen jeg­li­che poli­ti­sche Fähig­keit. (…) Ihnen ent­geht voll­kom­men die Maß­lo­sig­keit, die Immo­ra­li­tät, die Simu­la­ti­on und die Ver­füh­rung, wel­che Bestand­teil des Poli­ti­schen sind. Eben das macht sie dumm, so abgrund­tief dumm.

Donald Trump ist real, auch wenn sei­ne Rede maß­los, moral­frei, ver­füh­re­risch ist. Die Dif­fe­renz ist nicht etwa die, daß er als phy­si­scher Spre­cher real, und sei­ne Rede blo­ße Spra­che sei, das ist so banal wie wahr. Es ist aller­dings unmög­lich, sei­ne Redein­hal­te auf mehr oder weni­ger Rea­li­täts­ge­halt hin zu prü­fen. Ist Trump daher sel­ber ein Simulacrum?

Wir könn­ten ver­führt sein, dies so zu sehen – all die gan­ze lin­ke Anti-Trump-Hys­te­rie wäre dann ein gro­ßer Irr­tum von Leu­ten, die ein­fach nicht che­cken, daß das Phä­no­men Trump frei­dre­hen­de Medi­en­rea­li­tät ist ohne Rea­li­täts­be­zug, und inso­fern die Über­prü­fung mit­hil­fe von “Fak­ten­checks” sinn­los ist, does not app­ly. Die mani­pu­la­ti­ons­theo­re­ti­sche lin­ke Fra­ge­stel­lung “Darf Trump unge­straft lügen und damit Stim­mung machen, darf er ein ‘Popu­list’ sein?” könn­ten wir beant­wor­ten mit: Trump darf alles. “Darf” ist nicht mehr die Fra­ge in der Sphä­re der Simu­la­cra. Aber befin­den wir uns wirk­lich darin?

Ein ganz kur­zes Anti-Hil­la­ry-Video führt vor: eine jun­ge schwar­ze Schau­spie­le­rin tritt vor die Kame­ra und bekennt, daß sie für Clin­ton wäre, die­se sei ein­fach “honest and trust­wor­t­hy … cut. Give me a cut, plea­se.” Ers­te Ebe­ne der Rea­li­tät: Pro­mi­be­kennt­nis, ganz authen­tisch. Dann bekennt sie, daß sie ein­fach nicht wei­ter­spre­chen kann, die­se Wor­te kom­men ihr nicht über die Lip­pen, denn sie glaubt nicht dar­an! Zwei­te Ebe­ne der Rea­li­tät: per­sön­li­ches Bekennt­nis vor lau­fen­der Kame­ra, Unter­bre­chung, ganz authen­tisch. Aus dem Off tönt jetzt: “Come on, you’­re an actress!” Ihre Reak­ti­on: “But I’m not that good of an actress!” – eine so gute Schau­spie­le­rin sei sie nun doch nicht. Sie ist aber eine Schau­spie­le­rin, die eine Schau­spie­le­rin spielt, die (ange­sichts Hil­la­ry) nicht mehr schau­spie­lern kann. Drit­te Ebe­ne der Rea­li­tät: selbst Schau­spie­ler kön­nen die­ses Bekennt­nis nim­mer dis­si­mu­lie­ren. Hier dreht sich, um Bau­dril­lards Lieb­lings­me­ta­pher her­vor­zu­zie­hen, das “Möbi­us­band” schein­bar nur noch in sich, Simu­la­ti­on und Dis­si­mu­la­ti­on per­p­etu­ie­ren sich, kei­ne authen­ti­sche Wirk­lich­keit mehr in Sicht.

Der Mensch ist von Natur aus künst­lich. Ist das so schwer? Wenn man das ein­mal weiß, kann man mit dem gan­zen lin­ken Authentizitäts‑, Gefühls- und Simu­la­ti­ons­ma­te­ri­al treff­lich spie­len, und zwar ohne dadurch den gro­ßen Rea­li­täts­ver­lust kri­tisch zu beklagen.

Und wenn unse­re Gesell­schaf­ten Simu­la­ti­ons­ge­sell­schaf­ten sind, ist es dann nicht im Grun­de bes­ser, daß die Herr­schen­den gro­ße Simu­lan­ten und Simu­la­ti­ons­pro­fis sind? (Bau­dril­lard, Eupho­rie am Tropf, 1984, in: Gött­li­che Lin­ke)

Die Fra­ge nach Mani­pu­la­ti­on und Gefüh­len ver­such­te man in der letz­ten Aus­ga­be der ZEIT wie­der ein­mal mit dem Begriff der “post­fak­ti­schen” Gesell­schaft zu fas­sen. Die ZEIT hat einen Nar­ren an Robert Keyes’ Post-Truth Era gefres­sen. Der deut­sche Wiki­pe­dia­ar­ti­kel ver­bin­det die­se Theo­rie gera­de­zu ein­di­men­sio­nal mit der ZEIT. Der eng­lisch­spra­chi­ge läßt mich her­aus­fin­den, daß Ass­heu­er die knal­ligs­ten Sät­ze irgend­wo her hat: Micha­el Dea­con schrieb am 9.7.2016 im Dai­ly Tele­graph über Trumps Stil: Facts are nega­ti­ve. Facts are pes­si­mi­stic. Facts are unpa­trio­tic.

Die Jour­na­lis­ten der ZEIT glau­ben, die erkennt­nis­theo­re­ti­sche Grund­la­ge der Demo­kra­tie sei eben die Wahr­heit der Fak­ten und des ratio­na­len herr­schafts­frei­en Dis­kur­ses, und daß die­ses Paket ganz ohne Refle­xi­ons­pro­ble­me wie­der erhält­lich sei, dabei hat­ten sie es doch in den 80er Jah­ren sel­ber gründ­lich dekonstruiert.

Auf die­ser erkennt­nis­theo­re­ti­schen Grund­la­ge kann einem Ass­heu­er nur übel wer­den, wenn da – wo er doch die Post­mo­der­ne so schön ver­ab­schie­det hat­te – plötz­lich mit Trump und Kon­sor­ten ein neu­es Begriffs­re­per­toire auf­taucht, das Simu­la­cra und Gefüh­le, Mythos und Pathos, per­for­mance und psy­cho­de­lia entfaltet.

 

Gut, daß ihm in der drauf­fol­gen­den ZEIT-Aus­ga­be (No. 40) ein ame­ri­ka­ni­scher Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­fes­sor sekun­diert mit der The­se, Trump sei ein Faschist:

Ganz wie Hit­ler und Mus­so­li­ni zele­briert Trump den Mythos der Grö­ße. Trump hat die ras­sis­ti­sche und frem­den­feind­li­che Welt­sicht des Faschis­mus und des­sen Fixie­rung auf den cha­ris­ma­ti­schen Füh­rer mit den Idea­len und media­len Mecha­nis­men des ame­ri­ka­ni­schen Indi­vi­dua­lis­mus verbunden.

Siegt Trump, dann siegt der Mythos über die Auf­klä­rung, befürch­tet Ass­heu­er im Zei­chen tri­um­pha­len Unheils: das kann nur ein Sieg des „Archai­schen, die Nor­ma­li­sie­rung von Krieg und Gewalt“ wer­den, in dem nur mehr eine Wahr­heit zurück­blei­be, „der Wil­le zur Macht“, und Bern­hard Pörk­sen, glei­che Aus­ga­be, pflich­tet ihm bei, Trumps Dra­ma sei geeig­net, „das Ratio­na­li­täts­prin­zip des Dis­kur­ses aus­zu­he­beln“. Genau die­ses Den­ken hat Bau­dril­lard 1986 titel­ge­bend “Die gött­li­che Lin­ke” genannt.

Und der Haupt­ein­wand gegen die Lin­ke liegt in die­ser Gött­lich­keit – in die­ser treu­her­zi­gen, durch­sich­ti­gen, tugend­haf­ten und mora­li­schen Art und Wei­se, sich für die Grund­wer­te und die end­gül­ti­gen Wer­te der Geschich­te reprä­sen­ta­tiv zu halten.

Die Rech­te hat dem­ge­gen­über einen prin­zi­pi­el­len Vor­teil. Sie hat kein Post­mo­dern­e­pro­blem (das ist im übri­gen exakt das, was Hou­el­le­becq mit “Frei­heit” gemeint hat). Daß Armin Moh­ler im “Inter­re­gnum” gewis­se Kon­ti­nui­tä­ten begrüßt hat (Kul­tur­kri­tik, Anti­mo­der­nis­mus, Irra­tio­na­lis­mus, Gleich­gül­tig­keit) zwi­schen kon­ser­va­ti­vem und post­mo­der­nem Habi­tus, macht noch kein Post­mo­dern­e­pro­blem. Denn nie haben Kon­ser­va­ti­ve die Rea­li­tät ver­lo­ren, weder uto­pis­tisch, noch “gött­lich”, noch dekon­struk­ti­vis­tisch. Sub­stanz­den­ken, gro­ße Erzäh­lun­gen, anthro­po­lo­gi­sche Ernüch­te­rung, das Archai­sche und sogar bis­wei­len Fak­ten­checks und Mit-dem-Fin­ger-Drauf­zei­gen auf die Wirk­lich­keit – mit die­sen Bestän­den kann die Rech­te rechnen.

Boris Groys (der nicht rechts ist, son­dern Rus­se) hat eines von drei Nach­wor­ten (die zwei ande­ren sind von Gün­ter Maschke und Hans-Diet­rich San­der) zu Bau­dril­lard ver­faßt, und stellt als Kunst­theo­re­ti­ker lapi­dar fest:

Das ist auch der Grund für das von Bau­dril­lard kon­sta­tier­te Über­ge­wicht der “Rech­ten”: sie näm­lich ken­nen den künst­li­chen und künst­le­ri­schen Cha­rak­ter des­sen, was die Sozia­lis­ten für die Rea­li­tät nehmen.

Die natür­li­che Künst­lich­keit des Men­schen, den Form­wil­len, den Stil des Poli­ti­schen kann man nur kapie­ren, wenn man am Boden der Rea­li­tät steht. Die ame­ri­ka­ni­sche Alt-Right sieht das ganz klar:

The rea­li­ty is that Trump under­stands that dis­se­mi­na­ting truths and half truths with a dose of emo­ti­on embedded is far more effective.

“Dis­se­mi­na­ti­on” ist ein post­mo­der­nes Schlag­wort aus dem lita­tur­theo­re­ti­schen Strick­korb, Der­ri­da ver­stand dar­un­ter so etwas wie “Bedeu­tungs­zer­fa­se­rung”, die natür­lich in sich end­los und welt­los und sub­jekt­los ver­lie­fe – daß da ein mas­si­ves Sub­jekt daher­kommt und sich die­ses Strick­zeugs ein­fach bedient, war bei Der­ri­da eher nicht vorgesehen.

Trump ist zwei­fels­oh­ne ein Mythos, nur: so what? Poli­tik ist Mythos, nicht Auf­klä­rung. Panik vor Trump braucht nur zu schie­ben, wer sich für die “demo­kra­ti­schen” und “auf­klä­re­ri­schen” end­gül­ti­gen Wer­te der Geschich­te für reprä­sen­ta­tiv hält, aber unter­grün­dig Muf­fen­sausen vor sei­ner eige­nen rest­post­mo­der­nen Wirk­lich­keits­taug­lich­keit bekom­men hat. Mit Bau­dril­lard wären wir eigent­lich durch mit dem The­ma – die “Ago­nie des Rea­len” ist been­det: seit 9/11 wird zurück­ge­schos­sen. Die Rea­li­tät ist da.

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Kommentare (26)

Corvusacerbus

12. Oktober 2016 18:30

Yep, die Realität, diese verdammte und schrecklich komplexe Voraussetzung, unter deren Regime wir unsere Geschichte selber machen, ist da. Gut so! Und mir scheint - jedenfalls geht es mir so - der Rechte muß sich einigermaßen zügig entscheiden, welche der gnostisch-innerweltlichen Entgleisungen, dem westlich-libertären Amerikanismus oder dem orientalisch-despotischen Islamismus er hauptsächlich widerstreiten will. Und, um eine weitere schrecklich komplex verschränkte Thematik unterzukomplexen, er muß sich fragen, kämpfe ich mit dem Gott des Abendlandes, dem Erlöser Jesus Messias/Christus, gegen den libertären oder den muselmanischen Antichristen. Oder ist das Rechte selber der Antichrist, weil er den Gott des Evangeliums als universalistischen

Zerstörer

Corvusacerbus

12. Oktober 2016 18:41

... universalistischen Zerstörer der spezifischen eigenen kulturell-ethnischen Identität versteht? Das ziemliche Wirrwarr an Kampflinien sieht nicht aus wie ein Frontverlauf im Kampf der Kulturen, sondern wie ein Strickmuster und es ist gar nicht so einfach, sich darin, inklusive einer Antwort auf die Frage "wo stehe ich selbst?", zurechtzufinden und angemessen zu positionieren. Kann nur ein Gott uns retten? Unser Gott? Oder doch die Götter? Oder ist die schlechthinnige Abhängigkeit vom eschatologischer Vorbehalt, der sich auch kein A-Theist entziehen, zu er sich verhalten muß, ohne Gott zu denken? Und ist das politische 'hic et nunc' relevant, gar notwendig handlungsleitend? Es ist wirklich vertrackt das Ganze und wird nicht weniger vertrackt dialektisch, wenn man, z.B. auf "counter currents die Debatte zentral um die cuckservative, Akt-Right wiTeils teils das Ganze. Sela. Psalmenende.

Corvusacerbus

12. Oktober 2016 18:50

... die Debatte um cucksertives und Alt-Rights und um die Bedeutung des Faktors Rasse verfolgt (nicht die dummblöde ZEITartige um einen Ismus, sondern die identitär unausweichliche, um die Bedeutung von Hautfarbe, Rasse und Ethnie). Teils teils das Ganze. Sela. Psalmenende.

Technische Anmerkung: Ich rutsche am Ende Textfensters mit dem Cursor immer hinter die Leiste für die "Bastler" und wenn ich versuche, meinen eigenen Text "wieder zu gewinnen" wird gesendet (unterstützt vom Gewackel in der S-Bahn). Daher die drei Teile der Sendung. Sorry für das Gehuddel.

Monika

12. Oktober 2016 19:27

Ich fasse den komplexen Text mal kurz zusammen:

Uns zur Problemlage so explizit zu äußern, fällt uns schwer, da wir nicht in die rassistische Kerbe von AfD und CDU/CSU schlagen wollen. Die Situation ist jedoch derart angespannt und belastend für viele Betroffene und auch für die Betreiber_innen des Conne Islands, dass ein verbales Umschiffen des Sachverhalts nicht mehr zweckdienlich scheint.

Zitat stammt von hier. Die göttlichen Linken von Leipzig Connewitz, nachdem ihre göttlichen Mädels gefühlt begrapscht wurden von gefühlten Geflüchteten...

ein verbales Umschiffen des Sachverhalts scheint nicht mehr zweckdienlich.

Frage:
Welchem Zweck hat das Umschiffen des Sachverhalts bisher gedient ?

hs

12. Oktober 2016 19:27

Die Realität ist das, was man erlebt, wenn man aus der Universität heraustritt. Für die Linke ist die Realität immer ein Hindernis, weil sie Effekte zeitigt, die den Menschen als homo sapiens arteigen sind, aber in der zukünftigen und geheilten "Realität" aus der Welt verschwunden sein sollen.

Man sollte die derzeitige "Situation" als befreiend ansehen, weil immer mehr Linke sehen werden, dass ihre - theoretische - "Realität" mit der problembeladenen "Wirklichkeit" in einem widersprüchlichen Verhältnis steht, um es euphemistisch auszudrücken.

SO einfach ist das. Deshalb sind wir Rechten heute die BuhmännerInnen, weil wir "kritisch" sind, die gesellschaftlichen Verhältnisse "in Frage stellen" und deshalb geächtet werden. Diese Funktion erfüllt die Linke seit langem nicht mehr, wie der verehrte Herr Lichtmesz bereits vor Jahren angedeutet hat.

Curt Sachs

12. Oktober 2016 20:05

Boris Groys (der nicht rechts ist, sondern Russe)

Oh, ganz wunderbar formuliert. :)

Caroline

12. Oktober 2016 21:45

Deshalb sind wir Rechten heute die BuhmännerInnen, weil wir „kritisch“ sind, die gesellschaftlichen Verhältnisse „in Frage stellen“ und deshalb geächtet werden. Diese Funktion erfüllt die Linke seit langem nicht mehr, wie der verehrte Herr Lichtmesz bereits vor Jahren angedeutet hat.

Gerade ging ein soziologischer Freund aus meiner Türe, mit dem es sich trefflich über Konstruktivismus streiten ließ. Er ist der fixen Auffassung, daß alles substantialistische, identitäre und fundamentalistische Denken doch immer nur möglich ist, weil wir es reflexiv denken können, wir sind unrettbar "modern" in seinem Sinne. Wenn ich denke "Es gibt Gott und er spricht zu mir", dann notwendig eingedenk des Todes Gottes und aller erdenklicher sonstiger Konstruktionen.
Was gäb ich drum, wenn das Denken nimmer substantialistisch, sondern substantiell, nimmer identitär, sondern identisch, nimmer fundamentalistisch, sondern fundamental sein könnte! Womit wir ungefähr bei Heidegger wären.
Derselbe Freund beklagte am Ende unseres Zusammentreffens, daß "selbst die Neue Rechte" das Problem der Vermögenssteuer nicht bedenken würde (es ging um Klimamigration und deren Kosten). Das ließ mich aufhorchen, weil er, überdeutlich links und kritisch positioniert, so sprach: "selbst die Neue Rechte" - wer, wenn nicht wir? Francesco Berardi schrieb neulich etwas ähnliches: nur die Rechten hätten dem Kapitalismus noch irgendetwas entgegenzusetzen.

Olaf

12. Oktober 2016 22:07

Apropo Lügen -- hier ein Beitrag dessen Humanity-Schmalz aus jedem TV-Gerät tropft:

https://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2856298/Ein-Rettungsschiff-fuers-Mittelmeer?setTime=45.836#/beitrag/video/2856298/Ein-Rettungsschiff-fuers-Mittelmeer

Das GEZ-Medium macht Werbung für Menschenschleuserhelfer, indem es sie als Retter-Helden verklärt ...

Andreas Walter

12. Oktober 2016 22:42

Denke eher, das Beides immer nebeneinander steht und stetig miteinander konkurriert (wie es aber gleichzeitig auch miteinander verbunden ist). Die Verführung und die Führung, das Reale und Virtuelle, die Banalität und die Überhöhung, Geist und Materie, Starres und Überflüssiges, ja manchmal sogar Feinstoffliches.

Der Placeboeffekt ist ja auch ein nachgewiesenes und wissenschaftlich anerkanntes Phänomen. Warum also sollte bei manchen Menschen nicht auch Geistheilung funktionieren, ja, sogar bis hin zur Überwindung von Krebs. Selbst das hat es ja schon gegeben, und ist auch gar nicht mal so selten.

Das Geist und Materie (der Körper) auf jeden Fall miteinander verbunden sind, bei manchen wahrscheinlich mehr, bei anderen weniger (Erdung), darauf würde sogar ich Stein und Bein schwören, und Psychosomatiker auch.

Darum macht mir eher der Satz "Euch geschehe nach eurem Glauben" (Matt. 9:29) Sorgen, denn ich gönne mir anscheinend nur sehr wenig vom Glück.

Oder wie wäre es mit Matthäus 21:21?:

https://www.youtube.com/watch?v=SpjnzxtZ6Qg

Wir stehen daher wahrscheinlich eher kurz vor dem Durchbruch in einen neuen Abschnitt der Menschheitsgeschichte, in dem vieles nicht mehr so sein wird wie bisher. Wir werden die Welt verändern, so wie die Dampfmaschine die Welt verändert hat, oder später auch der Explosionsmotor und die Elektrizität.

Die Zukunft wird auf uns so befremdlich, so unbegreiflich wirken, wie folgendes Bild wahrscheinlich auf Bismarck gewirkt hätte, auf Arminius und Varus sowieso:

https://jubileebook.tuev-sued.de/fileadmin/_processed_/csm_04_144_945x710_eisele-photos-1.A2806790-HighRes_cf91fc4c9e.jpg

der Gehenkte

13. Oktober 2016 00:39

Was für ein großartiger, vielschichtiger, komplexer Artikel, eine fünfstöckige Pagode an Ideen. Ich fürchte nur, daß ein Großteil des Kommentariats damit nicht viel anfangen kann, weil er eben nie "ein Postmoderneproblem" hatte. Ich hingegen, der an diesem Problem lebensgeschichtlich leidet, mußte lachen - auch über mich selbst.

Allerdings - wenn ich schon einmal persönlich werden darf - geht es mir etwas anders als Ihnen, CS. Mir fällt es schwer, komplexe Aussagen, Zitate abzuspeichern. Einige Ihrer Sätze sind es wert: wie Sie das Verführerische der Postmoderne auf den Punkt bringen (wohl nur für einst Verführte zu goutieren) oder das linke Denken in vier Stichworten zusammenfassen:

Linkes Denken spannt sich auf zwischen Sozialkritik (gegen „Ausgrenzung“), Hypermoralismus (für das „Menschliche“), Konstruktivismus („Dekonstruktion sozialer Konstruktionen“) und Utopismus („Traum vom friedlichen Zusammenleben“).

...,

oder die Marscherleichterung der Geburts-Rechten beschreiben:

Denn nie haben Konservative die Realität verloren, weder utopistisch, noch „göttlich“, noch dekonstruktivistisch. Substanzdenken, große Erzählungen, anthropologische Ernüchterung, das Archaische

(ketzerische Frage: ist Gott Realität?)

Das sind neue Töne hier und mir klingen sie!

Ist meine "Panik vor Trump" gelindert? Ich fürchte: nein, ich fürchte, ich muß an meiner "restpostmodernen Wirklichkeitstauglichkeit" noch arbeiten. Aber immerhin kann ich sie jetzt schon sehen ... Und an Trump können wir ohnehin nichts ändern - das ist fatum.

Winston Smith 78699

13. Oktober 2016 02:37

@ der Gehenkte

Ich fürchte nur, daß ein Großteil des Kommentariats damit nicht viel anfangen kann, weil er eben nie „ein Postmoderneproblem“ hatte.

Oder das Gegenteil. Im Kern der Postmoderne steckt ein sehr elaborierter Pluralismus (oder bisweilen Relativismus, oder sonstwas mit anything goes), und den kann man mit größerem Aufwand weitgehend aus sich selbst heraus quasi-"widerlegen", d.h. so zuspitzen, dass er eine sehr unplausible, kontraintuitive, kaum akzeptable Konsequenz hat - eine reductio ad absurdum gewissermaßen. Meine Folgerung daraus ist für mich persönlich, dass es eine subjektiv wahrnehmbare, erlebbare Wirklichkeit mit größtmöglichem Anspruch an Wahrheit geben muß, die einem keiner wegreden kann und darf.

Das hat viel mit der deutschen Romantik zu tun. Schönheit, Liebe, Erhabenheit, Rührung, Empfindung überhaupt erlangen ihre Bedeutung zurück: vielleicht als Naturerkenntnis, oder als Gottesschau und so weiter. Haben sie schon mal "Echtheit" oder "Wahrheit" unmittelbar empfunden? Woher wissen Sie, dass eine Speise nun genau richtig schmeckt, dass ein Tonsatz oder ein Gemälde "passt", dass ein Argument überzeugend ist und man nicht weiter herumfieseln braucht? Das dies der Geruch Ihres Kindes ist? Dass ein Beweis schöner ist als ein anderer? (Natürlich kann man herumsychologisieren mit Serendipität und Dopamin und so, aber wie schnöde doch ... und vor allem: wie zirkulär angesichts der Ausgangsproblematik.)

Das heißt, dass es subjektive Dinge mit voller Realität geben kann - denken Sie meinetwegen an Gespenster. (Kennen Sie die TV-Werbung für einen Baumarkt, wo ein Kerl irgendwo hinunterrutscht, durch viel Dreck, und dabei höchste Freude empfindet? Ja, man kann die Idee verkitschen.)

Das rechtfertigt die Überhöhung des Erlebten in der Poesie, ja überhaupt das eigene Erzählen von einmaligen Geschichten jenseits aller Theorie in voller Bedeutung für des Leben, in vollem Gewicxht an Wahrheit. Es ist eben keine "objektive naturwissenschaftliche Erkenntnis" im Sinne Kants, aber auch für Kant gibt es das riesige Reich der subjektiven Empfindung (nur dass die ihn für sein Newton-Projekt nicht interessiert). Übrigens hat doch Kant, ich glaube im Schematismus, so eine art Querverweis in die Urteilskraft rüber, irgendwie als sei, wie bei Pirsig ja auch, der Erkenntnis ein Schönheitssinn voraus: der Mensch ist nicht zu ersetzen.

Dies hat noch viele Konsequenzen mehr ... besonders wichtig aber ist für jetzt, dass die Erzieher und Gehirnwäscher der NWO, beim Erschaffen ihres neuen Menschen, natürlich immer heftiger versuchen können, uns alle Sinne für das Gute, Rechte, das Maß, den Anstand, die Natur, die Schönheit, die Liebe und für wahr und falsch auszureden, dass es aber immer wieder, trotz noch so großen theoretischen und ideologisch-propagandistischen Aufwands, einen widerspenstigen Anker im Strom geben wird, oder einen plötzlichen Anstoß an der Wirklichkeit, von dem aus man irritiert fragen und zuletzt aufwachen kann - eine Variante des Schmerzes im Fuß, mit dem George Berkeley an den Stein treten soll, um zu kapieren, dass es die Welt gibt. Wir brauchen also keine "rote Pille", denn Gott hat sie in seiner Güte in die Sinne und die Natur eingewoben, um uns zu retten, so wir denn die Herzen öffnen und solche Menschen sein wollen, wie von ihm gemeint, wie diese Sträucher:

Hoher Gott der fernen Vorgesänge
überall erfahr ich dich zutiefst
In der freien Ordnung mancher Hänge
stehn die Sträucher noch wie du sie riefst

(Rilke, Muzot, um den 2.2.1922)

Der_Jürgen

13. Oktober 2016 08:31

Dieser Beitrag hat mich noch stärker beeindruckt als der vor knapp zwei Wochen erschienene Artikel derselben Autorin, der bereits sehr gut war. Ich hoffe wohl nicht als einziger Leser, dass sich die Gastbeiträge von Caroline Sommerfeld so sehr häufen werden, dass sie bald keine Gastbeiträge mehr sind. Bei ihr paart sich Gedankenreichtum mit glänzendem Stil.

Dass ausgerechnet ein Schreiberling der BILD-Zeitung für Intellektuelle und Leute, die sich dafür halten, der ZEIT, die Dreistigkeit hat, die Rechten der Realitätsleugnung zu zeihen, ist schon ein starkes Stück. "Tintenklexende Buben" (Schopenhauer) wie dieser Assheuer werden den Grossen Austausch noch zur Halluzination erklären, wenn der Anteil an Fremden in manchen deutschen Stadtvierteln nicht mehr, wie z. B. heute in Duisburg-Marxloh, 64 %, sondern 100 % beträgt. Das einzige Positive an der Umvolkung ist, dass immer weniger Leute genug Deutsch können, um die ZEIT und ähnliche Schmierblätter zu lesen.

@Winston

Danke für die wundervollen Rilke-Zeilen!

Hans

13. Oktober 2016 09:14

Hallo Winston,

nachdem ich mich heute morgen durch den Artikel gelesen habe, der Vieles rekapituliert, was mich lange in Ketten hielt, hat mich ihr Text voll erwischt. Ich sitze hier mit feuchten Augen und will den Augenblick festhalten.

Wir brauchen also keine „rote Pille“, denn Gott hat sie in seiner Güte in die Sinne und die Natur eingewoben, um uns zu retten, so wir denn die Herzen öffnen und solche Menschen sein wollen, wie von ihm gemeint,

Danke. Ihre Worte haben mir einen Fuß in die Tür gestellt, die von Linken, Denunzianten, Ehrlosen und aus allen möglichen Gründen ihres Ankers auf Erden Beraubten zugedrückt wird, um ihre eigenen Lebenslügen zu schützen.
Die Tür ist immer da, doch auch ich vergesse sie zu oft.

Monika

13. Oktober 2016 09:22

Ich finde den Text ziemlich anspruchsvoll und Baudrillard schwer zu lesen.
Ich ahne aber, dass da Diskussionspotential liegt und verweise die Autorin auf das neue Buch von Claus Leggewie. Das einer Besprechung harrt.
https://www.taz.de/!5334925/
Hier werden die Identitären und die " Konservative Revolution" doch tatsächlich in einem Atemzug mit Breivik und den Dschihadisten genannt.

Vielleicht für die Nichtphilosophen in diesem Forum etwas verständlicher aufbereiten.
Danke

Coom

13. Oktober 2016 09:38

"nur die Rechten hätten dem Kapitalismus noch irgendetwas entgegenzusetzen."
Das ist der grösste Irrtum der Linken: Nicht zu begreifen, dass wir im finalen Akt des sozialistischen Zeitalters sind und jetzt auch dessen sozialdemokratische Variante den Weg alles Weltlichen gehen wird.

Einar von Vielen

13. Oktober 2016 10:57

‘Gefühlt’ ist aus meiner Sicht alles viel einfacher: Ca. 66% der Menschen befinden sich in der Gaußschen Glockenkurve im Bereich des mittleren Selbstanspruchs, die herrschende Meinung zu hinterfragen, allein weil dies evolutorisch eine erfolgreiche Strategie ist. 'Mittel' heißt, es ist nicht völlig ausgeschlossen, je mehr Risiken das Hinterfragen aber mit sich bringt, umso weniger wird sich der hinterfragende Impuls erhalten. Nimmt man die ca. 17% AfD-Wähler und die ca. 17% Hardcore-Anti-deutschen als Maßstab wird die Behauptung des Gegenteils eindrucksvoll widerlegt.

Diese Präferenz selbst ist unabhängig von der Verteilung des Intelligenzquotienten wie auch von der Verteilung asozialen Verhaltens.

Heisst: In diesen 66% finden sich intelligente und dumme, gute und böse Menschen gleichermaßen. Je mehr oder weniger man geneigt ist, die herrschende Meinung zu hinterfragen mag sich diese Unkorreliertheit verändern, aber das ist für das Thema des obigen Beitrages unbedeutend, denn entscheidend ist, dass man es sehr wohl mit vielen intelligenten und guten Menschen zu tun hat, die evolutorisch keine Neigung verspüren, das herrschende Denken nicht vollständig für sich anzunehmen.

Es ist folglich sinnlos mit diesen Menschen zu diskutieren, weil die soziale Umwelt durch Belohnung ihnen ihre Selbstreferenzialität im Denken angelegt hat. So kommen Positionen zustande, die allen Ernstes davon ausgehen, das ‚Linke‘ sei faktenbasiert während das ‚Rechte‘ allein aus Gefühltem bestünde.

Sie können es nicht anders sehen. Stören wir sie dabei nicht, sondern konzentrieren wir uns darauf, die herrschende Meinung zu verändern, dann ziehen die von ganz alleine mit. Das geht zum Beispiel, wie in dem Beitrag zum Fest’schen Moscheeverbot bereits dargestellt, durch Verschiebung der Sagbarkeits- und damit der Denkbarkeitsgrenze.

der Gehenkte

13. Oktober 2016 13:31

@Winston Smith 78699

dass es eine subjektiv wahrnehmbare, erlebbare Wirklichkeit mit größtmöglichem Anspruch an Wahrheit geben muß, die einem keiner wegreden kann und darf.

Diesen Anspruch kann und will Ihnen freilich keiner nehmen, aber wenn wir dort stehenbleiben, dann ist ein Austausch nicht mehr möglich. Der Schwede mag darüber fachsimpeln, ob der "Surströmming" paßt oder nicht, der Chinese darüber, ob das faule Ei gerade richtig faul ist oder noch ein bißchen braucht, für den Mitteleuropäer, der anders geprägt, konditioniert, erzogen ... was auch immer ist, sind beide Dinge nicht verhandelbar.

Bei aller Subjektivität muß es ein gemeinsames Drittes geben.

Man sollte das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Die Postmoderne war - das darf man nicht vergessen - eine enorme Befreiung.

Derridas Versuch jeden Text auf seine potentielle Schuld und Schuldfähigkeit abzuklopfen und stattdessen einen "gewaltfreien" Text zu schaffen, war ein genialer Griff, der erst in der Entfesselung einerseits in den Nonsens, anderseits in das Herrschaftsdenken zurück führte (Judith Butler z.B.)

Lyotards Ankündigung der totalen Befreiung durch die Netze war ein großes Versprechen und das Loslassen von den "großen Erzählungen" gerade für orthodoxe Marxisten eine enorme Erleichterung.

Baudrillards Blick "unter die Verblendungszusammenhänge" nicht minder oder Virilios Entdeckung der allgemeinen Beschleunigungstendenzen etc.

Jetzt muß und kann man sich endlich auch von der Befreiung befreien - Roger Scruton hat das in einem fulminanten Essay gerade am Bsp. Lacan und Slavoj Zizek durchexerziert: Clown Prince of Revolution

Es war im Übrigen auch eine Befreiung von Gott, den Sie meinen wieder einführen zu müssen. Ich bitte jedoch, die jeweilige Subjektivität gerade in diesem Punkte zu gestatten. Sätze wie

Wir brauchen also keine „rote Pille“, denn Gott hat sie in seiner Güte in die Sinne und die Natur eingewoben, um uns zu retten, so wir denn die Herzen öffnen und solche Menschen sein wollen, wie von ihm gemeint,

sind für mich nur Grammatik und wenn es dieses Begründungszusammenhanges bedarf, um hier mitreden zu können, dann bin ich - und viele andere wohl auch - außen vor.

Wenn es denn eine vereinende Letztbegründung geben soll, dann darf die nicht mit "Gott" anfangen - andernfalls müßte auch Allah möglich sein ... und wieder sind wir in der subjektiven Beliebigkeit.

Ralf

13. Oktober 2016 13:40

@Corvusacerbus

Yep, die Realität, diese verdammte und schrecklich komplexe Voraussetzung, unter deren Regime wir unsere Geschichte selber machen, ist da.

Was meinen Sie an dieser Stelle mit Realität? Ist sie nicht - biblisch gesehen - das Fortschreiten des gefallenen Weltenlaufs unter Regie des Fürsten dieser Welt? Unter dieser Prämisse haben Sie recht, die Realität als verdammt - sprich gerichtet - und schrecklich komplex - das ist die Art des Diabolos - zu bezeichnen.

Das Bestreben allerdings, unter diesem Regime - quasi als Mitregenten - unsere Geschichte selber machen zu wollen, kann ich dann nicht verstehen. Ist nicht Gott der Herr der Geschichte, deren Ende und Ziel die Wiederkunft seines Sohnes Jesus Christus sein wird?

Oder ist das Rechte selber der Antichrist, weil er den Gott des Evangeliums als universalistischen Zerstörer der spezifischen eigenen kulturell-ethnischen Identität versteht?

Antichristlich im Wortsinne ist alles, was sich als heilsvermittelnde Instanz an die Stelle von Jesus Christus setzt. Der Islam ist das, da er den Sündenfall relativiert, die Gottessohnschaft Jesu und dessen Sühnopfertod am Kreuz leugnet, ganz offensichtlich. Der westlich-libertäre Amerikanismus ist dies ebenso, da er sich selbst für die fortschreitende Verwirklichung des Reiches Gottes auf Erden hält.

Ist Christus der Zerstörer kulturell-ethnischer Identität? Rückblickend auf die Entstehung der verschiedenen Sprachen (Zerstreuung nach dem babylonischen Turmbau) muss man sich wohl davor hüten, sowohl die Vorzüglichkeit eine dieser Sprachen, als auch allgemein den Zustand der Verschiedenheit positiv zu bewerten. Es war ein Gerichtshandeln Gottes, die Völker, in ihrem gegen Gott gerichteten Handeln, voneinander zu scheiden. Die einzig legitime Wiedervereinigung oder Völkergemeinschaft ist eine geistliche unter dem Haupt Jesus Christus.

Seien Sie dankbar, dass uns in Christus dieser archimedische Punkt gegeben ist, das hic et nunc in seiner Relativität und Vorläufigkeit sehen zu dürfen.

Caroline

13. Oktober 2016 15:10

@ Winston Smith
Ich bin bezaubert! Rilke kommt auf meinen Bildschirmschoner. Ja, so ungefähr stelle ich mir vor, daß politisches und poetisches Denken und Fühlen zusammenstimmen müssen. Und daß Politik eben genau deswegen der Ästhetisierung bedarf. Ich arbeite daran, einen weiteren kleinen philosophischen Good-bye-old-fellow-traveller-Text finden Sie hier:

Winston Smith 78699

13. Oktober 2016 17:15

@ Caroline

Aber nennen Sie Ihr Projekt bitte NIE MEHR so (Ä...). Ich will gar nicht damit anfangen, erstens welch bizarre Assoziationen das weckt und zweitens welche geschlechts-spezifischen Urteile, denn wir Jungs denken bei Politik lieber an Boxen oder Mensur und nicht an ... Dekor, und als solches kommt die Rede vom "Ästhetischen" seitens einer Frau immer an. Zum von mir wohlwollend gelesenen Zitat von Rorty wollte ich sogleich, bevor fauxelle sich davon abwendete, eifrig dieses Video von Rollo May anmerken. Ja, Rorty habe auch ich gerade gewissermaßen im Fadenkreuz, mitsamt ein paar anderen (vor allem auch Brandom und auch Toulmin und dessen Nachfolger), aber ich kenne mich da nicht aus und habe OLP (ordinary language philosophy) immer ein wenig gehaßt, müßte mich aber dazu einlesen. Denn mir schwant seit dem hier und hier erwähnten Essay zu Brandom, dass man so etwas wie die Kritik an der Frankfurter Schule als Werkzeug der Manipulation (mind control) auch mit der angelsächsischen Verbindung von Pragmatismus und OLP unternehmen könnte, so dass sich die Gegenwartsphilosophie als eine Art Con-Game (Trickbetrug) mit zwei vermeintlichen Gegnern im Schaukampf darstellt, die in Wahrheit das ganze Publikum und ihre Gefolgschaften austricksen. (Sind Sie noch hier, Caroline?) Dazu bräuchte ich wie gesagt auch die Meinung von @ Gustav Grambauer.

Thomas Krobath

13. Oktober 2016 18:34

Ich habe eine Frage an die Werte Autorin!

Hatten Sie am 25.9 ein malheur in einem Bus Richtung hütteldorf und dabei ein Exemplar von Armin Mohlers "Notizen aus dem Interregnum" verloren.

Tut mir leid, dass ich so abseits vom Thema frage, aber die Sache lässt mir keine Ruhe.

Waldgänger aus Schwaben

13. Oktober 2016 19:09

Trump ist zu krass, um nur ein zufälliger Ausschlag des Seismographen zu sein. Ich halte ihn für Vorbeben. Im Untergrund hat sich die Tektonik verschoben, es haben sich Spannungen aufgebaut, die zur Entladung drängen.

Zum Artikel:
Soweit ich ihn verstehe, geht um linken Realitätsverlust. Der gewaltigste wird nicht angesprochen:
Die Illusion mit Ausweitung der Geldmenge politische Fehlentwicklungen korrigieren zu können. Diese Ausweitung ist ein linkes Projekt.
Unser Geld als Fiat-Money ist nur künstliche Realität, solange viele daran glauben, dass es etwas wert ist, ist es wertvoll und es lässt sich beliebig vermehren. Aber eben nur solange.
Hier sehe ich eine Analogie zu gender-mainstream, Multi-Kulti und dem ganze Quatsch. Solange genug Menschen daran glauben, laufen die Projekte. Geht der Glaube daran verloren, scheitern diese Projekte. Daher der Hass auf alles was rechts ist. Wir sind eine existentielle Bedrohung, weil wir den linken Projekte die tönernen Füße wegschlagen.

Alle für Einen

13. Oktober 2016 22:33

@Einar von Vielen

Es ist folglich sinnlos mit diesen Menschen zu diskutieren, weil die soziale Umwelt durch Belohnung ihnen ihre Selbstreferenzialität im Denken angelegt hat. So kommen Positionen zustande, die allen Ernstes davon ausgehen, das ‚Linke‘ sei faktenbasiert während das ‚Rechte‘ allein aus Gefühltem bestünde.

Hinzuzufügen wäre, dass dieses Zustande-Kommen hauptsächlich aus Projektion besteht: Die linken Beschuldigungen wie Faktenfreiheit, mythisches Denken und Amoralität sind eine Selbstdiagnose, in der einfach nur die Nicht-Linke für die Linke steht. Die Linke ist somit das Problem, für dessen Lösung sie sich hält, also eine Art gesellschaftliche Auto-Immunkrankheit. So wie jede Auto-Immunkrankheit frisst auch diese den Wirt auf und steigert seine Anfälligkeit für Invasionen durch Erreger von ausserhalb. Die Linke wird dieser Realität natürlich eher über kurz als über lang nicht weiter ausweichen können, ihre unteren, in den einfacheren Vierteln lebenden Chargen können es jetzt schon nicht - die Realität, das ist das Dumme an ihr, ist leider allzu real und gewinnt letztlich immer, es sei denn, man entzieht sich ihr durch Selbstmord.

Sie können es nicht anders sehen. Stören wir sie dabei nicht, sondern konzentrieren wir uns darauf, die herrschende Meinung zu verändern, dann ziehen die von ganz alleine mit. Das geht zum Beispiel, wie in dem Beitrag zum Fest’schen Moscheeverbot bereits dargestellt, durch Verschiebung der Sagbarkeits- und damit der Denkbarkeitsgrenze.

Das Problem hierbei, dass das Verschieben der Sagbarkeits- und Denkbarkeitsgrenze innerhalb des von der Linken gesellschaftlichen Kontexts geschehen muss. Was unter diesen Bedingungen tatsächlich geschieht, wie auch wenn sich ein Körper gegen eine Auto-Immunkrankheit wehrt, ist ein Sich-Bewusst-Werden der gesunden Bereiche, mithin die Entwicklung einer eigenen Selbstreferentialität, im Verhältnis zwischen den gesunden und fortschreitend erkrankten Teilen mithin eine Polarisierung. Wie diese Polarisierung ausgehen wird, ist jedoch kaum noch als offen zu bezeichnen, denn die Linke wird uns mit in den Abgrund ziehen, wenn wir keinen radikalen Schnitt ausführen. Auch unbehandelte Auto-Immun-Krankheiten führen meistens zum Tode, und der externe Behandler steht uns leider nicht zur Verfügung. Der radikale Schnitt kann nur in einer Abspaltuntg der gesunden Teile bestehen, also in interner oder externer Migration. Die linke Autoimmunkrankheit wird dann zum Tode des Wirts führen, und damit notwendigerweise auch zum Tod einer Linken, die damit tatsächlich die Selbstmordoption gewählt hätte, womit ein Problem dann aber gelöst wäre. Was dann noch bliebe, wäre die Rückeroberung des von äusseren Erregern infizierten Habitats.

Olle

14. Oktober 2016 17:18

@ML. Könnten Sie das mit der Doppelbedeutung für Langsamchecker kurz erläutern?

M.L.:
Austausch - von Menschen, Dingen...
Austausch - von Gedanken, Gütern, wechselseitige Kommunikation...

S. Fischer

15. Oktober 2016 03:11

Es ist mir herzlich egal ob Trump ein Mythos ist. Trump et al. haben binnen weniger Jahre die linksgrüne Hegemonie bis ins Mark erschüttert und das ist das was zählt.

Für mich persönlich ist Trump ein reicher Vollchaot, ein erlebnisorientierter Senior. Er macht kaputt was ihn kaputt macht.
Die Furcht der linken vor den Trumps dieser Welt ist berechtigt. Das Auftreten freier Radikale, nicht an denk- und sprechverbote gebunden, markierte schon immer den Totpunkt des Pendels.

Ellen Kositza

16. Oktober 2016 21:49

danke, Ende!

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