an sich alternativloser und guter Inhalte. Wenn man denn schon an die Wunder der Markenkommunikation glaubt, sollte man die Kernüberzeugung Hans Domizlaffs, des Begründers der Markentechnik, beherzigen: Ohne Vertrauen keine Marke – und ohne eine gute Produktsubstanz kein Vertrauen.
Betrachtet man die aktuelle politische Kommunikation in ihren groben Zügen, fällt auf, daß die Etablierten zwar viel von Vertrauen reden, sich die dahinterliegende Substanz allerdings als praktisch nicht mehr vorhanden erwiesen hat. Szenen von unfreiwilliger Komik bleiben da nicht aus – man ruft mit Blick auf die Kritiker des herrschenden politmedialen Kartells das Zeitalter des Postfaktischen aus, während man selbst doch gerade nichts anderes betreibt, als Hirngespinste zu Fakten umzudeuten:
Mehr oder weniger unqualifizierte Zuwanderer in das Sozialsystem werden zu Fachkräften und dringend benötigten Talenten verbal veredelt, Asyltouristen zu Flüchtlingen promoviert. Diese an Orwell erinnernden Umdeutungen finden zumindest beim Wähler immer weniger Akzeptanz.
Je öfter diese und andere Postfaktizitäten angesichts einer für jedermann erkennbaren andersartigen Realität wiederholt werden, desto unglaubwürdiger und alberner wird die Botschaft. Man nennt es Realsatire. Je unglaubwürdiger aber die Botschaft wird, desto mehr verschwindet das Vertrauen in die staatliche Kernmarke. Die große Drift setzt ein. Sie ist unumkehrbar.
Wohin führt die Drift, welchen Bewegungsgesetzmäßigkeiten folgt sie? Die Drift kann grundsätzlich in zwei Richtungen führen: in eine vollkommene Ablehnung des Systems oder in das Lager derjenigen, die nach derzeitigem Stand die AfD wählen würden – teils aus innerer Überzeugung, teils aus Protest.
Die Drift in das Lager der grundsätzlich vom System Angewiderten mag auf den ersten Blick der für das politmediale Kartell unproblematischere Aspekt sein, weil er sich nicht in Stimmengewinnen für die AfD niederschlägt, sondern nur das Nichtwählerlager anwachsen läßt. Tatsächlich aber verbindet sich mit dieser Grundsätzlichkeit – längst nicht in allen, aber doch in manchen und dann äußerst wichtigen Fällen – die fundamentale Absage an das System.
Man sagt sich dort: Dieses System ist dermaßen verrottet, daß eine Heilung von innen nicht mehr stattfinden kann; eine Protestpartei, die sich per Wahl in dieses System einbinden läßt, wird über kurz oder lang selbst zum Teil des Problems und kann nicht zu ihrer Lösung beitragen – vergessen wir sie also. Ähnliches hat sich seinerzeit übrigens unter anderem Vorzeichen bei und mit den Grünen abgespielt. Wie sehr die Grünen heute – längst sogar bestimmender – Teil des Systems sind, ist bekannt.
Was nun geschieht im stillen Winkel der Totalverweigerer, jener ins Abseits führenden Drift, wo man jegliche Dialogrunde verweigert, jeder Verlockung sich widersetzt – was mag sich dort im Revier des Waldgängers entwickeln? Resignation wohl als allerletztes.
Der Waldgänger unserer Tage wird sich vom dem Jüngerscher Prägung unterscheiden, weil die zu Gebote stehenden subversiven Mittel der Verbreitung heute deutlich vielfältiger, bei Bedarf auch subtiler, verborgener und vor allem wirksamer sind. Wo der Waldgänger Jüngers noch das W (es steht unter anderem für Widerstand) nächtens an die Wände pinseln und auf möglichst viele Passanten für den nächsten Tag hoffen mußte, können solche Zeichen heute auf ganz andere Art Verbreitung finden.
Je allgemeiner, harmloser und nichtssagender so ein Zeichen sich gibt, desto schwerer wird es der allgegenwärtigen Gesinnungspolizei, die auf rohe Muster wie unflätige Beschimpfungen und bestimmte Reizworte geeicht ist, gelingen, die Kommunikationskanäle auszutrocknen und das Symbol zu bekämpfen: Könnte man den Buchstaben “W” etwa ausmerzen?
Sobald aber einmal verstanden ist, wofür ein „W“ steht, wird seine virale Verbreitung heute durch nichts und niemanden aufzuhalten sein. So ein Symbol könnte auch etwas Gegenständliches wie ein altertümlicher Reisigbesen sein – wie geschaffen, um den groben Dreck zusammenzukehren. Ob der Reisigbesen dann verboten werden würde?
Am Beispiel des Reisigbesens könnte man die weitere Entwicklung, die ja – will sie nicht wirkungslos bleiben – früher oder später den Übersprung vom subversiven Gedanken in die Sphäre der Politik schaffen muß, wie folgt skizzieren: Der Reisigbesen, der Aufruf zum großen Kehraus, verbreitet sich binnen weniger Tage als Symbol einer neuen politischen Bewegung. Man weiß nicht explizit, was als Programm dahintersteht oder ob überhaupt etwas dahintersteht. Man fühlt und spürt aber die Symbolkraft: der Dreck muß weg.
Man kann, ohne den Boden des gewaltlosen Widerstandes zu verlassen, den Machthabern auch wortlos und gleichsam scherzhaft mit dem Reisigbesen drohen – das versteht jeder. Der harmlose Reisigbesen würde überall präsent sein, bald auch in Talkshows als Zeichen eines unvermeidlichen Großreinemachens herumgereicht werden. Gröbere Geister würden sich vielleicht die handlichere und drastischere Klobürste wünschen, doch warum sollten wir der Kunststoffindustrie Auftrieb verschaffen wollen?
Außerdem schätze ich den Reisigbesen als Brückenschlag: Nicht nur als Reinigungsinstrument diente und dient der Reisigbesen, sondern auch als Stangenseezeichen, Toppzeichen (sogar im Gefecht) oder Pricke im Wattenmeer und natürlich als magisches Fortbewegungsmittel zauberkundiger Frauen sowie – similia similibus – zu deren Abwehr.
Reisigbesen gibt es überall. Sie kommen ganz ohne Technik und Internet aus. Wer auf sich hält, wählt seinen Reisigbesen vielleicht bei Manufactum, doch auch das billige Exemplar aus dem Baumarkt erfüllt seinen Zweck. Sollte der Handel mit diesen urtümlichen Reinigungsgeräten verboten werden, hat man ihn sich im Handumdrehen selbst gemacht.
Ich denke, daß die Akzeptanz für ein allgemeines Großreinemachen derzeit größer ist als für konkrete politische Inhalte, die fast zwangsläufig zu unheilvoller Verstrickung in das Realpolitische führen. Zuerst wird gründlich durchgefegt, dann sieht man, was unter dem Dreck der Jahrzehnte verborgen liegt. Sortieren und neu einrichten kann man hinterher.
Natürlich darf die Sache mit dem Reisigbesen nicht trotzkistisch ausufern – niemand wird sich analog zur permanenten Revolution eine permanente schwäbische Kehrwoche wünschen. Aber für den Anfang kann so ein Reisigbesen ein starkes Symbol sein. Und wer partout nicht auf Inhalte verzichten mag, denke ihn sich halt einfach als eine Art Rutenbündel.
Arminius Arndt
Die Drift führte bislang zumindest zu steigender Wahlbeteiligung - sowohl bei uns (die letzten Landtagswahlen haben es gezeigt), als auch bei der Präsidentschaftswahl in den USA. Von daher belebt echte Konkurrenz tatsächlich das Geschäft und Wahlen sind offenbar wieder im "Kommen".
Immerhin konnte ich heute aus den Medien lernen, dass aus dem Ausland versucht wurde oder versucht wird, Wahlen zu manipulieren - oh welch Wunder! Als ob dies etwas ernsthaft Neues wäre!
Natürlich ist das nur dann schlimm, wenn es der böse Herr Putin mit seiner Armee von Hackern machen soll (ich vermute, er selber wird etwas besseres zu tun haben), nie, wenn Fake-News von ganz "offizieller" Seite verbreitet werden oder echte News unterdrückt, verharmlost, relativiert oder nur mit einer Propagandasauce serviert werden.
Wie auch immer, ich hoffe auf möglichst viele "leaks" - evtl. findet sich ja in Moskau sogar noch die eine oder andere Personalakte von bekanntem, hiesigen politischen Personal. Dann könnte selbst ich Russenfresser mal von ganzen Herzen спасибо sagen.