In meiner politischen „Sturm-und-Drang-Phase“ las ich einige Texte aus der NS-Zeit und stieß dabei auch auf einen Gedichtband von ihm. Schon damals fiel es mir schwer, die schwülstige Politlyrik ernst zu nehmen. In jeder Zeile zeichnete sich bereits der kommende Opportunismus dieser unappetitlichen historischen Figur ab. Vom theatralischen Tyrsusschwinger des NS zum ebenso gespreizten „großen Bereuer“, der Schuld primär bei allen anderen suchte…
Wer in den letzten Wochen das deutschsprachige Feuilleton verfolgte, kommt nicht umhin, zu fragen, ob wir nach einem bereits abzusehenden Umschwung der öffentlichen Meinung ähnliches erwarten dürfen. Viele halten sich schon bereit. Der Ton wird kritischer und unwilliger. Köln, Freiburg, Bataclan, Trump und Brexit – fast jede Erschütterung des PC-Burgfriedens wird heute von einem Last-minute-Dissidenten genutzt, um mit dem eigenen Lager „abzurechnen“.
Der Opportunist wartet immer auf das Kippen der öffentlichen Meinung, dem er sich dann anschließt. Oft fällt er dabei denjenigen in den Rücken, die an diesem Kippen gearbeitet haben. Die metapolitische Wende frißt in den allermeisten Fällen ihre Avantgarde. Denn die Scham der Bereuer verlangt nach einem Sündenbock.
In diesem Verlangen liegt eine Gefahr, die nicht mit einem allgemeinen Mechanismus verwechselt werden darf. Im 19. Jahrhundert waren liberale Gruppen und Parteien paradoxerweise in genau der Periode am schwächsten, als der Liberalismus zum gesellschaftlichen Mainstream wurde. Wie die Männchen der Flugameisen, die nach der Befruchtung sterben, so ist auch die Funktion und Daseinsberechtigung einer politischen Speerspitze erfüllt, sobald ihre Idee in die Mitte der Gesellschaft getragen wurde.
Das ist an sich nichts Schlechtes. Ich kokettiere selbst gerne damit und proklamiere etwas ironisch die Selbstauflösung aufgrund metapolitischer Obsoleszenz als Endziel der IB. Die Gefahr liegt in einer frühzeitig zugelassenen Schein-Wende, die gleichzeitig mit der „Kantenschere“ den idealistischen Kern der kritischen Bewegung abtrennt, isoliert und zerschlägt.
Ich will versuchen, das Szenario bildlich zu beschreiben. Wir und damit unsere Ideen sind heute immer noch „draußen“, in der Rolle des metapolitischen Belagerers und Partisanen. Wir belagern die Festung „Political Correctness“ und versuchen, die emotionale Barriere zu überwinden, die man um sie gezogen hat.
Zwar sehnen sich bereits Millionen der Insassen nach dem Entsatz (überall in Europa stellen Einwanderungskritiker bereits die relative Mehrheit), aber wir sind immer noch „draußen“.
Wir – das sind Denker, Aktivisten und Unterstützer einer identitären Position. Das heißt, wir haben erkannt, daß der demographische „Große Austausch“ die Wurzel des Problems, Multikulti gescheitert und Integration eine Lüge ist. Nur eine Politik der Grenzschließung, Leitkultur und Remigration kann das Ende unserer Identität und Demokratie aufhalten.
Diesen Ideenkern und sein Ziel, den Erhalt der ethnokulturellen Identität, müssen wir durch die emotionale Barriere der Gegner in das Zentrum bringen. Ihre lange gepflegten neurotischen „Nazischablonen“ haben auch einen Nachteil.
E contrario macht sie das offensichtliche „Nichtentsprechen“ teilweise wirkungslos. Die absurde, ängstliche Faszination über etwa meine Hipsterbrille, Identitäre auf Instagram oder den Migrationskritiker mit Migrationshintergrund Akif Pirinçci zeigt die Grenzen dieser Taktik auf.
In vielen (unwichtigen und oberflächlichen) Bereichen ist es also möglich und daher notwendig, die eigene Form so zu gestalten, daß sie durch die offenen Stellen der Barriere dringt und keinen „Abwehrreiz“ auslöst. In anderen, inhaltlichen Fragen muß die Firewall des sanften Totalitarismus durch Reizüberflutung lahmgelegt werden.
Die Behauptung der eigenen Identität, der nationalen Souveränität und des Volksbegriffs, die klare Forderung nach Remigration und einem Stopp des Großen Austauschs sind nicht verhandelbar. Sie fordern – gestehen wir es uns ein – eine metapolitische Wende, eine gesellschaftliche Abwendung von Ethnomasochismus, linkem Universalismus, Internationalismus und Egalitarismus. Das setzt eine Unversöhnlichkeit gegenüber diesen Ideen voraus.
Die Zeichen stehen gut. Die liberalen Politiker jeglicher Couleur, allen voran der Neo-Patriot Van der Bellen, richten ihre Segel bereits nach dem kommenden neuen Wind aus unserer Richtung. Die radikalen Mulitkultis verschanzen sich in einer pseudo-elitären Bunkermentalität.
Ihre Festung ist gegen den Druck von außen und den Unwillen von innen auf Dauer nicht zu halten. Die ständigen erdbebenartigen Erschütterungen durch unsere stärkste Verbündete – die Realität – tun das ihrige. Einige Wachmannschaften der Mauern bereiten sich wohl schon darauf vor, im kommenden Sturm ihre Kanonen dynamisch nach innen, gegen die Denk- und Debattenverbote, zu richten.
Die Frage ist nur, „was“ dann nach innen dringt. Es gibt hier zwei Möglichkeiten. Entweder es ist eine klare Idee mit einer staatstragenden politischen Vision, deren organische Intellektuelle gemeinsam mit den überlaufenden traditionellen Eliten die metapolitische Zwingburg übernehmen. Eine „Orbanisierung“ Westeuropas könnte dann stattfinden.
Oder die Phalanx zerbricht vor den Mauern und ein diffuses Gemenge aus Phrasen, Stehsätzen, Klüngeln und Krisengewinnlern sickert durch die Poren der Barriere ein und plätschert durch die Gesellschaft wie ein Geschwätz. Nach einer kurzen Phase der Genugtuung, des Wirbels und der Eroberung einiger Pfründen sinkt alles wieder auf den „Boden der Tatsachen“. Die Schwerkraft der herrschenden Ideologie ist nicht gebrochen, und das Unvermeidliche wurde lediglich hinausgezögert.
Ein symbolpolitischer Neokonservativismus mit ein paar „Law & Order“-Shows ohne Thematisierung des demographischen Problemkerns verlangsamt den Prozeß der Islamisierung, Brasilianisierung und ethnischen Fragmentierung nur. Eine sanftere Abwicklung der ethnokulturellen Konkursmasse statt der von Ethnomasochisten ersehnten apokalyptischen Überschwemmung mit Fremdheit. Dazu gibt es wieder Karrieremöglichkeiten für Liberal-Konservative, doch die metapolitische Reconquista ist gescheitert.
Das ist ein durchaus mögliches, denkbares, ja sogar naheliegendes Szenario für eine alternde Zivilisation, in der sich viele nur mehr das Appeasement und eine friedliche Schlüsselübergabe an die Neubürger wünschen.
Der Moment, der zwischen diesen beiden Pfaden entscheidet, ist das Nehmen der Mauern. Wer darf rein und wer bleibt draußen? Götz Kubitschek hat bereits über diese Fragen nachgedacht und geschrieben. Ich will im folgenden eine These in den Raum stellen. Beim Nehmen der Mauer und beim metapolitischen Tipping point werden die Renegaten und Bereuer einen Sündenbock brauchen. Daran führt kein Weg vorbei. Der Grund dafür ist einfach: Scham.
Wir befinden uns im Jahr 2025 und sehen eine Talkshow, in der es um den gesellschaftlichen Wandel geht. Einiges hat sich geändert: Europa betreibt in Ansätzen eine australische Grenzpolitik. In fast allen Ländern sind Rechtskoalitionen in der Regierung oder die Regierungen nach rechts gerückt. Das Overton window hat sich der gesellschaftlichen Gesellschaft angenähert.
Dazu beigetragen haben unabhängige Medien, welche mit der Lückenpresse längst gleichgezogen haben. Aus Last-minute-Dissidenten, Überläufern und rehabilitierten Rechten hat sich eine starke Gegenöffentlichkeit und Gegenkultur gebildet. Das Versiegen der Steuergeldflüsse, der Entzug von mietfreiem Wohnraum sowie die reguläre Anwendung der Strafgesetze hat zu einem unheilbaren Einbruch der linksradikalen Zusammenhänge geführt.
Wie die Umweltschutzbewegung, so ist die Einwanderungskritik durch alle Parteien und Schichten gegangen und jede gesellschaftliche Fraktion hat eine religiöse, ökologische, ökonomische oder sonstige Rechtfertigung dafür gefunden (oder erfunden). Der Große Austausch etwa wurde abgebremst, und man hat sich arrangiert. Aber all das führt hier zu weit. Uns interessiert nur ein Aspekt. Um den geht es gerade in besagter Talkshow eines alternativ-kritischen Mediums, das Teil des neuen Mainstreams geworden ist.
Es debattieren der Intellektuelle X und der Autor A mit der Moderatorin Z über die politischen Veränderungen der letzten zehn Jahre. Alle sind sich einig, daß die Jahre der Political Correctness eine „furchtbare Zeit“ waren, die auf gewisse Weise an „die dunkelsten Jahre unserer Geschichte“ erinnerte.
X: „Stellen Sie sich vor, die Medien weigerten sich doch allen Ernstes, über Straftaten zu berichten. Und alle Intellektuellen machten mit. Das war die reinste Reichskulturkammer!“
A: „Und dann dieser Augstein mit seinem talentbefreiten Gelaber, das jeder ganz toll finden mußte!“
X: „Ja, es war die reinste Hofberichterstattung, unfaßbar, daß damals alle mitgemacht haben.“
Z: „Warum eigentlich? Warum haben zum Beispiel Sie mitgemacht?“
Die Herren schweigen nach der Frage der Moderatorin einen Moment betreten.
X meldet sich zuerst: „Es war der Mangel an Alternativen. Und – was gab es denn für Kritiker?“
A: „Ja, es war der Zwang des Mittun-Müssens, wie in der DDR oder jedem anderen Totalitarismus. Aber mit einer Verschärfung. Es gab keine demokratische Alternative.“
X: „Exakt. Es gab nur die Wahl zwischen dem Mitmachen und Mitlügen im bestehenden Falschen – oder noch Schlimmerem.“
A: „Ja, und ich sage noch immer: Die rechtsextremen, rassistischen Umtriebe, die es in der Zeit damals leider auch gab, waren und sind keine Alternative zu den Debatten und Meinungsverboten der Linken.“
X: „Gott sei Dank haben es Leute und Parteien wie U und Y rechtzeitig geschafft, sich von Rattenfängern wie V zu trennen und eine echte Alternative im Rahmen der FDGO anzubieten.“
A: „Ja, Gott sei Dank. Eigentlich muß man Personen wie V und seinem Umfeld die Hauptschuld an diesen Jahren geben. Sie haben es mit ihrem Extremismus und ihrer überzogenen Rhetorik für jeden demokratisch gestimmten Bürger unmöglich gemacht, in Opposition zum Bestehenden zu treten.“
Z: „Also war das Scheitern und der Bedeutungsverlust von V eigentlich eine Grundbedingung für das neue politische Klima?“
X und A einstimmig: „Ja.“
Was soll uns diese Szene sagen?
Es ist das Schuldgefühl der Überläufer, Last-minute-Dissidenten und gefügigen Kritiker, welches nach Sühne verlangen wird. Diese Schuld muß und wird einem Sündenbock aufgeladen werden, dessen Opfer alle rehabilitiert.
Ein Zeitung, eine Partei, eine Gruppe oder eine Person der momentanten einwanderungskritischen Zusammenhänge wird vor den Mauern der Political Correctness geopfert werden, damit der Rest Einlaß erlangt. Das ist Gesetz, und ich denke nicht, daß es zu verhindern ist, ja daß man es verhindern sollte.
Denn es ist tatsächlich nicht alles gut in unserem Lager, und immer noch gibt es Dinge, die uns zurückhalten und sinnlos Angst- und Abwehrreflexe „triggern“. Eine klare, souveräne Trennung von diesen Elementen ist aber etwas grundlegend anderes als die Suche nach einem Sündenbock.
Die kollektive Scham der Mitmacher braucht ein Objekt der Schuldzuweisung, nicht nur in der alten Elite, sondern gerade im Lager ihrer Kritiker. Dieses wird vom Rudel abgeschnitten, isoliert und publikumswirksam erlegt. Sein Opfer schafft das Narrativ, indem Überläufer sich der neuen Welle anschließen können, ohne ihr Gesicht zu verlieren.
Mit ihm erkaufen sich die rechten Parteien ihre „Regierungsfähigkeit“ und werden den Makel des „Populismus“ los. Das Opfer selbst wird in die Wüste der politischen Bedeutungslosigkeit getrieben. Es kommt also alles darauf an, nicht dieser Sündenbock zu sein.
Es kommt darauf an, daß nicht der idealistische Kern einer Fundamentalkritik an Multikulti, sondern ein verzichtbarer extremistischer Narrensaum diese gruppenpsychologisch notwendige Rolle „übernimmt“. Kurz gesagt: Es geht darum, daß die Kantenschere zwischen der Alten und der Neuen Rechten und nicht zwischen Opportunisten und Idealisten verläuft.
Jene, die für den Erhalt der Identität eintreten, damit die Identitätsfrage stellen und die Grenzen der Assimilations- und Integrationsfähigkeit erst thematisieren können, müssen sich klar und radikal von jenen trennen, welche die Identitätsfrage mit einer Renaissance der dritten politischen Theorie, mit Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus verbinden.
Das Problem ist: Aus Angst vor dem Gegner gehen Teile der eigenen Leute zum Bereich der Bewegung, des Aktivismus und Idealismus grundsätzlich auf Abstand, verhinderte so das Aufkommen einer neurechten, idealistischen Bewegung und bestätigte so nur das oktroyierte Koordinatensystem.
Der „Erfolg“ dieses Zirkelschlusses ist heute an jeder Uni und in jeder Fernsehsendung zu begutachten. Sie sind besetztes Gelände. Die Linken hatten ihre neulinke metapolitische Kulturrevolution. Die Rechten hatten nichts dergleichen und verloren alles.
Zeitungen wie die Junge Freiheit, Zeitschriften wie die Sezession, Institute wie das IfS und Bewegungen wie die Identitäre Bewegung waren die einzigen, die sich dem Dualismus „ideologiebefreite Realpolitik vs. realitätsbefreite Ideologie“ verweigerten und versuchten, neurechte Metapolitik zu betreiben.
Die Vorwehen eines neuen politischen Klimas sind auch ihr Verdienst und ihr Erfolg. Sie werden auch die Orte der Entscheidung für die Frage der Trennlinie sein. Es ist wie immer die Schmittsche Frage nach dem Gegner und der eigenen Gestalt. Werden sie sich nach klaren inhaltlichen Fragen sammeln und abgrenzen? Oder werden sie sich nach bloß formalen und opportunistischen Fragen zergliedern?
In den nächsten fünf Jahren entscheidet sich neben der notwendigen metapolitischen Wende, die keineswegs ausgemacht, aber doch sehr wahrscheinlich ist, ob mit ihr auch die multikulturelle linke Hegemonie abgelöst werden kann. Dazu muß ein „organischer Block“ an neurechten Idealisten und Realisten – im „Wie“ getrennt, aber im „Warum“ vereint – die unverzichtbaren Ideen in die Mitte der Gesellschaft tragen. Das bedeutet weder „Don’t punch right“ noch „Distanzeritis“.
Öffentliche Distanzierungen von konkreten Gruppen und Personen sollten möglichst vermieden werden. Im Vordergrund sollte eine kämpferische Positionierung, also eine klare Behauptung weltanschaulicher Grundsätze stehen.
Distanz muß inhaltlich und weltanschaulich sichtbar und darf nicht strategisch oder taktisch begründet sein. Das könnte eine Faustregel für diesen entscheidenden Moment des Übergangs werden, und genau auf diese inhaltliche Rechtfertigung sollte jeder Distanzierer festgenagelt werden.
Die Auslegung von Ideen und Begriffen wie Herkunft, Volk, Identität, Staat, Migration etc. darf weder altrechten Rassisten noch opportunistischen Verfassungspatrioten überlassen werden. Wir können an der eigenen Stärke arbeiten, klarstellen, was wir sind und was wir nicht sind. Am Ende liegt es aber auch an den politischen Realos, ob sie ihre Grenzen anhand von inhaltlichen Fragen und Eigendefinitionen oder nach den Zuschreibungen der öffentlichen Meinung ziehen.
Doch wir können es ihnen auch unnötig schwermachen, der opportunistischen Distanzierung zu widerstehen. Klare Bekenntnisse, klare Demarkationslinien und eine klar definierte Linie; Dynamik, wo es geht, und Breschen, wo es not tut – nur das bringt die Neue Rechte durch die Firewall der Political Correctness.
Contant
Heute hat Diekmann das Handtuch geworfen