Das Auffälligste gleich zu Anfang: Anstelle der gewohnten Klammerung kommt die Sezession nun erstmals als Buchzeitschrift mit Leimbindung daher. Das paßt zum erweiterten Umfang: Die Februarausgabe kommt auf stolze 74 Seiten und nähert sich dem gewichtigen Thema “Gewalt” aus vielerlei Richtungen.
+ Ellen Kositza beschaut in “Bild und Text” weibliche MMA-Kämpferinnen und stellt die Frage nach ihrer Ikonentauglichkeit für die Frauenbewegung (oder was davon übrig ist). Warum sollten “Femen”-Popkulturnüttchen befreitere Frauen sein als Kampfsportlerinnen? Oder ist vielleicht doch auch hier das Medium die Botschaft?
+ Benedikt Kaiser (Querfront) stellt in einem ausführlichen Autorenporträt den französischen Philosophen Georges Sorel (1847–1922) vor, der sich vehement gegen die bürgerliche Demokratie als dekadente Schwundstufe der Gesellschaft positionierte. Sorels Hoffnung ruhte im sozialen Mythos, der die Arbeiterklasse für den reinigenden Kampf wappnen sollte, wie er in seinem Hauptwerk Über die Gewalt darlegte.
+ Es folgt eine Meditation Wiggo Manns über »Die Logik der Gewalt« und die offenkundig fehlgeleitete Hoffnung, dieses Phänomen durch soziale Experimente, materiellen Wohlstand oder sonstige Anreize aus der Welt zu schaffen. Das einzig Mögliche scheint die Sublimation zu sein, durch die sich die Gewalt letztlich jedoch nur an neuen, unvermuteten Orten erneut den Weg an die Oberfläche bahnt: »Der Klang, der am nachhaltigsten durch die gesamte Geschichte der Menschheit widerhallt, ist der von Kriegstrommeln.« (Arthur Koestler)
+ Bereits im November 2010 veröffentlichte Jack Donovan (Der Weg der Männer) seinen wegweisenden Aufsatz »Violence is Golden«. Unter dem Titel »Die harte Währung Gewalt« und mit einem passenden Triptychon von Standbildern eines bekannten Films versehen, findet der Text in erstmaliger deutschsprachiger Übersetzung nun auch hierzulande ein Publikum – ebenso wie Donovan selbst, der auf der IfS-Winterakademie über »Gewalt – Jenseits von Gut und Böse« sprach.
+ Caroline Sommerfeld veröffentlicht einen »theoretischen Aufruf zur Gewalt« – ausgehend vom westlichen »Aggressionstabu«, das zu so aparten Auswüchsen wie dem Vorwurf der Microaggressions (etwa durch hämische Blicke oder anzügliche Bemerkungen) geführt und einer Spirale der kulturellen Selbstzerstörung in Gang gesetzt hat.
+ Der Akademievortrag Dr. Marc Jongens ist nicht nur als Livemitschnitt im kanal schnellroda zu bestaunen, sondern findet sich auch mit Anmerkungen und Literaturverweisen in bündiger Form in der aktuellen Sezession. Die Dekadenz ist unmittelbare Folge zu vieler satter Jahre, und die direkte Alternative zum immer weiteren Auseinanderdriften und Vereinzeln der Menschen zwangsläufig der Konflikt – welcher Art er auch sein mag. Das aber läßt hoffen: Vielleicht wird es genau das »Thymostraining« durch die alltäglichen Zumutungen der desaströsen Regierungspolitik sein, das unser Volk wieder zueinander finden läßt?
+ Götz Kubitschek thematisiert das ständige Risiko der »Selbstverharmlosung« und nimmt dabei vor allem Bezug auf den geänderten medialen und politischen Modus operandi – weg von der hochmütigen Diskursverweigerung und hin zur aktiven, hysterischen Diskursverhinderung. Kubitschek in Magdeburg, Höcke in Dresden – die Anklage- und Ausgrenzungsmechanismen der Etablierten verführen oft zur Mäßigung, allein: Wenn man sich selbst so weit gezähmt hat, daß man vielleicht auch endlich in den Presseclub oder auf Bundesversammlungen eingeladen wird, worüber sollte man dann überhaupt noch reden wollen?
+ Der Autor dieser Zeilen widmet sich der mit dem Einstieg in den Bundestagswahlkampf von den Regierungsparteien neu erhobenen Forderung nach einem »starken Staat« im Angesicht des islamischen Terrors. Was kennzeichnet einen Staat als “stark”? Ist ein nicht-“starker” Staat überhaupt noch ein Staat? Und wie realistisch ist dieser Anspruch in einem Staatswesen, das die Überreste seines ehemals verbindenden Nomos zugunsten einer Offenheit gegenüber allem und jedem verramscht?
+ Der Bildinnenteil setzt die wenig bekannte Parabel Franz Kafkas »Ein altes Blatt« in Beziehung zur heutigen Lage. Hat sich nicht vielleicht schon im Jahre 1920 abgezeichnet, an welchem Scheideweg unser Land einmal stehen würde..?
+ Lutz Meyer befaßt sich mit dem »Finger im Primatenkot« – dem eher verzweifelten Versuch alternativer Anthropologen und Aussteiger, an den wenigen noch von der Zivilisation unberührten Flecken der Erde bei Indianer- und Primatenstämmen die friedfertige Urgesellschaft zu finden, die das linke Ideal bis heute erträumt. Nun, sie haben es nicht geschafft – und ihre Entdeckungen trugen noch weit mehr zum Bild des Menschen (und seiner nächsten Verwandten) als “Mängelwesen” bei, dessen urtümliche Natur letztlich immer die Oberhand behält.
+ Von einer anderen, gelenkten Form der Gewaltlosigkeit handelt Martin Sellners Vortrag aus Schnellroda. Die Lehren staatspolitischer Umwälzungen der vergangenen 100 Jahre zeigen, daß eine verhältnismäßig gewaltlose Revolte letztlich bessere Chancen auf Stabilität und letztendlichen Erfolg bietet – gerade weil sie es unterläßt, durch Exzeßhandlungen die (Welt-)Öffentlichkeit zu verschrecken. Es zeigt sich, daß die Doktrinen globalistischer Regime-change-Strategen auch mit umgekehrtem Vorzeichen nutzbar zu machen sind!
+ Vor 55 Jahren wurde Algerien nach acht Jahren Krieg von der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich in die Unabhängigkeit entlassen. Dagegen erhob sich die prokolonialistische Untergrundorganisation Organisation de l’armée secrète, kurz OAS. Marcel Kehlberg zeichnet die Geschichte ihres Kämpfens und Scheiterns nach: »Rückzug aus Algerien – eine Lehre« ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Werks des seinerzeitigen OAS-Mitglieds Dominique Venner (Für eine positive Kritik erschien im gleichen Jahr als französische Erstausgabe!) ein bedenkenswertes geschichtliches Menetekel.
+ Über eine andere, längst im gesellschaftlichen Mainstream angekommene Gewaltform spricht Ellen Kositza mit Sven Dirks, einem Organisator der Sadomaso-Szene. Nicht erst seit der Buch- und Filmreihe Shades of Grey haftet diesem Milieu ein gewisser Nimbus an – der sich sehr leicht als Projektion entpuppen kann, wenn man ihm zu nahe kommt.
+ Martin Lichtmesz sprach in Schnellroda über René Girard (Das Heilige und die Gewalt) und dessen These von der mythischen Urgewalt, die – ins Tabu gewendet – eine Gesellschaft zu stabilisieren vermöge… Doch nur, solange sie in regelmäßigen Abständen rituell wieder nacherlebt werden kann. Fehlt dieses gruppenpsychologische Ventil, ist der Weg hin zur Kollektivneurose nicht weit, wovon die Deutschen ein Lied singen können.
+ Felix Menzel beleuchtet das um sich greifende Phänomen der »No-go-Areas«, derer man gerade erst wieder etwa in Schweden ansichtig werden konnte; Johannes Konstantin Poensgen untersucht die Philosophie des Störenfrieds des St. Gallener Philosophieprofessors Dieter Thomä und entlarvt den wohlgelittenen Rabauken als drolliges Schoßhündchen des ordnenden, verwaltenden und verteilenden Systems.
+ Eine weitere Zeitreise, wenn auch diesmal nur 25 Jahre zurück: 1992 erschien in dem Sammelband Deutschland, ein Land in Europa (sowie als Nachdruck in der Jungen Freiheit) der Essay »Die Tücke der unblutigen Revolution« aus der Feder Armin Mohlers. Aufgrund seiner ungebrochenen, vielleicht auch wiedergekehrten Aktualität wurde der Text für das »Gewalt«-Heft abgetippt und mit einer Einleitung versehen: Was wurde aus dem »Gefühlsstau« (Hans-Joachim Maaz) der ehemaligen DDR-Bürger, nachdem das Ende ihres politischen Systems und Staats ohne Katharsis, ganz sang- und klanglos vonstatten gegangen war – und war das die beste denkbare Lösung?
+ Der Rezensionsteil markiert einmal mehr ein weit aufgespanntes Revier: von Eugen Ruge und E.M. Forster über Michail Ossorgins Zeugen der Zeit, den Todestrieb in der Gesellschaft und die »Carl-Schmitt-Vorlesung« Horst Bredekamps bis hin zur ersten extensiven, deutschsprachigen Biographie Julius Evolas.
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Rex Regum
Den Rezensionsteil fand ich dieses mal besonders eindrucksvoll. Werde mir einige Werke zulegen. Schade, dass die Briefe an Alle und Keinen es nicht in die nächste Runde geschafft haben. Mit was ich recht wenig anfangen kann, sind die Bildinterpretationen/beschreibungen. Aber das mag jeder anders sehen. Ansonsten hat es mich persönlich nie gestört, dass die Sezession geklammert war. Meine Freundin meinte jedoch, dass die Sezession nun noch professioneller wirke.