Nun ist das allerdings eine Frage des Maßstabs: Natürlich liegt bei den Nutzern solcher Imageboards (ich werde mich hüten, hier “Bilderforen” oder sonstige Peinlichkeiten zu verwenden) wie 4chan, seines deutschen Gegenstücks Krautchan oder Reddit in aller Regel kein metapolitischer Masterplan vor, wenn es auf zum Trolling geht.
Es ist auch nicht von der Hand zu weisen, daß ein Großteil dieser Millionen über die ganze Welt verstreuter Nutzer in keinster Weise rechts oder auch nur wirklich politisch interessiert ist; nicht umsonst nahm auch das kurzzeitig in den Medien gefeierte Hackerschreckgespenst “Anonymous” maßgeblich dort seinen Anfang. Die 4chan-“Anons”, wie die einzelnen Einheiten des memetischen Kollektivs – dazu mehr in Sezession 77 – heißen, sind in der Regel vor allem auf Schadenfreude und Provokation aus.
Das heißt aber nicht, daß man als geneigter Verächter des medialen und politischen Establishments nicht über so manche Aktion die berühmte »klammheimliche Freude« empfinden dürfte. Und von Kellerkindern oder Nerds kann da nicht mehr die Rede sein, wo das Trolling den anonymen Raum des Internets verläßt und sich vor aller Augen manifestiert!
Das jammervolle Schicksal der Kamerainstallation “He Will Not Divide Us” war schon mehrmals Thema (etwa hier und hier). Das ursprünglich auf die vollen vier Jahre der Präsidentschaft Donald Trumps angelegte “Kunstprojekt” wurde nach nur knapp vier Wochen – d.h. vier Wochen intensivsten Trollings seitens penetranter AltRight-Aktivisten und diverser “Anons”, die einfach Spaß am Chaos hatten – schlußendlich abgebaut, nachdem ein Unbekannter über Nacht Kamera und Mikrofon mit pinker Farbe übersprüht hatte.
Der nur ganz leicht psychisch labile Schauspieler Shia LaBeouf wäre aber nicht er selbst, hätte er sich nicht nicht zu diesem Zeitpunkt bereits eine Ausweichlösung zurechtgelegt gehabt: Nach nur wenigen Stunden ohne Übertragung zeigte der Internet-Livestream von “He Will Not Divide Us” plötzlich eine schlichte weiße Flagge mit dem Namen des “Projekts” vor blauem Himmel, irgendwo im Nirgendwo.
Eine nette, wenn auch nicht sonderlich kreative Idee, um doch noch seinen Willen zu bekommen, eines der vielbeschrienen “Zeichen” zu setzen und sich gegen Troll-Dämonen abzuschirmen. Allerdings nur auf den ersten Blick. In Zeiten des Internets funktioniert sowas nämlich nicht mehr, und schnell trat /pol/ auf den Plan, um es zu beweisen.
Nur kurz zur Erklärung: /pol/ ist das 4chan-Unterforum für Politik, das schon immer ein wahres Gestrüpp aus extrem kontroversen Bildern und Meinungen war; die massive Nutzung von Pepe dem Frosch in rechten Zusammenhängen etwa stammt maßgeblich von dort. An LaBeouf und seiner “Kunst” hatten die “Anons” von /pol/ sofort einen Narren gefressen, weil die hilflose Aggressivität des Prominenten gegenüber ihren Störaktionen sie zu immer weiteren Angriffen anspornte.
Als die neue, geheime Installation von “He Will Not Divide Us” ans Netz ging, wurde das sofort zum großen Thema. Als ein Nutzer auf die Kondensstreifen von Flugzeugen am Himmelshintergrund aufmerksam wurde, schaltete die Community auf vollen Autismusmodus um – eine selbstironische Bezeichnung für die intensive Beschäftigung mit (nur scheinbar!) sinnlosen Dingen.
Die folgenden Dinge ereigneten sich in einem Zeitraum von gerade einmal 24 Stunden:
Hunderte /pol/-Nutzer werteten online einsehbare Echtzeitflugpläne aus und verglichen sie mit den Kondensstreifen im Video-Livestream. Sie nahmen die nächtlichen Flaggenaufnahmen unter die Lupe und musterten Sternkarten auf Übereinstimmungen durch; auch die bekannten Flugrouten zwischenzeitlich sichtbarer Zugvögel flossen in die Berechnungen ein. Schnell war das in Frage kommende Gebiet stark eingegrenzt, und schließlich kam der Durchbruch, als auf einem Google-Satellitenbild mitten in der Botanik ganz schwach der Schatten eines Fahnenmasts zu erkennen war.
Zeit, aus dem virtuellen Raum herauszutreten: Sofort traten ortsnahe “Anons” in Aktion, bemannten ihre Wagen und begannen, die fragliche Gegend systematisch abzufahren. Dabei waren sie via Smartphone, Twitter und Instant Messenger ununterbrochen in Echtzeit mit der “Gemeinde” verbunden; da das Mikrophon der “Kunstinstallation” noch immer eingeschaltet war, benutzten sie die Hupen ihrer Autos zur akustischen Triangulation. Innerhalb einer knappen Stunde war die Flagge geortet, und /pol/ schritt zum Coup de grâce – in der Nacht enterte ein Rollkommando das Gelände, kassierte die weiße Fahne ein und hißte stattdessen ein Pepe-Shirt mit aufgesetzter “MAGA”-Mütze.
Wohl eine der bislang schönsten Geschichten des Internets! Die Aktion war vollzogen, das Mem gesetzt, und spätestens jetzt dürfte sich Shia LaBeouf nie wieder von seiner fortgesetzten Schmach erholen. /pol/ ist angesichts der zauberhaften Geschichte bereits jetzt bester Laune und verkündete bereits, selbst wenn die nächste Flagge auf dem Mond postiert würde, werde man sie innerhalb weniger Wochen ausfindig gemacht haben und im Anschluß via Crowdfunding einen Raumflug auf die Beine stellen, um sie zu stehlen. LaBeouf und sein #HWNDU – unter diesem Hashtag findet sich aller Wahnsinn rund um das Projekt versammelt – wurden “BTFO” (blown the fuck out), wie es unter “Anons” so schön heißt.
Nun kann man natürlich mit einem Augenrollen darüber lamentieren, wie so viele junge Leute ihre Zeit mit einer derartigen Clownerei vertrödeln konnten (siehe auch die “Entführung” einer Feminismus-Ikone). Dabei sollte man jedoch nicht vergessen, welchen Symbolgehalt die Aktion hatte – und nur darum geht es im fluiden Netz mit seiner “memetischen Kampfführung”. Mike Enoch von TheRightStuff.biz hat das auf einen schönen Terminus der Kommunikationsguerilla gebracht: Culture jamming.
Das ist im Grunde nichts anderes, als was die konservativ-subversive Aktion leisten wollte und dessen sich die IB mittlerweile gelegentlich befleißigt. Neben der Erzeugung starker Bilder gibt es eine ganz klare Botschaft an die Inhaber einer wankenden Diskurshoheit: “Die Zeiten eurer ungestörten Selbstbeweihräucherung sind endgültig vorbei. Ihr könnt nichts mehr tun, ohne daß wir es angehen, in Beschlag nehmen und zu unserem eigenen Erfolg machen. Sorry, not sorry.”
Diese Strategie einer kombinierten Raum‑, Wort- und vor allen Dingen Bildergreifung schlägt durch wie ein Wolframkern; bislang hatten die Kameraden von der anderen Feldpostnummer dem außer Geschrei und Gewalt nichts entgegenzusetzen. Und nicht einmal die CIA mit ihrem gigantischen Budget schaffte es, diese Mechanismen auch nur zu durchschauen, geschweige denn auszunutzen – obwohl sie sich sehr bemüht hat, wie die “Vault7″-Veröffentlichungen von WikiLeaks gezeigt haben.
Es bleibt also unablässig spannend um die wildwüchsige, anarchische Internetszene voller “Anons” und Trolle. Das alles ist enorm schwer zu über- und durchblicken, aber allein schon für den Unterhaltungswert lohnt es sich, dranzubleiben – und vielleicht die eine oder andere Inspiration mitzunehmen. Lohnende Ziele gibt es ja zuhauf. Shadilay, Brüder und Schwestern!
Dietrich Stahl
Hut ab vor den Inkarnationen von Eulenspiegel, Kasper und Nasreddin. Den verbiesterten Gutmenschen den Spiegel vorzuhalten oder sie einfach nur auf die Palme zu jagen, ich finds wunderbar. Wenn man bedenkt, wofür in Deutschland so alles kreative Energie verschwendet wird. Beispiel: Fanaktionen in Stadien, da wird genäht und gebastelt … Und die deutschen Frauen kaufen derweil Pfefferspray.