Unsere Pontifices Maximi sind mit unterschiedlichen Attributen in die weltliche Geschichtsschreibung eingegangen. Man spricht von diesem als demütigem, von jenem als frommen Papst, von anderen als »volksnah«, als mutig, schwach, als fragwürdig gar.
Nun haben wir einen Papst, der als ziemlich cool gilt. Das ist ein Novum. Daß cool nicht kühl meint, bedarf keiner Erläuterung. Papst Franziskus, der sich bereits mit seiner Namenswahl nicht einreihte in die langen Listen der Tradition, der also ein Erster sein wollte, ist cool im Sinn von »lässig«. Die nonchalante Daumen-hoch-Geste (facebookisch für: Gefällt mir!) beherrschte er von Amtsantritt an wie ein autochthoner Netzbürger. Sein Handgelenk hatte er pünktlich zum Trend mit knallbunten Loom-Bändchen geschmückt. Der Papst, dieses augenzwinkernde fashion victim, twittert auch wie verrückt, anläßlich X‑mas: »With Jesus there is true joy!« Raise your hands in the air! Soll keiner mehr sagen, Papst sei ein altmodischer Beruf!
Unser Papst ist ein pragmatischer Mensch. Das bewiesen einmal mehr die Nachrichten und Bilder von seinem Besuch auf den Philippinen. Logisch trägt er ein Schlüsselbändchen (als eine Art modernes Skapulier?) um den Hals – die Dinger gehen sonst so schnell verloren, wer kennt das nicht? Logisch trägt er einen grellgelben Regenumhang: Petrus hatte halt kein Nachsehen! Und, ey, will man naß werden? Nee, oder?
Das allerdings wären Äußerlichkeiten. Auf dem Rückflug von den Philippinen nach Rom im Januar 2015 beantwortete der Papst Fragen zur Gattenliebe respektive zur privaten Familienpolitik mit diesem – scusatemi la parola! – Statement: »Einige glauben, daß wir, um gute Katholiken zu sein, wie die Kaninchen sein müssen. Nein. Verantwortliche Elternschaft, die muß man suchen. Und ich kenne viele erlaubte Methoden, die dabei geholfen haben.« Der Papst – hier tritt er als cooler Connaisseur auf, als Bescheidwisser. Es braucht keine irgendwie gewiefte Beschlagenheit, um zu wissen, daß die Stichworte »Kaninchen« und »Vermehrung« vorzüglich mit dem gemeinen Wort »rammeln« assoziiert sind, und zwar in allen Sprachen.
Franziskus berichtete ausführend, wie er kürzlich eine Frau gemaßregelt habe, die mit dem achten Kind schwanger ging und schon sieben Kaiserschnitte bewältigt hatte. »Das heißt, Gott herauszufordern«, sagte Franziskus, » das ist unverantwortlich«. Der Christ solle »nicht Kinder am Fließband zeugen.«
Dieser Papst spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Das bewies er nun auch zum Thema antislamischer Blasphemie: Wenn einer »meine Mama beleidigt, erwartet ihn ein Faustschlag«, sagte Franziskus gleichnishaft: Man dürfe »den Glauben der anderen« nicht herausfordern. Papst Franziskus: What a man! – womit wir bei Heidegger wären. »Das Man« und das »Gerede« sind bei Heidegger Insignien der Konvention. Es sind Oberflächen, die durch ihre Glätte und »Verstelltheit« zugleich gekennzeichnet sind. »Jeder ist der Andere und Keiner er selbst. Das Man, mit dem sich die Frage nach dem Wer des alltäglichen Daseins beantwortet, ist das Niemand, dem alles Dasein im Untereinandersein sich je schon ausgeliefert hat.« Wer dem »Man« verfallen ist, denkt und redet in Gemeinplätzen. Er ist – mit Heidegger – »seinsvergessen«.
Der Haupteffekt des »Man« ist Nivellierung, es ist ein Einpassen an Routinen und Üblichkeiten in der Herrschaft des Anderen. Das Reden im Duktus des »Man« ist eine Anpassungsleistung und insofern im heideggerschen Sinne eine »Seinsentlastung«, die »jede Ausprägung einer konturierten und stabilen Identität verhindert« (Florian Großer).
Und wie steht es mit dem »Sein« dieses Papstes? Heidegger hat dem »Sein« als reinem Vorhandensein bekanntlich die Dimension der »Zeit« angefügt. Verkürzt gesagt: Die Zeit, und damit auch die Tradition, stellt den Verständnishorizont dar, in dem das Sein zu suchen ist. Franziskus nun hat sich mit seinem Sein von Anfang an außerhalb der Tradition gestellt.
Der Schriftsteller Martin Mosebach hat das in einem Interview pointiert: Die ihm zujubelnden Menschen und die Medien, so Mosebach, bewerteten »ihn wie einen neuen Präsidenten, der ein neues Programm vorlegt. So agiert ein Papst traditionellerweise nicht. Sein Amt besteht in Kontinuität, nicht in Veränderung. Er hat nicht die Aufgabe, die Kirche neu zu erfinden. Franziskus hat aber von der ersten Sekunde an eine Zeichensprache gewählt, die eine mediale Öffentlichkeit bedienen und vermitteln sollte: Ich mache alles anders. Angefangen von seinem ›Buonasera‹ statt des Priestergrußes ›Gelobt sei Jesus Christus‹ über die Ablehnung päpstlicher Kleidung bis zum Einzug ins vatikanische Gästehaus.« Mosebach mochte auch mit der koketten »neuen Bescheidenheit« nichts anfangen: »Letztlich ist das für mich keine Bescheidenheit, sondern das Herabdimmen auf einen Lebensstil, der sich mit dem der weltlichen Macht von heute deckt. Milliardäre tragen heute T‑Shirt und sitzen auf bequemen Sofas statt auf harten Barockmöbeln. Die alte Pracht der Kirche war eine Kunst für die Armen. Schwere Brokatmäntel, die die Herrlichkeit des wiederkommenden Christus darstellen, sind sehr unbequem. Der ›Bergoglio-Style‹ darf nicht mit Askese verwechselt werden. Und selbst wenn Franziskus Asket wäre, möchte ich davon auf keinen Fall in den Massenmedien erfahren. Askese hat ihren Wert vor allem im Verborgenen.«
Mosebach »hätte lieber einen Papst, der gar keine Reden hält. Ich möchte einen Papst, der den Menschen die Hände auflegt, der sie segnet, sie von ihren Sünden freispricht und die Messe für sie hält. Einen Priester-Papst, keinen Polit- Papst.« Ist es nicht ein Dilemma, wenn man als Katholik wie Mosebach sagt: »Mich interessieren diese ganzen päpstlichen Appelle eigentlich nicht«? Ist nicht auch dieser Papst als Stellvertreter Chisti auf Erden unfehlbar? Nein. Unfehlbar, sagt der Priester und Dogmatiker Matthias Gaudron, sei der Papst allein, wo er ex cathedra spricht, wenn er also als oberster Lehrer der Völker eine Wahrheit des Glaubens oder der Sitten zum verbindlichen Dogma erhebt. Da das II. Vatikanische Konzil allerdings auf seine höchste Lehrautorität ausdrücklich verzichtet hat, kommt ihren Lehrschreiben auch keine Unfehlbarkeit zu. Der Hl. Robert Bellarmin, Jesuit wie Bergoglio, sagte vor 400 Jahren: »So wie es erlaubt ist, einem Papst zu widerstehen, welcher den Körper anfällt, so ist es auch erlaubt, dem zu widerstehen, welcher die Seelen beängstigt oder den Staat verwirrt, und umso mehr, falls er die Kirche zu zerstören trachtet. Es ist erlaubt, sage ich, ihm Widerstand zu leisten, indem man seine Befehle nicht erfüllt und verhindert, daß sein Wille realisiert werde.« Insofern: Die Sorge um das Sein bleibt, und den Mann mit dem zu oft gereckten Daumen und der allzuweltlichen Seinsvergessenheit nehmen wir ins Gebet.