EinProzent aktiv: Zivilcourage in Arnsdorf

Im sächsischen Arnsdorf wurde Ende 2016 gegen vier Bürger Anklage wegen Freiheitsberaubung erhoben. Nun wird "EinProzent"aktiv: Philip Stein erklärt die aktuelle Lage!

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

Sezes­si­on: Herr Stein, am 24. April soll Pro­zeß­be­ginn sein gegen eini­ge Arns­dor­fer Bür­ger, die im Mai 2016 in eine tät­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit einem Ira­ker ver­wi­ckelt waren. Wor­um geht es da überhaupt?

Stein: Die meis­ten Leser die­ses Netz­ta­ge­bu­ches soll­ten – zumin­dest rudi­men­tär – mit dem „Fall Arns­dorf“ ver­traut sein. Immer­hin geis­ter­te der Fall wochen­lang durch die bun­des­re­pu­bli­ka­ni­sche Pres­se­land­schaft und inspi­rier­te Qua­li­täts­jour­na­lis­ten vom Spie­gel („Bür­ger­wehr geht auf kran­ken Flücht­ling los“) und der BILD („Bür­ger­wehr fes­selt kran­ken Flücht­ling an Baum!“) zu beson­ders krea­ti­ven Schlag­zei­len. Gleich­zei­tig war es der ers­te pro­mi­nen­te Fall von poli­tisch uner­wünsch­ter Zivil­cou­ra­ge, der für Auf­se­hen sorg­te und sich, weil gegen einen neu­en „Gold­jun­gen“ gerich­tet, zum Poli­ti­kum ent­wi­ckel­te – und jetzt wohl auch zum „Jus­tiz­skan­dal“.

Der Pro­zeß gegen die vier cou­ra­gier­ten Bür­ger star­tet am 24. April vor dem Amts­ge­richt Kamenz und wird – laut Aus­sa­ge der Anwäl­te – min­des­tens zehn Pro­zeß­ta­ge umfas­sen. Die Ankla­ge lau­tet auf Frei­heits­be­rau­bung nach §§ 239 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB. Der Leser las­se sich das auf der Zun­ge zer­ge­hen: Vier Arns­dor­fer Bür­ger hal­ten einen unbe­re­chen­ba­ren, in der ört­li­chen Psych­ia­trie unter­ge­brach­ten ira­ki­schen Asy­lan­ten davon ab, sowohl das Per­so­nal als auch die Kun­den eines Super­mark­tes mit einer Fla­sche zu bedro­hen, set­zen den sich mit Trit­ten und Schlä­gen weh­ren­den Mann an die fri­sche Luft und fixie­ren ihn schlu­ßend­lich – aus Grün­den des Selbst­schut­zes, denn der Mann ist wei­ter vol­ler kör­per­li­chem Taten­drang – an einem Baum, um auf die ein­tref­fen­de Poli­zei zu warten.

Im offi­zi­el­len Poli­zei­be­richt klingt das so: „Bei Ein­tref­fen einer Strei­fe fan­den die Beam­ten den 21jährigen mit Kabel­bin­dern gefes­selt an einem Baum auf dem Park­platz des Super­mark­tes vor. Die dafür ver­ant­wort­li­chen Män­ner berich­te­ten, daß sie den Mann zur Abwehr einer angeb­li­chen Gefähr­dungs­si­tua­ti­on fest­ge­hal­ten und an einer Flucht gehin­dert haben wollen.“

Doch anstatt den vier Arns­dor­fern eine der zahl­rei­chen – lei­der wert­lo­sen – Medail­len oder Zivil­cou­ra­ge-Prei­se des „frei­es­ten Staa­tes auf deut­schem Boden“ zu ver­lei­hen, zerrt man sie jetzt vor den Kadi – und wird sei­tens der Medi­en sicher auch das Pri­vat­le­ben der Bür­ger durch die Gos­se zie­hen. Der gan­ze Pro­zess ist ein absur­des Schmie­ren­thea­ter, das nur ein Ziel ver­folgt: die Repres­si­on gegen oppo­si­tio­nel­le Kräf­te wei­ter voranzutreiben.

Sezes­si­on: Nun gut, bei dem betrof­fe­nen Ira­ker scheint es sich also um einen der vie­len psy­chisch Gestör­ten zu han­deln, die unter Flücht­lin­gen und Asyl­be­wer­bern in letz­ter Zeit beson­ders häu­fig ver­tre­ten zu sein schei­nen. Wie ver­hält es sich denn mit den vier jetzt ange­klag­ten Arns­dor­fern von der angeb­li­chen “Bür­ger­wehr”? Ist jemand davon – wie es immer so schön heißt – “ein­schlä­gig bekannt”?

 

Stein: Ganz im Gegen­teil, einer der Ange­klag­ten ist sogar CDU-Orts­rat. Det­lef Oels­ner ist Inha­ber der ört­li­chen Tisch­le­rei und in der Dorf­ge­mein­schaft seit vie­len Jah­ren aktiv. Auch die ande­ren drei Ange­klag­ten sind – salopp gespro­chen – ganz nor­ma­le Bür­ger, deren pri­va­tes und beruf­li­ches Leben jetzt durch eine wider­wär­ti­ge Art der Repres­si­on und Ein­schüch­te­rung bedroht ist. Denn ganz gleich, wie der Pro­zeß am Ende aus­geht, kom­men auf die Ange­klag­ten zunächst immense Kos­ten zu. Soll­te der Pro­zeß durch meh­re­re Instan­zen gehen, sind Kos­ten bis zu 100.000 Euro denkbar.

Die­ser Pro­zeß ist jeden­falls von immenser Bedeu­tung für den gan­zen patrio­ti­schen Block und unser Mosa­ik des Wider­stands. Durch den Kata­ly­sa­tor Asyl- und Migra­ti­ons­kri­se sind nicht uner­heb­li­che Mas­sen an Deut­schen „auf­ge­wacht“ und haben sich ver­schie­dens­ten Aus­prä­gun­gen des zivi­len Wider­stands ange­schlos­sen. Die Dis­zi­plin der Gewalt­lo­sig­keit ist ange­sichts der Zustän­de in die­sem Staat – inklu­si­ve täg­li­cher Bedro­hung des eige­nen Lebens in ver­schie­de­nen Tei­len des Lan­des – schlicht­weg als beein­dru­ckend, min­des­tens aber über­ra­schend zu bezeich­nen. Beein­dru­ckend in der Hin­sicht, als daß Vor­fäl­le wie in Arns­dorf immer noch zur abso­lu­ten Aus­nah­me gehö­ren und nicht längst an der Tages­ord­nung sind.

Die Jus­tiz will der­lei Selbst­ver­tei­di­gung mit aller Macht unter­bin­den. Der erhoff­te Effekt ist klar: Die Mas­sen an uner­fah­re­nen, erst hin­zu­ge­kom­me­nen Bür­gern wer­den durch har­te Urteils­sprü­che abge­schreckt und über­le­gen es sich in Zukunft ganz genau, ob und wo sie sich enga­gie­ren. Doch Repres­si­on führt immer zu einer ange­mes­se­nen Reak­ti­on und ist als Zei­chen der Schwä­che zu wer­ten – und wir sind geüb­te Seismographen.

Sezes­si­on: Auf Ihrer Netz­prä­senz rufen Sie jetzt zur Soli­da­ri­tät auf und kün­di­gen an, in die Offen­si­ve gehen zu wol­len. Wie genau sieht Ihre Hil­fe­leis­tung für die vier Arns­dor­fer Bür­ger aus, und wie kann man sich einbringen?

Stein: Wir ste­hen in gutem Kon­takt zum Dresd­ner Rechts­an­walt und CDU-Aus­stei­ger Dr. Maxi­mi­li­an Krah, der als Chef des Anwalts­teams fun­giert und sich für die Ange­klag­ten ein­setzt. Die ers­ten Schrit­te sind jetzt: den Fall bekannt machen, den Ange­klag­ten öffent­lich das Wort ein­räu­men, die Dorf­ge­mein­schaft in Arns­dorf unter­stüt­zen und – ganz klar – die Pro­zeß­kas­se der Ange­klag­ten fül­len. Unser Bür­ger­netz­werk „Ein­Pro­zent“ sam­melt seit heu­te Spen­den für die Ange­klag­ten und wird am Ende noch einen ordent­lich Betrag selbst oben­drauf legen. Kei­ner bleibt zurück!

Spen­den für die ange­klag­ten Arns­dor­fer sind mög­lich über die “EinProzent”-Spendenseite oder direkt via:

Ein Pro­zent e.V.
IBAN: DE75 8505 0100 0232 0465 22 
BIC: WELADED1GRL
Betreff: Soli­da­ri­tät für Arnsdorf

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

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Kommentare (10)

Gotlandfahrer

27. März 2017 19:21

Habe Dauerauftrag. Es lebe das heilige Deutschland!

Gardeleutnant

27. März 2017 20:42

Aber die Strafprozeßordnung gilt schon noch, oder? Oder ist die auch dem Willkommensputsch zum Opfer gefallen?

"Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen." (§ 127 Abs. 1 S. 1 StPO)

Entweder hier wird ein wesentlicher Teil der Geschichte weggelassen, oder es gibt überhaupt keinen Ansatzpunkt für einen Tatverdacht. Von der Attacke gibt es doch sogar eine Videoaufnahme?!

Solution

27. März 2017 22:04

Kleinspende ist raus. So sieht wahre Solidarität aus. Weiter so!

Martin S.

27. März 2017 22:05

Spende kommt!

Heinrich Löwe

27. März 2017 22:09

Kamenz ist bei mir um die Ecke. Ist die Verhandlung öffentlich? Macht es Sinn, als Zuschauer hinzugehen?

Cacatum non est pictum

27. März 2017 23:43

@Gardeleutnant

Aber die Strafprozeßordnung gilt schon noch, oder? Oder ist die auch dem Willkommensputsch zum Opfer gefallen?

"Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen." (§ 127 Abs. 1 S. 1 StPO)

Entweder hier wird ein wesentlicher Teil der Geschichte weggelassen, oder es gibt überhaupt keinen Ansatzpunkt für einen Tatverdacht. Von der Attacke gibt es doch sogar eine Videoaufnahme?!

Danke für den Beitrag. Sie haben vorweggenommen, was ich auch schreiben wollte: Hier liegt ganz sicher der Rechtfertigungsgrund des § 127 Abs. 1 StPO vor. Auch Notwehr bzw. Nothilfe dürften greifen. Und wissen Sie was: Spätestens die Revisionsinstanz wird genau das feststellen. Da gehe ich jede Wette ein.

Herr Stein hat den Sachverhalt sicher treffend dargestellt, denn exakt so ist er damals von der Lügenpresse berichtet worden (natürlich mit skandalisierendem Subtext). Hätte es anderweitig belastende Umstände gegeben: Die Medien hätten sie nicht verschwiegen.

Mir ist übrigens ein Tagtraum gekommen: Das Ereignis in Arnsdorf hat mit umgekehrten Vorzeichen stattgefunden. Ein psychisch kranker Deutscher bedrohte Personal und Kunden eines Supermarktes mit einer Flasche. Er pöbelte und randalierte bedrohlich herum. Vier zufällig anwesende Flüchtlinge griffen beherzt ein, drängten den Randalierer aus dem Laden und fixierten ihn an einem Baum, bis die Polizei eintraf. Der Täter wurde in eine Psychiatrie zwangseingewiesen. Die mutigen Flüchtlinge erhielten eine Anerkennung vom Polizeipräsidenten der Polizeidirektion Görlitz. Die überregionale Presse überschlug sich mit Lob, porträtierte die jungen Männer in einer Artikelserie und pries ihr mutiges Einschreiten als leuchtendes Beispiel für Zivilcourage ...

Lassen wir das. Mir wird schlecht. Was in unserem Land gerade passiert, ist wirklich finster. Ich hoffe ja immer noch auf ein gutes Ende, aber meine Zuversicht schwindet.

@Heinrich Löwe

Kamenz ist bei mir um die Ecke. Ist die Verhandlung öffentlich? Macht es Sinn, als Zuschauer hinzugehen?

Solche Verhandlungen finden grundsätzlich öffentlich statt. Gehen Sie auf jeden Fall hin, wenn Sie die Möglichkeit haben! Niemand darf Sie daran hindern. Dieser Prozessgrundsatz dient ja gerade dazu, dass Staatsanwalt und Richter keine Kungelei im stillen Kämmerlein betreiben, sondern transparent agieren und dabei die Justizförmigkeit wahren.

Nautilus

28. März 2017 00:47

Respekt an EinProzent kann man da nur sagen.  Man meint man ist im Irrenhaus, anders kann man die Zustände in der BRD nicht mehr erklären. Der Täter wird zum Opfer gemacht und die wo helfen wollen zerrt man vor Gericht. Mich erinnert das sehr an das Buch- Das Heerlager der Heiligen.

Gustav Grambauer

28. März 2017 12:50

Gardeleutnant

"Aber die Strafprozeßordnung gilt schon noch, oder? Oder ist die auch dem Willkommensputsch zum Opfer gefallen?"

Nee, aber §§ 1 und 185 EGStPO sind "Rechtsbereinigungsgesetzen" zum Opfer gefallen, so wie auch § 1 EGGVG. Wenn sich die Angeklagten dennoch auf die Farce einlassen, was aus spaltpilz-taktischen Gründen ja angebracht ist, dann würde ich aus der Warte deren Anwalts heraus den zu erwartenden hypermoralisch aufgeblasenen Deutungs-Sermon der StA und der Vorsitzenden aber gerade immer wieder auf den Boden der der knochentrockenen StPO-StGB-Dogmatik zurückholen, die, wie Sie richtig anmerken, nämlich noch nicht "bereinigt" worden sind; dem würden dann nur noch die - allerdings fast überwältigenden - rechtsbeugenden Präjudizien der letzten fünfzig Jahre entgegenstehen. Keinesfalls würde ich mir an der Zivilcourage-Argumentationsschiene die Finger verbrennen, denn den Herrschaftsdiskurs darüber, für uns nur ein Schulbeispiel der Umwerthung aller Werthe, hat der Gegner für seine Seite längst abgeschlossen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Zivilcourage

- G. G.

Jürg_Jenatsch

28. März 2017 13:57

Werden die Syrer, welche Jaber Albakr in Leipzig gefesselt und festgesetzt haben, ebenso vor Gericht gestellt, oder gilt hier ein anderes Recht? Mit dem Begriff Zivilcourage habe ich etwas Bauchschmerzen, da er ein typischer Plastikausdruck des Gegners ist. Bürgersinn und Mut reichen vollkommen zur Beschreibung.

Der Feinsinnige

29. März 2017 02:55

Wie gut, daß es „EinProzent“ gibt. Auch ich habe einen Dauerauftrag laufen und werde eine Extraspende überweisen.

Trotzdem: @ cacatum non est pictum:

Hier liegt ganz sicher der Rechtfertigungsgrund des § 127 Abs. 1 StPO vor. Auch Notwehr bzw. Nothilfe dürften greifen. Und wissen Sie was: Spätestens die Revisionsinstanz wird genau das feststellen. Da gehe ich jede Wette ein.

Dem stimme ich voll und ganz zu und gehe noch darüber hinaus: Es gibt nicht „die Justiz“, sondern immer einzelne Richter, Staatsanwälte etc. Staatsanwälte sind grundsätzlich weisungsgebunden (wobei es zu weit führen würde, das im einzelnen durchaus streitige Ausmaß der Weisungsgebundenheit hier zu vertiefen). Was Weisungsgebundenheit in einem solchen Fall bedeuten kann, liegt auf der Hand. Richter sind dagegen unabhängig. Trotz aller teilweise nicht unberechtigten Kritik an „der Justiz“: Ich bin überzeugt, daß die große Mehrheit der Richter, gerade in den unteren Instanzen, sich sicher nicht scheuen, eine Anklage, die offenbar nach dem, was bisher in der Öffentlichkeit bekannt ist, auf derart tönernden Füßen zu stehen scheint, wie die hier thematisierte (wobei immer der Vorbehalt gelten muß, daß wir als Außenstehende die Akten nicht kennen), auch mit einem Freispruch abzuweisen, wenn sie sich nicht erhärten läßt. Letztlich wird der Verlauf der Hauptverhandlung entscheidend sein. Und dabei ist immer wichtig, daß fähige Rechtsanwälte gute Arbeit leisten. Auch im heutigen Deutschland setzt sich die Gerechtigkeit in aller Regel am Ende durch, auch wenn es manchmal ein durchaus weiter Weg sein mag, wie der aktuelle Fall Stürzenberger zeigt:

https://www.pi-news.net/2017/02/urteil-muenchen-erfolg-fuer-die-meinungsfreiheit/

Also warten wir bitte das Ergebnis ab – und spenden zur Unterstützung einer effizienten Rechtsverteidigung, die das Recht jedes Angeklagten ist!

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