Beim überwältigenden Rest, also fast allen: Geschlossenheit. 93 von 94 gewählten Abgeordneten versammelten sich heute in Berlin, um die Bundestagsfraktion der AfD zu konstituieren. Das bedeutet: Petrys Alleingang bleibt, mindestens vorerst, ein Alleingang.
Jetzt, nach dem Scheitern, stellt sich beim Blick auf Petry, Pretzell und ihre angeschlossenen Theoretiker und Karrieristen die Frage nach dem “Was nun?”.
- Petry hat unnachahmlich gezeigt, daß sie die Wähler in ihrem Wahlkreis Sächsische Schweiz/Osterzgebirge geringschätzt bis verachtet. Was nun?
- Petry hat dem gesamten oppositionellen Milieu einen Bärendienst erwiesen: Millionen Deutsche, die mit ihrem Votum den Kurs der Altparteien ablehnten, wurde der Verdacht eingeimpft, auch “der Rechten” gehe es nur um Pfründe, Seilschaften und Intrigen. Was nun?
- Pretzell hat bewiesen, daß Eitelkeit und technokratischer Weltanschauungspragmatismus auch nach dem Auszug der Luckisten chancenlos blieb. Was nun?
- Nachdem höhnend “Das Ende des Rechtspopulismus” verkündet wurde, tatsächlich nun aber die “Stunde des Populismus” (als Stunde volksnaher “klarer Kante”) anbricht: Was nun?
- Nachdem sichtbar wurde, daß die mitteldeutschen Verbände (partei- und milieuintern oftmals gescholten als “Sozial-” oder “Rechtspopulisten”) reüssieren, während all die verkappten und devoten CDU/CSU-Anbeter flächendeckend unter den Erwartungen blieben. Was nun? (Petry ist kein Gegenbeispiel: das Votum in Sachsen, im widerständigsten aller Wahlkreise zumal, war kein Votum “für Petry”, sondern für eine grundsätzliche Alternative – gleich welcher Kopf an der Spitze stünde.)
- Nachdem klar und deutlich gezeigt wurde, daß die mainstreamigen Kampagnenreiter der “87%”, die als fanatische Einheitsfront gegen die AfD stehen, für die Petry-Pretzell-Clique offenkundig das kleinere Problem darstellen als interne Ränkeschmiedereien, die der Partei und ihrem Ansehen bei den eigenen Anhängern (und um die geht es primär, nicht um Wohlgefallen bei der Konkurrenz von Kubicki bis Seehofer), massiver schaden als markige bis deplazierte Worte eines einzelnen Kandidaten. Was nun?
- Nachdem man in gewissen Redaktionsstuben zuerst mit aller Kraft Bernd Lucke inthronisieren wollte, dann so flexibel wie vorbehaltslos auf Petry/Pretzell umschwenkte, um jetzt – nach einem neuerlichen Totalscheitern seiner eigenen Mission – wieder eilig umzuschwenken. Was nun? Und: Auf wen wird diesmal umgeschwenkt? Und: mit welchem Ziel? Und: mit welch (erwartbarem) Ausgang? “Ceterum censeo ala esse delendam”, wie Cato schon wieder sagt?
- Nachdem sich also das Scheitern der Spalter und neoliberalen Claqueure von 2015 unter neuer personeller Konstellation 2017 als Farce wiederholt hat. Was nun?
Nun: Die möglichen Antworten sind so banal wie dem Wortsinne nach “populistisch”.
- Die Unversöhnlichkeit der gewählten AfD-Vertreter mit dem Bestehenden ist einstweilen wichtig und richtig.
- Viele Wähler stießen zur AfD aus solider Überzeugung, aber das Gros war vermutlich von dem Wunsch getrieben, “denen da oben” eins auszuwischen, mit dem Vehikel AfD, das mehr sein soll als eine Protest-Eintagsfliege. Diesen Anspruch gilt es zu beherzigen.
- Das allgemeine Unbehagen an den herrschenden Verhältnissen kann derzeit vor allem populistisch, also vereinfachend und um klare, offene Sprache gegenüber dem Volk bemüht, mobilisiert werden.
- Angesichts der existentiellen Krise, in der sich Deutschland und Europa aufgrund der Mißwirtschaft des politischen, gesellschaftlichen und medialen Establishments befindet, muß sich hierbei bei ebendiesem für nichts entschuldigt werden.
- Wenn eine Kraft der Opposition ohne jede Not beginnt, Teil des Ganzen zu werden, sich anschmiegt, abschwächt, mitspielt, erntet sie keinen Dank des Parteienkartells. Dieser ist daher nicht anzustreben.
- Stets droht eine fortwährende und sich selbst austarierende „Hegemonie durch Neutralisierung“. Antonio Gramsci beschrieb mit ihr eine Situation, in der sich der Mainstream oppositionelle Forderungen einverleibt, um subversives Potential zu neutralisieren. Genau das droht, wenn etwa die CSU ankündigt, die rechte Flanke zu schließen. Man sollte sich daher nicht voreilig freuen, wenn die “Volksparteien” ggf. eigene Vorschläge adaptieren, eigene Themenfelder übernehmen.
- Hier ist vielmehr souveräne Wachsamkeit gefragt. James Burnham wies darauf hin, daß Oppositionelle, denen man kleine Zugeständnisse macht, damit sie den großen Konsens nicht mehr hinterfragen, „in bezug auf die gut verschanzte Macht ebenso unbedeutend wie früher die Hofnarren“ seien. Also: Kein voreiliges Anbiedern an potentielle Gesprächspartner, die die Unionsparteien gegebenenfalls aus dem Hut zaubern werden.
- Weiter ist gefragt: Eine Absage an journalistische Souffleure, die immer wieder an ihrem – lediglich “liberalkonservativ”, “realpolitisch” und “bürgerlich” ummantelten – Versuch scheitern, aus der AfD eine CDU/CSU der 1980er Jahre zu machen, und doch belehrungsresistent immer wieder aufs Neue beginnen, ihre Spielchen, die die Existenz der AfD und des gesamten wahrhaft oppositionellen Lagers gefährden, zu spielen.
- Weiter ist gefragt: Den Angriff auf Charaktere wie Petry und Pretzell samt (nun von ihnen abgewendeten) Einflüsterern nicht mit einem Angriff auf den “gemäßigten” Flügel mißzuverstehen. Die AfD muß verschiedene Lager vereinen, deren weltanschauliche Positionierungen mitunter stark voneinander abweichen können.
- Das tatsächlich liberalkonservative Lager kann sogar gestärkt werden durch die Abgänge von Petry und Pretzell: Inhalte können besser plaziert werden, wenn sie im Kopf des einzelnen Parteimitglieds oder Sympathisanten nicht mit dem Ruch der Intriganz verbunden werden.
- Haltung und Anstand gegenüber der eigenen Partei und den eigenen Sympathisanten und Wählern sind, mehr noch als weltanschauliche Differenzen, zunächst das Entscheidende, nicht die mitunter von außen geschürte oder in ihrer Bedeutung überzeichnete Trennung in Realpolitiker versus Fundamentaloppositionelle.
- Weiter ist gefragt: Die Verinnerlichung dieser Analyse.
Denn die AfD, das gilt sich in den anstehenden Monaten von Zeit zu Zeit zu vergegenwärtigen, ist eine Partei, die neben den bereits Überzeugten vor allem Nichtwähler und Hunderttausende enttäuschte Anhänger anderer Parteien für sich mobilisieren kann. Sie sieht sich dabei mit dem nicht selten halb- oder illegalen Widerstand sämtlicher gesellschaftlich relevanter Gruppen, Medien und Organisationen konfrontiert. Authentische Oppositionsarbeit gegen diesen Komplex ist nur geschlossen, solidarisch und couragiert möglich. Revolutionäre Realpolitik ist in diesem Kontext kein Oxymoron, sondern das Gebot der Stunde.
Andreas Ulbrich
Noch ein Vorteil. Wenn P&P eine eigene liberal/moderat/rechte Partei aufmachen, geht das nicht auf Kosten der AfD sonder wird Mutti noch weitere 5% weg nehmen. Auch kein Schaden.