Was sind wir Rechten eigentlich im moralischen Sinne für Menschen? Sind wir um einen Deut besser als unsere Gegner? Oder schreien wir nur dieselben Parolen einmal umgekrempelt zurück? Wie halten wir unsere moralischen Standards? Und – noch unwahrscheinlicher: können wir sie moralphilosophisch begründen?
Ich schrieb:
“Weißt Du, mit welcher Sorge ich gestern Martin Lichtmesz fürchterlich auf die Nerven gegangen bin? Genau mit der, die Du so ausführlich formuliert hast. Warum mußte das Zurückbrüllen sein? Warum wurde es Demo statt Lesung? Denken jetzt nicht alle, Linke und Rechte sind gleich blöd, Linksextreme gegen Rechtsextreme? Woher nimmt Martin Sellner den Optimismus, das als neue Aktionsform “Eroberung” zu framen, was uns doch nur nolens volens passiert ist? Lichtmesz hat mir dann ziemlich den Kopf gewaschen, ich solle jetzt bitte nicht rumcucken! ‘Jeder haßt die Antifa!’ mußte sein, damit markiert ist, mit wem wir es zu tun hatten (also eben nicht mit ‘linkem Protest’ oder ‘auch unserem Publikum’ (Boos)), sondern mit den gedungenen Handlangern der Buchmesse. Und hätten wir stumm dastehen sollen? Womit er mich überzeugt hat, ist folgendes: wären wir still geblieben und hätten uns nicht gewehrt, es hätte uns nichts, aber auch gar nichts, genützt. Kleinbeigeben nützt immer nur dem Gegner, statt daß es als Zeichen der Friedfertigkeit erkannt und anerkannt wird. Das ewige christliche Problem, nebenbei bemerkt. Denn: wer ist der Richter?“
Wawerka schrieb:
„Für jeden von uns gilt: “unsere Erkenntnis ist Stückwerk” (1 Kor 13). Deshalb darf man die Erkenntnis nicht zum Maßstab ethischen Urteilens machen – auch nicht die politische Erkenntnis. Ich beobachte das natürlich bei der linken political correctness, aber zunehmend auch rechts: Hier gehört es plötzlich zum “guten Ton”, bestimmte Erkenntnisse politisch zu vertreten – sonst ist man kein “Patriot”. Es ist dieselbe Gesinnungsethik, verstehst du – nur mit anderen Vorzeichen! So deute ich die Signale, wenn z.B. Martin Lichtmesz sagt, dass du nicht “rumcucken” sollst. Ich bedaure das, ich bin enttäuscht, ich hoffte auf eine echte ethische Besserung, aber vielleicht ist diese Hoffnung dummer Kinderglaube und schon immer durchkreuzt vom biblischen Realismus. Auch in der zukünftigen Gesellschaftsordnung werden ethisch verantwortliche Leute Ihren Einspruch einlegen müssen, gegen die herrschende allgemeine Moral und ihre Repräsentanten. Dann wird man im Zweifelsfall halt Kubitschek widersprechen müssen oder Gauland oder wem auch immer – nicht aus Prinzip, sondern um der höheren Gerechtigkeit, Sittlichkeit oder (ich sags nur ungern) Menschlichkeit willen.
Ich hatte gehofft, wir kämen weg von dieser unsäglichen, oberflächlichen, pharisäischen, heuchlerischen Gesinnungspolitik – unter den Rechten würde sich die Politik mit dem ihr zustehenden Platz bescheiden und gesellschaftlich wieder ein Leitbild der persönlichen Tugend und Verantwortung einkehren. Das wäre eine ethische Besserung, eine Hebung der Sittlichkeit! Das wäre “konservative Revolution” oder “geistig-moralische Wende”! Ich fürchte, ich habe mich getäuscht … Ich fürchte, es wird sich nichts bessern. Wenn man die Resultate der rechtskonservativen Wende in Polen und Ungarn genauer anschaut, so ist die Gesellschaft weitgehend die gleiche geblieben (d.h. am individualistisch-liberalistischen Leitbild orientiert), während sich einfach die Politiker der rechten statt der linken Parteien den Staat zur Beute gemacht haben.”
Ich schrieb:
“Stürzen wir also sofort wieder ins Böse ab, sobald wir nicht mehr die Unterlegenen sind? Es gibt gute Kaiser, Päpste, Heerführer, Herrschaftsphasen. Muß Macht korrumpieren? Kann ein Kollektiv aus Unterdrückungserfahrung lernen? Ich denke an die DDR-Bürger, die jetzt sehr viel sensibler sind für totalitäre Elemente als ihre westdeutschen Generationsgenossen. Ist ethische Reflexion der Moral ein Zeichen der Schwäche oder der Stärke? “Die Guten sind des Zweifels voll /die Ärgsten voller Tatendrang” (W.B. Yeats). Aber ich überlege moralphilosophisch an der Frage herum: was für ethische Protagonisten werden wir nach der reconquista sein?”
Eine „ethische Besserung, eine Hebung der Sittlichkeit“, nichts mehr und nichts weniger, steht an. In einem Vortrag über „Race Realism“ von 2008 hat Jared Taylor argumentiert, warum sich Linke auf fatale Weise gegen die Wahrnehmung der Realität sperren, und unter vielen Gründen auch deren Gefangenschaft in ihren moralischen Gefühlen betont. „We have to be better!“ rief er dem Publikum zu, „steadfastness, honesty and faithfulness“ (Standhaftigkeit, Ehrlichkeit und Treue) befänden sich doch ganz klar aufseiten der Rechten.
In „Mit Linken leben“ haben wir Jonathan Haidts moralpsychologisches Werk The Righteous Mind (1996) herangezogen, der das Problem der widersprüchlichen moralischen Empfindungen und Verhaltensweisen der Linken und der Rechten folgendermaßen deutet: kulturübergreifend kann man ein Spektrum von fünf moralischen Grundempfindungen erkennen, nämlich care/harm, fairness/cheating, loyalty/betrayal, authority/subversion, sanctity/degradation. Linke moralische „Geschmacksknospen“ nehmen nur zwei moralische Bereiche wahr: care/harm und fairness/cheating. Ihnen fehlt fast vollständig das Sensorium für Loyalität, Autorität und Heiligkeit und die Verstöße gegen entsprechende Normen. Das rechte Moralspektrum dagegen hat den Vorteil, entschieden größer zu sein, denn auch Rechte haben natürlicherweise einen Sinn für Mitgefühl und Gerechtigkeit, bloß eben nicht einseitig hypertrophiert.
Ich glaube nicht daran, daß nur gut begründete ethische Systeme praktisch wirkungsvoll sind, doch wenn wir theoretisch mehr wollen, als uns moralisch selbst zu beweihräuchern, und kaum haben wir eines schönen Januartages die Macht ergriffen, in das von Wawerka befürchtete Pharisäertum zu geraten, muß eine Grundlegung „unserer Moral“ her.
Und da könnte es sein, daß Haidts moralsoziologischer Ansatz nicht ausreicht. Er stellt sich Moral als sinnliches Empfindungstheater mit einer sekundär dazukommenden reflektierenden Vernunft vor. In seiner Metapher: wir sitzen wie die Mahdis auf unseren emotionalen Reitelefanten. Der Elefant weiß, wo er hin will, der kluge Führer lenkt bestenfalls diesen Willen. Empirisch-psychologisch ist dieser Befund wohl korrekt: erst nachdem wir unbewußt unsere Entscheidungen getroffen haben, suchen wir nach guten Gründen dafür. Wenn wir moralisch urteilen, drücken wir unsere Gefühle aus, ein „Gefühl, welches durch einen rationalen Grund gewirkt wird“ (Kant) gibt es für Haidt in Wirklichkeit nicht. Diese ethische Postition nennt man Emotivismus.
„Der Emotivismus lehrt, daß alle wertenden Urteile oder genauer alle moralischen Urteile nur Ausdruck von Vorlieben, Einstellungen und Gefühlen sind, soweit sie ihrem Wesen nach moralisch oder wertend sind“, schreibt Alasdair MacIntyre in seinem Buch Der Verlust der Tugend (dt. 1981, i.Orig. After Virtue), in dem er den Emotivismus als ethische Krankheit der Moderne betrachtet. Wenn nämlich heute moralisch und politisch gestritten wird, geht jede Partei von inkommensurablen Prämissen aus. MacIntyre stellt genau wie Jonathan Haidt fest, „daß in moralischen Argumenten das offene Geltendmachen von Grundsätzen nur als Maske für das Ausdrücken persönlicher Vorlieben dient“.
Er hält diesen Befund allerdings für ein schwerwiegendes Problem: die rationale Rechtfertigung einer objektiven Ethik sei gescheitert, Kants Begründung zum Trotz, die Menschen sprächen und handelten heute so, als wäre der Emotivismus tatsächlich wahr. Mit dem Ergebnis, daß die moralischen Parteien immer weiter auseinanderdrifteten, die politischen Gräben tiefer würden und der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft gefährdet sei. Auf Emotivistisch gibt es keine Lösung. Mehr als diagnostizieren kann auch Haidt mit seiner Theorie nicht. Eine Überbrückung der Differenzen sieht bei ihm als deskriptivem Empiriker so aus: Linke und Rechte sind wie Yin und Yang und ergänzen sich, sie sollten nur mehr miteinander reden und über die Gefühlsbasierheit ihrer Rationalisierungen bescheidwissen.
MacIntyre hält eine sehr grundsätzliche Weichenstellung in der abendländischen Philosophie für verantwortlich für die moralischen Endlosdebatten: den „Verlust der Tugend“.
Die antike Tugendethik des Aristoteles ist im Gegensatz zur modernen Individualethik, deren Mechanismen „Recht, Protest und Entlarvung“ sind, eine Ethik des Gemeinsinns. Die moderne Ethik entspricht paßgenau Haidts verkümmertem Geschmackssinn der Linken: sie können Ungerechtigkeit in Mikropartikelchen herausschmecken, doch bei authority/subversion und sanctity/degradation lutschen sie nur genüßlich auf den Negativpolen Subversion und Degradierung herum, bis alles soziale „Schmieröl“ (Arnold Gehlen) herausgezuzelt ist.
Moral und soziale Struktur waren in der „heroischen Gesellschaft“ der antiken Polis ein und dasselbe. Doch MacIntyre bleibt dort nicht stehen, die heroische Gesellschaft ist verloren, nicht jedoch die Möglichkeit von Tugenden. Diese sind historisch wandelbar, Homers Kampfesmut ist Äonen von Jane Austens ehelicher Treue entfernt, eines ist ihnen aber durchgehend gemeinsam: sie bezeichnen das, was ein „Hochgesinnter“ (megalópsychos) in einer je konkreten Praxis mit je konkreten Narrativen und je konkreter Tradition sein soll. Tugenden sind mithin individuelle (aber nicht individualistische) und zugleich kollektive (aber nicht kollektivistische) moralische Ideale. Tugenden sind der Kern der éducation sentimentale, schaffen aber im Individuum weit mehr als bloß moralische Sentiments, sondern binden es durch erzählte Verpflichtungspraxis und Institutionen an die Tradition seiner Gemeinschaft zurück.
Haben wir hier brauchbares Material gefunden zur Grundlegung einer Tugendethik der Rechten? MacIntyre selbst ist skeptisch:
„Moderne systematische Politik, ob liberal, konservativ, radikal oder sozialistisch, muß von einem Standpunkt aus, der der Tradition der Tugend echte Treue schuldet, einfach verworfen werden; denn die moderne Politik selbst drückt in ihren institutionellen Formen eine systematische Ablehnung dieser Tradition aus.“
Nun ist „Rechtssein“, wie wir in Mit Linken leben vorgeführt haben, allerdings nur am Rande mit Politik als institutioneller Form deckungsgleich. Es ist eine Lebensform, unsystematisch und vielgestaltig, und doch auf klare Tugenden bezogen. Haben wir eine ausreichend klare Vorstellung unserer Tugenden, und haben wir als Einzelne bereits genug davon entwickelt, um nicht in eine „Gesinnungsethik mit anderem Vorzeichen“ zu kippen? Und was ist mit den (partei)politischen Protagonisten aus unserem Lager – haben die “höheren Sinn” als ihre Gegner?
Eine gelungene moralische Erziehung liefe auf das komplette haidtsche Spektrum hinaus, eine gelungene Grundlegung dieser Moral würde erklären können, warum wir Tugenden brauchen und warum eine Tugendethik als Gegenentwurf zu Liberalismus, Globalismus und Multikulturalismus geeignet ist.
„Und da die Tradition der Tugenden die Schrecken der letzten Finsternis überstanden hat, sind wir nicht ganz ohne Grund zur Hoffnung. Diesmal warten die Barbaren allerdings nicht jenseits der Grenzen; sie beherrschen uns schon eine ganze Weile.“ (Alasdair MacIntyre)
Der Gehenkte
Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht? (Mt. 7.3)
Herr Wawerka hat recht! Es gibt auch hier, auf dieser Seite, in dieser „Szene“ einen ausgeprägten, wenn auch mitunter subtilen Konformitätszwang, ein menschliches, ein menschelndes Element, das nicht zu besiegen ist.
Wer sich rechts nennen darf, der hat gefälligst die Darwinsche Evolutionslehre abzulehnen – was ich nicht tue -, den menschenverursachten Klimawandel als Lüge zu bezeichnen – was ich nicht tue -, gegen Abtreibung zu sein – eine komplizierte Frage -, an der vollständigen Ernst-Jünger-Ausgabe vorbeizudefilieren – was ich jeden Tag tue -, den Postmodernismus und die Dekonstruktion als Geschwätz abzutun – was ich auch nicht tue –, und sich auf Nietzsche, Heidegger und Spengler zu beziehen – was ich gern tue. Usw. Das ist natürlich überzeichnet. Desweiteren gilt es gewisse Positionen zu Geschichtsereignissen, zu Personen (Soros etwa), zu Zusammenhängen (NGO’s etwa) einzunehmen.
Mir vergällt das zusehends, nach erster Euphorie des Angekommenseins, die Teilnahme am Diskurs. Ich teile Wawerkas Empfinden und halte das Wort Gesinnungspolitik nicht für übertrieben.
Mehrfach hatte ich mich hier für Begründungsunternehmen stark gemacht. Die sind notwendig aber sie dürfen einen sehr hohen Abstraktionsgrad nicht verlassen und müssen das Konkrete scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Tatsächlich glaube ich, ist Konservatismus eine anthropologische Konstante, dem menschlichen Denken und Fühlen apriori – wenn auch in Variation – eingegeben, ebenso wie die Neugier, sein Gegenteil. Man muß versuchen, ihn ethisch zu begründen, aber nur deskriptiv – sobald die Argumentation ins präskriptive abgleitet, sobald sie versucht, aus den Erkenntnissen konkrete Schlüsse zu ziehen (die ergeben sich im Idealfall von selbst), wird es gefährlich. Wenn man das, diese Trennung, nicht garantieren kann, dann sollte man besser die Finger davon lassen.
Im Übrigen gibt es in der Psychologie und Psychoanalyse den schönen Begriff der „Rationalisierung“. Man sieht am Bsp. Buchmesse, daß sie stärker ist als Intelligenz und auch unsere klügsten Köpfe sind nicht vor ihr gefeit. Der Trick ist hier ein linguistischer: indem schweigender, souveräner Widerstand zum „Kleinbeigeben“ umdefiniert wird. Das „ewige christliche Problem“ hat immerhin 2000 Jahre überlebt und heute verteidigen wir es gegen eine Kriegerreligion (die auch überlebt hat) – Jesus wäre schon wenige Tage nach seinem Tode vergessen gewesen, wenn er sich aktiv gewehrt oder geschrien hätte: Nieder mit den Pharisäern/Römern/Pilatus/Judas/Juden …