Wie rechts ist Simon Strauß?

Was für eine verrückte Frage! Anscheinend aber eine Gretchenfrage.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Am Ran­de bekommt man seit län­ge­rem mit, daß der „Rechts­ver­dacht“ inner­halb des Kul­tur­es­tab­lish­ments ein heiß gehan­del­tes The­ma ist.

Los ging die aktu­el­le Debat­te mit einem Arti­kel in der taz: Mit sei­ner „Ultraro­man­tik“, wie sie in sei­nem Roman­de­büt Sie­ben Näch­te zuta­ge tre­te, bedie­ne Simon Strauß „die Agen­da der Rech­ten.“ Der Kon­takt von Strauß zu einem gewis­sen Götz Kubit­schek soll dabei eine Rol­le spie­len. Der wie­der­um hat­te sich, lang ist’s her, mal in die Strauß­sche Echo­kam­mer begeben.

Auch im jüngs­ten Spie­gel frag­te man sich, ob Simon Strauß ein „Weg­be­rei­ter der Rech­ten“ sei.

In der Welt  fin­det man, daß der jun­ge Strauß zwar „auf den Schmock des Herrn Papa andert­hal­be gesetzt“ habe, daß es aber so däm­lich wie typisch sei, daß nun Lite­ra­tur­kri­ti­ker als Gesin­nungs­prü­fer auf den Plan träten.

Und in der Zeit sind Ijo­ma Man­gold und Anto­nia Baum unter­schied­li­cher Mei­nung. Man­gold spricht von „Ruf­mord“ (anschei­nend gibt es nichts Ekli­ge­res oder Bru­ta­le­res, als mit dem Eti­kett „rechts“ behängt zu wer­den?); Frau Baum hin­ge­gen sieht kla­re Indi­zi­en dafür, daß Strauß kras­se Din­ge denkt:

„In Strauß’ Buch spielt Männ­lich­keit eine wich­ti­ge Rol­le: Der Erzäh­ler isst Fleisch und fährt Auto, wie sich das für rich­ti­ge Män­ner gehört.“

In Sezes­si­on 80 hat­te ich den Roman Sie­ben Näch­te bespro­chen, Hier ist die voll­stän­di­ge Rezension:

– – –

In den gro­ßen Medi­en­for­ma­ten hat man sich bereits am Erschei­nungs­tag der Publi­ka­ti­on geäu­ßert: Alle haben ihren Senf zu den »250 Gramm Pom­mer­sches East­co­ast Entre­côte an Pfif­fer­lin­gen« gege­ben. Simon Strauß, der pro­jekt­haft die sie­ben Tod­sün­den durch­lei­det und sich hier der »Völ­le­rei« anheim­gibt, ist bel­le­tris­ti­scher Debü­tant. Daß das FAZ-Feuil­le­ton durch Strau­ßens Fest­an­stel­lung erheb­lich an Glanz gewon­nen hat, dürf­te nicht aus­schlag­ge­bend sein für das über­gro­ße Inter­es­se an die­sem Büch­lein. Simon, Jahr­gang 1988, ist der Sohn von Botho Strauß. Der Vater ist nicht nur eta­blier­ter Roman­cier und Dra­ma­ti­ker; er wird auf­grund sei­ner Essays »Der letz­te Deut­sche« (2015) und vor allem »Anschwel­len­der Bocks­ge­sang« (1993) viel­leicht wider Wil­len, aber nicht zu Unrecht als Vor­den­ker einer intel­lek­tu­el­len Neu­en Rech­ten ver­ehrt. Nun also sei­ne leib­li­che Frucht – »Frucht­zwerg«, schrieb der bos­haf­tes­te Kommentator.

Simon Strauß – natür­lich ist es Rol­len­pro­sa, der Erzäh­ler fun­giert als »S.« – ist ver­dros­sen, ist über­drüs­sig jener Rea­li­tät, deren Essenz ihm auf einer Groß­stadt­par­ty ein »jun­ger Mann aus Syri­en« mit­tels eines Bon­mots vor­trägt: »Von der Wie­ge bis zur Bah­re, For­mu­la­re, For­mu­la­re.« S., aller­bes­tens aus­ge­stat­tet für eine Mus­ter­kar­rie­re (Super­schü­ler, Top­stu­dent auf hohem Refle­xi­ons­ni­veau: »Ein Sym­pa­thi­e­süch­ti­ger. Der von Geg­ner­schaft träumt, und im ent­schei­den­den Moment doch lie­ber nichts sagt.«), will kein Norm-und-Form-Mensch sein. Gut, wel­cher Deut­sche mit Hoch­schul­be­fä­hi­gung möch­te das schon? Rebel­li­on statt Sta­gna­ti­on, das Cre­do der Spät­pu­ber­tie­ren­den! Nur, man beden­ke unse­re Zeit, in der alle Gren­zen und Tabus gefal­len sind. S. weiß das, weiß, daß alle halb­ga­ren Ver­su­che, aus­zu­sche­ren, doch nur ein­ge­meind­ba­re »Knie­fäl­le vor der Kon­ven­ti­on« sind: »Kom­pro­mis­se schwä­chen den Hän­de­druck. Wer zu oft den Fahr­stuhl nimmt, fin­det nicht mehr den Weg zur Hin­ter­trep­pe. Der bleibt in der Bequem­lich­keit ste­cken, ver­liert den Drang.«

Wie Strauß schreibt über die­se Sehn­sucht, sich Ker­ben zu schla­gen, wesent­lich zu wer­den, die­se ers­ten zwölf Sei­ten des schma­len Romans also – das ist deut­lich mehr als ein ver­wech­sel­ba­res Coming-of-age-Zeug­nis eines schreib­be­gab­ten Spätz­wan­zi­gers. Es ist ein vital-poe­ti­sches Mani­fest, selbst wenn hier nichts mani­fes­tiert wird, son­dern mit Wucht eine Lücke kennt­lich wird: »Die ein­zi­ge Sehn­sucht, die trägt, ist die nach dem schla­gen­den Her­zen. Zu viel Gelän­de ist ver­lo­ren­ge­gan­gen an den Zynis­mus, der sei­ne kal­ten Fin­ger um alles legt. Der noch die letz­te Ker­ze aus­bläst, die letz­te Flucht­tür ver­rie­gelt, den letz­ten Vor­hang her­un­ter­reißt.« S. nun will das Feu­er neu ent­fa­chen, Türen auf­stem­men, Schat­ten suchen – indem er sich an sie­ben Aben­den den sie­ben Tod­sün­den aus­lie­fert, in deren Nähe, so will es die Legen­de hier, ihn Abend für Abend die per SMS über­mit­tel­ten Weg­wei­sun­gen eines Freun­des führen.

Die hier auf­ge­schrie­be­nen Erfah­run­gen wir­ken dadurch authen­tisch und nicht am Schreib­tisch kon­stru­iert. Zum Vor­teil, lite­ra­risch gese­hen, gerät sol­che Ver­suchs­an­ord­nung aller­dings nicht immer. Groß­ar­tig ist Super­bia, der Hoch­mut. S. soll sich vom Hoch­haus stür­zen, an einem Gum­mi­seil. Allein der Weg dort­hin! »Wie mich die­se Welt braucht. Wie sehr sie mich nötig hat. Jetzt. Heu­te. Hier. […] Ich tre­te den Bett­lern ihre Becher weg, haue den Musik­schü­lern ihre Woll­müt­zen vom Kopf. […] Den dum­men Kin­dern rei­ße ich die Luft­bal­lons aus den Hän­den, sol­len sie doch heu­len. Mein Gang wird nur noch brei­ter, mei­ne Brust geschwell­ter. […] Wenn ich ein­mal an der Macht bin […], wer­de ich Plät­ze bau­en, die nicht ver­ein­nahmt wer­den von irgend­wem, son­dern offen blei­ben, beweg­lich, in Angriffs­po­si­ti­on.« Sol­che jubeln­de Hoch­mü­tig­keits­pro­sa sucht ihres­glei­chen, das ist Kunst! Aber ande­re Tod­sün­den­pro­jekt­ta­ge gera­ten flau. Was soll ein beken­nen­der Ehr­geiz­ling auch zu Ace­dia schrei­ben, zur Träg­heit, zu der er selbst gar nicht neigt? Man­che Autoren haben »Ace­dia« mit »Feig­heit« über­setzt. Die­se Untu­gend jedoch wird nicht expli­zit abge­han­delt, sub­ku­tan aller­dings bil­det sie den Bas­so con­ti­nuo. Sprich, das hübsch aus­ge­dach­te Tod­sün­den­ras­ter trägt nicht durch. Es taugt nicht, um die eige­ne, sehr per­sön­li­che Begrenzt­heit zu erkennen.

Rat­schlag: Die Lek­tü­re auf Sei­te 129 abbre­chen. Auf den letz­ten Sei­ten kommt Freund »T.« zu Wort, der S. mit war­men Wor­ten dazu gra­tu­liert, »die Rei­fe­prü­fung« bestan­den zu haben. Das ist uner­quick­li­cher Firm­bi­schofs­ton. Für S. stellt »das drei­ßigs­te Jahr« eine Pfor­te dar. Man kennt das, nicht zuletzt von Inge­borg Bach­manns gleich­na­mi­gem Erzähl­band, wo eben­falls die Fra­ge nach der Anpas­sungs­fä­hig­keit und dem »Mit­krei­sen in geord­ne­ten Bah­nen« zur Dis­po­si­ti­on stand. Man darf gespannt sein (man ahnt’s), wohin es Simon Strauß dann ver­schla­gen haben wird.

– – –

Simon Strauß: Sie­ben Näch­te, Ber­lin: Blu­men­bar 2017. 144 S.,16 €, hier bestel­len.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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Kommentare (5)

Der Gehenkte

18. Januar 2018 10:10

Bestellung ist raus! - der Rezension natürlich! So was will ich auch nächstes Jahr lesen.

Vaterland

18. Januar 2018 10:54

In Hinsicht auf das Thema habe ich in der "Zeit" nachfolgenden Leserkommentar veröffentlicht:

""Gewiss ist Simon Strauß kein Linker, aber ist alles, was außerhalb des linksliberalen Meinungskorridors nach neuen ästhetischen Ideen sucht, schon gleich AfD beziehungsweise Zurüstung zum Holocaust?"

"Mit diesem Satz betreiben die beiden 'Zeit'-Autorinnen genau das, was sie - vollkommen zu Recht -, dem linken 'Juste-Milieu' vorwerfen: Sie stellen einen abstrusen und nicht zu rechtfertigenden Kontext her, nämlich zwischen der demokratisch und rechtsstaatlich legitimierten 'AfD' und dem 'Holocaust'.
Darüber hinaus verwenden die Autorinnen die Begriffe 'Rechte' und 'Neonazis' genau so, wie es im linken 'Juste-Milieu' leider üblich ist, nämlich als Synonyme . Auch das ist weder plausibel noch zu rechtfertigen:
Jeder, der sich mit Blick auf die entsprechenden Szenen kundig gemacht hat, weiß, dass die 'Neuen Rechten' keine 'Neonazis' sind."

Quelle: https://www.zeit.de/2018/04/simon-strauss-faz-autor-afd-faschismus-vorwurf-pro-contra?cid=17555005#cid-17555005

Thomas Martini

18. Januar 2018 11:54

„In Strauß’ Buch spielt Männlichkeit eine wichtige Rolle: Der Erzähler isst Fleisch und fährt Auto, wie sich das für richtige Männer gehört.“

Oha, wehret den Anfängen kann man da nur sagen. Und das, wo doch das „bürgerliche“ Lager und die „Mitte“ der Gesellschaft gerade erst mühsam zur Einsicht gelangt, dass der vegane Umstieg auf’s Fahrrad Ausweis einer umweltbewussten Haltung ist, die dem Feminismus gerecht wird.

Ungeheuerlich von Simon Strauß, die rückwärtsgewandten Autofahrer und ewiggestrigen Fleischesser auf diese Weise zu bestätigen. Es wird Zeit, liebe Mitbürger*innen, endlich Verzicht zu lernen, um die Natur und Tierwelt zu schonen!

Ich selbst muss noch üben: Erst kürzlich hatte mir meine in Hamburg lebende Verlobte für die lange Rückfahrt nach Trier eine Portion „Muffins“ als Proviant mitgegeben. Die habe ich auch auf mehrere Tage verteilt genüsslich und bis auf den letzten Krümel verspeist. Jedoch nicht während der Autofahrt, da – und ich gestehe es voll schuldbewusster Scham – überkam mich der Heißhunger auf Fleisch, und ich musste ihn an einer Raststätte mit einer wabbeligen Frikadelle (mit viel Senf!) im Aufbackbrötchen stillen. Da wäre ich wohl bei Antonia Baum gleich unten durch gewesen.

cubist

18. Januar 2018 12:54

Zumindest hat Strauß zweierlei erreicht: Die Bundestagsbibliothek hat seinen Roman angeschafft (und sie schafft selten Belletristik an ... die muss schon gesellschaftlich = feuilletonistisch besonders verrufen sein oder irgendwas mit Holocaust zu tun haben), und das Buch ist nicht nur ausgeliehen, sondern sogar mit einer Vormerkliste versehen. Übertragen gesagt: mit der Rückendeckung von Jürgen Kaube ist Strauß da ein schöner PR-Coup gelungen, ohne jede existentielle Gefahr, seinen Job zu verlieren und sozial geächtet zu werden. Im Gegenteil. Ich kann mir nicht helfen, aber mir kommt sowas sehr kalkuliert vor. (Schließlich ist die Reaktion des Feuilleton auf "Rechts" zuverlässig wie ein Pawlowscher Reflex.)

hessenbursche

20. Januar 2018 11:33

Heute am 20.01.18 ist in der TAZ ein Artikel von Jens Uthoff erschienen: https://www.taz.de/!5475631/

Es geht um die Frage: Macht Strauß rechte und nationalistische Positionen im deutschen Literaturbetrieb (wieder) salonfähig?
...
Und da ist der Salonbetreiber Strauß, der schon mal Götz Kubitschek auf einen Plausch einlud.
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Am deutlichsten zeigt sich das Zerwürfnis zweier literarischer Zirkel, die sich zunächst neugierig beschnupperten und sich im Verlauf dieser Debatte heillos zerkrachten: Der Strauß’sche Kreis auf der einen Seite und die Berliner Literaturgruppe „Rich Kids of Literature“, die sich rund um den Korbinian Verlag und die Redaktion des Magazins "Das Wetter" gebildet hat, auf der anderen Seite.
Beide sind aus der gleichen Generation, um die 30, und beide beziehen sich irgendwie auf die Romantik. Nur die einen nennen es Neoromantik (Strauß) und die anderen „Ultraromantik“.
...
Vor allem Strauß’ journalistische Texte glichen „in seiner Vergangenheitsverklärung dem romantisch-nationalistischen Sprech der Identitären“, schrieben Sascha Ehlert und Katharina Holzmann, Betreiber des Korbinian Verlags.
...
Bei Kubitschek sei es eben so gewesen, dass man seine Argumentationsmuster habe verstehen wollen, erklärt Eberhardt – im Übrigen sei man im Streit auseinandergegangen. Die meisten Salonmitglieder hätten linke Ansichten vertreten, versichert er. Verwundert ist man dann über seine Aussage, der Salon sei ein „unpolitischer Zusammenschluss“. Wollte man auch mit Götz Kubitschek mal gänzlich unpolitisch diskutieren?
Wenn man sich als progressiv und egalitär denkender Mensch versteht, kann man es natürlich unappetitlich finden, wie Strauß und Co. mit Ressentiments und der gesellschaftlichen Stimmung spielen. Den Faschismusverdacht sollte man aber zurückstellen. Damit tut man den Rechten nur einen großen Gefallen.

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