…dann kann Dr. Gottfried Curio nicht weit sein. Einen kleinen Gastauftritt hatte er bereits hier, jetzt bekommt er seinen eigenen Sonntagshelden. Verdient hat Curio sich das mit einer spektakulären Rede, die er am vergangenen Freitag im Bundestag hielt.
Gleich vorab: Ich erspare mir chirurgische Zitationen, die fünf Minuten sich das unten verlinkte Video anzusehen kann sich jeder Leser nehmen.
Wer bereits seit Jahren in unserem Milieu unterwegs ist, der wird bei der von Curio aufgestellten Forderung die deutschen Staatsgrenzen zu schließen wahrscheinlich eher müde lächeln als in Begeisterungsströme auszubrechen; aber der Sonntag ist nicht umsonst als freier Tag eine Zeit der Beschauung, des Einkehrens und des Nachdenkens. Und das reicht manchmal schon, um ein wenig gedanklichen Abstand zum täglichen Treiben, Herumkritteln, Meckern und Zweifeln zu nehmen, mit ruhiger Miene die Früchte der eigenen Arbeit zu kosten und vielleicht auch ein bisschen zu träumen.
Man stelle sich vor: Wir schreiben das Jahr 2018. Mit bemessen-energischem Schritt, bis auf den weißen Hemdkragen vollständig in schwarz gekleidet tritt ein Mann ans Rednerpult des Bundestages. In seinem Gesicht, das ungetrübte, im besten Sinn herrische Züge trägt, blitzt schon die Kampfeslust; nach einem kurzen Schluck Wasser setzt er an: Was folgt ist eine Rede aus einem Guss, durchorchestriert wie eine Symphonie, vorgetragen mit einer lakonischen Überlegenheit, die ein flüchtiger Beobachter vielleicht für ungedeckte Arroganz halten würde. Die Geschwindigkeit des Redners verwundert, jederzeit erwartet man bei diesem Redetempo einen Fehler, eine Ungenauigkeit, eine Unsicherheit in der Formulierung; doch der Takt ist freiwillig gewählt, offensichtlich möchte der Vortragende so wenig Zeit wie möglich mit der Einforderung von Selbstverständlichkeiten verbringen. Der Herr, er ist als Naturwissenschaftler an präzises Arbeiten gewöhnt, braucht keine sechs Minuten um sein Stück im Vivace vorzutragen. Die wenigen Pausen sind gesetzt wie feine Schnitte, wenn er von seinem Manuskript aufschaut, ist sein Blick ernst, distanziert, falkenhaft ohne sich zur Abschätzigkeit zu erniedrigen.
Seine Worte verursachen Unmut im Publikum, doch das Zwischengeätze lässt ihn kalt. Keinen Moment legt sich seine Stirn in zögernde Falten. Zu diesem Zeitpunkt ist sein Sprechen längst verstetigt, mit der sanften und unerbittlichen Autorität des Dirigenten, der er ist, erfasst der Vortragende seine Zuhörer, lässt sie in einem Augenblick rumpelstilzchenhafte Pirouetten drehen, um Ihnen kurz darauf mit lässiger Strenge das Wort zu entziehen.
Plötzlich eine rüde Unterbrechung: “Herr Kollege Curio gestatten Sie eine Zwischenfrage?” Nein, Gottfried Curio gestattet keine Zwischenfrage, stattdessen fährt er, sich unbeirrt dem großen Finale seines Stückes nähernd, fort.
Immer schärfer knallen die Sätze, die Zwischenrufer haben längst aufgegeben, in ihren Gesichter spiegelt sich ein neidischer Ekel, ein angewidertes Unverständnis und ein unsicherer Trotz, wie man ihn von halbstarken Asozialen kennt, die zum ersten Mal einem Symphoniekonzert beiwohnen. Mit zielsicheren Schritten nähert sich Curio derweil dem großen Schlussakkord: In diesem Moment, als er fordert Angela Merkel für die Verbrechen an ihrem Volk vor Gericht zu stellen, ist es die Wut, die ihn regiert. Sanguinisch schlägt er seine Vortragsmappe zu , bevor er sich seine Ruhe mit einem kühlen Atemzug zurückholt, während ein Drittel des Saales in donnernden Applaus ausbricht.
Das schöne daran: Das alles hat genauso stattgefunden. Wer das nicht glaubt, der kann sich hier davon überzeugen.
Monika
Till-Lucas Wessels hat eine flotte Schreibe. Kompliment. Das muß auch einmal gesagt werden.