10. Juli 2018
Ich sollte mich vielleicht nicht mehr (euphemistisch ausgedrückt) wundern über Haushalte, wo allzeit in wenigstens einem Raum der Wohnung die Glotze läuft.
Bei uns ist es im Grunde ähnlich: In der Küche läuft meistens das Radio. „Das Radio“ ist mein Kanal zur „Welt da draußen“ über den direkten Draht (wir leben bekanntlich auf dem Lande) hinaus. Das Radio (Deutschlandfunk, MDR aktuell oder das „freie“ (haha) „Radio Corax“) dudelt meistens in der Küche vor sich hin.
Heute komme ich hinzu, stocke und staune, denn da spricht ohrenscheinlich ein ganz kluger Kopf:
„Nehmen wir einfach die Willkommenskultur. Wenn die Kanzlerin von der Alternativlosigkeit ihrer Politik spricht, ist sie keine Politikerin mehr, sondern sie ist eine Prophetin oder eine Art Notbischöfin, wie in der Reformationszeit, als die weltlichen Fürsten mit geistlichen Vollmachten ausgestatten wurden. Es gibt von ihr einen bezeichnenden Satz, und der ist hier in Deutschland gesprochen worden in Bezug auf die Flüchtlinge. Ich zitiere: “Ich halte es mal mit Kardinal Marx, der gesagt hat, der Herrgott hat uns jetzt diese Frage auf den Tisch gelegt.” Dann gab es noch diesen berühmten selbstrechtfertigenden Satz: “Ich habe mir nichts vorzuwerfen.” Unanfragbarer und entrückter und unpolitischer geht es nicht.
Moderatorin: Aber sie (Angela Merkel) hat sich ja geändert.
Interviewpartner: Ja, aber sie ist eben genau ein Sturkopf wie Luther. Im Grunde alles kehrt sich dialektisch letztlich gegen sie, aber das ist ja nicht die Frage meines Buches, sondern haben wir es noch mit einem politischen Setting zu tun oder eben doch mit einem zivilreligiösen und wenn sich Politiker mit Bischöfen gemein machen oder darauf hoffen, vielleicht zum Notbischof erklärt zu werden, dann ist das Kind halt in den Brunnen gefallen.
Moderatorin: Das ist eine merkwürdige Sicht auf die Kirchen, die, wenn man nüchtern draufschaut, an gesellschaftlicher Bedeutung verlieren. Welcher Politiker sollte ein Interesse daran haben, ein Notbischof zu werden, wenn ein Bischof gar keine Autorität mehr ist?
Interviewpartner: Also, die öffentliche Präsenz der Bischöfe steht ja im umgekehrten Verhältnis zu den Kirchenbänken oder auch vielleicht zur Kirchenmitgliedschaft. Also, da gibt es schon noch eine große Diskrepanz und ich vermute mal, die Nähe zur Macht ist im Grunde das Einzige, was ihnen noch bleibt, weil sie spirituell völlig entkernt sind.
Ein kluger Mann! Es ging um sein Buch, das will ich mir besorgen, sicher werden sie gleich Titel und Autor nennen. Ich lege schon mal Stift und Zettel parat. Im Radio geht es munter weiter:
Moderatorin: Warum glauben Sie, werden Sie von Ellen Kositza in der (Zeitschrift) “Sezession” gelobt?
Achso, denke ich mir, es ist… vermutlich Alexander Grau, der da spricht? Aber, stellt sich nachher raus: Nein.
Interviewpartner: Ellen Kositza, soweit ich weiß, ist katholisch.
Moderatorin: Und eine Frontfrau der Neuen Rechten. Was gefällt der Neuen Rechten an Ihren Thesen?
Interviewpartner: Da müssen Sie die Neue Rechte fragen.
Moderatorin: Das können Sie auch selber beantworten. [Ein Freund, von dem ich nie gedacht hätte, daß er Staatsfunk hört, schrieb mir zehn Minuten später: Das liest sich wie ein Vor-Verhör 1937 in Moskau oder 1947 in Tirana; E.K.].
Interviewpartner: Warum?
Moderatorin [spitz und herausfordernd]: Weil Sie den Text ganz bestimmt gelesen haben und weil man sich ja Gedanken darüber macht, von wem man Lob oder von wem man Kritik bekommt. Ich glaube nie den Autoren, die sagen, ich lese nicht die Rezensionen meines Buches. (…) Stört Sie das denn, dass Sie von denen gelobt werden?
Interviewpartner: Also, ich freue mich über jedes Lob.
Im „Abspann“ erfuhr ich, daß es sich um den Autor und Philosophen Horst G. Hermann handelte. Ah! In der Tat hatte ich dessen kluges, ja weltweises Buch Im Moralapostolat sehr gelobt. Mal ein Buch, das einen nicht nur in seinen Haltungen bestätigte, sondern aus dem man auch ungeheuer viel lernen konnte!
Aber, Gott, was wäre schon mein unmaßgebliches Lob. Der gültige Stempel kommt von Papst Benedikt XVI., der das Werk Herrmanns mit großen Wohlgefallen las und es schriftlich als „mutiges Buch!“ empfahl. Haben wir heute eine Zivilreligion als politischen Abklatsch? Na, und ob! Quod erat demonstrandum!
„Mit Rechten reden?“ Na klar, aber nur als Kreuzverhör! Horst G. Hermann war ziemlich tapfer im quasi-neostalinistischen Rundfunkgericht. Wie weit sind wir gekommen, daß sich einer für Rezensionen aus unerwünschter Richtung verteidigen muß? Herrmanns Buch, so gehalt- wie anspruchsvoll, treibt es auf die Spitze. Wer mitreden will in diesen Fragen, sollte es lesen.
11. Juli 2018
Herrje, die Kinder. Nicht immer klug. Ich stell so eine Frage, wie ich sie gern stelle unter dem gedanklichen Motto „Alltag begreifen“. Die Frage lautet: Warum stehen in der französischen Fußballnationalmannschaft eigentlich so viele dunkelhäutige Männer auf dem Spielfeld? Die Musterantwort hätte einen Bezug zur Kolonialgeschichte Frankreichs. Sie könnten es alle wissen, diese Kinder, sie haben nämlich jemanden mit Erdkunde- und Geschichtsfaible als Erzieher.
Kind 1: „Naja… in Afrika gibt es wilde Tiere, und wenn man denen entkommen will, muß man rasend schnell laufen. Im Fußball ist es von Vorteil, wenn man schnell laufen kann.“ (Kind 1 ist selbst Fußballerin.)
Kind 2: „Es ist so, daß, je südlicher die Menschen sind, desto graziler sind sie. Schmale Menschen sind normalerweise sportlicher als kräftige. Schwarze sind meistens dünner, sie haben auch weniger zu essen.“ (Blöde, ohne Google gar nicht so leicht zu beantwortende Kinder ‑Zwischenfrage: Was sei eigentlich südlicher, Südfrankreich oder Kroatien?)
Kind 3: „Das hat damit nichts zu tun. Es gilt heute einfach als chic oder cool, möglichst viele Dunkelhäutige präsentieren zu können. Je kleiner das Land und je östlicher, desto weniger unterwerfen sie sich dieser Mode.“
12. Juli 2018
Will noch einer wissen, wie sehr und wie genau unsere Kultur auf den Hund gekommen ist? Paradigmatisch steht Feridun Zaimoglus Eröffnungsrede zum diesjährigen Bachmannpreis, sprich zu den 42. Tagen der deutschsprachigen Literatur.
Kernsätze: “Es gibt keine redlichen rechten Intellektuellen und keine redlichen rechten Schriftsteller (…).Ihnen geht es einzig und allein um die Abwehr von Fremden.”
Diese Rede wurde im Feuilleton auf und ab diskutiert, meist bewundernd, gelegentlich auch mit Zwischentönen, ungefähr: „Also, er spricht den Rechten ab, daß unter ihnen redliche Leute seien. Kann man das denn so sagen? Diese Rechten würden doch sagen: Unser Ansinnen ist aber redlich!“
Wer ist dieser Zaimoglu? In Sezession 43 (2011) hatte ich ihm ein Portrait gewidmet. 1995 war der Kieler Türke mit seinem Buch Kanak Sprak an die Öffentlichkeit getreten; er wurde er mit diesem obszönen, schwer lesbaren Büchlein und erst recht durch seine Lesungen zu einem Kult-Autoren an der Peripherie der Literaturszene.
Das Feuilleton berichtete wohlwollend. Gewidmet hatte „dieses buch den widerständlern, den agenten im mainstream, der getarnten bösen brut, der asylantenflut, den rasseschändern, dem metropolenmenschenmüll, mit respekt und großer liebe, allen KANAKAS in germany united.“
Mittlerweile gilt Zaimoglu als beachtenswerter Großschriftsteller, es hagelte Preise. Textprobe aus Koppstoff: „Alemania ist für uns ne einzige Abrißbirne.“
Textprobe aus Abschaum:
Ertan: „Bevor ich zur Schlägerei ging, war ich zu haus und sag meinem Vater: ich muß weg, hab was zu tun, ich komm bald wieder. Ich nehm mein Schläger, er hat gleich kapiert und fragt, was los is. Ich erzähl ihm die Geschichte und sag: Heute die türkische Frau und morgen meine Mutter. Die Arschlöcher haben schon einmal die Juden vergast, die haben das einmal gemacht, wir wehren uns. Hey Mann, überleg mal, wenn meine Mutter angegriffen wird und alle Leute von sich aus sagen, wir ficken diese Stadt, is das nicht cool. Okay, sagt mein Vater, ich geb dir die Erlaubnis, den Laden auseinanderzunehmen.“
Jetzt also durfte Zaimoglu mit einer in priesterlichem Singsang vorgetragenen (ich erinnere an Eric Voeglins Werk Die politischen Religionen (1938), wonach die ideologische Polit- (ergänze: und Kultur-)Religion der rezenten Neuzeit ausgestattet sei mit „Priestern, Propheten und Tempelopfern“ und empfehle, einen Audiomitschnitt anzuhören) Beweihräucherung dieses Fest der Hochkultur eröffnen.
Zaimoglus Rede hat keinen namhaften Adressaten. Sie ist ein einziges, wütendes Raunen im Tempel. Ein Wüten gegen „Rechts“, das sich in ephemeren Andeutungen und vor allem in In-den-Mund-gelegten-Worten ausspricht.
Etwa:
Sie sagen: Im Namen der Ahnen und der Bräuche, die uns überliefert sind, wehren wir ab den Feind, der sich verhüllt. Uns ist jede fremde Art und jede neue Sitte Bedrohung! (…) Jeder Einflüsterer presst sich die Totenmaske seines Helden aufs Gesicht, er ist kein Zungenredner, er ist ein maskierter sprechender Schädel, und er spricht: Schluss mit den Artigkeiten, wir rüsten nun zum Rachekampf. Dem asiatischen Menschen, aber auch dem Slawen und dem Kaukasier, ihnen allen ist der Zugang zu unserem Kulturgut verwehrt. Wir bleiben auf ewig unverstanden, wir dulden es nicht länger.
Wer redet denn so? Von Rachekampf und dem asiatischem Menschen? Ich weiß, wer: Zaimoglus herbeihalluzinierter Pappkamerad!
Unseren Feuilletonisten ist klar, wen Zaimoglu meint: Rüdiger Safranski, Strauß senior und junior. Die nämlich liebäugeln doch mit „rechts“!
Zaimoglu fährt fort:
Der eingebildete Schreiber (…) schreibt: Selig ist der treue Knecht, der die Mütze lüpft, wenn er des hohen Herrn ansichtig wird. Selig ist die Frau, die sich als Weib versteht und die niemals die Trennung vom Mann erwägt. Selig ist der ergebene Fremde, der uns sein Fleisch und seine Seele verkauft.Es durchfährt den Schreiber eine Kraft, wenn er im Geiste die Schwächlinge niederknüppelt. Ich erkenne in seiner Klage keinen Schmerzensschrei, ich erkenne darin das Geschrei eines trotzigen Knaben.
Google hilf, aber ich sehe niemanden, auch keinen Safranski, keinen Strauß, der so abgehen würde! Das vermag nur Zaimoglu himself.
Und weiter König Zaimoglu:
Die Rechten verstehen sich als unbewaffnete Bürgerwehr. Sie möchten die Plätze säubern von unverträglichen Elementen in ihrer Idylle. Sie schützen ihren Besitz. Sie ertragen es nicht, dass die Niederen durch ihr Viertel streifen. Die Zähne werden ihnen vom Fluchen stumpf – sie fluchen: Man muss sie herausschaffen, man muss sie aus unserer Welt schaffen, die Herumtreiber, das arbeitsscheue Pack, das Gesindel. Jeder ist vom Glück begünstigt, jeder verdient den Wohlstand, den er hat. Wer nichts leistet, gehört ausgejätet, er gehört ausgemerzt!
Wie oft hat man einen Obdachlosen zu Tode getreten und verbrannt? Wie lange sollen die Armen, die noch leben dürfen, die Demütigung erdulden und Demut zeigen?
Was für ein Eröffnungsrede zu den „Tagen des deutschsprachigen Literatur“! Wurde hier Ronald McDonald auf eine Kindergartengruppe losgelassen, oder sollte es sich hier wirklich um „Kultur“ handeln?
Gegen Ende wird es nochmal apodiktisch bei Zaimoglu:
Der Rechte ist kein Systemkritiker, kein Abweichler und kein Dissident, er ist vor allem kein besorgter Bürger. Wer die Eigenen gegen die Anderen ausspielt und hetzt, ist rechts. Punkt. Wer für das Recht der Armen streitet, ist ein Menschenfreund. Punkt. Es gibt keinen redlichen rechten Intellektuellen. Es gibt keinen redlichen rechten Schriftsteller.
Mit wem reden? Die Patrioten können nur skandieren, als wären sie auf einer Kundgebung. In Deutschland, in Österreich, in der Schweiz haben sie sich in die Parlamente geblökt. Manch ein Schreiber oder Kulturredakteur, manch ein Bürgersohn mit einem reichen oder prominenten Vater, manch ein Philosoph und Jubeljahrbiograph sieht sich schon im Krieg als Frontberichterstatter.
Wer skandiert hier „wie auf einer Kundgebung?
Fritz
Ist schon faszinierend, wie genau die Linken über das Seelenleben ihrer Gegner bescheid wissen.
Ist natürlich alles nur Spekulation, über Motive anderer zu sprechen, die diese letzten Endes nur selber kennen; aber auf die Art muss man sich nicht mit Argumenten auseinandersetzen und gelangt schneller zur Verurteilung.
Was die französischen Fußballer betrifft, so haben nach meiner Erinnerung die schwarzen Spieler zumindest alle laut die Nationalhymne gesungen.