Pünktlich zum Erscheinen meines neuen Kaplakenbändchens Rassismus – Ein amerikanischer Alptraum entwirft der rote Millionär mit rascher Feder seine Utopie: Was die Vereinigten Staaten nicht geschafft haben, die Versprechen des “Schmelztiegels” einzulösen, soll nun zum “deutschen Traum” werden:
“Gebt mir Eure Müden, Eure Armen, Eure geknechteten Massen, die sich danach sehnen, frei zu atmen.” Das steht im Sockel der Freiheitsstatue. Heute klingt das wie ein Hohn: Die USA sind zur Oligarchie verkommen. Die Armen wählen in ihrer Verblendung die Milliardäre. Das Trennende, der Rassismus, die soziale Apartheid, überwiegt das Gemeinsame. Der amerikanische Traum ist ausgeträumt. Deutschland könnte sich diesen Traum aneignen und daraus eine bessere Wirklichkeit machen. Die Arme öffnen für Menschen, die ein besseres Leben suchen. Ein Leuchtturm der Freiheit sein. Ein helles Licht in der Dunkelheit. Und darauf einen neuen Stolz gründen.
Um diesen “Traum” eines Einwanderungslandes Deutschland zu verwirklichen, ist Augstein sogar bereit, ein klassisches Anliegen der Linken zu opfern, nämlich den Sozialstaat:
Aber man kann das Argument auch umdrehen und den Rechten recht geben: Weil sich die Einwanderung nicht mit dem bisherigen Sozialstaat verträgt, entscheiden wir uns für die Einwanderung und für einen anderen Sozialstaat.
Wie dieser “andere” Sozialstaat aussehen soll, bleibt im Dunkeln. Als Brennstoff für diese herrliche Idee (die so neu nicht ist) bietet er eine Mischung aus hypermoralischer Erpressung (Deutschland soll die Verantwortung für die Probleme der Dritten Welt übernehmen) und multikultureller Utopie an:
Das lässt sich moralisch begründen: wenn der Preis für unseren Sozialstaat die Toten im Mittelmeer sind, ist er es nicht wert. Wenn der Preis die Versklavten in den libyschen Lagern sind, ist der Preis zu hoch. Aber moralisch Begründetes hält in der Politik bekanntlich nicht viel aus. Die Moral allein trägt nicht.
Der bessere Grund ist eine andere Idee von Deutschland: Ein neuer “Schmelztiegel”, in dem Menschen aus Europa, dem Nahen Osten und Afrika gemeinsam eine neue Nation erschaffen.
Das heißt nichts anderes, als daß Augstein noch mehr Menschen aus der arabisch-muslimischen Welt und Schwarzafrika nach Europa einwandern lassen will, um die europäischen Nationen abzuschaffen und “neue” Nationen zu begründen, die offenbar keinen anderen Inhalt und keine andere Identität haben, als diese Einwanderung selbst zu ihrem geschichtlichen Ziel zu erklären.
Garniert wird dieser Artikel mit einer bunten “Karneval der Kulturen”-Collage, womit suggeriert wird, daß Deutschland dann eine endlose “Diversity”- und Folkore-Party ins Haus steht, ganz nach dem Geschmack der kosmopolitischen Schickeria-Linken.
Augstein ist leider kein isolierter Spinner, der mit seinen Ideen alleine dasteht. Wie Frank Böckelmann treffend formulierte: “Wer sich heute ‘links’ nennt, kündigt lediglich an, noch hartnäckiger zu fordern, was alle anderen auch schon fordern.“ Die Vorstellung, man könne aus den europäischen Nationen per Masseneinwanderung aus Vorderasien, Nord- und Schwarzafrika universalistisch-globalistische Schmelztiegel schaffen, die aus irgendeinem Grund noch ihren Charakter als zum Beispiel “Frankreich” oder “Deutschland” behalten sollen, ist heute Doktrin der herrschenden Eliten (ich verweise auf meinen Artikel zu einer programmatischen Rede von Frans Timmermans).
Und diese bedürfen der Intellektuellen, um diese Doktrin zu propagieren. Yascha Mounk hat sie auf einen berüchtigt gewordenen Punkt gebracht:
… daß wir hier ein historisch einzigartiges Experiment wagen, und zwar eine monoethnische und monokulturelle Demokratie in eine multiethnische zu verwandeln.
Oder auch Ulrike Guérot und Robert Menasse, die “Lust auf eine gemeinsame Welt” machen wollen, die sie durch eine Art Siedlungskolonialismus auf europäischem Boden verwirklichen wollen. “Bürgerrechte für alle”, aber auch wirklich für ALLE ist ihre Devise:
Wie wäre es, wenn Flüchtlinge in Europa Bauland zugewiesen bekämen, benachbart zu den europäischen Städten, aber in einem Abstand, der die Andersartigkeit wahrt. Damit würde man einen Möglichkeitsraum an nebeneinander real existierenden Lebensentwürfen und ‑modellen schaffen. So entstehen Neu-Damaskus und Neu-Aleppo, Neu-Madaya inmitten von Europa. Oder auch Neu-Diyarbakir oder Neu-Erbil und Neu-Dohuk für die kurdischen Flüchtlinge. Vielleicht auch Neu-Kandahar oder Neu-Kundus für die afghanischen Flüchtlinge oder Neu-Enugu oder Neu-Ondo für die nigerianischen Flüchtlinge. Europa ist groß (und demnächst leer) genug, um ein Dutzend Städte und mehr für Neuankömmlinge aufzubauen. Wir stressen uns nicht mit Integration.
Guérot und Menasse lehnen dabei jegliche “Leitkultur”, vulgo “Integrations”- oder “Assimilations”-Anforderungen radikal ab:
Wir verzichten auf Integration. Wir respektieren Andersartigkeit – und lassen die Neuankömmlinge in ihrer Andersartigkeit allein.
Auch hier fehlt jegliche realistische Idee, worauf sich denn dann das “Gemeinsame” dieses Gemeinweisens begründen soll, dieser “neuen Nation”, deren Charakter ist, keine Nation sein zu wollen. Guérot spricht von einer “Republik Europa”, womit sie allerdings eher eine Art post-nationalstaatliche Sowjetunion meint, während der belgische Althistoriker David Engels ein postdemokratisches, von bürgerkriegsartigen Spannungen zerfressenes “Imperium” heraufdämmern sieht.
Wenn nun Augstein sowohl den “melting pot” als auch sein Scheitern beschwört, dann bedarf es einer Analyse dieses Scheiterns (das übrigens auch Tuvia Tenenbom in seinem Buch Allein unter Amerikanern konstatiert), um aufzuzeigen, daß der multikulturelle Traum auch dann nicht Wirklichkeit werden kann, wenn ihn – “Wir schaffen das!” – ein paar bunte Helldeutsche träumen und anpacken.
Obwohl Multikulturalisierung und “Diversity” in der westlichen Welt zum politischen Programm, ja zur säkularen Religion erhoben worden sind, wird man vergeblich nach einem realistischen oder auch nur einheitlichen Konzept des “Zusammenlebens” suchen, das ein solches “e pluribus unum” stiften könnte. Wie die Beispiele Augstein, Guérot und Menasse zeigen, muß auf vermeintliche moralische Imperative und regelrechten rhetorischen Kitsch ausgewichen werden. Teilweise soll das Streben nach einer “multiethnischen, multikulturellen Demokratie” selbst diese Einheit stiften. Wodurch wird sie aber gewährleistet, wenn dieses Endziel erreicht ist?
Entscheidend ist, daß dieses Ziel logischerweise nur durch eine demographische und kulturelle Selbstreduktion oder gar Kapitulation der europäischen Völker und Nationen erreicht werden kann. Auch hier gilt, wie in den USA: “Diversity = Less white people.” Und wenn nun Guérot/Menasse schreiben, Europa sei “groß (und demnächst leer) genug, um ein Dutzend Städte und mehr für Neuankömmlinge aufzubauen”, dann wird deutlich, daß auch sie mit Geburtenschwund und “Bestandserhaltungsmigration” rechnen, um ihr Ziel zu verwirklichen. Indes ist Europa (oder gar Deutschland) im Vergleich zu Afrika ein winziger Kontinent, der noch dazu dicht besiedelt ist. Hier stimmen also schon mal die einfachsten Prämissen nicht.
In meinem neuen Kaplaken-Bändchen schreibe ich:
Die „Amerikanisierung“ Europas hat auch die alten Nationen des Mutterkontinents in pseudo-universalistische Staaten, „Willensnationen“ und „Einwanderungsländer“ mit Ansiedlungsrecht für jedermann verwandelt. Plötzlich kann nicht nur jeder Mensch auf dieser Welt Amerikaner werden, sondern neuerdings auch Deutscher, Franzose, Engländer oder Schwede – womit diese Begriffe ihren Sinn und ihre Substanz verlieren. Jede westliche Nation soll es Amerika gleichtun und zu einer „universalen Nation“ werden.
Um zu verstehen, was in den USA geschieht, und was auch Westeuropa blüht, je mehr es das amerikanische Modell übernimmt, ist Samuel Huntingtons Buch Who Are We? Die Krise der amerikanischen Identität eine unerläßliche Lektüre. Obwohl die Vereinigten Staaten per Unabhängigkeitserklärung (1776) und Verfassung (1787) ideell auf einer universalistischen Basis gründen, die aus der Aufklärung stammt, waren sie über den Großteil ihrer Geschichte weder ein “Einwanderungsland” noch ein “Schmelztiegel”. Wie alle Nationen hatten auch die USA eine ethnokulturelle Basis, die Huntington “angloprotestantisch” nennt. Diese bildete die “Leitkultur”, den Kern, um den sich die zahlreichen Einwanderergruppen etwa seit den 1840er Jahren gruppierten.
Sie hatte noch bis in die achtziger Jahre hinein Gültigkeit, während sich in den neunziger Jahren zunehmend “multikulturalistische” Modelle durchsetzten, parallel zum demographischen Rückgang der weißen Bevölkerung. In dieser Zeit taucht auch explizit das Elitenprojekt der multiethnischen, multirassischen, multikulturellen “universalen Nation” auf, das von Bill Clinton so formuliert wurde: „Wir wollen eine multirassische, multiethnische Gesellschaft werden,“ sagte Präsident Bill Clinton 1997 anläßlich eines Besuches afroamerikanischer Journalisten im Weißen Haus. Dies bedeute nichts geringeres als „die dritte große Revolution Amerikas“. Durch sie würden „wir beweisen können, daß wir tatsächlich ohne eine dominant europäische Kultur leben können.“
Diese “dominant europäische Kultur” ist identisch mit Huntingtons “angloprotestantischer” Hauptkultur. Sie ist “implizit weiß”, weil aus Europa stammend. Nichts anderes also ist gemeint, wenn die kulturmarxistische Linke von “whiteness”, “white privilege” oder “white supremacy” spricht, womit sie nicht nur eine “rassistische Machtstruktur” attackieren will, sondern auch deren Träger, weiße Menschen schlechthin, die pauschal des “Rassismus” verdächtigt werden, unter anderem deshalb, weil sie an ihrer klassisch amerikanischen Leitkultur festhalten und/oder nicht zur ethnischen Minderheit werden wollen (was etwa ab 2045 eintreten wird). “Ohne eine dominant europäische Kultur” zu leben, bedeutet nichts anderes, als ohne eine weiße, europäischstämmige Mehrheit zu leben, und trotzdem noch Amerika zu bleiben.
Aus diesem Projekt resultiert ein antiweißer Rassismus und “Autorassismus”, der teilweise auch die Form eines Klassenkampfes annimmt, was erklärt, warum sich so viele Weiße, und keineswegs nur “Ethnomasochisten” daran beteiligen. Ich habe dieses Thema ausführlich in meinem zweiten Beitrag zu dem Sammelband Nationalmasochismus behandelt; das Kaplaken Rassismus ist sozusagen die Fortsetzung und Ergänzung dazu.
Clinton pries also die Umwandlung der USA in eine “multirassische, multiethnische Gesellschaft” als erweiterte amerikanische Revolution, als nächsten logischen Schritt, um die egalitären und universalistischen Ideale der Verfassung und Unabhängigkeitserklärung gründlicher umzusetzen und zu vollenden. Hierin liegt ein eklatanter Widerspruch, da die “multirassische, multiethnische Gesellschaft” zwangsläufig auch eine multikulturelle Gesellschaft sein muß, und Universalismus und Multikulturalismus im Grunde Gegensätze sind.
Der linke Establishment-Komiker Jon Stewart, ehemaliger Moderator der Satire-Sendung The Daily Show, brachte diese Utopie in einem Interview mit dem Sender CBS auf den Punkt:
Was uns wirklich groß macht, ist, daß Amerika eine Anomalie in der Welt ist. Es gibt viele Menschen – und ich denke, daß Trumps Kandidatur diesen Gedanken bestärkt hat‑, die glauben, daß eine multi-ethnische Demokratie, eine multikulturelle Demokratie unmöglich ist. Aber genau das ist Amerika, durch seine Gründung und seine Verfassung. Amerika ist nicht natürlich. Stammesdenken ist natürlich. Wir kämpfen gegen Jahrtausende menschlichen Verhaltens und menschlicher Geschichte, um etwas zu erschaffen, das noch niemand getan hat. Und das ist es, was an Amerika außergewöhnlich ist. Es ist nicht einfach, es ist eine unglaubliche Sache.
Dies ist jedoch eine ahistorische Betrachtungsweise. Viele denken, daß die USA immer schon eine “multirassische, multiethnische Gesellschaft” waren, während Bill Clinton Ende der neunziger Jahre zutreffenderweise davon sprach, daß sie es erst werden müssen.
Wenige haben die tatsächliche ethnokulturelle Entwicklung der USA präsent. Sie beginnt mit den Kolonien englischer Siedler in Nordamerika, die den Grundstock der Nation legten. Es ist kaum übertrieben, wenn man feststellt, daß die Gründerväter der USA, die es für abwegig hielten, ihre Freiheit und Gleichheit mit ihren schwarzen Sklaven und den Ureinwohnern zu teilen, so etwas wie „weiße Nationalisten“, oder zumindest konservative Realisten waren, die sich der Sprache der Aufklärung bedienten.
Das erste Einbürgerungsgesetz aus dem Jahr 1790 beschränkte die Einwanderung in den frisch gegründeten Staat ausdrücklich auf „free white persons of good character“, auf „freie Weiße mit gutem Charakter“, also ohne kriminelle Belastung. Das gab einen Ton vor, der lange Gültigkeit hatte. Das Zeitalter der „Masseneinwanderung“ begann erst in den 1840er Jahren, wobei die erste Welle überwiegend aus Nord- und Westeuropa kam. Die Einwanderung aus China wurde 1882 für die nächsten sechzig Jahre gestoppt, mit dem erklärten Ziel, die ethnische Zusammensetzung des Landes nicht zu gefährden. Ähnliche Gesetze folgten für andere asiatische Ländern, wie etwa Japan (japanischstämmige Amerikaner wurden bekanntlich während des 2. Weltkriegs in Lagern interniert, da man an ihrer Loyalität zu den USA zweifelte).
Zwischen 1890 und 1920 folgte eine massive Welle aus Süd- und Osteuropa, die mit 1,3 Millionen allein im Jahr 1907 ihren Höhepunkt erreichte. Diese zweite Welle erzeugte erhebliche soziale Spannungen und veranlaßte den Staat, eine Einwanderungspause zu verordnen. 1921 und 1924 wurden Gesetze erlassen, die die Einwanderung drastisch reduzierten und west- und nordeuropäische Einwanderer bevorzugten. Das änderte sich erst im Jahr 1965, als der „Immigration and Naturalization Services Act“ oder „Hart-Celler-Act“ in Kraft trat, der die bisherigen Restriktionen aufhob und die Familienzusammenführung ermöglichte.
Senator Ted Kennedy versicherte den besorgten Bürgern, das neue Einwanderungsgesetz werde, keine Bange, das Land keineswegs „mit Einwanderern aus den bevölkerungsreichsten und benachteiligsten Nationen Afrikas und Asiens überschwemmen“. Amerika werde seine „ethnische Mischung“ beibehalten, während sich „die ethnischen Muster der Einwanderung durch die vorgeschlagenen Maßnahmen nicht so schroff ändern werden, wie manche Kritiker zu glauben scheinen.“
In der Tat ist genau dies passiert; seit den sechziger Jahren ist die weiße Bevölkerung kontinuierlich zurückgegangen. Anfang der neunziger Jahre setzte eine weitere massive Einwanderungswelle ein, die bis heute nicht nachgelassen hat. Im selben Jahrzehnt breitete sich der Multikulturalismus dramatisch aus, und mit ihm die „politische Korrektheit.“ Im Jahrzehnt 2001–2010 wanderten – legal oder illegal – mehr Menschen ein, als jemals zuvor in der amerikanischen Geschichte in einem vergleichbaren Zeitraum, allerdings kaum mehr aus Europa. Zusätzlich zum ethnischen Wandel ist die Bevölkerungszahl seit 1965 um Rund 130 Millionen angestiegen.
Die bissige konservative Autorin Ann Coulter (die amerikanische Ellen Kositza), die irisch-deutscher Abstammung ist, schrieb in ihrem Buch Adiós America!:
Noch im Jahre 1990 ließen sich die Wurzeln der halben amerikanischen Bevölkerung zu den schwarzen und weißen Einwohnern von 1790 zurückverfolgen. Fast die gesamte weiße Bevölkerung Amerikas zwischen 1600 und 1970 stammte aus einem geographischen Raum, der etwa doppelt so groß wie Texas ist. Die gesamte schwarze Bevölkerung stammte aus einem Teil von Westafrika, der so groß wie Florida ist. Bevor Teddy Kennedy zuschlug, war Amerika nie weniger als 99% westeuropäisch weiß und westafrikanisch schwarz.
In Wirklichkeit waren die Vereinigten Staaten seit ihrer Gründung stets bemüht gewesen, die Einwanderung in „God’s Own Country“ zu regulieren und zu steuern, sich Verdauungs- und Verschnaufpausen gönnen, nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der Wahrung einer spezifischen nationalen Identität. Huntington spricht in Who are We? wie gesagt von einer „angloprotestantischen Hauptkultur“, an der „die meisten Einwohner unabhängig von ihrer jeweiligen Subkultur teilhatten.“ Die Kultur der Gründergeneration habe „fast vier Jahrhunderte lang“ die „zentrale, dauerhafte Komponente der amerikanischen Identität“ gebildet. Wäre Amerika von nicht von britischen Protestanten, sondern französischen, spanischen oder portugiesischen Katholiken besiedelt worden, wäre das Ergebnis nicht Amerika, „sondern Quebec, Mexiko oder Brasilien.“
Hinzu kommt ein spezifisches Ethos und Pathos, das der schwedische Soziologe Gunnar Myrdal das „amerikanische Credo“ nannte: Der Glaube an „Leben, Freiheit und Streben nach Glück“, an „Individualismus, Leistung und Chancengleichheit“, an Selbstverantwortung und Pragmatismus, an „das Volk“, Wettbewerbsgeist und Laissez-faire – allesamt Dinge, die nach Huntington ihre Wurzeln „in den Glaubensüberzeugungen der dissidenten Protestanten haben“, die auch in der Genese des angelsächischen Liberalismus und der liberalen Demokratie überhaupt eine wichtige Rolle spielen. Das amerikanische Credo sei „Protestantismus ohne Gott“, das säkulare Glaubensbekenntnis einer „Nation mit der Seele einer Kirche“, wie Alexis de Tocqueville formulierte. Nicht ohne Grund erschienen die Amerikaner den Alteuropäern oft wie vulgäre Mischungen aus Predigern und Geschäftsmännern.
Natürlich gab es auch stets einen angelsächischen Chauvinismus (man denke an die Konflikte zwischen “Nativisten” und katholischen Iren in Scorseses Film Gangs of New York), Spannungen, Vorurteile und Kulturkämpfe zwischen weißen Ethnien, und seit dem späten 19. Jahrhundert stellte sich die Frage, wie man die hereinströmenden Massen assimilieren könne, um aus ihnen gute und echte Amerikaner zu machen.
Huntington nennt drei verschiedene Konzepte, die seit etwa einem Jahrhundert die Debatten bestimmen.
Das bereits in den 1780er Jahren entwickelte Konzept des „Schmelztiegels“ wurde vor allem durch das Theaterstück The Melting Pot (1907) von Israel Zangwill bekannt. Ursprünglich sah es nur die Verschmelzung von Menschen aus weißen, europäischen Nationen zu einer amerikanischen „neuen Rasse“ vor (so der französisch-amerikanische Schriftsteller Hector St. John de Crèvecoeur). Genau das ist auch halbwegs gelungen. So bestimmte der österreichische Geopolitiker Jordis von Lohausen die USA politisch als „Schmelztiegel der weißen Völker“ (wie das aussieht, zeigt etwa dieser Propagandafilm aus dem 2. Weltkrieg von Josef von Sternberg).
Die Deutschen zum Beispiel, die eine zahlenmäßig sehr große Einwanderergruppe waren, haben sich geradezu spurlos in der amerikanischen Gesellschaft aufgelöst, was auch ein “Running Gag” in Tevenboms Buch ist. Demgegenüber bilden etwa die amerikanischen Schwarzen, Nachkommen von westafrikanischen Sklaven, weiterhin eine Gruppe mit starker Eigenidentität, die sich ökonomisch, kulturell, habituell und nicht zuletzt physisch erheblich vom weißen Amerika unterscheidet und heute eher einen wachsenden als einen nachlassenden historischen Groll gegen die weiße Mehrheitsgesellschaft hegt.
Zangwill, der als glühender Zionist sein eigenes Volk lieber nicht verschmelzen wollte, dehnte die Vorstellung de Crèvecoeurs auf alle Rassen, Völker, Kulturen und Religionen der Welt aus: „Kelte und Romane, Slawe und Teutone, Grieche und Syrer, Schwarzer und Gelber, Jude und Nichtjude, Osten und Westen, Norden und Süden, die Palme und die Pinie, der Nordpol und der Äquator, der Halbmond und das Kreuz“ sollten durch das „reinigende Feuer“ und die Alchemie der neuen Welt zur „Republik des Menschen und zum Königreich Gottes“ verschmolzen werden. Was sei schon der Glanz „Roms und Jerusalems“, verglichen mit dem „Glanz Amerikas, wohin alle Rassen und Nationen kommen, um zu arbeiten und nach vorne zu blicken“?
Dies entsprach auch ganz dem Geist des Gedichtes von Emma Lazarus, das nur wenige Jahre zuvor (1903) auf einer Bronzetafel am Podest der New Yorker Freiheitsstatue angebracht worden war: „Gebt mir eure Müden, eure Armen, /Eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren,/Den elenden Unrat eurer gedrängten Küsten; /Schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturme Getriebenen,/ Hoch halt’ ich mein Licht am gold’nen Tore!“ Worin man unschwer die moralische Tuba erkennen kann, die auch heute geblasen wird, um die Masseneinwanderung zu rechtfertigen – etwa von Augstein, der dieses Gedicht auch zitiert.
Das zweite Konzept ist das der „Tomatensuppe“ oder des „Anglo-Konformismus“. Die „angloprotestantische Tomatensuppe“ wird durch „eingewanderte“ Zutaten wie Sellerie, Gewürze, Petersilie, Croûtons usw. angereichert, bleibt aber dieselbe Suppe. Es handelt sich also um ein Programm der kulturellen Assimilation, das über Jahrzehnte hinweg die Norm war.
Dem setzte der in Schlesien geborene, jüdisch-amerikanische Philosoph Horace Kellen eine weitere kulinarische Metapher entgegen: Amerika sei vielmehr eine Salatschüssel, gekennzeichnet durch „kulturellen Pluralismus“, wobei er de facto „ethnischen Pluralismus“ meinte. Denn nach Kellen können Menschen, also die „Zutaten“ des Salats, ihre Kultur, nicht aber ihre ethnische Zugehörigkeit ändern. „Biologie ist Schicksal, Identitäten sind ‚durch Abstammung determiniert‘, und sie stellen ‚dauerhafte Gruppenunterscheidungen‘ dar.“ (hier zitiert nach Huntington). Die Lösung sollte eine amerikanische „Transnationalität“ sein, „ein Verweben, zusammen mit anderen Ländern, der vielen Fäden aller Größen und Farben.“
Wir erkennen in allen drei Konzepten unschwer Motive der heutigen multikulturalistischen Ideologie wieder. Was ist besser? „Integration“ durch Vermischung? Durch Assimiliation und „Leitkultur“ (in stark verdünnter Form: „Werte“- und Grundgesetzbekenntnis)? Oder durch ein Nebeneinander in „Vielfalt und Buntheit“? Diese zum Teil widersprüchlichen Ansätze gehen in der Realität fließend ineinander über, aber man kann sagen, daß Kellens Ansatz heute der vorherrschende ist.
Huntington sieht nun im Übergang vom „Tomatensuppen“- zum „Salat“-Konzept, also von (angloprotestantischer) Leitkultur zu (multiethnischer) „Multikultur“ eine der Hauptursachen für die amerikanische Identitätskrise. Multikulturalismus und „Diversity“-Kult steigern das Interesse „an Rasse, ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht und anderen Formen von subnationalen Identitäten“, unterminieren somit die Idee einer „Leitkultur“. Dadurch schwinden auch die Faktoren, „die früher die Assimilierung von Immigranten gefördert haben, in Verbindung mit der zunehmenden Tendenz von Immigranten, doppelte Identitäten, Loyalitäten und Staatsbürgerschaften zu haben.“ Es gibt mit anderen Worten keine Schüssel mehr für den Salat.
Daran schließt auch die Grundthese meines Büchleins an: Eine multiethnische, multirassische, multikulturelle Gesellschaft, die sich noch dazu als stetiger Prozeß und “Experiment” mit ungewissem Ausgang versteht, die keine exakte Vorstellung vom Endergebnis hat (Vermischung, Tomatensuppe, Salatschüssel?), und die auf einem unhaltbaren egalitären Dogma basiert, das die realen Unterschiede verdrängen, leugnen, erklären muß, wird zwangsläufig zur “rassistischen” Gesellschaft werden, die von rassischen, ethnischen, kulturellen Unterschieden geradezu neurotisch besessen ist.
Gleichzeitig wird sich diese rassistische Aggression zunehmend auf die Mehrheits- und Stammbevölkerung richten, die schließlich konsequent reduziert, entkernt, relativiert und zurückgedrängt werden muß, um die multikulturelle, multiethnische Utopie zu verwirklichen. Und diese Mehrheits- und Stammbevölkerung ist in Europa wie in den USA “weiß”.
Die Aggressionen der “Nicht-Weißen” steigern sich, je schwächer, nachgiebiger, schuldkomplexbeladener und “toleranter” sich die weiße Mehrheitsgesellschaft gibt. Mit anderen Worten, werden die Minderheiten kaum freundlicher oder nachgiebiger, je mehr sie zahlenmäßig wachsen und je mehr gesellschaftliche Teilhabe, kulturelle Dominanz und politische Macht sie bekommen – im Gegenteil, die Forderungen und Ansprüche wachsen proportional mit, ebenso wie das lukrative Gejammer über angebliche “Diskriminierung”.
Darum sollte man auf die Entwicklungen in den USA genau achten; sie sind ein Fenster in unsere Zukunft, die bereits begonnen hat.
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Meinen kaplaken-Band Rassismus. Ein amerikanischer Alptraum kann man hier bestellen.
Gotlandfahrer
Herzlichen Dank an ML für diesen umfassenden Zusammentrag.
Meinem vergleichsweise einfachen Strickmuster geschuldet fällt mir zu Augstein und den Vorgängen Amerikas nur ein, dass Dinge, die nicht funktionieren, nur solange gemacht werden können, wie sie auf Kosten funktionierender Dinge gemacht werden können. Dass Multikulti nicht funktioniert, brauchen wir hier nicht erörtern, da reicht es den Worten der Kanzerin, ich glaube es war in 2003, zu lauschen.
Insofern ist das, was ein Augstein von sich gibt, Endsieggestammel. Da es auch um Amerika ging ein Anglizismus: They hit rock bottom. Sie sind am Ende ihrer linken Erzählung, wenn jetzt schon der Sozialstaat Fascho ist.
Auch wir wissen ja längst, das der Ausgang der Nummer teuer wird, so oder so. Das ist der Preis der Aufklärung, die die Hirne des Durchschnitts verwirrt, multipliziert mit der technologischen Echtzeitgleichschaltung auch der Letzten.
Aber die frohe Botschaft ist ja immer wieder dem Allem zu entnehmen: Es wird den weissen Völkern mit Gewalt das zurückbringen, was sie fortgeworfen haben: Ihr Bewusstsein, dass ihnen niemand helfen wird ausser sie sich selbst. Es ist ein Trial and Error. Teuer aber effektiv. Und insofern glaube ich an die nächste Zivilisationsstufe, die von einer führungswilligen weissen Elite geprägt sein wird. Das wilhelminische Deutschland ist perdu wie jede andere Epoche, aber es wird ein starkes vaterländisches Europa geben. Ggf muslimisch. Aber selbst das wäre die Erlösung von den linken Spacken.