Im Falle Alexander Gaulands etwa ausgerechnet von Michael Seemann, der offenbar gerade schwer bemüht ist, seinen Hintern wieder von der Wand zu bekommen. Seemann beansprucht für sich, “Gesellschaftskritik” zu betreiben, während Gauland, der im Kern dasselbe sagt wie er, “rechten Verschwörungstheorien” fröne.
“Verschwörungstheorie” ist ein Zauberwort, um die Vertreter bestimmter Ansichten in die Aura des Obskuren, Paranoiden und Wirrköpfigen zu rücken, sie lächerlich und unglaubwürdig zu machen. Es versteht sich von selbst, daß seine Anwendung dazu führt, daß manche noch mehr Verdacht schöpfen und sich erst recht in bestimmte Themen und Theorien verbohren.
Es gibt sogar eine Verschwörungstheorie über die Entstehung des Begriffs der “Verschwörungstheorie”: Demnach habe der CIA den Begriff in den Welt gesetzt, um die Zweifel an der offiziellen Version des Kennedy-Mordes zu diskreditieren.
Manfred Kleine-Hartlage zu diesem Begriff in seinem ätzenden Wörterbuch Die Sprache der BRD:
In der Sprache der BRD ist ein “Verschwörungstheoretiker” (…), einer der behauptet, die westlichen Eliten strebten die Entmachtung der Nationalstaaten, die Konzentration von Macht in den Händen supranationaler Organisationen, die Ermöglichung von Massenmigration in noch größerem Umfang als bisher, die Majorisierung der Völker Europas in ihren eigenen Ländern durch Einwanderer, eine umfassende Meinungs- und Gesinnungszensur, die Absicherung dieser Vorgänge durch supranationale Polizei- und Militärverbände, oder auch schlicht und einfach eine Neue Weltordnung an.
Dabei hebt Kleine-Hartlage – wie auch in seinem Büchlein “Neue Weltordnung” – Zukunftsplan oder Verschwörungstheorie? – hervor, daß man damit den besagten Eliten jene Ziele unterstellt, zu denen sie selbst sich bekennen.
Daneben gibt es natürlich im Dschungel des Internets zahllose “Verschwörungstheorien”, die auf reinen Spekulationen, extrem selektiven Verzerrungen, bizarren Vorstellungen oder Fehl- und Zirkelschlüssen beruhen. Aber auch Spekulationen und kühne, abwegig erscheinende Thesen oder Interpretationen sind legitime Mittel, um sich der Wahrheit zu nähern, und selbst der obskurste selbsterklärte Aufdecker kann Dinge oder Details entdecken, die andere übersehen haben. Darum ist es wichtig, das Internet vor jeglicher Zensur und jeglichem “De-Platforming” zu schützen.
Es gibt bizarre Verschwörungstheorien ebenso wie plausible, gewaltsam aus den Fingern gesogene ebenso wie wohlüberlegte und faktengestützte. Es wäre auch absurd, anzunehmen, daß in Wirtschaft und Politik keine “Verschwörungen” stattfänden, im Sinne geheimer Absprachen und Pläne, die nicht oder nur bruchstückhaft an die Öffentlichkeit gelangen. Nach dem alten Witz: Nur weil du nicht paranoid ist, heißt das nicht, daß sie nicht hinter dir her sind.
Auch der “große Austausch” wird häufig zur “rechtsextremen Verschwörungstheorie” verzerrt. Zwei Beispiele aus diesem Genre sind unlängst auf Youtube veröffentlicht worden: ein Video des von GEZ-Gebühren gesponserten “MrWissen2Go” (bis dato rund 220,000 Aufrufe) und ein weiteres, besonders jämmerliches, des “Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus” (auf Facebook 48, 458 Aufrufe, auf Youtube 885).
Letzteres zeigt Götz Kubitschek, Martin Sellner und Jürgen Elsässer als verdrießlich dreinblickende “Kartoffeln” (wäre es auch so lustig, würden wir die Betreiber des JFDA als Mazzes-Fladen oder Bagels darstellen?), und suggeriert, sie würden abstruse, antisemitische “Märchen” verbreiten.
Auf das Video von “MrWissen2Go” haben Martin Sellner und der aus Eritrea stammende Vlogger und AfD-Anhänger “Hyperion” klug geantwortet. “MrWissen2Go” und das JFDA (das mit der Antonio-Amadeu-Stiftung und Belltower News zusammenarbeit) bedienen sich des Tricks, eher schrägere, Richtung “Verschwörungstheorie” gehende Varianten der These vom “großen Austausch” herauszupicken, und diese dann als Pappkameraden zu benutzen, ohne redlich auf die wichtigsten Argumente und Tatsachen einzugehen.
Ersterer etwa wählte ein ziemlich verqueres Youtube-Video eines Schweizers mit einem entsprechend lustigen Akzent als Referenz, und nicht etwa eines von Martin Sellner, der wesentlich sauberer argumentiert. “MrWissen2Go” mußte allerdings am Ende seines Beitrags zugeben, daß die Zahl der Migranten und Migrationshintergründler in Deutschland tatsächlich stetig ansteigt.
Wie immer werden hier drei Dinge vermengt:
- der faktische Prozeß des Bevölkerungsaustausches, der sich aus dem Wechselspiel demographischer Schwund + kontinuierliche Masseneinwanderung ergibt.
- Offene, belegte Bekenntnisse der herrschenden, keineswegs “heimlichen” Eliten, diesen Austausch durchführen zu wollen (“Diversity”), bis alle Menschen “so ‘gemischt’ sind, dass jeder einen Migrationshintergrund hat.“ – (siehe z.B. hier, hier, hier, hier.)
- Diverse Spekulationen warum, wie, cui bono etc. Hier gilt, was ich oben über “Verschwörungstheorien” sagte.
Die Strohmannbauer konzentrieren sich auf den dritten Punkt, um die Vorstellung lächerlich zu machen, daß “die Mächtigen der Welt entschieden haben: Die Bevölkerung Deutschlands muß ausgetauscht werden” (“MrWissen2Go”). Wer an solche Dunkelmänner glaubt, kann demnach per se nicht alle Tassen im Schrank haben und ist unaufgeklärter Sklave seiner kindischen Ängste. Wie kann man bloß so albern sein, anzunehmen, die Mächtigen der Welt könnten Böses im Schilde führen und etwas anderes als Wohltäter sein? Ausgeblendet wird auch, daß sich die These des “großen Austauschs” nicht auf Deutschland beschränkt (womit man an altrechte Narrative anknüpfen kann), sondern praktisch die gesamte westliche Welt, inklusive der USA, umfaßt.
Offen zutage liegt indes, daß die westlichen Regierungen, die Europäische Union, die UNO, das Weltwirtschaftsforum, die Open Society Foundation und andere supranationale Organisationen und Akteure – mit anderen Worten Vertreter der “globalisierten Klasse” – aktiv eine Politik fördern, die einen “Austausch” der europäischen Völker zur logischen Folge haben wird.
Aktuelles Beispiel ist der “Globale Pakt für Migration”, der im Dezember unterzeichnet werden soll – hier die Kommentare auf Tichys Einblick, Vera Lengsfeld, Achse des Guten und von Michael Klonovsky.
Überraschenderweise hat sich Österreich neben den USA, Ungarn und Polen den wenigen Ländern angeschlossen, die auf Distanz zu dem “Pakt” gegangen sind. Innenminister Kickl hat sich mehrfach deutlich dagegen ausgesprochen. In Deutschland sind Politiker der AfD die einzigen, die diese Ungeheuerlichkeit auch nur thematisierten – etwa Alice Weidel, Nicolaus Fest und Martin Hebner.
Der “Global Compact for Migration” ist ein schlagendes Beispiel, daß der “große Austausch” tatsächlich nicht einfach so “geschieht”, sondern durch bewußte politische Entscheidungen, die keiner demokratischen Kontrolle unterliegen, “gemacht” und vorangetrieben wird. In dieser Lage ist es kein Wunder, wenn “Verschwörungstheorien” aller Art zu wuchern beginnen. Das – absolut berechtigte – Mißtrauen gegenüber den herrschenden Eliten des Westens und den sie stützenden Medien vertieft sich von Tag zu Tag bei breiten, wachsenden Bevölkerungsschichten.
In “Mit Linken leben” nennen Caroline Sommerfeld und ich “Mißtrauen/Vertrauen in Medien und Politik” eine von drei entscheidenden Bruchlinien, entlang derer der “Riß durch unser Land” verläuft.
Thorsten Hinz schrieb vor einem Jahr:
Das Ergebnis ist die totale Konfrontation: Hier die Propagandisten und zivilreligiös verzückten Anhänger der „Willkommenskultur“, dort ein hochpolitisiertes Gegenlager, das allerdings kaum Gelegenheit erhält, sich in die öffentliche Artikulation seiner Positionen einzuüben.
Repression und Erbitterung schaukeln sich gegenseitig hoch, Mutmaßungen über sinistere Drahtzieher und über Merkel als die willige Vollstreckerin von Morgenthau- und Hooton-Plänen schießen ins Kraut.
Ich selbst glaube nicht an lange vorbereitete Morgenthau‑, Hooton- und Kalergi-Pläne, die sich nun nach Jahrzehnten erfüllen, bin aber der Ansicht, daß die Frage nach den multiplen Ursachen, dem chronologischen Verlauf, den ideologischen Hintergründen und konkreten “Drahtziehern” der laufenden Prozesse frei gestellt und offen debattiert werden muß. Das Wort “Verschwörungstheorie” muß ebenso neutralisiert werden, wie alle anderen Kampf- und Tabuisierungsbegriffe der Linken und Globalisten.
Renaud Camus bemerkte zu dieser Frage:
Abgesehen von sehr allgemeinen Feststellungen interessiere ich mich herzlich wenig für die genaue Markierung der Verantwortlichen unserer fatalen Lage. Wenn das eigene Haus brennt, dann ist das erste und dringlichste Gebot, das Feuer zu löschen, und nicht, nach dem Zimmer zu suchen, in dem irgendein Unglücksrabe seine Zigarette brennen ließ. Ich glaube kaum, daß sich eines schönen Tages eine Gruppe von mächtigen und übelwollenden Personen in einem Büro, einem Salon oder einem Konferenzsaal getroffen hat, um zu beschließen, Frankreich und sämtlichen Ländern Europas eine radikale Umwandlung ihrer Bevölkerung aufzuzwingen.
“MrWissen2Go” hat übrigens auch Yascha Mounk auf seinen berüchtigten Satz, “daß wir hier ein historisch einzigartiges Experiment wagen, und zwar eine monoethnische und monokulturelle Demokratie in eine multiethnische zu verwandeln” angesprochen. Handelt es sich hier also um ein “Experiment der Eliten”? In seiner Antwort redet er sich um Kopf und Kragen:
Nein, natürlich nicht. Weder ich, noch Frau Merkel, noch irgendjemand der sagt: Wir machen jetzt hier in Deutschland ein Experiment! Sondern aus ganz anderen Entscheidungen, aus wirtschaftlichen Entscheidungen haben wir etwas gemacht, was in historischer Perspektive ein neues, einzigartiges Experiment ist, aber nicht weil jemand gesagt hat, wir machen jetzt das Experiment, sondern weil in den fünfziger und sechziger Jahren zum Beispiel ein Bundesfinanzminister gesagt hat, oh, die Unternehmen rennen uns die Tür ein…
Hier sagt Mounk nichts anderes, als daß es “Unternehmen” waren, die aus wirtschaftlichen Gründen Druck auf die Politik ausübten, und deren Wille offenbar erfüllt wurde, auch ohne das Volk abstimmen zu lassen. Aus welchem Grund genau die Unternehmen dies verlangten, erfährt man nicht, da der Interview- Ausschnitt an dieser Stelle abbricht, aber man kann es unschwer erraten. Damit bestätigt Mounk Alain de Benoists Satz, daß die Einwanderer “die Reservearmee des Kapitals seien”, und daß, wer von Einwanderung redet, insbesondere billiger Arbeitskräfte, von der “Logik des Kapitals” nicht schweigen dürfe.
Mounk spricht außerdem klar davon, daß hier bewußte politische “Entscheidungen” getroffen wurden, die den Weg zur “multiethnischen Demokratie” ebneten. Ohne ursprünglich auf dieses Ergebnis abzuzielen, leiteten sie einen Prozeß ein, der eine “historisch einzigartige” Situation geschaffen hat, die offenbar so riskant und deren Ausgang so ungewiß ist, daß er das starke Wort “Experiment” benutzen muß. Der Status quo ist, daß die herrschenden Eliten heute entschlossen sind, diesen angeblich “alternativlosen” Prozeß zu organisieren und dieses Experiment mit ungewissem Ausgang bis an sein bitteres Ende durchzuziehen. Dies gibt Mounk auch deutlich in seinem Buch Der Zerfall der Demokratie zu erkennen.
Die Installierung „multiethnischer Demokratien“ in ursprünglich monoethnischen und monokulturellen Gesellschaften bedeutet notwendig die kulturelle und politische Enteignung der angestammten Mehrheit wie auch ihre stetige demographische Reduktion. Das hat nicht mehr viel mit “Demokratie”, also Volksherrschaft und Volkssouveränität zu tun, sondern ist im Gegenteil ein Elitenprojekt.
Mounk räumt ein, daß die Wähler durchaus mit Recht „seit langem das Gefühl“ haben, daß „ihr Denken auf das Tun des Staates kaum mehr Einfluß hat.“ Sie „verlieren die Geduld mit unabhängigen Institutionen und sind immer weniger bereit, die Rechte von ethnischen und religiösen Minderheiten zu akzeptieren“, während andererseits „Eliten immer mehr Kontrolle über das politische System“ gewinnen und es „Zug um Zug von der öffentlichen Meinung“ abschotten: „Weniger denn je sind die Mächtigen dazu bereit, dem Willen des Volkes nachzugeben.“
Mounk sagte in seiner kurzen Antwort für “MrWissen2Go” nichts, was die Theoretiker des “Großen Austauschs” nicht schon wüßten oder behandelt hätten. Martin Sellner schrieb im Nachwort zu dem bei Antaios erschienenen Band von Renaud Camus:
Ohne an dieser Stelle auf die identitäre Globalisierungskritik einzugehen, die die Massenmigration glasklar als Teil der kapitalistischen Verwertungslogik entlarvt, ist festzuhalten, daß der Große Austausch kein Naturereignis ist. Auch im Zuge einer Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen und Informationstechnologien ist dieses wahnsinnige Sozialexperiment in keiner Weise notwendig oder alternativlos.
Mounks Andeutungen decken sich auch mit Robert Hepps Geschichte der “multikulturellen” Idee in Westdeutschland, ein Schlüsseltext, den jeder kennen sollte, der sich mit der Materie befaßt. Demnach erfolgte die Umschaltung zur Ideologie des “Remplacismus”, um es in Anlehnung an Renaud Camus zu sagen, erst relativ spät, nachdem die eingebrockte Suppe der Masseneinwanderung von Fremden kaum mehr auszulöffeln war:
Wie in Amerika scheint die Idee der MKG auch in Europa eher das Ergebnis einer Verlegenheit als das Ziel einer bewußt geplanten Politik gewesen zu sein. Als in Deutschland in den sechziger Jahren zur Auffüllung der Lücken, die durch eine forcierte Politik des sozialen Fortschritts auf dem Arbeitsmarkt entstanden waren, Gastarbeiter aus benachbarten Ländern importiert wurden, sprach noch niemand von MKG. (…)
Unter Integration verstand man damals allgemein Assimilation. Bei den Sozialwissenschaftlern war allerdings schon zu Beginn der Siebziger Jahre eine Problematisierung dieses Integrationskonzepts zu beobachten. Da wurden – aus ideologischen Gründen, aber auch unter dem Eindruck der Ergebnisse der amerikanischen Assimilationsforschung schon relativ früh Zweifel an der Assimilationsideologie laut. Von einer Zwangsgermanisierung wollte natürlich ohnehin niemand etwas wissen.
Die meisten Soziologen plädierten damals für eine sanfte Form der Integration, die sie als interaktionistisch bezeichneten und die darauf hinauslaufen sollte, daß Einheimische und Ausländer auf einander zugehen und eine gemeinsame neue Kultur bilden sollten. Als sich Amerika gerade vom Schmelztiegel verabschiedete, wurde er von unseren amerikanisierten Intellektuellen neu entdeckt. Die Mehrzahl der Ausländer wollte freilich von ihrem Mischtopf nichts wissen; sie beharrten stur auf der Respektierung ihrer nationalen Identität. Auch sah man sich zunehmend mit Minoritäten konfrontiert, die sich zwar nicht assimilieren lassen wollten, aber trotzdem politische Gleichberechtigung forderten.
In dieser Situation schien sich das Konzept der MKG als Ei des Kolumbus anzubieten, kam es doch anscheinend den Wünschen der Ausländer sogar noch weiter entgegen als das Angebot der Vermischung und bot dabei dennoch à la longue die Aussicht auf eine ganz neue internationale Kultur.
Allerdings ist anzumerken, daß die Aufnahme von Gastarbeitern in Westdeutschland weniger auf den Druck einheimischer “Unternehmer”, als der USA und der NATO zustande kam, wie etwa Heike Knortz in dem Buch Diplomatische Tauschgeschäfte beschrieb.
Um ihre wirtschaftlichen Probleme in den Griff zu bekommen und die Länder zu stabilisieren, forcierten zuerst Italien, danach aus ähnlichen Gründen Spanien und Griechenland die Anwerbeabkommen. Die Entsendestaaten erhofften sich vielfältige Vorteile aus der Arbeitsmigration: Durch die Devisen, die die Gastarbeiter in ihre Heimatländer überwiesen, sollte der eigene Devisenmangel zumindest gedämpft werden. Außerdem würde dadurch die drückende negative Handelsbilanz teilweise ausgeglichen. Ein weiterer wichtiger Aspekt war die Entlastung des eigenen Arbeitsmarktes. (…)
Nachdem Griechenland 1960 ein entsprechendes Abkommen abgeschlossen hatte, wollte auch die Türkei in den Genuss dieser Vorteile kommen. Arbeitsminister Theodor Bland reagierte zunächst ablehnend auf das Ansinnen. Die sozialen und kulturellen Unterschiede seien zu groß, der deutsche Arbeitsmarkt noch nicht ausgeschöpft. Daraufhin machten die USA Druck, um dem wichtigen Verbündeten Türkei zu helfen. Das Auswärtige Amt, das sich bereits bei den vorhergehenden Abkommen wesentlich williger gezeigt hatte, führte darauf die Verhandlungen zu einem positiven Abschluss.
Die Sorge, daß die Deutschen durch den ausländischen Geburtenüberschuß verdrängt werden könnten, artikulierte der Spiegel bereits im Jahre 1975, mit einer Ausgabe, die auf der Titelseite die Frage stellte: “Sterben die Deutschen aus?”
Nirgendwo sonst auf der Welt werden so wenig Kinder geboren wie in der Bundesrepublik. Nur Gastarbeiter sorgen noch für einen Baby-Überschuß. Die Deutschen, Volk ohne Nachwuchs? Zwar mehr Sex, aber kaum noch Folgen? Ob der rapide Abwärtstrend anhält, ist umstritten. Für national Gesinnte wäre das der Ruin. (…)
Zum anderen wird die Baby-Baisse der Deutschen überlagert vom Baby-Boom der Gastarbeiter. “Ich hörte links und rechts nur Gejammer in fremden Sprachen, auch mal “viel Schmerz, viel Schmerz’ in gebrochenem Deutsch”, berichtet die Berlinerin Anne Wittech, die im Weddinger Virchow-Krankenhaus niederkam und an Besuchstagen “eine türkische Invasion” erlebte: “Da drängten sich ganze Sippschaften, ein deutscher Vater kam kaum durch, die Ausländer machen Kinder wie die Brezeln.”(…)
Denn “wenn man das fruchtbare Wirken unserer fleißigen Gastarbeiter abzieht”, wie die “Süddeutsche Zeitung” schon im vergangenen Jahr ironisch vorrechnete, dann werden jährlich nur noch gut 500 000 genuine Deutsche geboren – womit sich die Geburtenzahl in einem Jahrzehnt glatt halbiert hat und der weiland christdemokratische Familienminister Franz-Josef Wuermeling nun meinen könnte, er habe recht gehabt, als er einst sagte: “Unter der Decke sind wir ein sterbendes Volk.” (…)
Welche Auswirkungen andererseits eine anhaltende “Bevölkerungsimplosion” (so das Mediziner-Fachblatt “Ärztliche Praxis”) einmal haben könnte, ist ungewiß. Gesellschaftsprognostiker und Wirtschaftsforscher halten mit Voraussagen zurück, nur politisch konservative Beobachter, etwa in der “Welt”. malen für die zusammenschnurrende Luxusnation ein dickes Ende aus: “reich, emanzipiert und ausgestorben”.
Das Menetekel stand also schon früh an der Wand, und wurde 1982 von der Verfassern und Unterzeichnern des “Heidelberger Manifests” klar benannt:
Mit großer Sorge beobachten wir die Unterwanderung des deutschen Volkes durch Zuzug von vielen Millionen von Ausländern und ihren Familien, die Überfremdung unserer Sprache, unserer Kultur und unseres Volkstums. Allein im Jahre 1980 hat die Zahl der gemeldeten Ausländer trotz Anwerbestopp um 309 000 zugenommen, davon 194 000 Türken. Gegenüber der zur Erhaltung unseres Volkes notwendigen Zahl von Kindern werden jetzt jährlich kaum mehr als die Hälfte geboren. Bereits jetzt sind viele Deutsche in ihren Wohnbezirken und an ihren Arbeitsstätten Fremdlinge in der eigenen Heimat.
Der Zuzug der Ausländer wurde von der Bundesregierung aus Gründen des heute als fragwürdig erkannten hemmungslosen Wirtschaftswachstums gefördert. Die deutsche Bevölkerung wurde bisher über Bedeutung und Folgen nicht aufgeklärt. Sie wurde auch nicht darüber befragt.
Daß all diese Warnungen als “rassistisch” verfemt und in den Wind geschlagen wurden, kann ebenfalls unter “bewußte Entscheidungen” verbucht werden. Man wird auf ähnliche Momente stoßen, wenn man die Einwanderungsgeschichte weiterer Länder unter die Lupe nimmt, die von der “Umvolkung” bedroht sind: die USA, Frankreich, Großbritannien und Schweden. In jedem Fall wird man Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Ablauf entdecken, in jedem Fall taucht die Ideologie der “Diversity” und Multikulturalisierung explizit erst zu einem Zeitpunkt auf, an dem behauptet wird, daß es nun kein Zurück mehr gäbe.
Über vierzig Jahre nach der zitierten Spiegel-Ausgabe findet man in der deutschen Presse Beiträge wie diesen in der Welt vom 10. 8. 2018:
Noch nie gab es in Deutschland so viele Menschen mit ausländischen Wurzeln. Inzwischen ist fast jeder vierte (24 Prozent) hier lebende Mensch nicht im Land geboren oder hat Eltern, die keine gebürtigen Deutschen sind – und erfüllt damit die Kriterien für einen sogenannten Migrationshintergrund. Damit konnte das Statistische Bundesamt, wie in jedem Jahr, einen neuen Höchststand vermelden.
Der Hauptgrund für den stark wachsenden Migrantenanteil ist, dass die Bundesrepublik seit Langem höhere Zuwanderungsquoten als das klassische Einwanderungsland USA verzeichnet. Fast ebenso wichtig ist aber das Schrumpfen der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund um jährlich rund eine halbe Million.
Am 15, 10. 2018 schrieb Die Welt:
Während die Einwanderung von Ausländern breit diskutiert wird, erregt die Auswanderung von Deutschen kaum Aufsehen. Dabei haben auch im Jahr 2017 wieder rund 249.000 Bundesbürger das Land dauerhaft verlassen, wie das Statistische Bundesamt am Montag mitteilte. Gleichzeitig zogen 167.000 Deutsche in die Bundesrepublik. Unter dem Strich ergab sich also ein sogenanntes negatives Wanderungssaldo von 82.000 Deutschen. (…)
Besonders bedeutsam ist die starke Abwanderung vor dem Hintergrund, dass auch die Sterbefälle seit Langem die Geburten überwiegen. Dem Wanderungsverlust von 217.000 Deutschen in den vergangenen beiden Jahren und den mehr als 1,7 Millionen gestorbenen Staatsbürgern standen nur 1,2 Millionen Geburten von Müttern mit deutscher Staatsbürgerschaft gegenüber. Deutschland hat netto also mehr als 700.000 Staatsbürger in nur zwei Jahren verloren. (…)
Und dann kommt ein Abschnitt, der den Grad der Entnationalisierung selbst der Sprache und des Bewußtseins kurios wiederspiegelt:
Damit gewann Deutschlands Gesellschaft in den vergangenen beiden Jahren ungefähr so viele Neumitglieder über Migration wie durch Geburten von Müttern mit deutscher Staatsangehörigkeit.
Deutschland ist nur mehr eine “Gesellschaft”, ein Klub, in dem potentiell jeder Mensch “Mitglied” werden kann. Die Formulierung “Mütter mit deutscher Staatsangehörigkeit” läßt die Unterscheidung zwischen Stammdeutschen und Paßdeutschen verschwinden.
Die Welt fährt fort:
Durch die im internationalen Vergleich starke Zuwanderung – die Bundesrepublik nahm seit den 1960er-Jahren mehr Zuwanderer auf als das klassische Einwanderungsland USA – entwickelt sich das Land schnell zur Migrationsgesellschaft. In den westdeutschen Bundesländern haben dem Statistischen Bundesamt zufolge bereits 42 Prozent der unter Sechsjährigen einen Migrationshintergrund.
Das, und nichts anderes ist primär der “Große Austausch”. Keine “Verschwörungstheorie”, sondern ein real ablaufender Prozeß, der die Folge politischer Entscheidungen ist, die Jahrzehnte zurückreichen (wozu auch die Entscheidung zählt, in manchen Bereichen nichts zu entscheiden). Das bedeutet allerdings wie gesagt mitnichten, daß die Frage nach seinen Entscheidern, Betreibern, Propagandisten und Profiteuren nicht gestellt werden darf und soll.
Maiordomus
@Lichtmesz. Gut, zählen Sie Coudenhove-Kalergi und seine Paneuropa-Bewegung nicht zu den Aposteln dessen, was man heute den "Grossen Austausch" nennt und insofern keine Wahnidee ist, als natürlich die Bevölkerungsabnahme unter den Autochthonen einerseits und die Masseneinwanderung andererseits real stattfinden. Bei Coudenhove, den einige Rechte wegen aus dem Zusammenhang gerissener Zitate fälschlicherweise auf ihre Feindbildliste gesetzt haben, muss man unbedingt die geistigen Hintergründe sehen, die noch voll und ganz abendländisch waren, wobei "abendländisch" für ihn eine geistige Standortbetimmung war, nicht ein Bekenntnis zu den "Weissen", zumal er, wie seine aus meiner Sicht noch bedeutendere Schwester Ida Friederike Görres Coudenhove ein europäisch-japanischer "Mischling" war. Bei der Paneuropa-Idee stand sowieso nicht die Abschaffung der Nationen, sondern zumal die Reduktion der Zollschranken im Vordergrund, weswegen Ludwig von Mises der ökonomische Vordenker der Bewegung wurde. Auch erfolgte die Gründung der Bewegung noch zur Zeit des europäischen Imperialismus und Kolonialismus, u.a. als Alternative zum Kommunistischen Internationalismus, wobei Freiheit und Selbstbestimmung wichtigste Grundwerte waren, nicht zu vergessen dass zumal von Kalergi formulierte "Recht auf Heimat". Dabei war und ist bei solchen Bewegungen nie ausgeschlossen, dass sich auch Illusionen einnisten bzw. dass sich gewisse Ideen als weniger bis gar nicht praktikabel erweisen. Im Prinzip sah man natürlich richtig, dass auch und zumal der Nationalismus seine giftigen Seiten hat, und dass ein mehr brüderliches Verhältnis unter den Nationen wünschbar wäre. Selber war ich im Jahre 1964, als 17jähriger Gymnasiast, von der Paneuropa-Idee noch absolut begeistert, sie trug mit dazu bei, dass ich für linkes Denken für immer verloren blieb und ein positives Verhältnis zu einem abendländischen Konservativismus entwickelte, u.a. mit Paul Claudel, Reinhold Schneider, Otto von Habsburg, Carl Jacob Burckhardt als Leitfiguren, wobei unter den deutschen Publizisten mir damals Otto B. Roegele und zumal Paul Wilhelm Wenger vom Rheinischen Merkur Eindruck machten. Ein beeindruckender Denker in der damaligen Zeit war für mich auch Peter Berglar. Unter den Politikern schien mir Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg eine Leitfigur weit über Franz Josef Strauss hinaus, für den damals Armin Mohler schwärmte, dessen Standardwerk über die Konservative Revolution mich seit über 50 Jahren begleitet, wiewohl diese ideologische Richtung mir für heute nicht mehr sehr massgebend ist. Am meisten bedeutete mir unter den konservativen Revolutionären noch Hugo von Hofmannsthal, ein Autor von einer Liga, die es heute nun mal nicht mehr gibt. Das einzige belletristische Buch mit einer europäischen Perspektive, das ich diesen Herbst gelesen habe, ist Wolf Wondratscheks "Selbstbildnis mit Klavier" (2018) , mit einem Europabild, bei dem Wien und St. Petersburg sozusagen die geistigen Hauptstädte sind, übrigens sehr gut geschrieben, Wondratscheks Roman ist seit Jahren wohl das einzige Werk, das man als "Zauberberg light" bezeichnen könnte.
Noch zu abendländischem Denken. Eines der drei für heute wichtigsten Bücher der letzten 1 400 Jahre ist das hochgelehrte Standardwerk über die Geschichte der Kirche und des Christentums in England von Beda dem Ehrwürdigen aus der Zeit um 730, die wohl beeindruckendste Darstellung der Christianisierung des frühmittelalterlichen Abendlandes. Es wird dort auch sehr realistisch, mit Assoziationen für den heutigen Leser, die Völkerwanderung per Schiff dargestellt, im Zusammenhang mit der Landnahme der Sachsen. Eindrücklich ist, in welchem Ausmass bei der Völkerwanderung per Schiff damals das Risiko des Ertrinkens auf sich genommen wurde, das gehörte nun einfach mal mit zur Miete, zu schweigen von den bei einer Völkerwanderung obligatorischen Kämpfen auf Leben und Tod. Das alles ist ganz realistisch und eigentlich jenseits eines moralisierenden Standpunktes schlicht und einfach beschrieben, und zwar durchaus aus einer historischen historisierenden Perspektive. Ich kam nach der Lektüre dieses Buches, in dem wir auch sehr viel über die irische und schottische Spiritualität erfahren und über die Konfessionskämpfe der frühmittelalterlichen Christen mit dem Arianismus und Pelagianismus, ich kam also nach der Lektüre dieses Buches zur Einsicht, dass Beda der Ehrwürdige von Geschichte wohl mit Sicherheit mehr versteht als die Mehrheit der Mitglieder des deutschen Historikerverbandes, von denen wohl nur eine verschwindende Minderheit ausreichende Kenntnisse des Werkes von Beda dem Ehrwürdigen hat, ohne das man aber die Geschichte des christlichen Europa nicht verstehen kann. Kein Wunder, sind viele Historiker so inkompetent. Erstmals ins Deutsche übersetzt wurde das vielhundertseitige faktenreiche historische Buch Bedas um 1855 in einem Schaffhauser Verlag, damals war Hutter neben Benziger in Einsiedeln. das wichtigste Verlagshaus der christlichen und katholischen Schweiz, mit Ausstrahlung nach Deutschland, zumal der bedeutendste Schweizer Historiker, der Schaffhauser Johannes von Müller, fast stets in Deutschland gewirkt hat.
Sicher ist, dass wir uns noch mehr und grundsätzlicher mit europäischer Geschichte, auch Geistesgeschichte, auseinandersetzen sollten. Ohne Beda den Ehrwürdigen weiss man vom christlich-abendländischen Europa etwa so viel wie ohne Marx vom Sozialismus. Die beste aktuelle Übersetzung stammt von einem deutschen Gelehrten namens Spitzbart und ist in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt herausgekommen. Ich gehe davon aus, dass Coudenhove-Kalergi, Ida Friederike Görres, Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg, der ältere, Josef Ratzinger, Monika Reisel und andere gebildete Deutsche diese Hintergründe noch kannten oder kennen. Auch der Brexit sollte im Lichte Bedas des Ehrwürdigen in seinen Perspektiven vielleicht neu analysiert werden.
PS. Bei Coudenhove wie später bei Josef Pieper blieb wichtig, dass "abendländisch" weder ein rassischer noch ein geografischer Begriff ist, wenn schon, ein geistiger Leitbegriff, bei dem freilich das Erbe der lateinisch-griechischen Antike fast noch wichtiger ist, zumindest gleich wichtig, wie das Christliche.