China – Hermetik, Propaganda, Illusionen

Ein Beitrag von Professor Raimund T. Kolb, der als Antwort auf Peter Kuntzes China-Beitrag zu lesen ist.

Die PDF der Druck­fas­sung aus Sezes­si­on 85/August 2018 fin­det sich hier.

Kein Land, das von der beson­ders uns Deut­schen eige­nen »empha­ti­schen Fern­so­li­da­ri­tät« (Odo Mar­quard) bei gleich­zei­ti­ger Gering­schät­zung des Eige­nen mehr pro­fi­tier­te als Chi­na: Die Wur­zeln der sino­phi­lia ger­ma­ni­ca rei­chen  tief in unse­re  geis­tes­ge­schicht­li­che Ver­gan­gen­heit und gene­rier­ten nicht weni­ge Mißverständnisse.

So ver­sprach sich der Uni­ver­sal­ge­lehr­te Leib­niz von Chi­na ent­schei­den­de Impul­se für die Ent­wick­lung von Wis­sen­schaft und Tech­nik in Euro­pa (Novis­si­ma Sini­ca 1697) und sein Kol­le­ge Chris­toph Gott­lieb von Murr for­der­te gar 1777, Chi­ne­sisch als Uni­ver­sal­spra­che ein­zu­füh­ren. Die Geschich­te der illu­sio­nä­ren, selek­ti­ven oder rea­li­täts­blin­den Wahr­neh­mung chi­ne­si­scher Wirk­lich­keit ist eine bis heu­te unge­bro­che­ne. So kann es denn auch nicht ver­wun­dern, daß die chi­ne­si­sche Aus­lands­pro­pa­gan­da bei uns auf beson­ders geneig­te Rezi­pi­en­ten trifft.

Beson­ders fatal, weil poten­ti­ell brei­ten­wirk­sam, nimmt sich die­ser Umstand in dem Apex der »Chi­na­ver­ste­her«, der Grup­pe der Sino­lo­gen aus. S. W. Mos­her schil­der­te die Fol­gen für die USA in sei­nem Buch Chi­na Mis­per­cei­ved – Ame­ri­can Illu­si­on and Chi­ne­se Rea­li­ty (1990). Zur spe­zi­fi­schen Situa­ti­on in Deutsch­land liegt lei­der bis­her kei­ne Stu­die vor.

Einen Über­blick zur wenig hoff­nungs­vol­len Lage im all­ge­mei­nen bie­tet Cars­ten A. Holz (Uni­ver­si­ty of Hong Kong) in »Have Chi­na Scho­lars All Been Bought?« (FEER 170, 3, 2007). Sino­lo­gen sind bei For­schungs­pro­jek­ten und Recher­chen aller Art zur Koope­ra­ti­on mit chi­ne­si­schen Insti­tu­tio­nen gezwun­gen. Beson­ders betrof­fen sind hier Poli­tik­wis­sen­schaft­ler, Sozio­lo­gen und Öko­no­men. Will man risi­ko­los recher­chie­ren, ist Selbst­zen­sur geboten.

Par­tei­na­he Argu­men­ta­ti­on ist das Gebot. Bri­san­te The­men sind – wie kri­ti­sche Fra­ge­stel­lun­gen über­haupt – zu mei­den. Es ist folg­lich nicht ein­fach, an Tex­te zu gelan­gen, die sich poten­ti­ell heik­len und sen­si­ti­ven The­men auf wis­sen­schaft­lich-kri­ti­sche Wei­se zuwen­den. Sie sind auf­fal­lend unterrepräsentiert.

Die Aus­lands­pro­pa­gan­da (Dui­wai xuan­ zhu­an) Chi­nas ist eine Kom­po­nen­te der Außen­po­li­tik und dient den vita­len Inter­es­sen des Par­tei­staa­tes, näm­lich der Erhal­tung des poli­ti­schen Sys­tems und der Staats­si­cher­heit, der Staats­sou­ve­rä­ni­tät und ter­ri­to­ria­len Inte­gri­tät sowie der kon­ti­nu­ier­lich-sta­bi­len Ent­wick­lung von Wirt­schaft und Gesell­schaft (vgl. Dai Bing- guo, in: Chi­na Digi­tal Times, 7. August 2009).

Ihr ist auf die Fah­ne geschrie­ben, »zu einem bes­se­ren Ver­ständ­nis der tat­säch­li­chen Situa­ti­on Chi­nas, einer posi­ti­ven inter­na­tio­na­len öffent­li­chen Mei­nung hin­sicht­lich der Schaf­fung eines Sozia­lis­mus mit chi­ne­si­schen Beson­der­hei­ten« bei­zu­tra­gen (Zhao Qiz­h­eng, Xiang shi­jie shuo­ming Zhongguo 2006). Im Fokus der Aus­lands­pro­pa­gan­da ste­hen einer­seits die aus­län­di­schen Kor­re­spon­den­ten im Inland.

Ihre Tätig­keit wird durch die Begren­zung der Infor­ma­ti­ons­be­schaf­fung, Ein­schüch­te­rung der Infor­man­ten und dem Damo­kles­schwert in Gestalt des Vis­a­ent­zugs mas­siv beein­flußt. Über­all, wo Infor­ma­tio­nen zu erhal­ten sind, ist auch das kra­ken­haf­te Pro­pa­gan­da­sys­tem präsent.

Ande­rer­seits ste­hen  die  Jour­na­lis­ten  im Aus­land und ihre Chin­a­be­richt­erstat­tung im Fokus. Hier wird natür­lich mehr mit Zucker­brot als mit der Peit­sche ver­fah­ren. Wich­ti­ge Ele­men­te sind die Kon­fu­zi­us-Insti­tu­te, die S. W. Mos­her in einem offi­zi­el­len Gut­ach­ten für das For­eign Affairs Com­mit­tee als »Tro­jan Hor­ses with Chi­ne­se Cha­rac­te­ristics« bezeich­ne­te und die Jörg‑M. Rudolph als pri­mä­res Pro­pa­gan­da­werk­zeug ent­larv­te (»Eine har­mo­ni­sche Welt«, FAZ 8. Novem­ber 2011).

Auch spek­ta­ku­lä­re Kul­tur­ver­an­stal­tun­gen im Aus­land die­nen in ers­ter Linie der Par­tei­pro­pa­gan­da. Hin­zu kommt noch im Rah­men der »Zusam­men­füh­rung der Kräf­te von über­all« (ning­ju gefang liliang), einer United-Front-Stra­te­gie im Dienst der Pro­pa­gan­da, die Ein­fluß­nah­me auf die Dia­sporas und vor allem die im Aus­land täti­gen chi­ne­si­schen Wis­sen­schaft­ler (E. King­s­ley, The Globa­lization of Chi­ne­se Pro­pa­gan­da, 2014, 72 –97; Sham­bough, »Chi­ne­se Pro­pa­gan­da Sys­tem«, The Chi­na Jour­nal 57, 2007, 47 –50; He Qin­gli­an, Wusuo Zhongguo, Tai­pei 2007, 276 –373).

Letz­te­re prä­gen zuneh­mend den Chi­na-Dis­kurs auf allen Gebie­ten mit. Zugleich sor­gen von har­schen Sank­tio­nen beglei­te­te Geset­ze zur Wah­rung von »Staats­ge­heim­nis­sen« für einen nach innen und außen gerich­te­ten her­me­ti­schen Ver­schluß »sen­si­ti­ver« Daten.

Arti­kel 9 (von 35!) des Gesetz­wer­kes (Zhong­hua ren­min­guo baos­hou guo­jia mimi fa) von 2010 nennt sie­ben Fel­der: bedeu­ten­de Ent­schei­dun­gen in Staats­an­ge­le­gen­hei­ten, natio­na­le Ver­tei­di­gung, diplo­ma­ti­sche Akti­vi­tä­ten, Natio­nal­öko­no­mie und Sozi­al­ent­wick­lung, Wis­sen­schaft und Tech­nik, Staats­si­cher­heit und Kri­mi­na­li­tät sowie jede wei­te­re vom Büro für Staats­si­cher­heit bezeich­ne­te Angelegenheit.

Hin­zu tre­ten also noch jeweils aktu­ell akzen­tu­ier­te Pro­blem­be­rei­che. Für die Durch­set­zung sor­gen wei­te­re 41 Arti­kel und die »Büros für Geheim­nis­schutz« (bao­mi­ju). Ein rigi­des umfäng­li­ches Zen­sur­sys­tem wacht über die Ver­brei­tung von Infor­ma­tio­nen in den Medi­en und im Inter­net (He Qin­gli­an, 154 –206). Das letz­te kri­ti­sche Maga­zin auf dem chi­ne­si­schen Fest­land, Zheng­ming (Hong­kong), wur­de im Okto­ber 2017 nach 40 Jah­ren Recher­che­jour­na­lis­mus eingestellt.

Kein Gerin­ge­rer als der spä­te­re Vize-Pre­mier Li Keqiang ließ in einem Gespräch mit dem US-Bot­schaf­ter C. T. Rand ver­lau­ten, daß Chi­nas BIP-Zah­len unzu­ver­läs­sig sei­en und allen­falls als Refe­renz her­hal­ten könn­ten (Wiki­Leaks, ID 07 Beijing1760_a, 15. März 2007). Sta­tis­ti­ken die­nen seit der Mao-Ära dazu, die »Wirk­lich­keit her­aus­zu­put­zen« (mei­hua xian­shi). Sie sol­len unter allen Umstän­den aus­län­di­sche Inves­ti­tio­nen beför­dern, Chi­nas Stel­lung in der Welt fes­ti­gen und offen­kun­di­ge Pro­ble­me und Kri­sen ver­schlei­ern hel­fen. Knapp 100000 Mit­ar­bei­ter sind auf die­sem Gebiet tätig.

Da Sta­tis­ti­ken  des  Kader-Eva­lua­ti­ons­sys­tems wegen bereits auf der unters­ten Ebe­ne mani­pu­liert wer­den und das Par­tei­re­gime natür­lich grund­sätz­lich an den »wah­ren« Zah­len inter­es­siert ist, wird seit gerau­mer Zeit eine »Bypass«- Metho­de ange­wandt, bei der die Infor­ma­tio­nen direkt auf unters­ter Ebe­ne ein­ge­holt wer­den, wo Über­wa­chungs­teams für die gewünsch­te Dis­zi­plin sor­gen sollen.

Daß auch die­ses Ver­fah­ren nicht wirk­lich greift, zeigt etwa ein Vor­fall im zur Stadt Guang­zhou gehö­ren­den Markt­fle­cken Hen­glan. Angeb­lich soll­ten dort 249 Indus­trie­un­ter­neh­men in Betrieb sein. Bei der Inspek­ti­on von 73 Betrie­ben stell­ten sich 38 als über­pro­por­tio­niert beschrie­ben und 19 als still­ge­legt her­aus (Nan­fang zho­u­mo 18. Juni 2013).

Für sol­che Bypass-Inspek­tio­nen ste­hen nur etwa 14500 Mit­ar­bei­ter zur Ver­fü­gung, mit­hin viel zu weni­ge, und oben­drein sind die Erkun­dun­gen vor Ort zu kos­ten­in­ten­siv. Zudem wird die Auf­rich­tig­keit der Infor­ma­ti­ons­quel­len vor­aus­ge­setzt (Jia Gao, »Bypass the Lying Mouth«, The Chi­na Qua­ter­ly 228, 2012, 950 –969).

Anno 2000 ergab der Zen­sus eine Bevöl­ke­rungs­grö­ße von offi­zi­ell 1.266 Mil­li­ar­den. Unvoll­stän­dig­keit wur­de ein­ge­räumt: etwa 20 Pro­zent der länd­li­chen Bevöl­ke­rung sol­len nicht erfaßt wor­den sein. Aus der Aka­de­mie für Sozi­al­wis­sen­schaf­ten in Bei­jing ver­lau­te­te damals, daß die eigent­li­che Grö­ße bei 1.433 Mil­li­ar­den läge (Zheng­ming 6, 2001, 21; 9, 24).

Der letz­te Bevöl­ke­rungs­zen­sus fand im Jahr 2010 statt und ergab offi­zi­ell eine Grö­ße von 1.339 Mil­li­ar­den. Man soll­te aber der­zeit für Chi­na eine Bevöl­ke­rungs­grö­ße von min­des­tens 1.53 Mil­li­ar­den ver­an­schla­gen, denn es gibt allein rund 160 Mil­lio­nen Wan­der­ar­bei­ter, die sta­tis­tisch nicht auf­schei­nen (J.L. Wal­lace, »Juking the Stats?«, B.J.Pol.S. 46, 2014). Frei­lich schö­nen gerin­ge­re Bevöl­ke­rungs­grö­ßen die Sta­tis­tik im Hin­blick auf Leis­tung, Res­sour­cen, Per­spek­ti­ven usw. Bei­spie­le für sta­tis­ti­sche Nebel­ker­zen­wür­fe sind Legion.

Peter Kunt­zes »Pax-Sinica«-Aufsatz kann hier von mir frei­lich nur selek­tiv und in drang­vol­ler Kür­ze kom­men­tiert wer­den. Ein­ge­lei­tet wird der Text mit einem pro­pa­gan­dis­ti­schen Man­tra, das er einen »poli­t­his­to­ri­schen Drei­satz« nennt und unkri­tisch validiert.

Dazu ergän­zend:

1. Wie wenig Maos Sieg mit Befrei­ung ein­her­ging, bele­gen ein­drück­lich die his­to­ri­schen Ereig­nis­se (F. Diköt­ter, The Tra­ge­dy of Li­ bera­ti­on, 2013; Brasown/Pickowitz, Dilem­mas of Vic­to­ry, 2007). Die KP unter Mao trat von 1950 bis 1978 als ein hin­sicht­lich Bru­ta­li­tät und Tota­li­täts­ge­ba­ren in der Geschich­te des Lan­des ein­ma­li­ger Aus­beu­ter auf, des­sen ideo­lo­gi­scher Wahn­witz allein wäh­rend der »Gro­ßen Sprung Vorwärts«-Kampagne (1958 bis 1962 /63) etwa 55 Mil­lio­nen Tote einforderte.

2. Nicht nur Mao, son­dern Chiang Kai­shek han­del­te, ihm weit über­le­gen, als ein glü­hen­der Anti-Kolonialist.

3. Unbe­strit­ten war Deng Xiao­pings Rever- sion des Mao­is­mus 1978, vor allem die etap­pen- wei­se Dekol­lek­ti­vie­rung in der Land­wirt­schaft, eine bedeu­ten­de Wei­chen­stel­lung. Das Land lag aller­dings 1978 nach fast drei­ßig Jah­ren kom­mu­nis­ti­scher Miß­wirt­schaft öko­no­misch dar­nie­der, weit unter­halb des Pro-Kopf-Ein­kom­mens in der Nan­king-Ära 1927 bis 1937. Offi­zi­el­le Zah­len camou­flie­ren erwar­tungs­ge­mäß die­se Niederlage.

4.  Dengs  Öff­nungs­po­li­tik stellt kein Novum dar; sie nahm 1872 mit den ers­ten 120 in die USA ent­sand­ten Stu­den­ten ihren Anfang. In den 1930er Jah­ren war der Indus­trie­sek­tor zwar noch immer beschei­den (ca. sie­ben Pro­zent des BIP), doch reich­te sei­ne Pro­duk­ti­vi­tät immer­hin aus, zwei Drit­tel der  Kos­ten des Krie­ges gegen Japan 1937 bis 1945 zu stemmen.

Der Anteil aus­län­di­schen Kapi­tals im indus­tri­el­len Sek­tor belief sich damals in man­chen Bran­chen (Mon­tan­we­sen, Baum­woll­tuch, Elek­tri­zi­tät, Ziga­ret­ten) auf weit über 50 Pro­zent (A. Feu­er­wer­ker, »Eco­no­mic Trends, 1911 –1949«, The Cam­bridge Histo­ry of Chi­na 12/I, 60, Table 10, 62). Mit Deutsch­land wur­de eine Koope­ra­ti­on auf der Basis von Gleich­heit und gegen­sei­ti­gem Nut­zen geschlos­sen – für Chi­na die erfolg­reichs­te der Repu­blik­zeit (W. C. Kir­by, »The Inter­na­tio­na­liza­ti­on of Chi­na […]«, The Chi­na Qua­ter­ly 150, 6, 1997, 443 /4).

Ange­sichts der Tat­sa­che, daß deut­sche Unter­neh­mer nicht erst seit dem Spie­gel-Bericht (7. Juni 2016) über immense Schwie­rig­kei­ten im Land kla­gen, müß­te sie ein Blick zurück in die Repu­blik­zeit mit Nost­al­gie erfüllen.

Chi­nas galop­pie­ren­de  öko­no­mi­sche Ent­wick­lung voll­zieht sich vor dem Hin­ter­grund einer mas­si­ven Degra­da­ti­on aller öko­lo­gi­schen Para­me­ter sowie  akku­mu­lie­ren­den  sozia­len Span­nun­gen. Dazu nur ein paar Bro­sa­men: In den letz­ten zwei Deka­den ver­schwan­den 28 000 Flüs­se. In acht Pro­vin­zen herrscht aku­ter Wassermangel.

Etwa 140 Mil­lio­nen Men­schen war im Jahr 2013 kein Zugang zu unbe­denk­li­chem Trink­was­ser mehr mög­lich (Jing­ji can­bao 14. April 2014). Um die  Nah­rungs­mit­tel­si­cher­heit ist es mise­ra­bel bestellt (z. B. Food Safe­ty in Chi­na, Chi­na Dia­lo­gue 2012). Anno 1999 wur­den offi­zi­ell 53300 »Mas­sen­vor­fäl­le« (quntishi­ jian) mit unzu­frie­de­nen oder erbos­ten »Bür­gern« ein­ge­räumt; 2005 waren es 87000 und 2012, laut Aka­de­mie für Sozi­al­wis­sen­schaf­ten, um die 100000 (She­hui lan­pis­hu 2013). Die tat­säch­li­chen Zah­len dürf­ten noch weit höher liegen.

Auch das Ste­reo­typ des »über Gene­ra­tio­nen von inne­ren und äuße­ren Fein­den geschun­de­nen Vol­kes«, von dem nun end­lich Xi Jin­ping gesun­den läßt, wird von Peter Kunt­ze unkri­tisch trans­por­tiert. Hier  liegt  ein  grund­sätz­li­ches Miß­ver­ständ­nis der chi­ne­si­schen Gesell­schaft vor, das sich der idea­lis­ti­schen Selbst­dar­stel­lung der chi­ne­si­schen Eli­ten verdankt.

Die Geschich­te des Lan­des zeigt mili­tä­risch und ord­nungs­po­li­tisch eine auch im All­tag bemer­kens­wert gewalt­a­ffi­ne Gesell­schaft (B. J. ter Haar, Vio­lence in Chi­ne­se Cul­tu­re, biblio­gra­phy, im Inter­net). Man wird schwer­lich in den letz­ten bei­den Dynas­tien (1368 –1911) ein ein­zi­ges Jahr ohne nen­nens­wer­te mili­tä­ri­sche Vor­gän­ge fin­den, wie etwa eine vom Ver­lag der Befrei­ungs­ar­mee her­aus­ge­ge­be­ne  Chro­nik  mili­tä­ri­scher Ereig­nis­se belegt (Zhongguo lidai zhanz­h­eng nian­biao, 2002,  213 –612).

Allein  zwi­schen 1949 und 1985 war Chi­na in elf außen­po­li­ti­sche Kri­sen inten­sivst ver­wi­ckelt, in acht davon wur­den gewalt­sa­me Lösun­gen ange­strebt (u. a. Alas­ta­ir Iain John­s­ton: Cul­tu­ral Rea­lism ­ Stra­ tegic Cul­tu­re and Grand Stra­tegy in Chi­ne­se Histo­ry, Prince­ton 1998). Auch das orga­ni­sier­te Ver­bre­chen in Chi­na ist nicht nur his­to­risch bes­tens doku­men­tiert; es stellt auch heu­te an Umfäng­lich­keit alle  euro­päi­schen  Gesell­schaf­ten weit in den Schatten.

Das Hohe­lied der Bewun­de­rung für Chi­nas mili­tä­ri­sche Ent­wick­lung offen­bart sich bei nähe­rer Betrach­tung als etwas illu­sio­när. Im April 2017 stell­te Chi­na sei­nen zwei­ten Flug­zeug­trä­ger (Typ 001A) vor und damit den ers­ten selbst­ge­bau­ten. Nicht nur die deut­schen Mas­sen­me­di­en sahen bereits eine neue Welt­macht zur See am Hori­zont aufziehen.

Der Rumpf des Jubel­ob­jekts stammt indes aus der sowje­tisch-ukrai­ni­schen Erb­mas­se. Das Schiff selbst ent­spricht einem Schlacht­kreu­zer mit Flug­feld. Es sei dar­an erin­nert, daß das kai­ser­li­che Japan im pazi­fi­schen Krieg bereits 17 Flug­zeug­trä­ger  eige­ner Bau­rei­hen unter­schied­li­cher Kapa­zi­tät im Ein­satz hat­te, die ihren ame­ri­ka­ni­schen Pen­dants wenig nach­stan­den. Das Kampf­flug­zeug Cheng­du J‑20 stellt einen Nach­bau der Mig 1.44 dar; ledig­lich die Stealth­Eigen­schaft kam hin­zu, eben­falls eine impor­tier­te Technologie.

Am 8. Juni 2018 wur­de der chi­ne­si­sche Dieb­stahl der Unter­la­gen des US-Geheim­pro­jek­tes »Sea Dra­gon« (Über­schall-Anti-Schiffs­ra­ke­te) ver­mel­det. Damit ist eine der übli­chen, eher beschwie­ge­nen chi­ne­si­schen Beschaf­fungs­ar­ten inno­va­ti­ver Pro­duk­te, nicht nur im Mili­tär­sek­tor, benannt. Allein zwi­schen 2007 und 2011 wur­den 33 gra­vie­ren­de Fäl­le von erfolg­rei­cher chi­ne­si­scher Spio­na­ge im US-Mili­tär­sek­tor bekannt (u. a. W. C. Han­nas et al., Chi­ne­se In­ dus­tri­al Espio­na­ge, 2013, 205 –206, Table 8.1) Die Auf­wen­dun­gen Chi­nas für das Mili­tär sind selbst­ver­ständ­lich (s. o.) Staats­ge­heim­nis. Öffent­lich genann­te Zah­len sind des­halb grund­sätz­lich poli­tisch konfektioniert.

»Pax Sini­ca«? Hier mag eine  klei­ne  Notiz zum chi­ne­si­schen Anspruch auf die  Paracel- und Sprat­ley-Inseln und das Pra­tas-Riff ange­bracht sein. Das chi­ne­si­sche Inter­es­se an den Inseln ist 1909 erwacht, aus­ge­löst vom japa­ni­schen Gua­no-Abbau auf dem Pra­tas-Riff, das im glei­chen Jahr Chi­na gegen hohe Ent­schä­di­gung über­las­sen wurde.

Im Jahr 1928 erschien dann eine Samm­lung von his­to­ri­schen Zita­ten, die Chi­nas Anspruch auf die Insel­ge­bie­te bele­gen soll­ten (Chen Tianxi, Xis­hao­dao, Dongshaodaocheng’an hui­bi­an).  Das  Werk wur­de nie über­setzt, kein Wun­der, mit kei­nem der Zita­te läßt sich ein Anspruch recht­fer­ti­gen. Nicht nur chi­ne­si­sche, auch japa­ni­sche, viet­na­me­si­sche, phil­ip­pi­ni­sche, malai­ische und indo­ne­si­sche Fischer, Kauf­leu­te und See­räu­ber tum­mel­ten sich gele­gent­lich im Gewäs­ser um die Inseln.

Wäh­rend der Qing-Zeit (1644 –1911) gehör­ten sie offi­zi­ell zum »äuße­ren Meer«,  auf das kein Hoheits­an­spruch erho­ben wur­de (See­kar­te Qings­h­eng yan­hai tu 1730 bis 1871 auf- gelegt). Im China­Handbuch 1937 –1943 sieht man das Staats­ter­ri­to­ri­um bis zur Tri­ton-Insel der Paracel-Inseln aus­ge­dehnt. Anno 1948 erfolg­te erst­mals for­mal Anspruch auf die Sprat­leys. Kurz­um – der chi­ne­si­sche Anspruch  auf die Inseln, noch dazu die Sprat­leys, 500 See­mei­len von Hainan und nur 200 von den Phil­ip­pi­nen ent­fernt, läßt eine pax sini­ca ver­mu­ten, die auf der frei­wil­li­gen Unter­wer­fung der Anrai­ner­staa­ten beruht. Aber auch im Umgang mit dem Wes­ten geht Chi­na seit Xi Jin­pings Macht­kon­zen­tra­ti­on zuneh­mend auf Konfrontationskurs.

Apro­pos – die »Pax Sini­ca« im Inland stützt sich heu­te in den Städ­ten rasant zuneh­mend auf Gesichts­er­ken­nung (gegen­wär­tig geschätz­te 180 Mil­lio­nen Kame­ras; 2020: 600 Mill.), wäh­rend ein rigi­des Sozi­al­punk­te­sys­tem die »Bür­ger« zwang­haft kon­for­miert (ver­glei­che hier­zu Kai­ser: »Chi­nas neue Klas­se im Zeit­al­ter der Digi­ta­li­sie­rung«, Sezes­si­on 83, April 2018). Tota­li­ta­ris­mus pur!

Als Peti­tes­se sei final ver­merkt, daß selbst eine Phan­tas­ma­go­rie wie die Kennt­lich­keit der Gro­ßen Mau­er vom Mond aus, die rea­li­ter nicht ein­mal mit blo­ßem Auge vom Space­shut­tle zu erspä­hen ist, von Peter Kunt­ze gut­gläu­big wei­ter­ge­tra­gen wird. Die unkri­ti­sche, fak­ten­fer­ne und geschichts­ver­ges­se­ne Über­nah­me von Infor­ma­tio­nen pro­pa­gan­dis­ti­scher Her­kunft und hart­nä­cki­ger Ste­reo­ty­pen lie­fert kein Jota zum bes­se­ren Ver­ständ­nis der VR Chi­na, ihrer Poli­tik und ihrer Bedeu­tung. Von den chi­ne­si­schen Absich­ten und ihren Hin­ter­grün­den wis­sen wir infol­ge der mit enor­mem Auf­wand betrie­be­nen Infor­ma­ti­ons­kon­trol­le und Des­in­for­ma­ti­ons­pro­pa­gan­da heu­te lei­der weit weni­ger Gesi­cher­tes als angenommen.

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Kommentare (1)

Naree

3. Januar 2019 22:13

«Als Petitesse sei final vermerkt, daß selbst eine Phantasmagorie wie die Kenntlichkeit der Großen Mauer vom Mond aus, die realiter nicht einmal mit bloßem Auge vom Spaceshuttle zu erspähen ist, von Peter Kuntze gutgläubig weitergetragen wird.»

Im Ernst? Definiert sich die deutsche Elite nun dadurch, Begriffe zu benutzen, die in den letzten Jahren möglichst selten benutzt werden?

Egal, wie ernsthaft ein Artikel ist und wie ehrliches Interesse ich am Inhalt habe, beim dritten zwanghaft hochintellektuell präsentierten Orchideenwort erreicht das Werk die Respektabilität eines Hohlbein-Romans.