Hierbei handelte es sich innerhalb der Alt-Right jedoch nicht nur um die Frage, von wem man sich distanziert, wie sie auch die Gründungsphase der Identitären Bewegung beherrscht hat.
Eigentlich virulent wurde das Problem erst nach der gescheiterten Kundgebung in Charlottesville. Maßgeblich Interessierte aus Silicon Valley nutzte den Tod der Gegendemonstrantin Heather Heyer durch einen selbst provozierten Autounfall als Vorwand für eine bisher nie dagewesene Welle von Sperrungen. Die Sperrungen, nicht nur von Profilen in den sozialen Medien oder von Zahlungsanbietern, sondern auch von Webhosts, Domainregistrierern und anderen für den Betrieb einer eigenen Internetseite notwendigen Diensten fegte einmal durch alles, was mit dem Label „Alt-Right“ in Verbindung stand.
(In diesem Zusammenhang muß ich einen schweren Irrtum eingestehen. Ich war damals fest davon überzeugt, daß James Fields freigesprochen würde. Vor kurzem wurde er erstinstanzlich wegen Mordes verurteilt, obwohl die Beweislage dafür, daß sein Auto angegriffen wurde, erdrückend ist. Das hier ist von mir. Anderes, weit ausführlicheres Material findet man hier und hier und hier im Stundenformat und man findet noch viel mehr, wenn man sucht. Dies zur Situation in den Staaten.)
In der Folge schlug sich, meines Wissens zum ersten Mal in der Geschichte, die Online-Ökonomie in der Frontstellung innerhalb einer politischen Bewegung nieder. Die Trennlinie verlief nicht zuletzt zwischen denen, die für die Arbeit unter derart erschwerten Bedingungen gerüstet waren und denen, die es nicht waren. Die ersteren konnten sich eine Fortführung des provokanten, aus der Trollkultur gewachsenen Stils erlauben. Die letzteren mußten fürchten auch bei eigener Nichtbeteiligung die Existenzgrundlage zu verlieren.
Die Folgen von Charlottesville trafen zwar den wegen seines rabiaten Boulevardstils exponierten Daily Stormer am härtesten, doch nach einer Odyssee durch ein gutes Dutzend Domainenden ist die Seite stabil online. Der dafür verantwortliche Techniker ist ein Mann namens Andrew Auernheimer aka „Weev“, ein Jahr als Hacker inhaftiert, dann im Revisionsverfahren freigesprochen. Durchgeknallt ist eine vorsichtige Charakterbeschreibung, aber er scheint sehr gut in seinem Job zu sein.
Während der Daily Stormer nach jeder Kündigung innerhalb von Stunden wieder online war, war die von Richard Spencers ehemaligen Kompagnons Collin Liddell und Andy Nowicki betriebene Blogspotseite alternative-right.blogspot.com nach Charlottesville wochenlang vom Netz. Inzwischen haben sich Liddell und Nowicki offiziell von der Alt-Right getrennt und ihre Seite in Affirmative Right umbenannt.
Da der Daily Stormer seit jeher von herkömmlichen Zahlungsanbietern ausgeschlossen ist, wurde das Spendensystem frühzeitig auf Kryptowährungen umgestellt. Der Bitcoinboom machte den Betreiber Andrew Anglin zu einem wohlhabenden Mann.
Zur selben Zeit geriet der Blog cum Verlag für rechtsintellektuelle Literatur Counter-Currents in schwere finanzielle Schwierigkeiten, nachdem PayPal das Konto gekündigt hatte.
Eine dem Daily Stormer vergleichbare Stabilität bewies der Podcastblog „The Right Stuff“ des ehemaligen Webdesigners Mike Peinovich aka Mike Enoch. Während andere noch unter den Schlägen zusammenzuckten, konnte TRS ein stabiles Paywallprogramm für zahlende Zuhörer aufbauen. TRS hat zwar inzwischen seine Hauptshow von „The Daily Shoah“ in „TDS“ (sprich: „tedious“ zu deutsch „langweilig”) umbenannt, ist aber weiterhin dem troll/radikalen Flügel der Alt-Right zuzuordnen.
Während also der Daily Stormer und The Right Stuff gut durch die Post-Charlottsville Krise kamen, mußten andere schwer einstecken. Letztere warfen im vergangenen Jahr vor allem Spencer vor, daß er die Radikalen in die Bewegung geholt habe. (Obwohl hier, wie immer, auch persönliche Fehden ihre Rolle spielten.)
Wobei die Attacken auf Spencer erst dann richtig los gingen, nachdem der Domainregistrierer GoDaddy Spencers eigener Seite „Altright.com“ Anfang Mai diesen Jahres die Registrierung entzogen hatte. Die Stärke einer Führungsfigur hängt heute an einem stabilen Onlineauftritt. Geht der in die Brüche, wittern die Haie Blut.
Alt-Right.com ist meines Wissens nach das einzige dauerhafte Opfer der Post-Charlottesville-Repression. (Wobei die Tatsache, daß Spencer, wie im Oktober bekannt wurde, während dieser wichtigen Zeit im Scheidungskrieg war, auch nicht unwichtig gewesen seien dürfte.) Von diesem Schlag, anders als von dem Hailgate-Vorfall im Winter 2016, hat Spencer sich bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht erholt.
Daß sich mit dem Daily Stormer und TRS gleich zwei Projekte vom radikalen Rand der Alt-Right als besonders zäh erwiesen, ist meiner Meinung nach kein Zufall. Zum einen sind sie durch ihren massentauglichen Stil größer als es ein Intellektuellenblog jemals sein könnte. Aber das ist nicht alles. In beider Umfeld ist auch mehr technisches Können vorhanden, als bei den meisten andern Projekten. Es geht hier nicht darum, „das Internet zu benutzen“. Mit sozialen Medien umgehen, kann jeder lernen.
Es geht hier um Leute, die in der Lage sind Netzrepression zu kontern. Das müssen keine Spitzenprogrammierer sein. Aber wo die Personalauswahl begrenzt ist, ist es nicht so einfach brauchbare Fachkräfte zu bekommen. Technische Fähigkeiten prädeterminieren zwar keine politische Einstellung. Im Durchschnitt sind die informatisch Versierten aber jünger und radikaler als der „Normalrechte“.
In den Vereinigten Staaten erwies sich die Verschärfung der Netzrepression als Selektion zugunsten der radikaleren Elemente. Gleichzeitig spielte die Verwundbarkeit gegenüber solcher Repression eine Rolle dabei, wie sich politische Kräfte innerhalb einer oppositionellen Bewegung positionierten. Wer nur ein User war, konnte sich weniger erlauben als andere. Dabei konnte er von deren Verhalten ohne weiteres mitbetroffen werden.
Im Kleinen wiederholte sich hier etwas, was die New Economy im Großen vormacht. Wer einen Technologievorteil hat, krempelt die Branche um und hängt die Konkurrenten rasend schnell ab.
Der Zwist zwischen verschiedenen Teilen der Alt-Right aufgrund der unterschiedlichen Anfälligkeit für Netzrepression und die damit einhergehende Selektion zugunsten der Radikalen vollzog sich in derselben Zeit, in der die Bewegung eine Antwort auf die Frage finden mußte, wie sie sich nach der Wahl Donald Trumps neu positionieren sollte. Das Zusammenspiel beider Dynamiken erklärt zu großen Teilen ihren zur Zeit so chaotischen Zustand.
MARCEL
Wie so oft: Digitalisierung ist Stärke und Schwäche zugleich, auch für den rechten Widerstand.
Sie eröffnet, bei entsprechender Sachkenntnis, ungeahnte Möglichkeiten, bindet aber auch viel Energie und verführt zur Obsession.
(z.B. Game-süchtige wie IT-fanatische Jugendliche, die ihren Frust einzig im Gaming ausleben, sind nach meiner Erfahrung für nichts anderes mehr zu gebrauchen, geschweige denn zu mobilisieren)
Im Afghanistan-Feldzug der USA kursierte seinerzeit der Spruch: "Low technology beats High technology"
Gibt es noch ein Leben außerhalb der digitalen Binnenwelt?