Die mittlerweile als Online-Zeitschrift firmierende, indirekte Nachfolgerin der linksintellektuellen Weltbühne war Bosselmanns publizistische Heimat, seit er 2013 die Sezession verlassen hatte.
Zuvor hatte sich Bosselmann an verschiedenen Projekten versucht – etwa einen Lyrikverlag gegründet und unter Pseudonym für die Linkspartei-nahe Tageszeitung neues deutschland geschrieben.
Der an den Verhältnissen leidende Kulturkritiker und politische Grenzgänger ist genau dies bis heute geblieben: ein Autor jenseits der Schubladen – nur daß »links« der Mitte graduelle oder gar substantielle Abweichungen längst mit dem Ausschluß beantwortet werden, während sie »rechts« mit der einer pluralen Debatte angemessenen Neugierde beobachtet werden.
Nicht zuletzt aus diesem Grund folgt nun Bosselmanns »Anständiger Punk« zur Dokumentation.
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Eine These vorweg: Die Übungen und Ritualisierungen sowie die immer gleichen Formeln zur fortwährenden „Bewältigung der Vergangenheit“, insbesondere jener des Nationalsozialismus, mögen einen Aufstieg der Rechten eher heraufbeschwören, als dass dies verhindert würde.
Die beständig beschworenen Tabus scheinen in der Weise einer neurotischen Reaktion auf das hinzudeuten, was eben verändert werden wird, obwohl man täglich betont, genau dies dürfe nicht geschehen. Was man sich als unhintergehbar vehement verspricht, wird es nicht gerade wegen der permanenten Beschwörungen hintergangen?
Falls eine „Bewältigung der Vergangenheit“ überhaupt je möglich war oder ist, kann dies sicher nicht in erstarrten Liturgien geschehen. Allerdings geschieht es genau so. Vermutlich ist das, wenn man es schon wünscht, kaum anders möglich, insofern Erinnerungen, ebenso aber fundierte geschichtliche Kenntnisse wegbrechen.
Zeitzeugen sterben leider, während die Schule zwar auf politische Kampagnen, aber zu wenig auf ein übergreifende Zusammenhänge aufzeigendes Geschichtsbild setzt. Sie betreibt allzu oft wieder politisch korrekten Staatsbürgerkundeunterricht.
Man frage bei guter Gelegenheit Heranwachsende etwa danach, was denn Juden eigentlich seien, was deren Schicksal ausmache und wie sich Schüler, gar Abiturienten Konflikte erklären, in denen der Staat Israel bislang couragiert und streitbar besteht.
Oder man suche das Gespräch darüber, was Zuschreibungen wie „rechts“ und „links“ nun genau aussagen, wer genau „die Nazis“ gewesen seien und vor welchem Hintergrund sie die deutsche Geschichte mit Gräuel und Schuld beluden. Im Gegensatz zu dem, was die Funktionäre für politische Bildung sich diesbezüglich erwarten, wird man wenig Substantielles, aber, wenn überhaupt, eine Menge Unklares und Emotionales hören.
Ein Problem dabei: Es geht – nicht nur in der Schule – wieder mal viel mehr um Bekenntnisse als um Erkenntnisse. Bekenntnisse werden von Autoritäten eingefordert, Erkenntnisse in gut abzusichernder und ernsthafter Lernarbeit und durch gründliches Studium errungen.
Dies allein ermöglicht genaue Positionierungen und so qualifizierte wie differenzierte Urteile. Gegenwärtig wird zu viel geurteilt bei zu wenig Kenntnis. Gymnasiasten wissen gegenwärtig eher, was der Lehrer hören will, als dass sie darzustellen verstünden, wie es sich damit nun geschichtlich und gar philosophisch genau verhält.
Ebenso wie im DDR-Bildungssystem reicht es für die sehr gute Note meist aus, politisch Angepasstes zu formulieren. Glauben ist nicht Wissen, aber Bekenntnisse fallen leichter als Erkenntnisse.
Wer ist eigentlich der „aufrechte Demokrat“, von dem immerfort die Rede ist, wer und was ist „weltoffen“, „tolerant“, „solidarisch“? Auch diesbezüglich geht es eher um gedankenarme Zustimmung als um eine bewusste Leistung im Sinne eines vernünftig geprüften guten Handelns.
Wer „gegen rechts“ ist, weiß hinter sich „die Mitte“, „die Anständigen“, die gesamte Exekutive, Judikative und den allergrößten Teil der Legislative versammelt, abgesehen von der mit viel Theater geschmähten AfD-Fraktion.
Was gibt es da noch für einen Mut zu beweisen, wenn von der Antifa bis Frau Merkel und Herrn Seehofer alle „gegen Rechts“ Front machen und allzu infantil betonen „Wir sind mehr!“? Nein, dazu bedarf es eben keines Mutes!
Dass sie von den feigen Schlägern und Internet-Denunzianten der Antifa bis hin zur CSU wieder mal in einer Einheitsfront versammelt ist, irritiert namentlich die Linke. Sie wollte zwar nie ihren Frieden mit dem Kapitalismus machen, tat es aber nun doch, indem sie ihn als Demokratie hochhält, selbst ganz gern gut verdient, schön shoppen geht und dabei ahnt, dass diese Demokratie nichts anderes ist als der simple Utilitarismus einer auf Kosten globalisierter Ausbeutung recht gut funktionierenden Versorgungsgemeinschaft.
Weil man von dieser schicke Form der Ausbeutung von Menschen und Ressourcen zum Nutze des eigenen Hedonismus völlig korrumpiert ist und nun glücklicherweise keine anstrengende oder gar opferreiche Revolution mehr nötig hat, bedarf es umso mehr der Legende, ganz akut von Nazis bedroht zu sein, damit der eigenen feisten Daseinsbequemlichkeit doch noch eine heroische Weihe und die Attribute des Kampfes zukommen.
Dazu scheint es mittlerweile auszureichen, wenn man vor der Bühne von „Feine Sahne Fischfilet“ zu Monchis Auftritten abzappelt. Das ist dann ja wohl „gegen Rechts“. Wie armselig!
Eine randständige vorpommersche Combo von musikalisch dilettierenden Möchtegern-Punks, die nicht mal in der Punk-Szene eine echte Nummer ist, weil sich Punks nach ureigenstem Selbstverständnis nun mal nicht staatlich vereinnahmen und propagandistisch vor den Karren spannen und politisch ausschlachten lassen, wird zum Symbol des selbsterklärt aufrechten, weltoffenen, toleranten und mit der Welt solidarischen Demokraten, mithin zum Kultobjekt des Neu-Bourgeois‘, der sich für eine Konzertlänge mal als revoluzzender Citoyen gerieren darf – möglichst vor der Kulisse solcher Kulturinstitutionen wie dem Bauhaus Dessau, das sich zur Recht gegen seine Vereinnahmung wehrte, wodurch es sich sofort und unweigerlich des Vorwurfes ausgesetzt sah, „gegen Rechts eingeknickt“ zu sein.
Sogleich erbot sich das GEZ-finanzierte ZDF, den Auftritt der Grölfatze ganz groß aufzuziehen und zu moderieren, was dann sogar auf 3sat ausgestrahlt wurde, mithin über einen Sender, der mal als Adresse hohen kulturellen Anspruchsniveaus gelten konnte.
Statt Opern- oder Theater-Abfilmungen, statt intellektueller Essayistik jetzt also „Feine Sahne Fischfilet“. Mit Monchi. Weil das ja Zeichen setzt. Gegen Rechts! Klar. Weil die sich sonst eben schlecht setzen lassen. Mehr braucht Haltung gerade nicht. Deswegen machen recht bequem recht viele mit.
Und das soll Courage sein? Was riskiert man denn? Überhaupt nichts. Man riskiert aber bereits etwas, wenn man nur darüber nachdenkt und Vorbehalte äußert. Das „Märchen von des Kaisers neuen Kleidern“ ist wirklich ein Mythos, der nicht zuletzt für Lebenslügen im Politischen stehen mag.
Wir laufen auf der kaiserlichen Prozession gegen Rechts dem Moment entgegen, an dem das Kind laut ausspricht, dass der Kaiser doch gar nichts an hat, dass er nackt ist.
Dieser Augenblick ist freilich schockierend, aber ermöglicht die entkrampfende Erlösung und die Orientierung auf das, was wirklich geboten ist, etwa die intelligente Kritik politischen Zeichen- und Sprachgebrauchs.
Andreas Walter
Bis auf einen Satz ein klasse Beitrag.