Mit Rechten lesen: mit Wendt über Houellebeq und Leo

Nach längerer Pause ist nun auf dem Youtube-Kanal von BuchHaus Loschwitz die sechste Folge

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

der Rei­he “Auf­ge­blät­tert. Zuge­schla­gen – Mit Rech­ten lesen” zu sehen.

Dies­mal debat­tie­ren Ellen Kositza und Susan­ne Dagen mit Alex­an­der Wendt; bis­he­ri­ge Gäs­te waren Caro­li­ne Som­mer­feld, Mat­thi­as Matus­sek, Sophie Lieb­nitz, Vera Lengs­feld und mei­ne Wenigkeit.

Sowohl aus der Zuhö­rer- als auch Teil­neh­mer­per­spek­ti­ve hat mir das “lite­ra­ri­sche Trio” bis­her viel Freu­de berei­tet. Der beson­de­re Reiz an der aktu­el­len Fol­ge ist der zum Teil recht schrof­fe Dis­sens zwi­schen Wendt, Dagen und Kositza was die Qua­li­tät der vor­ge­stell­ten Bücher betrifft. Das Urteil, was gute Lite­ra­tur (oder Kunst gene­rell) ist und was nicht, fällt mit­un­ter auch bei jenen nicht ganz ein­deu­tig aus, die viel lesen, wis­sen, ken­nen, und ihren Geschmack lan­ge gebil­det haben.

Mich selbst frap­piert es immer wie­der zuver­läs­sig, wenn jemand die Evi­denz des objek­tiv Geglück­ten oder Miß­glück­ten nicht zu sehen ver­mag – oder, wie ich wohl rela­ti­vie­rend und para­dox sagen soll­te, des aus mei­ner Sicht objek­tiv Geglück­ten oder Miß­glück­ten, aber ich tue es nicht, weil an einem sol­chen Punkt jedes Ver­gnü­gen am Streit um künst­le­ri­sche und lite­ra­ri­sche Fra­gen ver­lo­ren geht. Am Ende ringt man hier doch immer um das Ver­hält­nis zwi­schen dem Guten, Wah­ren und Schö­nen, also um die letz­ten, wich­ti­gen Din­ge, auch wenn man weiß, daß man nie ans Ende kom­men und nur ein Frag­ment der Wahr­heit ergrei­fen wird.

Gleich im ers­ten Teil der neu­en Fol­ge wird hef­tig und ohne Grau­zo­nen gestrit­ten: Ellen Kositza fin­det Chris­ti­an Dittl­offs Debüt­ro­man Das wei­ße Schloss so rich­tig, rich­tig gut, wäh­rend Dagen und Wendt ihn so rich­tig, rich­tig schlecht fin­den, letz­te­rer schon allein aus hand­werk­li­chen Grün­den. Als Bei­spiel zitiert er aus einer Sex­sze­ne, in der er etli­che Meta­phern als unpas­send bean­stan­det. Mir erschien es jeden­falls ein­leuch­tend, daß (wol­lus­tdurch­schau­er­te) Kör­per nicht wie Kar­ten­häu­ser einstürzen.

Um Sex­sze­nen, ins­be­son­de­re das Über­maß dar­an, geht es auch in der Dis­kus­si­on von Michel Hou­el­le­becqs neu­em Roman Sero­to­nin. Spä­tes­tens seit Unter­wer­fung wird Hou­el­le­becq von etli­chen Kri­ti­kern als (Neu-)Rechter oder min­des­tens Nicht-Lin­ker iden­ti­fi­ziert. Dar­an hat­te ich, von Defi­ni­ti­ons­fra­gen mal abge­se­hen, schon seit der Lek­tü­re von Aus­wei­tung der Kampf­zo­ne (das muß wohl im Jahr 2000 gewe­sen sein) kei­nen Zweifel.

Anders als Susan­ne Dagen emp­fand ich die Ver­fil­mung von Ele­men­tar­teil­chen durch Oskar Roeh­ler (der mit Thor Kun­kel erneut einen rechts­af­fi­nen Autor ver­filmt hat) alles ande­res als “kon­ge­ni­al”. 2006 schrieb ich in der Jun­gen Frei­heit einen gesal­ze­nen Ver­riß, der mir im Nach­hin­ein etwas unge­recht erscheint – aber um das zu beur­teil­ten, müß­te ich den Film wohl noch­mal sehen. Etli­che Sze­nen sind noch nach Jah­ren bei mir hän­gen­ge­blie­ben, also war viel­leicht doch mehr dran, als ich damals erken­nen konnte.

Als drit­tes Buch hat Alex­an­der Wendt einen inzwi­schen schon etwas ange­staub­ten Hut aus der Bücher­kis­te her­vor­ge­holt: Mit Rech­ten reden, erschie­nen im Okto­ber 2017, das vor­wie­gend aus der Feder von Per Leo stammt, ver­se­hen mit einem klapp­ri­gen theo­re­ti­schen Rück­grat von Dani­el-Pas­cal Zorn, des­sen 15 Minu­ten Blen­der­ruhm all­mäh­lich ver­stri­chen sind. Es hat mich ein wenig ent­täuscht, daß Wendt auf die­ses Buch all­zu sehr her­ein­ge­fal­len ist.

Es liest sich nur dann schlau, wenn man nicht selbst der Adres­sat ist und die gan­zen Schu­he um die Ohren geschmis­sen bekommt, die man sich nach Ansicht der Autoren anzie­hen soll, zumal, wenn es mit ihrer Red­lich­keit der Dar­stel­lung nicht all­zu weit her ist. Und wie Susan­ne Dagen betont, drückt sich die­ser als “Leit­fa­den” getarn­te Knäu­el­sa­lat vor einer eigent­li­chen inhalt­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung. Ich habe dar­auf in epi­scher Brei­te geant­wor­tet, aber Leo (und Zorn) zogen es vor, wie Brumm­krei­sel um die eige­ne Ach­se zu rotie­ren. Sie wer­den immer noch, auch von Wendt, für Ansprü­che gelobt, die sie weder ein­lö­sen kön­nen noch wollen.

Ich kann Wendt auch nur ein­ge­schränkt zustim­men, daß ein Autor, der etwas von sich hält, eitel sein müs­se. Er selbst viel­leicht schon, um die Dreis­tig­keit auf­brin­gen zu kön­nen, er habe der Welt etwas zu sagen, was sie noch nicht oder so noch nicht gehört hat, aber sei­ne Pro­sa soll­te es nicht sein.

Wendt selbst ist frei­lich ein fein­sin­ni­ger Autor von Rang – sein jüngs­tes Buch Kris­tall, eine “Rei­se in die Dro­gen­welt des 21. Jahr­hun­derts” kann man hier bestellen.

Aber nun zur 6. Fol­ge des Lite­ra­ri­schen Tri­os selbst:

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (42)

Michael B.

1. Februar 2019 09:54

> Ich kann Wendt auch nur eingeschränkt zustimmen, daß ein Autor, der etwas von sich hält, eitel sein müsse

So, hat er das gesagt? Mich hat er in seinem damals neuen Publico erst einmal im Kommentar gesperrt, als ich ueber seinen Freund Klonovsky meinte, dass der "vor Eitelkeit spritzt" (gut, ich hatte noch mehr geaeussert, aber durchaus in Abwaegung zu K.-s anerkennenswerten Faehigkeiten).

Franz Bettinger

1. Februar 2019 10:50

Eitelkeit? Die ist das übertriebene Bemühen um die eigene Attraktivität. Also etwas Negatives. Ein Autor, "der etwas auf sich hält", muss eitel sein? Mir egal. Mir geht es eh um gute (!) Autoren. Das ist eine andere Kategorie. Egal, was die von sich halten. Es gibt sehr gute Autoren, die sich und ihr Werk selbst unterschätzen. Schade um die Selbstqual dieser Autoren. Aber auf das Werk kommt es an. Nur auf das Werk!

RMH

1. Februar 2019 12:06

Nette Runde, wer braucht da noch ein literarisches Quartett?

Was ich aber überhaupt nicht nachvollziehen kann ist, dass man sich von den recht oft in den Werken von Houellebecq vorkommenden pornografischen Szenen derart triggern lässt, dass man darüber die eigentlichen Kernaussagen des Autors aus dem Blick verliert bzw. in den Hintergrund stellt. Und das gerade bei einem Buch wie "Serotonin", wo es vergleichsweise sehr wenig derartiger Stellen gibt. Kositza hat recht, wenn sie diese Stellen deutlich und korrekterweise als Pornografie bezeichnet, aber so what? Das Buch insgesamt ist deswegen noch lange nicht "pornografisch". Das halbe Internet ist Pornografie und sie prägt die Vorstellungen der heutigen Menschen wie kaum etwas anderes, daher darf zeitgenössische Literatur sich auch der Pornografie bedienen, wenn sie die aktuelle Wirklichkeit abbilden will. Und, wie bereits geschrieben, gerade bei Serotonin sind diese Stellen eher gering vorhanden (kein Wunder, verliert der Protagonist doch seine Potenz) und dienen auch der eminent wichtigen Darstellung in Abgrenzung zu den Büchern "Ausweitung der Kampfzone" und "Elementarteilchen", dass es sich bei dem Protagonisten eben nicht um ein "Omega-Tier", einen "Loser" handelt sondern um jemanden, der eigentlich alles hat, was die "Moderne" als sinnstiftend und glücksverheißend propagiert, er stammt aus keinen zerrütteten Verhältnissen, hat eine gute Ausbildung, einen gut bezahlten job, ein nettes kleines Vermögen geerbt und ein Liebes- und Sexleben mit den Ausschweifungen, die heutzutage eben - siehe Porno - "Standard" sind und dennoch ist er mit bereits Mitte Vierzig komplett am Ende und muss regelmäßig eine Pille schlucken, damit er sich überhaupt noch wäscht, die geringsten Lebensstandards aufrechterhalten kann und nicht komplett verwahrlost. Das ist übrigens die nicht zu unterschlagende Ausgangslage am Beginn des Romans und erst dann kommt quasi der "Ausstieg" und alles weitere.

Moderne Welt? Am Ende, am A...!

Das ist wieder einmal eine Kernaussage von Houellebecq.

Und um den Dreien (und allen, die evtl. noch nie etwas von dem Autor gelesen haben) aus dem Literaturblog gleich einmal oberlehrerhaft etwas zur Houellebecq- Rezeption mit auf den Weg zu geben:

Um Houellebecq einordnen zu können, sollte man wissen, dass Houellebecq vor seinem ersten Roman quasi eine Art von "Allgemeinen Teil" geschrieben hat, der allen seinen Romanen vorausgeht und der aber zur Interpretation aller seiner Romane heranzuziehen ist. Houellebecq operierte hier fast schon wie ein juristischer Gesetzgeber, der bei längeren Kodizes eben einen allgemeinen Teil voranstellt, bevor in die Spezialregelungen geht. Dieser "allgemeine Teil" ist das Essay über H.P. Lovecraft, "Gegen die Welt, gegen das Leben: H. P. Lovecraft."

Auch in "Serotonin" findet man deutliche Bezüge zu diesem frühen Essay, bspw. in der Schilderung von Paris und in der Schilderung der New York - Phase von Lovecraft im entsprechenden Essay. Überhaupt: Der Ekel Lovecrafts vor eben jener modernen Welt wird in Serotonin erneut aufgearbeitet.

Von daher: Bitte diesen Essay lesen und in Ergänzung dazu ggf. auch noch die Sammlung von Houellebecq- Schriften "Die Welt als Supermarkt" (beide Bücher sind auch 100% "Pornofrei"). Man liest die Romane von Houellebecq danach mit einem ganz anderem Verständnis.

Im Übrigen gebe ich Frau Dagen recht. Houellebecq hat zum Auftakt des Jahres gleich einmal eine richtige Bank abgeliefert - da muss noch einiges kommen, um ihm den Titel "Buch des Jahres" streitig machen zu können. Klar, es ist jetzt nicht der jedem sofort einleuchtende tagespolitische Brenner, wie er Houellebecq mit "Unterwerfung" oder mit "Plattform" gelungen war, aber dennoch ist es das Thema des 20. Jhdts. und auch des 21. Jhdts.:

"We struggle for the joy"

"But what ends, when the symbols shatter?"

Lied und Text von Douglas Pearce, aka "Death in June" könnten der Soundtrack zum aktuellen Werk "Serotonin" von Houellebecq sein.

Auch von mir daher eine klare Kauf- und Leseempfehlung!

PS: Die besten "Verfilmungen" von Houellebecqs Werken sind m.M.n. "Ausweitung der Kampfzone"(auch wenn der Film ein anderes Ende als das Buch hat) und dann - mit Abstand - recht aktuell "Unterwerfung".

Brettenbacher

1. Februar 2019 12:22

Verbissenheit und Literatur sollten sich eigentlich ausschließen. Und also sollten Gespräche über Literatur auch nie verbissen geführt werden.
Lange Weile sät. Rasanz mäht.

Laurenz

1. Februar 2019 16:09

Mit Literatur habe ich seltener zu tun, auch wenn ich zB "Ausweitung der Kampfzone" irgendwann mal gelesen habe. Mein Herz schlägt für die Musik. Trotzdem habe ich mir den Artikel von Herrn Lichtmesz durchgelesen.

Zitat - Ich kann Wendt auch nur eingeschränkt zustimmen, daß ein Autor, der etwas von sich hält, eitel sein müsse. - Zitatende

Das ist doch ein wunderbares Wort zum Freitag, der beste Brüller in 2019 bisher, sozusagen.
Selbst Sprichworte bleiben einem da im Halse stecken. Auch der Teufel und der Beelzebub werden hier in keiner Weise der Absatz-Komik gerecht.
Wenn die Linke schon seit mehr als 3.000 Jahren an Heliosis, Geschlechterwahn, Kinderschänderei, totalitärem Irrsinn, Vaterlandslosigkeit etc. leidet, sind die Rechten mindestens schon ebenso lange dem (föderalen) Narzißmus verfallen.
Mein Umgang mit Rechten (mehrheitlich Nicht-, aber Auch-Autoren) seit 1992 veranlaßte mich, irgendwann die Werke von Heinz-Peter Röhr zu lesen. Ohne Herrn Röhr etwas unterstellen zu wollen, hat Er wohl das Rechts-Sein oder besser das "deutsch sein", also auch profane Eitelkeit per se zum therapeutischen Beruf gemacht.
Wenn der Germane, im Gegensatz zum Kelten, noch jeden 2ten Tag nutzte um den widerborstigen Nachbarn schlicht auf dem Acker Erkenntnis zu prügeln, baute er als Freier und Erst-Reichsbürger im Mittelalter schon über 20.000 Burgen, eine schöner als die andere. Und um es auf die Spitze zu treiben, baute der deutsche Adel in der Zeit der deutschen Romantik auch noch "nutzlose" Burgen, (wie die aktuelle Schloßdebatte der Welfen zeigt), während Mio. armer Bürger nach den napoleonischen Kriegen aus Verzweiflung auswanderten. Die ideale Wohnstatt für eitle Literaten siehe hier https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Lichtenstein_(W%C3%BCrttemberg) ...

ML: Was Eitelkeit und Narzißmus angeht, so scheinen Sie mit diesen Dingen auch nicht gerade unvertraut zu sein.

Niekisch

1. Februar 2019 18:35

Demnächst einmal "Warum schweigen die Lämmer? von Rainer Mausfeld?

Monika

1. Februar 2019 19:09

bei Rechten lesen - ich überfliege das Format etwas zu schnell:
bei Wendt dachte ich zunächst an den gleichnamigen Polizisten, nicht an den Drogenbaron. War das nicht Ernst Jünger ?
Und wie Frau Dagen diesen unaussprechlichen Namen hinhaucht: - Houellebecq - ... das muss man erst mal können !
Sexszenen in Romanen mag ich überhaupt nicht ! Da bin ich ganz bei Peter Handke, der das auch nicht mag. Peinlich, zum Schämen, beklemmend. Auch Klonowsky überliest diese Stellen, um zu den die Zeit überdauernden Sätzen zu gelangen. Aber lohnt es sich wirklich, das Buch zu kaufen, um die paar genialen Sätze über die Ödnis des Individuums in der liberalen Gesellschaft zu finden ? Auch wenn man täglich um das Wahre, Gute, Schöne ringt ? Mit zunehmendem Alter greift man dann eher zur Bibel oder zu Marc Aurels Selbstbetrachtungen. Nichts neues unter der Sonne. Auch nicht beim Sex. In den Romanen Tolstois taucht nicht mal das Wort auf. Da geht es um Fleischeslust und Hingabe.
Da erschauern schon die Worte. Kartenhäuser dagegen baut man in Kneipen beim Zechen....die dann einfallen.
einen Houellebecq mag man sich mit einer einfallenden Asiatin nicht vorstellen. Auch keinen Gerhard Schröter. Überhaupt die Altherrenphantasien...
Wie der alternde Czelaw Milosz allerdings die Nackenlinie einer zwanzigjährigen Studentin beschreibt, das ist unübertrefflich !
Oder heißt es unübertroffen ?
Ach ja, da ist noch dieser Pelzkragen, der an ein Photo von Lou Andreas Salomé erinnert. Die hat vielleicht schon von Sex gesprochen, als sie Rilke nachstellte ? Auch irgendwie verklemmt.
Das Buch zur weiblichen Erotik kommt immer noch von Anaïs Nin...
eigentlich fehlt ein weiblicher Houellebecq - dieses Buch würde ich kaufen. Und das handelt gewiß nicht von Feuchtgebieten.

micfra

1. Februar 2019 23:28

Ich habe noch bei keiner Sendung (sagt man das so bei diesem Format?), soviel gelacht, wie bei dieser und stimme Herrn Lichtmesz ansonsten in seinem Urteil voll und ganz zu. Mir haben die Unstimmigkeiten sehr gefallen und fand sie köstlich, besonders die Streitlust von Ellen Kositza hat mich sehr amüsiert. Ich bin ein großer Fan dieses Formats und schaue mir jedes Video an. Enttäuscht war ich am Ende von allen Buchvorstellungen. Mit rechten Reden, ein alter Hut, die anderen beiden Büchern sind mir zu anzüglich und hier habe ich mich doch über den Geschmack von Frau Kositza gewundert. Und das ein weiblicher Körper bei sexueller Erregung wie ein Kartenhaus zusammenfallen soll, tat schon beim Vorlesen merklich weh.

LotNemez

2. Februar 2019 00:12

Portraitiert Houellebecq in seinen Romanen eine entwurzelte Elite mittels überzeichnet sexsüchtiger Figuren oder ist er ein an seiner maßlosen Geilheit leidender Autor, der nicht anders kann, als dies einfach in seinen Romanen immer und immer wieder neu zu verarbeiten? Wir wissen es nicht, er behält sein Privatleben ja für sich. Das allein schon ein Skandal für einen so berühmten Autor, der sollte doch allen gehören, Volkseigentum sein.

Im Ernst: Das eine schließt ja das andere nicht aus. Auch wenn der welschländische Roman gar nicht ohne eine ordentliche Portion Pornografie auszukommen scheint - für mich ist es offensichtlich, dass H. ein Mensch ist, für den Sex auch im realen Leben eine extrem wichtige Rolle spielt. Gleichzeitig ist er ein Autor, der sich in seinen Werken bis zur Schmerzgrenze selbst auf die Schippe nimmt bzw. mit dem eigenen Bild in der Öffentlichkeit spielt (Karte und Gebiet). Ein Autor hält sich selbst für wichtig genug, um in seinem eigenen Roman thematisiert zu werden - ist das eitel oder genial oder beides? Und er zeichnet seine Hauptfiguren eben auch immer wieder als diese finanziell abgesicherten Anywhere-Protagonisten, deren Leben durch wechselnde Partnerschaften, das Fehlen eines Familienlebens, keine festen Standpunkte und ein gleichgültiges bis opportunistisches Verhältnis zu Politik und Gesellschaft bestimmt ist.
Es also ist echte Pornobesessenheit der Person H. UND Überzeichnung der eigenen Klasse im Roman.

Ob H. die japanische Ex des Erzählers neben Gangbangszenen mit Afrikanern und Arabern nun wirklich ein Schmuddelfilmchen mit Hundeprotagonisten (ein Dobermann und ein Bullterrier glaube ich) drehen lassen musste, dass der Erzähler dann auf ihrem Rechner findet und detailliert beschreibt, um dann festzustellen, dass der Streifen während einer Dienstreise in seiner Wohnung aufgenommen wurde... zugegeben, es war kein Genuss, das zu lesen, aber das ist dann wohl die Antwort auf diejenigen, die ihm die Überzeichnung als Stilmittel nicht abnehmen und behaupten, er würde dort lediglich seine Vorlieben verarbeiten. H. hasst ja erklärtermaßen das frz. Feuilleton und wer kann es ihm verdenken.

Eine Anmerkung zur Form des Formats "Mit Rechten lesen" Frau Dagen mit ihrer egozentrischen Art und Weise, anderen ins Wort zu fallen... das ist - wie sage ich es stilistisch nur etwas überzeichnet - teilweise schwerer zu ertragen, als Schilderungen von Hundesexpornos zu lesen. Wie kann einem die Meinung des bewusst gewählten Gesprächspartners nur so egal sein? Und eine derart eloquente und belesene Frau weiß nicht, was ein High Five ist? Das ist eine Farce.

Laurenz

2. Februar 2019 04:19

@ML ... Sie haben vollkommen Recht. Da ich für Kameraden, Freunde und Bekannte nicht wirklich Verantwortung übernehmen kann, sondern nur für mich selbst, begann ich nach einem Autoren zu suchen, der einen diesbezüglich weiter bringt. Heinz-Peter Röhr nutzt unter anderem deutsche Märchen um beispielhaft Narzißmus aufzuzeigen oder zu erklären. (Hellinger-Aufsteller arbeiten auch gerne mit deutschen Märchen). Man kann zur Betroffenheit ruhig stehen, und seit ich das weiß, kann ich Konflikte, besonders die im Netz, besser einschätzen.
Aber ich darf mich doch trotzdem amüsieren. Es war jedenfalls nicht (!) meine Absicht, besprochene Autoren, noch den Artikel ins Lächerliche zu ziehen. Unser (charakterlicher) Föderalismus hat eindeutig Vor- und Nachteile, ob nun Kreativität auf der einen Seite oder Nibelungentreue auf der anderen -. Haben Sie Sich noch nie gekugelt, wenn ausgesprochene Linke in vollem Bewußtsein, das eigene deutsche Sein hassend, verleugnend, vom typischen Sendungsbewußtsein unseres Schlags getragen, die Welt bekehren und retten wollen? So viele Kanonenboote, wie nötig wären, um den Planeten mit links zu erlösen, hat es noch nie gegeben......
Ich wollte auch nicht, daß Sie das Zitat nicht geschrieben hätten, zeigt es doch in Ihnen Selbst unsere explizite Eigenart, auf die jeder von uns stolz sein darf und kann.

ML: Verstehe zwar kein Wort, aber paßt scho'.;-)

Franz Bettinger

2. Februar 2019 09:13

In jeder Hinsicht richtig gut von Michel Houellebecq fand ich nur den Roman 'Plattform'. Es handelt sich um eine Neu- und Positiv-Bewertung des Themas Sextourismus. Amüsant, spannend, argumentativ überzeugend, nicht ohne Prophetie und mit politischem Fingerzeig.

Übrigens finde ich den Kartenhaus-Vergleich gar nicht so schlecht. Habt ihr alle keine Fantasie? Ein Kartenhaus wird mit Fingerspitzengefühl aufgebaut und fällt, wenn man es an der richtigen falschen Stelle berührt, in sich zusammen wie eine Frau beim Orgasmus. Got it?

Monika

2. Februar 2019 09:23

@Lotnemez
ich finde es sehr, sehr sympathisch, daß Frau Dagen nicht weiß, was ein High Five ist . Dazu muß man sehr belesen sein. Nur eine Leseratte kann den ganzen Schund um sich herum vergessen.
Ein High five finde ich noch schlimmer als einen Dutt bei einem Mann.
Nicht zu vergessen : einen weiblichen Houellebecq kann es eigentlich nicht geben : eine Mischung aus Charlotte Roche und Sybille Berg oder so....grauenvoll
das heißt : einem Mann verzeiht man doch mehr als einer Frau...

Franz Bettinger

2. Februar 2019 10:35

Physiologisch passiert beim Orgasmus von Mann oder Frau die plötzliche Umschaltung des autonomen Nerven-Systems vom para-sympathischen (mit Symptomen wie einem eher langsamen Puls) zum (ortho-) sympathischen Modus (Herzrasen). Dies kann so abrupt erfolgen, dass man (bekannter aber: die Frau) ohnmächtig wird und wie ein Kartenhaus zusammenfällt. - Gestorben scheint noch niemand daran, obwohl es Todesfälle beim Sex gibt.

t.gygax

2. Februar 2019 10:45

"Sexszenen in Romanen"? Wer braucht das Zeug, wer liest das Zeug, wer druckt das Zeug...frei nach Erwin Chargaff zitiert.

Es geht auch besser, hier ein Beispiel.

"Sie hatten es sehr gemütlich beim Kaffee. In der Nacht lag er wach und war gierig nach ihr und bekam sie . (...) Sie ging nie wieder fort. Inger hieß sie, Isak hieß er."

Hamsun, Segen der Erde

Kommentar eines Lesers, Physiker an einer Forschungseinrichtung in Karlsruhe, mit dem ich mich über Sylvia Kristels Interpretation von Dagny aus "Mysterien" unterhalten hatte, zu diesem Textauszug:
"Das reicht für unsere Phantasie, mehr muss es nicht sein".
Der Mann hat recht.
Nebenbei: diese ganzen pornographischen Schriftsteller- so dünket mir jedenfalls- bewältigen wohl eigene Probleme.

Henry Miller wirkt wie ein umgekippter Puritaner, und Houellebeck...na, lassen wir das.

RMH

2. Februar 2019 12:35

Ich möchte der (neuen) Rechten doch dringend empfehlen, statt nur Marx von rechts zu lesen, doch auch einmal das Thema Sex und Psychoanalyse von rechts aus anzugehen (ich bin mir aber sicher, dass viele diese Themen auch drauf haben - G.G. bspw.). Die ganze "Counter-Culture", das ganze linke und kulturmarxistische Denken des 20. und 21. Jhdts. basiert mitnichten nur auf Marx und seinen materialistischen Anhänger und Epigonen, sondern eben vor allem auch auf den Klassikern der Tiefenpsychologie, beginnend bei Freud und (noch lange nicht) endend bei W. Reich. Sex im linken Denken ist nicht nur Revolution und Dekonstruktion (bspw. von Familien), nein, er suggeriert ganz chiliastisch auch ein Erlösungsversprechen auf Erden, so wie Marx auch ein Erlösungsversprechen (klassenlose Gesellschaft) gibt. Mit Sex wird die Auflösung libidinöser Störungen, die als Ursache von Neurosen und psychischer Störungen aller Art nach diesen Denkrichtungen angesehen werden, versprochen. Im Sex liegt quasi "Heilung" – des Individuums und damit auch der Gesellschaft. Sex wird als fast unerschöpfliche Energiequelle gesehen (Achtung, hier kann es jetzt dann auch sehr schnell Überschneidungen zum Esoterischen und dann auch zum Okkult-Magischen geben – aber auch diese Denkrichtungen sollte man als "Rechter" ansatzweise drauf haben, wenn man den linken Komplex, zum dem auch derartiges zählt, begreifen will).

Betracht man die Orgasmus-Theorie von W. Reich und dessen Ansichten gerade zum genitalen Orgasmus, dann erklären sich Schilderungen, wie die Passagen des Glücksversprechens in „Serotonin“ von "Schwanz" und "Muschi", wie sie der Protagonist schon fast delirierend wiedergibt, von alleine. Da ist allenfalls nur die Form "Porno", der Inhalt ist mehr oder weniger W. Reich und linke Orgasmus- und Glückstheorie, auch wenn M.H. hier bei der "delirierenden" Suada seines Protagonisten in "Serotonin" eine fast schon ketzerische Beschränkung auf eine Form von quasi-monogamer Sex-"Experience" (1 Muschi für den Schwanz des Mannes) vornimmt (er ist halt eben doch ein „Rechter“).

Mit M. Houellebecq tritt uns eben gerade kein Sexbesessener oder "Pornobesessener" (klar hat er vermutlich Pornos gesehen, um das so beschreiben zu können, wie er es macht, aber "Besessen"? Geht´s nicht auch ne Nummer kleiner?) gegenüber, sondern einer der letzten, wirklich ernsthaft auch umfassend theoretisch geschulter Autoren, der die Linke, bzw. das "Moderne" wirklich detailliert kennt (dazu zählt Sex, siehe oben) und für seine Romane nutzt.

Es ist ein bezeichnendes Charakteristikum unserer Zeit, dass seit Jahrzehnten, im Gegensatz zum Beginn des 20. Jhdts., psychische Erkrankungen fast nur noch pharmakologisch und nicht mehr therapeutisch behandelt werden. Der Protagonist des Romans Serotonin wird glasklar als psychisch erkrankt im klinischen Sinne dargestellt. Wie kann man hier auf die Idee kommen, es handele sich nur um einen reichen Erben und Parvenü, der eben an seiner eigenen Dekadenz leidet? M.H. schildert im Roman lupenreine klinische Diagnose-Kriterien (wäscht sich nicht mehr etc.) für eine psychische Erkrankung. Diese wird eben nicht mehr durch klassische Analyse ("Seelenzergliederung") angegangen, sondern, wie in den modernen westlichen Gesellschaften allerspätestens seit "Prozac" üblich, pharmakologisch. Der Roman selber stellt dann auch – als eine der vielen Schichten, die er enthält – die Selbstanalyse und den Versuch der Selbsttherapie des Helden dar.

Das dies alles am Ende „links“ ist, wird auch an der Schlusspassage überdeutlich, in der Houellebecq eine der Marxschen Thesen zu Feuerbach abwandelt und sagt, dass die kleine, ovale Tablette eben die Welt nur interpretiert, aber nicht verändert.

Wenn man die Schilderungen Houellebecqs in seinem Essay zu Lovecraft, in dem er Lovecrafts mehr oder weniger vorhandenen Ekel vor körperlichen Vereinigungen, auch vor Sex, darstellt und es als kleines Wunder bezeichnet, dass Lovecraft sogar eine Ehe möglich war (die dann aber auch scheiterte), ist es mitnichten klar, dass es sich bei Houellebecq um einen kleinen, gallischen Sexmaniac zwingend handeln muss. Nein, Houellebecq ist ein Angriff gegen das moderne Leben und damit auch gegen dessen „sexual healing“ Versprechen.

„Dem Leben in all seinen Formen eine Alternative zu bieten, eine ständige Opposition gegenüber dem Leben, eine ständige Zuflucht vor dem Leben zu sein: Das ist die höchste Mission des Dichters auf dieser Erde. Howard Phillips Lovecraft hat diese Mission erfüllt.“ (M. Houellebecq, "Gegen die Welt, gegen das Leben: H. P. Lovecraft“)

Abschließend ist auf die herausragenden Schlusssätze von Serotonin hinzuweisen:

„Und heute verstehe ich den Standpunkt Christi, seinen wiederkehrenden Ärger über die Verhärtung der Herzen: Da sind all die Zeichen, und sie erkennen sie nicht. Muss ich wirklich zusätzlich noch mein Leben für diese Erbärmlichen geben? Muss man wirklich so deutlich werden? Offenbar ja.“ (M. Houellebecq, "Serotonin", letzte Sätze, Paris, Köln 2019)

PS:
M. Houellebecq hat übrigens bereits sehr früh und recht deutlich den Selbstmord unter Berufung auf Kant abgelehnt (Michelle Houellebecq, Gespräch mit Jean-Yves Jouannais und Christophe Duchâtelet, Februar 1995, veröffentlicht in „Die Welt als Supermarkt“).

Solution

2. Februar 2019 17:49

Als ich vor vielen Jahren "Elementarteilchen" von einem liberalen Bekannten geschenkt bekam, der die obszönen Stellen bei Houellebecq freudig als eine Art Tabubruch ansah, dachte ich zuerst, hier würde mir ein Zersetzungsopfer Asphaltliteratur andrehen wollen. Das Buch warf ich nach 90 Seiten in die Ecke. Ich dachte: Was habe ich mit solcher Dekadenz zu tun? Doch dann beschäftigte ich mich näher mit Houellebecq und las u.a. auch Louis-Ferdinand Céline. Das hat meine Meinung geändert. Heute bin ich überzeugt davon, daß man den Niedergang und die Dekadenz authentisch darstellen muß. Mittlerweile habe ich alle Bücher von Houellebecq gelesen und nicht eine Zeile bereut. Ja, ich habe sogar Charles Bukowski gelesen und sehe auch ihn differenzierter. Sollten wir entgegen jeglicher Wahrscheinlichkeit das Ruder noch einmal herumwerfen können, werden derartige Bücher einst wichtige Dokumente einer Zeit sein, in der wir am Abgrund taumelten und die Hoffnung täglich schwand.

Nemo Obligatur

2. Februar 2019 20:35

Alexander Wendt - einfach genial. Mir war der Name bis dato eigentlich nur aus dem Klonovsky'schen Tagebuch ein Begriff. Der Mann ist ja ein Fels!

Franz Bettinger

2. Februar 2019 20:36

@RMH: "Standpunkt Christi": Nein, der Gesalbte hätte eine Atombombe zünden können, statt sich als Gottes Sohn foltern und töten zu lassen. DAS hätte die Menschen eher von seiner strahlenden Herrlichkeit überzeugt. Wie kann man auf die Idee kommen, sein Leben hinzugeben (am Kreuz oder durch Selbstverbrennung, ist ja eigentlich egal), der eigene Tod also könne andere von irgendwas überzeugen? Hat es das jemals? Von was denn? Von der unendlichen Liebe eines Selbstmörders (denn DAS war Jesus auch) zu den Menschen? Also auch von seiner Liebe zu den Denunzianten, den Häschern, seinen Mördern und dem ganzen Volk, das da gerufen hat: "Barrabas!"? Mir wäre etwas Besseres eingefallen. - Mohammed, auf der anderen Seite, hat wenigstens ein Weltreich geschaffen. Dafür kann man schon mal schwach werden und einen vergöttern.

Michael B.

2. Februar 2019 20:38

@t.gygax

"Sie hatten es sehr gemütlich beim Kaffee. In der Nacht lag er wach und war gierig nach ihr und bekam sie .

Da gibt es aber mehr dazu zu sagen ("gemuetlich" wuerde mich hier z.B. sehr stoeren):

https://seidwalkwordpresscom.wordpress.com/2018/02/20/ueber-setzen-nach-hamsun/

LotNemez

2. Februar 2019 23:00

Man natürlich mit dem psychoanalytischen Paradigma argumentieren. Allerdings überbetont es aus heutiger Sicht doch sehr die irrationalen auf Kosten der rationalen Prozesse (Planendes Handeln) und triebhafte Motive auf Kosten anderer (Neugier, Streben nach Vervollkommnung, Ausreizen der veranlagten Potentiale) Die von Freud vorgeschlagenen Deutungsmuster menschlichen Verhaltens / Entwicklung konnten jedenfalls weitestgehend widerlegt werden. Was sich in Versuchen auch durch die Psychologie identifizieren ließ, sind wichtige Teilaspekte, wie Freuds Angstverdrängungsmechanismen oder Jungs Typenkonzept (Extraversion und Introversion). Die Verdrängung eines inneren Konflikts kann auch besser als Erklärung für Seniorenschänder dienen, als ein empirisch nicht belegbares und deshalb auch nicht widerlegbares Seelenenergieparadigma. Den Tätern geht es eher darum, ihre psychosoziale Handlungsfähigkeit nach einer subjektiv empfundenen Erniedrigung (Frau senkt den Blick nicht) wiederzuerlangen, indem sie wiederum das Opfer erniedrigen.
Bzgl. der Pädophilie hat man festgestellt, dass sexuelle Erregbarkeit (Messung der Blutzirkulation im männl. Glied beim Betrachten von Minderjärigen) eher die Regel als die Ausnahme ist. Zugegebenermaßen eine bittere Pille. Warum Pädophilie in Europa heute nicht allgemein praktiziert wird, hängt mit ihrer starken sozialen Ächtung zusammen, die sich kulturgeschichtlich entwickelt hat. Ein Ast, an dem ja auch schon gesägt wurde. Soziale Ächtung ist aber nicht in allen gesellsch. Gruppen gleich wirksam. Vor allem nach außen relativ abgeschottete Strukturen sind hier betroffen. Das wurde z.B. im Verlauf des Ackermannprozesses klar. Der DB-Chef sah sich vor Gericht höheren Prinzipien verpflichtet als dem Verbot der Veruntreuung von Firmengeldern. „Dies ist das einzige Land, in dem diejenigen, die Erfolg haben und Werte schaffen, deswegen vor Gericht gestellt werden.“ Durchaus vorstellbar und an etlichen Beispielen einfach festzumachen, dass sich unter solchen Umständen auch eine andere Sexualmoral herausbildet.
M.H. beschreibt das Leben einer elitären Schicht und dort herrschen u.U. Sitten und Gebräuche, die uns fremd sind. Insofern trifft es Sexbesessenheit schon, denn ein Mitglied dieser Elite kann sich auch deren Sitten nur unter einer gewissen Anstrengung entziehen. Ich sehe seine Bücher nicht zuletzt als ein Produkt dieser Anstrengung (ob geglückt oder gescheitert).
Ich finde es hilfreich, erstmal zu schauen, was das "traditionelle" Vernunftdenken an Antworten parat hat, bevor man ins Esoterische hinüberwechselt, obwohl das sicherlich spannend sein kann. Die Idee von der Seelenenergie impliziert ja, dass es so etwas wie Glück nicht gibt, sondern nur ein Surrogat, ob man es nun Serotonin oder Ektoplasma nennt. Wenn Glück sich durch (fein)stoffliche Akkumulation vermehren ließe, wären Minusmenschen wandelnde Buddhas. Glück liegt aber in Verzicht und Beschränkung, besser: im Maßhalten. Deshalb halte ich es für ausgeschlossen, dass man durch ein ausschweifendes Leben, geschweige durch Mißbrauch anderer in irgendeiner Weise gestärkt hervorgeht.
Ein kleiner Lichtblick zum Sonntag: 95% aller sexuellen Akte werden in festen, monogamen Beziehungen "verübt". Ich wünsche einen schönen Sonntagsgottesdienst oder vergleichbares und mögen eure Körper recht bald wie Kartenhäuser in sich zusammen fallen!

LotNemez

2. Februar 2019 23:35

@RMH: Danke! Ich habe Ihre 2 Lesetipps in meine Liste aufgenommen. Nur wie gesagt: dass er eine Botschaft hat, schließt ja nicht aus, dass er ein Problem hat.

Noch zum weiblichen Houellebecq: "Bungalow", das Aktuelle von Helene Hegemann fand ich unheimlich gewaltig, tief und dreckig. Durchaus ähnliche Themen wie M.H, vom Bodensatz der Gesellschaft aus betrachtet. Mir unbegreiflich, wie man mit Mitte 20 sowas hinbekommt.

H. M. Richter

3. Februar 2019 08:47

Hörens- und sehenswert.
Danke !
__________________________

Nur ganz am Rande: Eine ärgerliche Formulierung wie "von dem Autoren" [Dagen, 17:31 f.] sollte möglichst nicht, schon gar nicht in einer Literatursendung, unterlaufen, kann aber schon mal 'rausrutschen', - zumal in obersächsischer Sprachlandschaft. Ein Grund mehr, jede Folge - vor der Veröffentlichung - einer prüfenden Betrachtung zu unterziehen. Erhält ein Tontechniker einen Hinweis wie obigen, hat er die Silbe "-en" sekundenschnell entfernt.

Schließlich geht es nicht zuletzt darum, daß ein Satz wie "Eigentlich ist 'Aufgeschlagen. Zugeschlagen' mittlerweile Deutschlands interessantestes Literaturformat" mit jeder Folge neu untermauert wird.

t.gygax

3. Februar 2019 10:03

@Michael B.

Vielen Dank für diesen Hinweis! Ich habe ihn mit Interesse gelesen...und bedauere immer wieder, dass mein bescheidenes Norwegisch nicht reicht, um Hamsun und andere im Original zu lesen.
Der Verfasser dieses von Ihnen erwähnten blogs ist ein sehr kluger Mensch, der weiß, welchen Wert "Sprache" hat.

Andreas Walter

3. Februar 2019 11:02

@Michael B.

Was halten Sie von heimelich? Finde ich sogar noch besser als behaglich.

@Solution

"Im Jahre 2003 machte die BBC eine Umfrage zum beliebtesten Buch im Vereinigten Königreich, das BBC Big Read. Stolz und Vorurteil landete dabei auf dem zweiten Platz hinter dem Herrn der Ringe (The Lord of the Rings) von J. R. R. Tolkien. Austens Roman ist ein mediales Phänomen: ein Buch von 1813, das es Eingang des 21. Jahrhunderts auf die englische Bestsellerliste schaffen konnte. [3]" Wikipedia, Stolz und Vorurteil

Vielleicht muss man langfristig denken, um die Hoffnung nicht zu verlieren. In der Gewissheit, dass der durchschnittliche Mensch wesentlich banaler als er gerne zuzugeben bereit ist.

"Allerdings ist dieses Werk der früh verstorbenen Schriftstellerin nicht nur als Liebesroman zu verstehen, sondern vor allem auch als zeitgenössische Gesellschaftsstudie." Wikipedia, Stolz und Vorurteil

Eben das ist aber falsch. Sie ist zeit- und sogar ortlos. In fast jedem Film aus Bollywood oder Lied aus Iberoamerika geht es darum im Grunde auch immer um die gleichen Themen. Auch uns wird es aber darum immer geben, auch wir sind darum zeitlos:

https://youtu.be/tXo73-A9Lso

(Bis zum Ende ansehen!)

Urwinkel

3. Februar 2019 12:38

Ist jemandem aufgefallen, daß Ellen Kositza und Susanne Dagen ab dem "High Five" fiktive Zwillingsschwestern sind? (der subtile Hinweis
darauf fällt zu Beginn dieser Folge). Alexander Wendt schaut am Anfang leicht verstört zwischen den beiden, hält sich aber souverän im Verlauf der Sendung.

Für die drei vorgestellten Bücher habe ich kein Leseinteresse. Allerdings für Wendts dazwischen genanntes, aktuelles Buch über Drogen im 21. Jahrhundert
(oder so ähnlich).

Echte Zwillinge (v.a. Schwestern) können im Alltag übrigens sehr unbequem bis surreal werden (bzw. auf einen wirken), wenn man sie immer wieder versehentlich verwechselt.
Das schult jedenfalls die Wahrnehmungsschärfe und trainiert die Nerven. (als Hinweis an die nächsten Gäste dieser Sendung :))

In ihrer Darbietung und graphischen Gestaltung strahlt die Reihe einen souveräne Charme aus.

Hartwig aus LG8

3. Februar 2019 12:46

""Sollten wir entgegen jeglicher Wahrscheinlichkeit das Ruder noch einmal herumwerfen können, werden derartige Bücher einst wichtige Dokumente einer Zeit sein, in der wir am Abgrund taumelten und die Hoffnung täglich schwand.""

@ Solution
Gewiss. Aber in seinem wohl unterschätzten Roman "Die Möglichkeit einer Insel" skizziert H., wie er sich eine eventuelle Zukunft vorstellt. Da geht es nicht mehr um gesellschaftliche Kämpfe, sondern um ein Zusammentreffen von technischem Fortschritt mit humanoiden Unsterblichkeitsphantasien, das in einer Art elitärem Wohlstandsghetto (Festung Europa??) verwirklicht wird; dargestellt als ultimativer Gipfel der Dekadenz.
Alle seine folgenden Romane, auch "Unterwerfung", waren schwächer, als die vor der "Insel" verfassten Bücher. "Serotonin", nun, ich bin zur Zeit auf Seite 100, scheint diesen Trend zu bestätigen.
Houellebecq ist ein Großer. Seine Bücher offenbaren den Krebsschaden der Epoche.
Aber Schwung und Elan vor der vielleicht entscheidenden Schlacht verbreiten sie nun wahrlich nicht.

Michael B.

3. Februar 2019 13:32

> Der Verfasser dieses von Ihnen erwähnten blogs ist ein sehr kluger Mensch, der weiß, welchen Wert "Sprache" hat.

Das ist wirklich so. Ich hatte damals seinen blog genau ueber diesen Beitrag gefunden (deswegen fiel mir die Stelle sofort ein).

> Was halten Sie von heimelich?

Heimelig ist so eine Sache. Besser als 'gemuetlich', aber gerade wenn mit 'sehr' gesteigert schon wieder zu viel des Guten. Ich mag an 'behaglich' gerade den eben noch nicht haeuslich fixierten Aspekt, den die beiden anderen Worte haben. Es unterstreicht auch die Unabhaengigkeit, den beide Personen in diesem Moment auf Isaks Boden haben. Schwer auszudruecken, insofern ist meine Erklaerung trotzdem unvollkommen.

MartinHimstedt

3. Februar 2019 14:32

Moment mal, sehe ich das richtig:

Per Leo et. al. schreiben also ein Buch "Mit Rechten reden", verweigern es aber gleichzeitig, mit Rechten zu reden? (Zumindest kann ich mich an keine Podiumsdiskussion Kubitschek/Leo erinnern, YouTube spuckt auch nichts aus.)

Genau mein Humor! Und sicherlich auch, rein was die praktische Erfahrung betrifft, genau der richtige Autor, um so ein Buch zu verfassen!

Was für Pfeifen …

heinrichbrueck

3. Februar 2019 16:39

@ Franz Bettinger
Hätte sich Padmavati dem Sultan Alauddin ergeben, anstatt den Jauhar zu begehen, wäre sie kaum in die Geschichte eingegangen. Es ergibt Sinn, auch wenn ich mit den Erklärungen hinterherhinke. Sie verhält sich richtig, bis zum Schluß. Als Opfer läßt sie das Böse nicht siegen, deshalb das Vorbild und die Verehrung noch heute. Haben wir in unserer Geschichte auch.
In der Gegenwart ist die halbe Welt in einer Selbstmordspirale unterwegs, weshalb der persönliche Selbstmord auch persönlich bleibt. Dennoch hat mir Venners Motivation und Testament damals stark imponiert, und daran hat sich wenig geändert, gerade weil es aus einer anderen Welt stammte.

Corvusacerbus

3. Februar 2019 17:00

Houllebeque ist großartig. Man stelle sich nur vor, wir hätten in unserem Sprachraum so einen. Ich imaginiere einen typisch deutschen Tiefschürfer à la Botho Strauß, mit einer Prise Peter Handtke und dazu saftig Sexappeal und freche Provokation; das wär schon was. Ansonsten, weil es bei ML um die Subjektivität der Objektivität und die Frage ging, wie um Geschmack zu streiten wäre (denn natürlich ist der Aphorismus gewordene Satz, es ließe sich über Geschmack nicht streiten, Blödsinn), empfehle ich zu diesen Fragen den"modernen sozialistischen Klassiker" Peter Hacks und hier insbesondere sein "Die Maßgaben der Kunst". Der Titel des Buches ist seine Übertragung des im Deutschen geläufigen griechischen Begriffs "Ästhetik", für den wir keine muttersprachliche Entsprechung haben und darum geht es in dem Wälzer, der Aufsätze Hacks' versammelt. Hacks war ein Linker, den man als Rechter gerne und bis heute mit nachhaltigem Ertrag liest. Zum Beispiel ist seine Nacherzählung des Goetheschen Paradigmas, daß nur ein elitäres Hoftheater, architektonisch und bezüglich der notwendigen intellektuellen Höhe, und kein wie immer geartetes, sich an den Pöbel anschmeichelndes Volkstheater, die geeignete Voraussetzung für hohe Kunst schaffen könne, angesichts des postmodernen Kokolores, der sich als Regietheater wichtig nimmt und aufplustert und realiter meistenteils nicht mal mittelmäßiges Kunsthandwerk und hypermoralisch getunte Spießigkeit ist, zugleich konzeptionell gültig und erfrischend polemisch.

Simplicius Teutsch

3. Februar 2019 18:07

Ich schätze Ellen Kositza ja sehr. Aber das war zum Einstieg schon eine sehr lange, monologische Einleitung. Uff! Gott sei Dank ist Susanne Dagen endlich reingegrätscht. Der unmittelbar nachfolgende Wortabtausch war dann alles andere als langweilig.

Großartig und sehr sympathisch fand ich die souveräne Haltung von Kositza auf die heftige, gegenteilige Meinung der beiden anderen Diskutanten in Bezug auf die Einschätzung, ob es sich bei dem „weißen Schloss“ um gute oder schlechte Literatur handle.

Ab der Dagen-Grätsche war ich von der Literatursendung „ultra begeistert“. Denn Alexander Wendt hatte auch kein Problem seine eigene, konfrontative Meinung („eine Frechheit“, „Gymnasiasten-Literatur“, „das ist nicht mal Schreibschule“) aus dem Stand dagegen zu stellen. Und aufgeweckt mit ausreichend im eigenen Hirn produzierten Botenstoff folgte ich bereitwillig Dagens Lob von „Serotonin“.

Solution

3. Februar 2019 21:01

Noch ein Nachtrag zu Houellebecq, damit nicht der Eindruck erweckt wird, es handele sich bei ihm gar um ein Vorbild oder einen Rechten: Es gibt gewisse Indizien dafür, daß er sich zunehmend mit dem katholischen Glauben beschäftigt und hier gewisse Hoffnungen hegt (im Umfeld von Schnellroda gibt es bei Einzelnen anscheinend ähnliche Tendenzen). Jedenfalls scheint er sich vor diesem Hintergrund auch immer öfter gemäßigt optimistisch zu äußern. Für mich besteht hier die Gefahr, daß müde Kämpfer und resignierte Intellektuelle einen finalen Ruheort suchen, der sie die Last des Unvermeidlichen und Katastrophalen leichter ertragen läßt. Houellebecq jedenfalls ist nicht immun gegen das Gift der Zersetzung geblieben. Er hat eine große Dosis davon aufgenommen. Seine neue Ehe mit einer Asiatin macht ihn jedenfalls nicht zu einem Musterbeispiel für einen Kämpfer für ein europäisches Europa.

Andreas Walter

3. Februar 2019 21:32

Oder wie wäre es mit einer Besprechung dieses Buches:

https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/ttt-der-schattenkrieg-buch-von-ronen-bergman-ueber-den-mossad-100.html

Stelle mir gerade vor was passieren würde, wenn ein Politiker der AfD so eine Erklärung von sich geben würde. Wir mussten es tun, um unser Volk vor weiteren Morden und seiner Vernichtung durch Massenmigration zu schützen. Was ja nichtmal verkehrt ist, so eine Einstellung.

Der Rest ist natürlich Unsinn. Dieses Buch ist nur zustande gekommen, weil es zustande kommen sollte. Das Buch selbst ist darum die Botschaft, eine Warnung an alle. Daran war darum gar nichts schwierig, an diese Informationen heranzukommen. Im Grunde hat der Mossad selbst darum das Buch geschrieben. Bergman durfte es tippen und damit auf Welttournee gehen, um die unmissverständliche Botschaft zu verbreiten: Nicht mit uns, Jungs!

Kluge Aktion. Doch bei denen steht der Staat ja auch (noch) hinter seinem eigenen Volk.

links ist wo der daumen rechts ist

4. Februar 2019 00:39

Verzeihung, perdon, verehrter Martin Lichtmesz, aber es geht doch gerade nicht um die Frage, ob Houellebecq als (Neu-)Rechter oder Nicht-Linker zu verorten wäre. Ebensowenig wie bei dem von Ihnen im verlinkten Roehler-Verriß angeführten PPP.

Um etwa beim Beispiel „Unterwerfung“ zu bleiben.
Weder hat diese Satire eine eindeutig rechte „Botschaft“; dafür werden ja auch die zu der „Bruderschaft der Muslime“ übergelaufenen Identitären allzu hämisch abqualifiziert. Ein Kichern konnte ich mir dabei nicht verkneifen, wenn ich an den inzwischen zum youtube-Prediger mutierten Martin Sellner denke...
Noch auch stellt eine alternative Konversion zum Katholizismus – analog zum im Roman als Dissertationsthema vorgestellten Huysmans – als Erlösung vom Weltekel eine Lösung dar; das wurde ja als ursprüngliches Romankonzept vom Autor verworfen. Da halfen denn auch die im Roman geschilderten Aufenthalte in Martel und Liguge nichts.

Während aber der Held in Houellebecqs Roman davon spricht, daß er plötzlich das Gefühl hatte, „daß etwas passieren könnte, daß das politische System, in das ich seit meiner Kindheit hineingewachsen war und das seit einiger Zeit spürbare Risse bekam, mit einem Schlag zu zerspringen drohte“, wußte das der hellsichtigere PPP schon in den 70er Jahren zu benennen und datiert das auf die Zeit, als die Glühwürmchen verschwanden...

Und die in jeder Hinsicht sündhaften Versäumnisse in der Zeit zwischen etwa 1980 und 2015 gehen auf das Konto von links und rechts.
Da nützen auch noch so gut gemeinte rückprojizierte Lösungsansätze (s.o.) nichts mehr.

LotNemez

4. Februar 2019 01:12

@Solution
Dass H. sich wieder dem Katholizismus annähert, vermute ich auch. Vorausgesetzt, der fiktive H. in Karte und Gebiet stimmt diesbzgl. mit dem realen H. überein.

"Für mich besteht hier die Gefahr, daß müde Kämpfer und resignierte Intellektuelle einen finalen Ruheort suchen, der sie die Last des Unvermeidlichen und Katastrophalen leichter ertragen läßt."

Ein Ruheort, an dem man mystisches Ritual, tausendjährige Tradition und ordentlich Weihrauch atmet, an dem die Wirren der Alltagswelt außen vor bleiben. Das hatte ich mir genau so auch gehofft. Nun ist es aber eher so, dass noch ein weiteres Schlachtfeld dazugekommen ist. Seit dem 2ten Konzil frisst sich die Kirche langsam selbst und der Erfurcht erweckende Ruheort für müde Alltagskrieger ist zur Schaubude devoter Vielfaltslitaneien geworden. Sie können also beruhigt sein. Der Kampf endet nicht an der Portalschwelle. Das Unicum ist vielleicht, dass man dort nicht so einfach ausgeschlossen werden kann. Das (manchmal denke ich: NUR das, aber es ist doch wohl echte christliche Moral im Spiel) nötigt allen Beteiligten eine latente Duldung seines Nächsten ab. Also Ruheort nein, Ort der Hoffnung ja.

RMH

4. Februar 2019 11:52

Nur zur Klarstellung:

Mir persönlich ist es vollkommen egal, ob M. H. als Person nun Linker, Rechter, Liberaler, Libertin, Sexuell Pervers, Katholik oder gar schon Opportunitäts-Mohammedaner oder ein Mix von Allem ist.

Mein Interesse gilt seinem literarischen Schaffen und Werk und von all den aktuellen Schriftstellern, die es noch fertig bringen, in einem Mainstream- bis dezidiert linken Verlag veröffentlicht zu werden und dabei sehr hohe Stückzahlen verkaufen zu können (muss man sich mal vorstellen: Bei M.H. kann DuMont sogar auf das Weihnachtsgeschäft verzichten und bequem den Roman am Jahresanfang veröffentlichen und er schießt dennoch sofort auf Rangliste 1), ist er derjenige, dessen Romane ich nicht schon nach wenigen Seiten weglegen muss, die man noch lesen kann und die einen enorme Vielschichtigkeit haben (findet man sonst nur noch antiquarisch bzw. als neu aufgelegte Klassiker oder in Nischenverlagen - oder hat jemand noch weitere Vorschläge von aktuellen Bestsellern etablierter Verlage, die man mit Interesse lesen kann?).

Im Übrigen ist es genau diese Art von Kleingeisterei, die in Erörterungen wie, "ist er einer von uns, steht er in unserm Lager, ist er ein Rechter?" stecken, die jeden Feingeist abschrecken und die Kunst unmöglich machen.

Seien wir Rechten doch im Bereich der Kunst nicht die Blockwarte, die die Linke immer mehr auf alles und jedes/jeden loslässt. Nur der wirtschaftliche Erfolg (und der kam auch wegen seinen "Provokationen") und seine internationale "Fanbase" sichern Houellebecq bislang davor, dass er noch nicht in einer Abstellkammer entsorgt wurde (ich denke, viele linke Feministinnen würden am liebsten noch weiter gehen).

Das "Lagerdenken" wird einem von den Linken aufgezwungen - gut, aus Selbstverteidigungsgründen muss man es ein Stück weit mitspielen, aber Ziel sollte sein, dass es irgendwann auch wieder "Normalzustände" gibt und nicht mehr nur den alles umfassenden geistigen Kampf - dies gilt insbesondere für Kunst und Kultur.

Niekisch

4. Februar 2019 19:39

"Das "Lagerdenken" wird einem von den Linken aufgezwungen"

@RMH 11:52: Zwingen wir es uns nicht letztlich selber auf, indem wir uns darauf einlassen anstatt ganz einfach in der Auseinandersetzung mit selbst gesetzten Begriffen zu operieren?
Herrn Houellebecq braucht niemand. Denn mit der Gesellschaftskritik zugleich sich selbst offenbarend Hundefickereien zu präsentieren ist unter dem Gesichtspunkt, daß Person und Notation nicht zu trennen sind, kontraproduktiv, sogar äußerst schädlich. Damit mögen sich alleine Pornokraten beschäftigen.

RMH

4. Februar 2019 22:27

@Niekisch,
vergessen Sie bei ihrem Vorwurf der "Hundefickerei" bitte nicht die ganz spezielle Konnotation dabei, die M.H. der Szene gibt. Sein Protagonist entdeckt eher zufällig eine entsprechende Videosequenz, die seine japanische Freundin von sich hat aufnehmen lassen und merkt dazu an, dass aus einer japanischen Sichtweise heraus es vermutlich sowieso keinen großen Unterschied macht, ob eine Japanerin Sex mit ihm als Europäer bzw. Franzosen hat oder eben mit Hunden.

Da mag sich jetzt jeder bitte selber seinen Reim draus machen, aber der Verweis auf Pornokratie greift hier doch etwas kurz, genau wie ihre Totschlagformel, dass Person und Notation nicht trennbar seien (das sollten Sie mal Krimiautoren oder Autoren von expliziten Gewaltdarstellungen (bspw. S. King, B.E. Ellis, Palahniuk etc.) unter die Nase reiben). Kunst darf eben mehr als eine konkret und real handelnde Person.

Niekisch

5. Februar 2019 12:59

@RMH:

Wenn H. eine Freundin akzeptiert, die ihm aus welchen Grunde auch immer eine Köterstellung einräumt, dann spricht das für sich und läßt mich zugleich vermuten, daß es H. eben doch um Sensationsmache geht, die er eigentlich nicht nötig hat. Aber "porn sells".

Kunst macht mehr und darf mehr als es der Persönlichkeitsstruktur des Agierenden entspricht. Aber völlig losgelöst von ihr ist Kunst auch nicht vorstellbar. Wie der Geist aus dem Ort wächst so wächst die Kunst aus dem individuellen Menschen. Sonst brauchten wir nur einen einzigen Interpreten für Johann Sebastian Bach und nicht tausende verschiedene; wir hätten sie dann auch nicht.

L.Wauer

6. Februar 2019 16:03

Ich habe mir das Video gestern angesehen, hauptsächlich wegen Alexander Wendt als Gast, und wegen des neuen Romans von Michel Hoellebecq. Es macht ja mit den Reiz einer solchen Sendung aus, das es da extrem unterschiedliche Meinungen gibt, und es ist auch kaum zu vermeiden, daß man sich da immer mal gegenseitig ins Wort fällt. Aber wenn dem so ist, dann sollte es in dieser Hinsicht wenigstens Waffengleichheit vor den Mikrofonen geben. Mich hat geärgert, dass das hier nicht der Fall war, und daß ausgerechnet Alexander Wendt der Leidtragende war, denn ich für einen der klügsten Menschen überhaupt halte. Die Stimme Alexander Wendt‘s war viel leiser als die der beiden Damen, so daß, wenn er unterbrochen wurde – er selbst tat das ja nicht -, er überhaupt keine Chance mehr zum Weiterreden hatte. Ich gehe mal davon aus, daß hier keine hinterhältige Absicht im Spiel war, sondern einfach ein gewisser Dilettantismus in der Tonregie.

silberzunge

6. Februar 2019 18:38

Ich fand bisher alle Sendungen der Reihe herrlich - inkl. Gäste.

Zooey

7. Februar 2019 22:06

"Serotonin" ist der erste Roman von Houellebecq, den ich lese. Ich hielt ihn bisher für einen "Ausser Thesen nix gewesen"-Autor, muss mein Vorurteil aber revidieren. Das ist stellenweise schon sehr witzig. Man vernimmt auch katholisierende Töne, aber auch gnostische: Es gab ja gnostische Sekten, die sexuelle Orgien gefeiert haben und zugleich absolut leibfeindlich waren. Der Held hier erfreut sich ja daran, dass er qua Nicht-Mülltrennung den Planeten zerstört. Der Schöpfer- ist nicht der Erlösergott.

Wobei ich Houellebecq nicht darauf festnageln will; das Buch ist auch deshalb nicht schlecht, weil alles ambivalent bleibt.

Ich habe es aber bisher nur bis S. 244 geschafft. Ich habe es dann beiseite gelegt und den "Anton Reiser" angefangen. Hat mich viel mehr gepackt. Diese psychologische Subtilität.

Wäre das nicht auch eine Idee: Für jede Sendung einen Klassiker?

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.