Sonntagsheld (117) – 11!

Fußball ist Fußball – das war einmal.

Für Rasen­ball­sport jeg­li­cher Natur zeich­nen nor­ma­ler­wei­se eher die Kol­le­gen Kai­ser und Schick ver­ant­wort­lich, mei­ne Inter­es­sen lie­gen woan­ders. Und doch muss ich geste­hen, die Gescheh­nis­se des Wochen­en­des mit einem für mich unüb­li­chen, wenn auch nicht ganz unpo­li­ti­schen Inter­es­se ver­folgt zu haben. Dass der Fuß­ball längst zum Poli­ti­kum gewor­den ist, steht außer Fra­ge, das Spek­ta­kel ver­spricht nicht nur astro­no­mi­sche Pro­fi­te, son­dern unter­liegt mit der zuneh­men­den Öko­no­mi­sie­rung auch den regen­bo­gen­far­be­nen Net­ti­quet­ten des Marktes.

In sei­nen Netz­fund­stü­cken hat Jonas Schick das ziem­lich grif­fig zusam­men­ge­fasst, des­halb rufe ich sei­ne Sät­ze hier noch ein­mal in Erinnerung:

“Wenn man sich die brei­te Mobil­ma­chung von den geheu­chelt rebel­lisch, aber schlu­ßend­lich nur »kon­for­men«, nütz­li­chen Idio­ten der Ultras Gel­sen­kir­chen bis zur taz anschaut, dann ver­wun­dert es einen nicht mehr, daß ohne vor­he­ri­ge PR-Bera­tung kei­ner der Spie­ler oder Offi­zi­el­len im Fuß­ball­be­trieb mehr den Mund auf­macht. Wäh­rend das Fuß­ball­ma­ga­zin 11 Freun­de stän­dig den »Typen« im Fuß­ball nach­weint, begüns­tigt der links­li­be­ra­le Mora­lis­mus, für den es simul­tan steht, ihren Verlust.”

Nun ist die Ent­frem­dung des Fuß­balls von sei­nen Idea­len das eine und mir per­sön­lich nicht son­der­lich wich­tig; die Ent­frem­dung des Sport­er­eig­nis­ses von sei­nem Kern­kli­en­tel, also den Fans, steht jedoch auf einem ganz ande­ren Blatt. Bei der Ver­schie­bung, die uns an die­ser Stel­le begeg­net, han­delt sich näm­lich nicht zuletzt um jene “neue Klas­sen­fra­ge” der “Anywhere-Somewhere”-Dichotomie, die schon häu­fi­ger The­ma die­ses Netz­ta­ge­buchs war.

Galt etwa der Fuß­ball zur kul­ti­gen Zeit der Revier­der­bys und Lokal­ma­ta­do­re noch als der “Some­whe­re-Sport” schlecht­hin, scheint er nun, wie alle öffent­li­chen Berei­che von Rele­vanz vom uni­ver­sel­len Flui­dum der Any­whe­res regel­recht durchtränkt.

Der glo­ba­le Fuß­bal­ler­nach­wuchs (ger­ne far­big!) ist Ware und Wer­be­pla­kat in einem, als welt­of­fe­ner Wan­der­po­kal lässt er sich je nach Inter­es­se der Mana­ger auf den Strö­men der Ablö­se­mil­lio­nen mal hier und mal dort­hin trei­ben und ist eher vor der Kame­ra als auf dem Platz zuhau­se. Er ist kein eigent­li­ches Vor­bild sei­ner Gene­ra­ti­on, son­dern vor Allem dar­in eher ein Abbild, dass er zu aller erst Kon­su­ment ist und es sich nicht neh­men lässt, die­sen Kon­sum mög­lichst brei­ten­wirk­sam und nach den Regeln des Online-Mar­ke­tings auf sei­nem Insta­gram-Pro­fil zu präsentieren.

“Typen” blei­ben dabei auf der Stre­cke, aber das ist über­all so, wo das unge­schrie­be­ne Markt­ge­setz der All­ge­fäl­lig­keit jeden, der es zu etwas brin­gen möch­te, glatt­lutscht, wie einen Bon­bon. Der Cha­rak­ter, die­ses ech­te Sein “mit Ecken und Kan­ten” fin­det sei­nen Platz nicht in den trans­na­tio­na­len Net­zen, son­dern ganz kon­kret vor Ort. 

Wo kann so ein Ort sein? Viel­leicht beim Tor­ju­bel an der Eck­fah­ne mit einem Hoo­li­gan-Shirt in der Hand? Oder beim Aus­wärts­spiel in der Fan­kur­ve neben eini­gen ver­fem­ten Sitz­nach­barn? War­um eigent­lich nicht? Wir ken­nen das gan­ze Thea­ter ja.

Wir wis­sen, dass es nur kur­ze Zeit braucht, bis der Besuch einer Geburts­tags­par­ty die ers­ten Mord­auf­ru­fe zei­tigt und, dass sich heu­te nie­mand mehr ernst­haft dar­über auf­regt, wenn die ver­meint­lich fal­sche Gesell­schaft im Sta­di­on die eige­ne Kar­rie­re beendet.

Wobei: “Nie­mand?” Das ist auch nicht so ganz richtig.
Stell­ver­tre­tend für die poli­ti­schen Pole des Fuß­balls ste­hen an die­sem Wochen­en­de zwei Bil­der. Ihre Moti­ve sind über­ra­schend ähn­lich und doch schei­nen Wel­ten zwi­schen den Rea­li­tä­ten zu lie­gen, die hier aufeinanderprallen.

Auf dem ers­ten Bild vom Sams­tag ist der Schrift­zug “Wir zei­gen Tön­nies die rote Kar­te!” zu lesen, der von Schal­ker Fuß­ball­fans als Teil einer Cho­reo­gra­phie mit­tels hoch­ge­hal­te­ner roter Pos­ter visua­li­siert wur­de. Bezug genom­men wird dabei auf einen krum­men Afri­ka­ner-Witz des Schal­ker Aufsichtsrates.

Auch das zwei­te Bild, es stammt vom Sonn­tag­abend, zeigt Fuß­ball­fans. Dies­mal han­delt es sich aller­dings um Anhän­ger des Chem­nit­zer FC und auf den von ihnen hoch­ge­hal­te­nen Pos­tern steht bloß die Num­mer 11 – die Tri­kot­num­mer des wegen sei­ner angeb­li­chen Sym­pa­thien für rech­te Hoo­li­g­angrup­pen raus­ge­schmis­se­nen ehe­ma­li­gen Mann­schafts­ka­pi­täns Frahn, der in die­sem Arti­kel geehrt wird.

Wo mei­ne Sym­pa­thien lie­gen, das ahnen Sie nun viel­leicht, lie­be Leser; ich habe heu­te sogar den Live­ti­cker des Pokal­spiels der Chem­nit­zer gegen den HSV ver­folgt. Und auch, wenn das Elf­me­ter­schie­ßen am Ende ver­lo­ren ging – die wah­ren Sie­ger saßen dies­mal auf der Tri­bü­ne. Ob Dani­el Frahn dabei war, kei­ne Ahnung. Aber auch vor ihm zie­he ich den Hut, auch wenn er mal für RB Leip­zig gespielt hat. 

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Kommentare (5)

Bones

12. August 2019 10:12

--> Galt etwa der Fußball zur kultigen Zeit der Revierderbys und Lokalmatadore noch als der “Anywhere-Sport” schlechthin, scheint er nun, wie alle öffentlichen Bereiche von Relevanz [,] vom universellen Fluidum der Somewheres regelrecht durchtränkt.

Ich fürchte, da ist die Dichotomie "Somewheres" und "Anywheres" durcheinandergeraten: Fußball war mit den Lokalderbys usw. der "Somewhere"-Sport schlechthin; das "universelle Fluidum" paßt zu den "Anywheres".

Oder habe ich Recht?

Laurenz

12. August 2019 11:22

Fußball als Genre ist nur insofern eine Notwendigkeit, wenn man sich als Mann mit Männern unterhalten möchte. Ist in solchen Situationen immer unangenehm, wenn man so gar nicht "mitreden" kann. Denn viel "Männliches" ist den Männern in unserer Gesellschaft nicht geblieben. Von daher läßt man diesen Gladiatoren-in-der-Arena-Sport über, um geschlechtsspezifischen und nationalen Gefühlen noch ein legales Ventil zu geben. Für die mediale, zutiefst korrupte Sport-Junta sind auch Rückschläge zu verarbeiten. Ob nun die ehemalige farbige Trainerin der weiblichen deutschen International-Mannschaft, Frau Jones, versagte, oder Herr Özil Herrn Erdogan zu seiner Hochzeit einlud, sind das Tiefschläge gegen die bolschewistische Massen-Pädagogik.
Daß die FIFA nichts anderes ist, als eine Mafia-Organisation, der staatlicherseits anscheinend wenig anzuhaben ist, liegt es rein am Konsumenten, wie dieser ehemalige Sport sich auch politisch entwickeln wird. Der tiefe Fall des Herrn Beckenbauer war doch wohl nur ein Bauernopfer.

Laurenz

12. August 2019 19:20

@Bones ...... Fußball ist heutzutage ein imperiales Symptom, Brot und Spiele.
Wilde Tiere und Gladiatoren wurden durch das gesamte römische Reich geschippert, um das Proletariat zu bespaßen. Auch eine antike Formel 1 gab es, mit Top-Piloten und Team-Wertungen.
Mit dem fortschreitenden Zusammenbruch des römischen Reichs verkam der Schaukampf zum Jahrmarkt-Gewerbe und einem gewissen Status des Schiffschaukelbremsers für das fahrende Volk. Das ist im übertragenen Sinne auf heute faktisch auch nicht anders, allerdings sind die Medien und Banken heutzutage mächtiger und verdecken dieses Bild. Lokale Druckmedien sind vergleichsweise noch stark, was allerdings an der älteren Generation hängt. Wenn die in 30 Jahren weg ist, sind es die Druckmedien auch.
Und wie der Forist Thomas Martini zurecht bemerkt hat, ist die Netznutzung zu ungeregelt um die Grundfreiheiten des Bürgers zu wahren.

Uodal

12. August 2019 22:59

Die Entwicklung des Profifußballs ist mehr als traurig. Ist doch der Fußballplatz nicht nur zum Spielfeld einer populären linken Multikulti-Liturgie geworden. Jedes einzelne Spiel ist darüber hinaus auch die rituelle Huldigung der kapitalistischer Ideologie des optimierten Faktoreinsatzes. Statt der Leistung von Persönlichkeiten und der sie hervorbringenen Landschaft, zählt nur noch der effiziente globale Einsatz der fußballerischen Produktionsfaktoren. Wie in vielen anderen Feldern ein Zwei-Fronten Zangengriff von Marxismus und Kapitalismus auf die Gehirne der begeisterten Zuschauer.

Und es ist ja auch ernüchternd zu sehen, wie die Begeisterung der Zuschauer trotz jahrzehntelanger, ganz offensichtlicher, Manipulation anhält. Andererseits - warum sollte gerade ein an sportlicher Leistung, die ist ja tatsächlich eher gestiegen, interessierter Fußballfan nicht darauf hereinfallen, wenn Intellektuell geschulte auf eine ebenso leicht zu durchschauende Theorie der "Anywheres und Somewheres" hereinfallen? Diese Theorie des Ururenkels des Gründers der Investmentbank Lehmann Brothers, geistert durch die rechte Szene, spätestens seit sie Dr. Alexander Gauland als Erklärungsmuster übernahm.

Jeder kann für sich die Glaubwürdigkeit dieser Theorie überprüfen. Ausgehend von der nicht ganz falschen Marx'schen Beobachtung, daß das (gesellschaftliche) Sein das Bewusstsein bestimme, wird behauptet, daß Menschen, die an mehreren Orten zuhause seien, das Ideal einer globalisierten Weltgesellschaft, ohne Grenzen und ohne Identitäten predigen würden. Für EU-Abgeordnete mag das ja zutreffen, wie z.B. für Jörg Meuthen - ups, stimmt ja gar nicht...

Und wie steht es z.B. um chinesische Wanderarbeiter? An mehreren Orten zu Hause und globalistisch eingestellt?
Der grüne Klima-Aktivist vom Prenzlauer Berg mag nervig sein mit seinem Anywhere Gehabe. Aber ein Drahtzieher des Bevölkerungsaustausches ist er ganz sicher nicht. Auch nicht die Abiturientin, die in Australien ein Praktikum macht und postet, daß Sydney ihre zweite Heimat ist und in Wahrheit jede Nacht vor Heimweh in's Kopfkissen heult. Und genau das verschleiert diese Theorie. Die Verantwortung soll weg von den wahren Protagonisten hin zu den Mode-Kosmopoliten von nebenan, die in Wahrheit genauso nur ein Land haben, wie du und ich.

Das erwähnte erste Samstag-Bild “Wir zeigen Tönnies die rote Karte!” - sind das jetzt die berühmten "Anywheres"? Von der Einstellung her sicher, aber in ihrem realen Leben? Eher wohl nicht. Einer meiner Kollegen ist ein entschiedener Linker und Multikulti-Befürworter. Und zugleich vollkommen bürgerlicher "Somewhere". Seit der Kindheit immer am gleichen Ort, verheiratet, Kinder, Häuschen... Also nunmal absolut kein "Anywhere"-Leben weit und breit. Das "Anywhere" existiert eben nur in seinem Bewusstsein. Nicht in seinem Sein - Also muss es da, in sein Hirn, anders hinein gekommen sein...

Und das ist genau der Knackpunkt an diesem vergifteten Theoriegeschenk, welches von manchen Rechten, in Er-mangelung eigenen Nachdenkens, so begeistert auf-genommen wurde: Es gibt sie nicht, die Anywheres als relevante neue Klasse. Echte Anywheres gibt es nur sehr wenige und die passen alle zusammen in ein Raumschiff namens Elysium. Was es aber gibt, ist die jahrzehnte-lange Gehirnwäsche, wovon diese Theorie ablenken soll. Sie ist sogar ein weiterer Baustein dieser immer perfekteren Gehirnwäsche. Was diese Theorie schafft, zusammen mit der globalistischen Ideologie aus der gleichen Quelle, ist es, eine innere Landkarte zu erstellen, in der sich der Adept, wie ein eingepferchtes Schaf in seinem Gatter, zukünftig bewegen wird. Das ist das gefährliche - und wie sowas funktioniert, kann man in "Die liberale Gesellschaft und ihr Ende" von Manfred Kleine-Hartlage nachlesen.

LotNemez

13. August 2019 22:06

@Uodal: Hören wir da einen getroffenen Hund bellen? Sie können nicht mit ein zwei geschilderten Einzelschicksalen ernsthaft die Dichotomie des Somewhere-Anywhere widerlegen. Wie hoch der Prozentsatz derer ist, die tatsächlich von der Globalisierung profitieren, ist nicht ausschlaggebend. Relevant ist allein, wer die globalusierte Welt idealisiert. Auch im Kommunismus war die Gruppe der Profiteure nicht deckungsgleich mit der der Befürworter. Das Anywheretum ist die Vorstellung, dass ein sich mit den Gewinnern der Globalisierung Gemein-Machen auch eine Teilhabe an ihrem Nimbus bedeutet. Ihr linker Bekannter mit Häuschen provitiert schon allein durch diese Zugehörigkeit zu den Guten. Um die Welt jetten muss er dafür gar nicht.

Es scheint mir auch unlauter, von den "wahren Protagonisten" zu orakeln, ohne wenigstens einen Hinweis zu geben, wer das ihrer Meinung nach ist.

Trotzdem gut geschrieben. Und sie haben mich für einen Moment stutzig gemacht.

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