Für Rasenballsport jeglicher Natur zeichnen normalerweise eher die Kollegen Kaiser und Schick verantwortlich, meine Interessen liegen woanders. Und doch muss ich gestehen, die Geschehnisse des Wochenendes mit einem für mich unüblichen, wenn auch nicht ganz unpolitischen Interesse verfolgt zu haben. Dass der Fußball längst zum Politikum geworden ist, steht außer Frage, das Spektakel verspricht nicht nur astronomische Profite, sondern unterliegt mit der zunehmenden Ökonomisierung auch den regenbogenfarbenen Nettiquetten des Marktes.
In seinen Netzfundstücken hat Jonas Schick das ziemlich griffig zusammengefasst, deshalb rufe ich seine Sätze hier noch einmal in Erinnerung:
“Wenn man sich die breite Mobilmachung von den geheuchelt rebellisch, aber schlußendlich nur »konformen«, nützlichen Idioten der Ultras Gelsenkirchen bis zur taz anschaut, dann verwundert es einen nicht mehr, daß ohne vorherige PR-Beratung keiner der Spieler oder Offiziellen im Fußballbetrieb mehr den Mund aufmacht. Während das Fußballmagazin 11 Freunde ständig den »Typen« im Fußball nachweint, begünstigt der linksliberale Moralismus, für den es simultan steht, ihren Verlust.”
Nun ist die Entfremdung des Fußballs von seinen Idealen das eine und mir persönlich nicht sonderlich wichtig; die Entfremdung des Sportereignisses von seinem Kernklientel, also den Fans, steht jedoch auf einem ganz anderen Blatt. Bei der Verschiebung, die uns an dieser Stelle begegnet, handelt sich nämlich nicht zuletzt um jene “neue Klassenfrage” der “Anywhere-Somewhere”-Dichotomie, die schon häufiger Thema dieses Netztagebuchs war.
Galt etwa der Fußball zur kultigen Zeit der Revierderbys und Lokalmatadore noch als der “Somewhere-Sport” schlechthin, scheint er nun, wie alle öffentlichen Bereiche von Relevanz vom universellen Fluidum der Anywheres regelrecht durchtränkt.
Der globale Fußballernachwuchs (gerne farbig!) ist Ware und Werbeplakat in einem, als weltoffener Wanderpokal lässt er sich je nach Interesse der Manager auf den Strömen der Ablösemillionen mal hier und mal dorthin treiben und ist eher vor der Kamera als auf dem Platz zuhause. Er ist kein eigentliches Vorbild seiner Generation, sondern vor Allem darin eher ein Abbild, dass er zu aller erst Konsument ist und es sich nicht nehmen lässt, diesen Konsum möglichst breitenwirksam und nach den Regeln des Online-Marketings auf seinem Instagram-Profil zu präsentieren.
“Typen” bleiben dabei auf der Strecke, aber das ist überall so, wo das ungeschriebene Marktgesetz der Allgefälligkeit jeden, der es zu etwas bringen möchte, glattlutscht, wie einen Bonbon. Der Charakter, dieses echte Sein “mit Ecken und Kanten” findet seinen Platz nicht in den transnationalen Netzen, sondern ganz konkret vor Ort.
Wo kann so ein Ort sein? Vielleicht beim Torjubel an der Eckfahne mit einem Hooligan-Shirt in der Hand? Oder beim Auswärtsspiel in der Fankurve neben einigen verfemten Sitznachbarn? Warum eigentlich nicht? Wir kennen das ganze Theater ja.
Wir wissen, dass es nur kurze Zeit braucht, bis der Besuch einer Geburtstagsparty die ersten Mordaufrufe zeitigt und, dass sich heute niemand mehr ernsthaft darüber aufregt, wenn die vermeintlich falsche Gesellschaft im Stadion die eigene Karriere beendet.
Wobei: “Niemand?” Das ist auch nicht so ganz richtig.
Stellvertretend für die politischen Pole des Fußballs stehen an diesem Wochenende zwei Bilder. Ihre Motive sind überraschend ähnlich und doch scheinen Welten zwischen den Realitäten zu liegen, die hier aufeinanderprallen.
Auf dem ersten Bild vom Samstag ist der Schriftzug “Wir zeigen Tönnies die rote Karte!” zu lesen, der von Schalker Fußballfans als Teil einer Choreographie mittels hochgehaltener roter Poster visualisiert wurde. Bezug genommen wird dabei auf einen krummen Afrikaner-Witz des Schalker Aufsichtsrates.
Auch das zweite Bild, es stammt vom Sonntagabend, zeigt Fußballfans. Diesmal handelt es sich allerdings um Anhänger des Chemnitzer FC und auf den von ihnen hochgehaltenen Postern steht bloß die Nummer 11 – die Trikotnummer des wegen seiner angeblichen Sympathien für rechte Hooligangruppen rausgeschmissenen ehemaligen Mannschaftskapitäns Frahn, der in diesem Artikel geehrt wird.
Wo meine Sympathien liegen, das ahnen Sie nun vielleicht, liebe Leser; ich habe heute sogar den Liveticker des Pokalspiels der Chemnitzer gegen den HSV verfolgt. Und auch, wenn das Elfmeterschießen am Ende verloren ging – die wahren Sieger saßen diesmal auf der Tribüne. Ob Daniel Frahn dabei war, keine Ahnung. Aber auch vor ihm ziehe ich den Hut, auch wenn er mal für RB Leipzig gespielt hat.
Bones
--> Galt etwa der Fußball zur kultigen Zeit der Revierderbys und Lokalmatadore noch als der “Anywhere-Sport” schlechthin, scheint er nun, wie alle öffentlichen Bereiche von Relevanz [,] vom universellen Fluidum der Somewheres regelrecht durchtränkt.
Ich fürchte, da ist die Dichotomie "Somewheres" und "Anywheres" durcheinandergeraten: Fußball war mit den Lokalderbys usw. der "Somewhere"-Sport schlechthin; das "universelle Fluidum" paßt zu den "Anywheres".
Oder habe ich Recht?