Meinem kundigen Begleiter war längst bewußt, was sich mir durch Wahrnehmung erst langsam erschloß: Da hat ein Puppenspieler (bis in die wie ein Mitschnacker lockende Fingergeste hinein) sein ihm ergebenes Orchester ganz in der Hand. Don Giovannis Tun und Trachten, welches selber ja überaus manipulativ ist im Ausspielen der Frauen gegeneinander, wurde eine doppelte Ebene untergeschoben. Currentzis flüsterte den Opernsängern buchstäblich ihre Emotionen ein, dicht beugte er sich zu ihnen heran und wisperte vernehmlich, auf daß sie äußern, was der Dirigent bereits Sekunden vorher ausgedrückt hat mit seinem Körper.
Im „Don Giovanni“ gibt es eine Szene, in der ein großes Fest gefeiert wird, zu dem die Schönen des Dorfes maskiert geladen werden. Plötzlich tauchten aus der Kulisse gewöhnlich gekleidete Personen auf, recken die Fäuste kämpferisch empor, skandieren die Arie „Viva la libertá“ und entrollen ein Banner mit dieser Parole. Ein Megaphon kam zum Einsatz, der Dirigent peitschte ein. Zuvor war ganz kurz auf dem Text-Bildschirm die Zeile zu lesen „Mit Köpfchen gegen den Hass“ (in der deutschen Übersetzung des Librettos heißt es eigentlich: „ … wirkt arg verstört. Besser, wir nutzen unsern Verstand“).
Für mich war die Schlinge gelegt und zog sich zu. Der erste Schreck, es handle sich vielleicht um eine SJW- oder Antifa-Störaktion, ging bruchlos über in die Co-Agitation des Dirigenten, worauf geschmeidig Don Giovannis großes Fest der Libertinage folgte und in furiosem Rausch der Musik aufging.
Manipulation gelungen. Bei mir indes wahrscheinlich ganz gegenteilig zu allen anderen Zuschauern im Großen Saal des Konzerthauses.
Der Saal schien komplett in den Bann gezogen, ohne Schreck, ohne Bruch, denn bei ihnen war der „Currentzis-Effekt“ eingetreten, in den ich mich nicht hineingeheimnissen lassen konnte, so getriggert war ich durch das alberne Agitprop-Stückchen. Es lebe die „Freiheit“ – der mindestens drei manipulative Schichten vorgeschaltet sind: Don Giovannis Verführungskunst, Currentzis’ Verführungskunst seinem Orchester (der Konzertmeister sprach einmal von einer „Bruderschaft“) sowie seinem Publikum gegenüber, welches seinerseits bereits gut vormanipuliert ist durch die „öffentliche Meinung“ (Walter Lippmann).
Was ist Manipulation? Versuchen wir einmal, drei Aspekte zu unterscheiden:
- psychologisch: wenn jemand Lustgefühle dabei erlebt, daß der Manipulierte das, was dieser ihm eingeflößt hat, für seine eigene Entscheidung hält
- soziologisch: wenn das Individuelle einer Entscheidung nicht mehr erkennbar ist und der Manipulierte zum Massentypus wird
- moralisch: wenn durch unlautere Komplexitätsreduktion (z.B. wir gut – die böse) dem Manipulierten Parteinahme unhinterfragbar gemacht wird
Till Kinzel schreibt in der aktuellen Tumult unter der Überschrift „Fake Morality“:
Das Deutschland der Gegenwart bietet dem wissenschaftlichen Beobachter viele Vorzüge. So läßt sich wie unter Laborbedingungen an unzähligen Beispielen zeigen, welche konkreten Formen die »Indoktrinierbarkeit« des Menschen (Konrad Lorenz) annehmen kann.
Erlebte ich beim „Don Giovanni“ einen gewissermaßen schichtweisen Aufbau meisterhaften Manipulationsgeschehens in einem konzentrierten Augenblick, erstreckt sich mein nächstes Beispiel in der Zeit. Wie verfährt eine über Jahre, Jahrzehnte ausgedehnte Manipulation? Und kommt sie zu einem Schlußpunkt? Irgendwann will ja jeder Manipulateur den Genuß erleben, daß sein Plan aufgegangen ist.
Das Buch Ich und die Anderen. Wie die neue Pluralisierung uns alle verändert (2018) der österreichischen Philosophin Isolde Charim ist ein Paradebeispiel für das, was ich manipulative Mainstreaming-Arroganz nennen will.
Wir leben in einer pluralisierten Gesellschaft. Das ist nicht nur ein relativ neues Faktum. Das ist auch ein unhintergehbares Faktum: es gibt keinen Weg zurück in eine nicht-pluralisierte, in eine homogene Gesellschaft,
beginnt Charim ihren Parforceritt durch alle gesellschaftlichen Bereiche, in denen man noch ewiggestrige Leute antreffen könnte, die diese Lektion noch nicht kapiert haben: Religion, Kultur, Politik, political correctness. Leute, gewöhnt euch dran!
Dieser Haltung, zuerst selber Fakten zu schaffen, und deren Alternativlosigkeit dann denjenigen überheblich lächelnd vorzuhalten, die an die planmäßige Geschaffenheit und Widernatürlichkeit dieser Fakten zu erinnern wagen, begegnete ich zuerst in Helmut Schoecks Schülermanipulation von 1976. Der große konservative Soziologe beschreibt darin die Strategie der linken Pädagogik, selber kräftig an der Zerrüttung der „bürgerlichen Kleinfamilie“ zu arbeiten, und dann „kritisch“ festzustellen, daß mit der Zeit immer mehr Scheidungswaisen und Trennungskinder Bilder von der „heilen Familie“ in Schulbüchern als nicht mehr passend zu ihrer eigenen Lebenswirklichkeit erleben – woraufhin natürlich die Schulbücher geändert werden müssen, weil sie der Realität nicht mehr entsprechen.
Wenn Isolde Charim nun schreibt, „psychopolitisch“ funktioniere heute die Mehrheitsgesellschaft wie eine Minderheit, denn heute müßten sich alle der Diversität, der Vielfalt stellen, und
das heißt, die Vielfalt erhält Einzug in unser Innerstes, in unsere ganz eigene Identität. Ob man das nun will oder nicht“,
dann geht sie genau nach demselben Muster vor. Der Grundton ist, ob Charim das nun will oder nicht, hochgradig aggressiv. Leute, gewöhnt euch dran!
Der Prozeß der „Pluralisierung“ ist natürlich kein Naturgeschehen, sondern Resultat einer jahrzehntelangen „Entstrukturierung“, wie sie Kleine-Hartlage in Die liberale Gesellschaft und ihr Ende nachzeichnet. Wer die Pluralisierung nicht mitmachen will, affektiv-wutbürgerlich oder als konservativer Denker, ist dann eben „Modernisierungsverlierer“, der nicht verstanden hat, daß man die Moderne nur auf dem Boden der Moderne ablehnen kann. Tja, Pech gehabt, ihr kommt da nicht raus!
Die Arroganz der Manipulateure verrät ihre Lustgefühle. Manipulativ daran ist, daß jeder Widerstand gegen die angeblich alternativlose Neuerung zugleich als logisch unmöglich und moralisch böse dargestellt wird, und je länger man dieser Arroganz ausgesetzt ist (nicht bloß beim Lesen dieses Buches, sondern sobald man überhaupt Massenmedien konsumiert oder Bildungseinrichtungen besucht), desto eindrucksvoller und tiefer wirkt das Gaslighting. Eine Realität außerhalb der Pluralität, Diversität und bis in unser Innerstes vordringenden Vielfalt ist schlechterdings irreal. Lachhaft, sich der Wirklichkeit widersetzen zu wollen …
Zum zeitlichen Effekt der Manipulation, den wir auch neudeutsch Mainstreaming nennen können, gehört, daß allmählich niemand mehr übrig ist, der noch Zweifel an der neuen Realität hegen könnte. Mainstreaming bedeutet aus der Manipulateursperspektive, eine zunächst erfundene neue Realität zur mehrheitlich akzeptierten zu machen.
Aus der Manipuliertenperspektive bedeutet es, irgendwann nicht mehr sehen zu können, daß es sich eben zunächst um bewußtes Mainstreaming gehandelt hat: die neue Realität ist dann zum Mainstream geworden, zur überindividuellen Massenmeinung, die zur Parteinahme nötigt bei Strafe des Realitätsverlusts. Mainstreaming lagert außerdem Verantwortung aus: es gibt niemals nur “den” Manipulateur.
Unser Puppenspielerdirigent ist so gesehen nur das Ursprungsbild des “Etwas-in-der Hand-Habens” (lat. manus: Hand und plere: füllen). Die Zahl der Multiplikatoren, der manipulierten Manipulateure, nähert sich im Zuge des Mainstreamings der Bevölkerungszahl.
Manipulationshandeln ist auf dem Zeitstrahl ausgedehnt, Manipulationserleben kondensiert sich auf den Punkt, an dem man bemerkt, manipuliert worden zu sein, bis dahin bleibt sie nämlich unmerklich.
Manipulation ist nicht auf Gewalt angewiesen, um Freiheit zu entziehen. Das Freiheitsversprechen, das Freiheit entzieht, ist ihr Kern. Was aber, wenn manipuliert wird, was das Zeug hält, und am Ende gar kein Freiheitsversprechen mehr geboten wird?
Isolde Charim kann nur noch mit einer vagen „Begegnungszone“ für die Bürger ihrer pluralisierten Gesellschaft aufwarten und allen Ernstes Obama, Macron, Bernie Sanders und Martin Schulz (man bedenke: das Buch ist anderthalb Jahre alt!) als Hoffungsträger aufzählen, wohl wissend, daß sie ephemere Figuren sind. Mit dem alten Zizek muß sie am Ende zugeben, daß das Freiheitsversprechen überhaupt ganz eitel sei:
Der Traum von einer Alternative ist ein Zeichen von theoretischer Feigheit, dient er doch als Fetisch, der uns davon abhält, die Ausweglosigkeit unserer Lage konsequent zu Ende zu denken. Wahrer Mut besteht, kurz gesagt, darin, einzugestehen, dass das Licht am Ende des Tunnels wahrscheinlich die Scheinwerfer eines entgegenkommenden Zuges sind. (Slavoj Zizek: Der Mut der Hoffnungslosigkeit, 2018)
Eine letzte logische Volte der Manipulation scheint also die zu sein, mit dem kämpferischen Gestus des „Viva la libertá!“ keine Freiheit zu verkünden. Übrig bleibt dann die Arroganz des Verkünders des neuen Realitätsprinzips: es gibt keine Freiheit mehr. Doch sollte dies das Ende der Manipulation sein? Irrtum, für die Geschichtsmanager vom Dienst ist es nur ein neuer Anfang. In der Welt von vorgestern verkündet der Psychoanalytiker final:
Ökologische Bedrohungen machen vor allem eines klar, nämlich, dass die Ära souveräner Nationalstaaten auf ihr Ende zusteuert – stattdessen wird starke globale Handlungsfähigkeit gebraucht, gepaart mit der Macht, die notwendigen Maßnahmen zu koordinieren. Und zeigt das Bedürfnis nach solch einer Handlungsfähigkeit vielleicht auch in Richtung desjenigen, was wir einmal „Kommunismus“ nannten?
W. Wagner
Zur Freiheit: Gerade wurde von Facebook komplett CasaPound Italia gelöscht, auch viele einzelne Personen. Vielleicht war die riesige Demo heute in Rom gegen die neue Regierung zu erfolgreich, bei der Matteo Salvini zusammen mit Giorgia Meloni (Fratelli d‘Italia) auftrat und von ilprimatonazionale (CasaPound-nah) interviewt wurde.
Ob ARD und ZDF über Rom berichten werden?