Weihnachtsempfehlungen 2019 – Benedikt Kaiser

Geschenkempfehlungen zu Weihnachten in Buchform – wie jedes Jahr aus unserer Redaktion. Teil 2: Benedikt Kaiser.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Schö­nes

Jaros­lav Rudiš: Win­ter­bergs letz­te Rei­se, Roman, Mün­chen: Luch­ter­hand 2019. 544 S., gebun­den, 24 €

Ellen Kositza wird zum Pro­blem, Götz Kubit­schek ist ein sol­ches längst. Es geht, natür­lich, um Bel­le­tris­tik. Kositza ist ein Pro­blem, weil sie, wie ich, Eugen Ruges Metro­pol für den Roman des Jah­res nomi­niert, Kubit­schek ist seit jeher bei die­sen Weih­nachts­emp­feh­lun­gen ein Pro­blem, weil man min­des­tens einen Titel an ihn abzu­tre­ten hat.

Aber: kein Pro­blem, wenn man Jaros­lav Rudiš hat. Man muß nicht zwin­gend tschecho­phil sein, wenn man Win­ter­bergs letz­te Rei­se liest, aber es ist, so mei­ne ich, von ent­schei­den­dem Vor­teil – eben­so, wie ein gewis­ses Inter­es­se an der k.u.k.-Historie sowie an der kom­pli­zier­ten Gemenge­la­ge in Ost­mit­tel­eu­ro­pa und auf dem Bal­kan den Lese­genuß potenziert.

Aber: Dies nur als Rah­men für den vor­lie­gen­den Roman, nicht als unum­stöß­li­che Vor­be­din­gung. Denn: Auch, wer sich geis­tig nicht zwi­schen Reichenberg/Liberec und Sara­je­vo hei­misch fühlt und lie­ber mit dem SUV als der legen­dä­ren Čes­ké drá­hy Mit­tel­eu­ro­pa bereist, der wird nach die­sem Werk den unbän­di­gen Wil­len ver­spü­ren, Bahn­ti­ckets auf der Stre­cke Dresden–Aussig/Ustí–Reichenberg/Liberec–Königgrätz/Hradec Kralové–Brünn/Brno–Wien–Lundenburg/Břeclav und pi mal Dau­men retour zu buchen.

War­um? Nun, alles, was erklä­rend fun­gie­ren könn­te, wür­de zu viel von die­sem unter­halt­sa­men und geist­rei­chen Schel­men­ro­man ver­ra­ten, der es ver­dient hat, in wür­de­vol­lem Ambi­en­te genos­sen zu wer­den. Und mit wür­de­vol­lem Ambi­en­te spie­le ich, selbst­ver­ständ­lich, auf einen böh­mi­schen Spei­se­wa­gen in der mit­tel­ost­eu­ro­päi­schen Pam­pa an. Na zdraví.

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Gutes

Her­mann Hel­ler: Sozia­lis­mus und Nati­on. Mit einer Vor­re­de von Thor v. Wald­stein, Dres­den: Jun­g­eu­ro­pa 2019. 148 S., gebun­den, 16 €

Es ist gut, daß die­se Schrift aus Wei­ma­rer Zei­ten wie­der ver­füg­bar ist. Es ist vor allem aber not­wen­dig, gera­de heu­te. Domi­ni­que Ven­ner schrieb näm­lich vor mitt­ler­wei­le 60 Jah­ren (in Für eine posi­ti­ve Kri­tik, das bald in einer über­ar­bei­te­ten und erwei­ter­ten Neu­auf­la­ge neben einem bis­her nicht über­setz­ten Ven­ner-Band erscheint!), daß rechts- bzw. natio­nal­ori­en­tier­te »Akti­vis­ten ihre gemein­sa­men Vor­fah­ren und Vor­den­ker« nicht mehr ken­nen, daß »ihre ein­zi­ge Gemein­sam­keit nega­ti­ver Natur« ist und daß die »Wör­ter, die sie ver­wen­den, unter­schied­li­che, teils gegen­sätz­li­che Bedeu­tung haben«.

Kein Zwei­fel: All das gilt heu­te, in einer Zeit der Auf­lö­sung aller Gewiß­hei­ten und der noto­ri­schen Per­ver­tie­rung gan­zer Begriffs­wel­ten (grü­ne und mul­ti­kul­tu­rel­le Neo­li­be­ra­le als »Öko­so­zia­lis­ten«, ori­gi­nä­re Anti­fa­schis­ten als »Links­fa­schis­ten«, der tech­no­kra­tisch-kapi­ta­lis­ti­sche EU-Appa­rat als »EUdSSR«, kapi­tal­treue Christ­de­mo­kra­ten als »Mer­kel-Sozia­lis­ten«) um so mehr.

Hel­ler schafft hier vor fast 100 Jah­ren eigent­lich anhal­ten­de Klar­heit, nimmt Defi­ni­tio­nen vor, schützt den Leser vor dem aller­or­ten dro­hen­den Schlei­er des Nicht­wis­sens, den »Boo­mer« und ande­re Ver­hal­tens­li­ber­tä­re fort­wäh­rend über dem gesamt­rech­ten Lager aus­brei­ten wollen.

Thor v. Wald­stein, der mar­kan­tes­te Den­ker der soli­da­risch-patrio­ti­schen Gegen­auf­klä­rung zum libe­ra­len Ver­fall, bringt die Bedeu­tung des natio­na­len Sozi­al­de­mo­kra­ten Her­mann Hel­ler für die Neue Rech­te auf den Punkt, wenn er in sei­ner aus­führ­li­chen »Vor­re­de« – eine werk­bio­gra­phi­sche und welt­an­schau­li­che Ein­füh­rung – betont, daß die lin­ken Leu­te von rechts oder die rech­ten Leu­te von links zu den ori­gi­nells­ten Köp­fen gezählt wer­den müssen.

»Wenn die Mau­er der west­li­chen Lebens­lü­gen fällt«, so v. Wald­stein, »wer­den wir auf deren Esprit und deren ana­ly­ti­sche Schär­fen­tie­fe nicht ver­zich­ten kön­nen.« Der Autor hat recht, und des­halb ist es so gut, daß die­ser Titel nach etli­chen Jahr­zehn­ten aus dem Ver­ges­sen geris­sen und neu her­aus­ge­ge­ben wurde.

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Wah­res

David Engels (Hrsg.): Reno­va­tio Euro­pae. Plä­doy­er für einen hes­pe­ria­lis­ti­schen Neu­bau Euro­pas, Lüding­hau­sen und Ber­lin: Manu­scrip­tum 2019. 224 S., bro­schiert, 12.80 €

Nach einem Vor­trag in der deutsch­spra­chi­gen Schweiz hat­te ich vor kur­zem eini­ge Stun­den Auf­ent­halt in einem Tran­sit­be­reich eines Flug­ha­fens. »Eini­ge Stun­den«, das hieß für mich: durch­aus ein, zwei Stun­den zu viel. So dach­te ich jeden­falls. Denn die Zeit wur­de bis auf die letz­te Minu­te gefüllt mit der Lek­tü­re eines so klu­gen wie wich­ti­gen Sam­mel­bands, den der deutsch-bel­gi­sche Alt­his­to­ri­ker David Engels ver­ant­wor­tet hat.

Die Idee eines ver­ei­nig­ten »rech­ten« Euro­pas, so wur­de nach mei­nem Bei­trag im The­men­heft der Sezes­si­on deut­lich, reizt immer noch die Leser, ruft – gut begründ­ba­ren – Wider­spruch und – pene­tran­te – Res­sen­ti­ments glei­cher­ma­ßen hervor.

Engels weiß das, und sein Vor­ge­hen ist luzi­der, weni­ger welt­an­schau­lich-kämp­fe­risch – und damit wohl auch anschluß­fä­hi­ger. Er ver­sam­melt in die­sem fei­nen Bänd­chen Autoren, die unter sei­ner Anlei­tung in Polen 2018 und 2019 zu euro­päi­schen Fra­gen tag­ten und dabei ver­schie­de­ne The­men­be­rei­che aus christ­lich-pan­eu­ro­päi­scher Per­spek­ti­ve bei rea­lis­tisch-kon­ser­va­ti­ver Grund­prä­gung bearbeiteten.

Her­vor­zu­he­ben sind, neben den Bei­trä­gen des Her­aus­ge­bers selbst, ins­be­son­de­re die Refle­xio­nen zu euro­päi­schen Ver­fas­sungs­fra­gen (András Lán­c­zi) und dezi­diert kon­ti­nen­tal­eu­ro­päi­schem Wirt­schafts­den­ken als Gegen­stück zu anglo­ame­ri­ka­ni­schen Vari­an­ten (Max Otte). Daß der ein oder ande­re Bei­trag (Bir­git Kel­le) dabei qua­li­ta­tiv gewal­tig auf der Stre­cke bleibt, kann bei dem durch­wegs hohen Niveau der sons­ti­gen Auf­sät­ze ver­schmerzt werden.

Die Tex­te ste­hen dabei nicht iso­liert, son­dern wer­den von Engels behut­sam in sei­ne Rah­men­er­zäh­lung für eine neue kon­ser­va­tiv-revo­lu­tio­nä­re euro­päi­sche Ord­nung ein­ge­bet­tet. Ob man das dann »hes­pe­ria­lis­ti­sche« Wen­de nen­nen muß, steht auf einem ande­ren Blatt – aber es spricht wie­der­um für den Her­aus­ge­ber, daß er eige­ne, auch schwe­re Begrif­fe spie­le­risch zu set­zen vermag.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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Kommentare (4)

Der_Juergen

28. November 2019 13:28

"Renovatio Europae" habe ich, im Anschluss an diie Vorträge von Kaiser und Engels in der Schweiz, ebenfalls gelesen, und ich schliesse mich der positiven Beurteilung dieses Bandes durch Kaiser an. David Engels dürfte ein Denker von Format sein, was schon aus seinem Referat bei besagter Veranstaltung hervorging, in dem er Parallelen zwischen dem Niedergang des römischen Imperiums und der heutigen Lage zog und fünf mögliche Modelle des künftigen Verhältnisses zwischen Christen und Muslimen in West- und Mitteleuropa präsentierte. Vielleicht gewinnt ihn Sezession als Gastautor.

limes

29. November 2019 20:42

Dass Benedikt Kaiser seinen Essay »Der europäische Hindernisparcours« selbst als relativ wenig anschlussfähig einschätzt, ist für mich interessant – aus einem persönlichen Grund:

Vor einigen Wochen habe ich nach einem kleinen Familientreffen einem älteren Paar aus meiner Verwandtschaft unter allen möglichen Beschwichtigungssignalen »gebeichtet«, dass ich Sympathien für gewisse neurechte Standpunkte hege. Diese Verwandten sind lebenslange SPD-Regionalkader, gebildet und intelligent. Ich hatte mir mein »Coming Out« vorher zurechtgelegt, ausgerechnet Kaisers oben genannten Text ausgedruckt und meinen Verwandten als Lektüre für die lange Heimfahrt per Bahn mitgegeben, weil ich der Meinung bin, dass dieser Text verschiedene Passagen enthält, die geeignet sein könnten, bei Linken Interesse zu wecken und so der Dämonisierung der Rechten entgegenzuwirken.

Inzwischen hat sich eine strenge und fragile, aber immerhin sachliche Korrespondenz über weltanschauliche Fragen entwickelt, was aus meiner Sicht schon ein großer Erfolg ist. Denn mein durchaus ehrgeiziges Ziel ist es, im Gespräch zu bleiben und dem – so meine Verwandten wörtlich – »Abscheu allem Rechten gegenüber« entgegenzuwirken, auf dass zumindest Toleranz entstehe. Denn der Verzicht darauf, den kleinsten gemeinsamen Nenner von Idealismus in Deutschland zu suchen, ist eine furchtbare Verschwendung von Ressourcen.

Zurück zum Thema: Benedikt Kaisers Essay zu widerlegen wurde von meiner roten Verwandtschaft nicht versucht.

Kositza: Das ist sehr tapfer von Ihnen! Woche für Woche hören wir ähnliche Berichte (geht natürlich nicht immer um Kaiser...) Meist geht es aber mit einem Freundschaftsbruch (aka "Riß") aus. Und selten versucht man sich an Widerlegungen. Es geht immer um Dogmen.

Ratwolf

1. Dezember 2019 14:39

Ich wünschte, ich hätte die Ruhe große Bücher zu lesen.

Benedikt Kaiser

2. Dezember 2019 15:05

@limes:
Da ist man manchmal als Autor wohl zu sehr in der neurechten Blase aktiv. Mit "anschlußfähig" meinte ich: im eigenen Milieu, im rechten Feld. Dort sind diese Positionen noch umstritten und nicht gesetzt.

Ansonsten: Herzlichen Dank für Ihre Schilderung und auf diesem Wege alles Gute.

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